von Wiss. Mit. Mareike Neumann
Am 7. und 8. November 2019 fand bereits zum dritten Mal das vom Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat und vom Bundeskanzleramt veranstaltete Symposium zum Recht der Nachrichtendienste unter der wissenschaftlichen Leitung von Prof. Dr. Jan-Hendrik Dietrich (Hochschule des Bundes), Prof. Dr. Klaus Ferdinand Gärditz (RiOVG, Universität Bonn), RiBVerwG a.D. Prof. Dr. Kurt Graulich, Prof. Dr. Christoph Gusy (Universität Bielefeld) und RD Dr. Gunter Warg (Hochschule des Bundes) in Berlin statt.[1] Gegenstand der zweitägigen Veranstaltung waren in diesem Jahr die „Nachrichtendienste in vernetzter Sicherheitsarchitektur“. Zu den Gästen zählten neben Angehörigen der Wissenschaft auch Vertreter aus Justiz, Verwaltung und Politik.
I. Grußworte und Einführungsvortrag
Die Teilnehmer wurden zum Auftakt des Symposiums von MR Dietmar Marscholleck (Bundeministerium des Innern, für Bau und Heimat) begrüßt. Es handele sich bei dem Symposium inzwischen um eine traditionelle und etablierte Tagung, bei der besonderer Wert auf den Austausch und Dialog zwischen den Besuchern gelegt werde. Prof. Dr. Christoph Gusy wies in den seinerseits gesprochenen Begrüßungsworten darauf hin, dass es sich mittlerweile um eine Tagung handele, bei der der Theorie-Praxis-Dialog im Vordergrund stünde. Bei dem diesjährigen Thema „Nachrichtendienste in vernetzter Sicherheitsarchitektur“ bestünde weiterhin Bedarf zur fachlichen Aufarbeitung – dem nehme sich das Symposium nun ein Stück weit an.
Auch Prof. Dr. Günter Krings (Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Innern, für Bau und Heimat) betonte die Wichtigkeit eines interdisziplinären Teilnehmerkreises. Der erhoffte Austausch zwischen Sicherheitsbehörden, Wissenschaft und Politik sei wertvoll für die Akzeptanz der Nachrichtendienste in der Öffentlichkeit. Die Sicherheitsbehörden dürften von der Gesellschaft nicht als Fremdkörper betrachtet werden: Es sei so viel Transparenz notwendig wie möglich, mit der Einschränkung, dass die erforderliche Vertraulichkeit nicht außer Acht gelassen werde. Er betonte, dass es kein Tabu sein dürfe, auch im Bereich des Sicherheitsrechts Grundgesetzänderungen vorzunehmen, warnte aber gleichzeitig davor, dies als Allheilmittel zu sehen. Der Verfassungsschutz bedürfe zudem einer angemessenen Ausstattung, sowohl hinsichtlich des Personals als auch mit Blick auf zeitgemäße Befugnisse. Es sei nicht möglich, der Einführung neuer Befugnisse skeptisch gegenüberzustehen und gleichzeitig mehr Erfolge einzufordern.
Die diesjährige Keynote-Speech zu der Frage, ob man sich auf dem Weg zum Sicherheitskooperationsrecht befinde, wurde von Prof. Dr. Bettina Schöndorf-Haubold (Justus-Liebig-Universität Gießen) gehalten. Sie beschränkte sich bei ihrer Betrachtung auf die Ebene der Europäischen Union (EU) und stellte zunächst fest, dass die EU im Bereich des Sicherheitsrechts grundsätzlich auf die Koordination der nationalen Sicherheitsbehörden beschränkt sei. Einen ersten Schritt darüber hinaus stelle der Ausbau der Europäischen Grenz- und Küstenwache Frontex[2] dar: Die geplante Weiterentwicklung[3] hin zu einer Reserve an Grenzschutzbeamten mit eigenen Befugnissen beinhalte Ansätze einer genuinen europäischen Polizei. Innerhalb Europas existieren zwar zwei bekannte nachrichtendienstliche Kooperationen, das EU Intelligence Analysis Centre (EU INTCEN), in dem sich mitgliedsstaatliche Nachrichtendienste auf Basis nationalen Rechts gegenseitig Informationen zur Verfügung stellen, und die Counter-Terrorism Group, ein informeller Zusammenschluss 30 nationaler Nachrichtendienste. Hinsichtlich der Errichtung eines eigenen unionalen Geheimdienstes existiere jedoch keine Kompetenzgrundlage, sodass dies ausgeschlossen erscheine. Allerdings betonte Schöndorf-Haubold auch, dass ihrer Ansicht nach das Fehlen einer vertraglichen Grundlage kein generelles Verbot darstellen müsse; eine mögliche Öffnungsklausel für die Errichtung einer solchen Behörde sehe sie in Art. 74 AEUV. Ein guter Grund für die Schaffung unional übergreifender Regelungen im Sicherheitsrecht sei die damit einhergehende Stärkung von Rechtsstaatlichkeit, Transparenz und Grundrechtssicherung.
II. Kooperationen im Verfassungsschutzverbund
Die erste Vortragsreihe, welche sich mit dem Thema „Kooperationen im Verfassungsschutzverbund“ beschäftigte, wurde von Prof. Dr. Christoph Gusy (Universität Bielefeld) moderiert. Prof. Dr. Thomas Wischmeyer (Universität Bielefeld) ging im ersten Vortrag auf die Zusammenarbeit des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) mit den Landesämtern für Verfassungsschutz (LfV) ein. In einem ersten Schritt stellte er die Rahmenbedingungen der Zusammenarbeit vor: Diesbezüglich wies er zum einen auf Art. 73 Abs. 1 Nr. 10b GG hin, wonach der Bund die ausschließliche Gesetzgebung für die Zusammenarbeit des Bundes und der Länder zum Schutze der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, des Bestandes und der Sicherheit des Bundes oder eines Landes innehabe. Die verfassungsrechtliche Kompetenz zur Errichtung des BfV ergebe sich demgegenüber aus Art. 87 Abs. 1 S. 2 GG. Fraglich sei dabei jedoch, ob diese Kompetenzen auch eine Grundlage für die eigenen Befugnisse des BfV darstellen. Teilweise werden die eigenen Befugnisse des BfV aus dem Grund als notwendig betrachtet, dass die Koordinierung der Zusammenarbeit auch die eigene Handlungsfähigkeit einer Zentralstelle im Sinne des Art. 87 Abs. 1 S. 2 GG voraussetze. Mittlerweile berufe man sich hinsichtlich der eigenen Befugnisse des BfV auch auf Art. 87 Abs. 3 GG als Kompetenznorm. Im nächsten Schritt stellte Wischmeyer Reformideen vor, die der Verbesserung des föderalen Verfassungsschutzsystems dienen können: Eine davon sei der Erlass eines Musterverfassungsschutzgesetzes. Hier sehe er jedoch das Problem, dass ein solches oft schnell veralte und nicht zwingend zu einer Harmonisierung in allen Ländern führe. Eine weitere Möglichkeit sei die Einführung einheitlicher Befugnisnormen für Bund und Länder. Ob der Bund die Gesetzgebungskompetenz für den Erlass von Befugnisnormen für die LfV habe – dies könne sich theoretisch nur aus einem Annexkompetenztitel ergeben –, hielt Wischmeyer allerdings für fraglich. Auch die sogenannte „Widerspruchslösung“, die dem Bund die Entscheidungskompetenz bei fehlendem Einvernehmen zusprechen möchte, stelle sich aus verfassungsrechtlicher Sicht als bedenklich dar. Da gewisse Bereiche der Arbeit des Verfassungsschutzes sinnvoller beim BfV geregelt werden können, könne eine sektorale Zentralisierung die Arbeit des Verfassungsschutzes erleichtern. Dies sei jedoch nur möglich, wenn man das BfV als Bundesbehörde im Sinne des Art. 87 Abs. 3 GG ansehe.
Zu der Frage, ob die föderale Sicherheitsarchitektur im Bereich des Verfassungsschutzes noch zeitgemäß sei, stellte Michael Fischer (Leiter Abteilung Verfassungsschutz Berlin in der Senatsverwaltung für Inneres und Sport) zunächst die Kernthesen von Burkhard Freier (Leiter Abteilung Verfassungsschutz im Ministerium des Innern NRW) vor, der an diesem Tag verhindert war. Ausgangspunkt von Freiers Überlegung sei, dass die Förderung der inneren Sicherheit das primäre Ziel darstellen müsse. Die Frage, ob das System bei föderaler oder zentraler Ausgestaltung besser funktioniere, sei zweitrangig. Erforderlich sei eine klare Definierung der Aufgaben und Befugnisse; allerdings stelle sich dies in der Praxis als schwierig dar. Wichtig für das Funktionieren der inneren Sicherheit sei auch der institutionelle Austausch von Informationen. Unabhängig von der Ausgestaltung funktioniere der Verfassungsschutzverbund nur, wenn es ein starkes BfV und auch starke LfV gebe.
Bei der zukünftigen Ausrichtung des Verfassungsschutzverbundes, mit der sich Fischer anschließend in seinem eigenen Vortrag beschäftigte, seien aufgrund der ansteigenden Radikalisierung, Digitalisierung, wachsender Gewaltbereitschaft und Demokratiefeindlichkeit starke Behörden erforderlich, die in enger Abstimmung zusammenarbeiten. Von entscheidender Bedeutung sei die zukünftige Orientierung an folgenden drei Punkten: Mit Blick auf die Wirksamkeit des Verfassungsschutzes müssten die Kernaufgaben – Früherkennungssystem, Frühwarnsystem, Aufklärung und Prävention – optimiert werden. Dies müsse durch eine Erweiterung und Anpassung der verfassungsschutzrechtlichen Methoden erfolgen. Von immenser Bedeutung sei auch die Nachvollziehbarkeit und Kontrollierbarkeit: Bei unterbleibender Informationsweitergabe aufgrund gewichtiger Gründe, wie es bspw. beim Quellenschutz oder aufgrund des Trennungsgebotes der Fall sei, müsse die Öffentlichkeit dennoch sicher sein, dass der Verfassungsschutz in seinem Tätigwerden rechtmäßig handele. Zudem sei eine engere Zusammenarbeit zwischen den Behörden unerlässlich; der Verfassungsschutz müsse als Gemeinschaftsaufgabe verstanden werden.
III. Kooperationen mit Strafverfolgungsbehörden
In der zweiten Vortragsreihe, die ebenfalls von Gusy moderiert wurde, referierte zunächst Prof. Dr. Mark A. Zöller (Universität Trier) über die Zusammenarbeit der Nachrichtendienste mit den Strafverfolgungsbehörden. Diese erfolge in der Praxis entweder aufgrund institutionalisierter Kooperationen oder anhand einzelfallbezogener Zusammenarbeit. Zu ersterem zählen unter anderem das Gemeinsame Terrorismusabwehrzentrum (GTAZ), unter dessen Dach seit 2004 insgesamt 40 Behörden zusammenarbeiten, und das 2012 errichtete Gemeinsame Extremismus- und Terrorismusabwehrzentrum (GETZ), welches sich mit den übrigen Phänomenbereichen der politisch motivierten Kriminalität und den Bereichen Spionage und Proliferation befasse. Durch Regionalkonferenzen unter Federführung des Generalbundesanwalts und durch Hospitationen von Staatsanwälten und Polizeibeamten bei den Nachrichtendiensten und der gemeinsamen Erstellung von Handreichungen zur Informationsübermittlung werde zudem gegenseitiges Vertrauen aufgebaut. Im Rahmen der einzelfallbezogenen Übermittlungen solle die Staatsanwaltschaft in den in Nr. 205 Abs. 2 RiStBV aufgelisteten Verfahren Informationen an das BfV weitergeben. Beim umgekehrten Informationsfluss – vom BfV hin zur Staatsanwaltschaft – müsse zwischen der Weitergabe von allgemeinen Informationen und personenbezogenen Daten unterschieden werden. Zu den allgemeinen Informationen zählen bspw. Informationen über das Herkunftsland eines Flüchtlings, die zur Überprüfung eines Anfangsverdachts gem. §§ 129a, 129b StGB herangezogen werden können. Bei der Übermittlung von personenbezogenen Daten bestehe oftmals das Problem, dass die unmittelbaren Beweismittel – etwa Vertrauensleute oder Originaldokumente wie G 10-Protokolle – nicht zur Verfügung gestellt werden können, sondern die Strafverfolgungsbehörden vom Nachrichtendienst lediglich sog. Behördenzeugnisse erhalten. Diese amtlichen Mitteilungen über Erkenntnisse zu einem bestimmten Thema haben im Strafverfahren jedoch einen erheblich herabgesetzten Beweiswert. Aufgrund der mangelnden Überprüfbarkeit müssen Behördenzeugnisse daher durch andere gewichtige Beweiszeichen bestätigt werden. Jede (zweckändernde) Nutzung personenbezogener Informationen stelle zudem einen Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) dar, zu dessen Rechtfertigung es nach dem vom Bundesverfassungsgericht konzipierten Modell der doppelten Tür[4] sowohl einer Übermittlungs- als auch einer Empfangsermächtigung bedürfe. Als Beispiel für eine Übermittlungsermächtigung auf Seiten der Nachrichtendienste nannte Zöller § 20 BVerfSchG, der allerdings aufgrund des wenig konsistenten Katalogs übermittlungspflichtiger Straftaten kritisch zu betrachten sei. Noch bedenklicher sei das Fehlen einer speziellen Empfangsermächtigung auf Seiten der Strafverfolgungsbehörden; der Empfang von Daten werde bislang nur auf die allgemeinen Ermittlungsgeneralklauseln in § 161 Abs. 1 S. 1 StPO und § 163 Abs. 1 S. 2 StPO gestützt. Der oft herangezogene § 161 Abs. 2 S. 1 StPO stelle keine Ermächtigungsgrundlage, sondern nur eine allgemeine Regelung zur Beschränkung der Verwendbarkeit von außerstrafprozessual erhobenen Daten dar, die dem Prinzip des hypothetischen Ersatzeingriffs folge. Da § 161 Abs. 2 S. 1 StPO im Umkehrschluss somit keine Verwendungsbeschränkung bei Maßnahmen, deren Anordnung nach der StPO keinen Verdacht hinsichtlich bestimmter Straftaten voraussetzt, beinhalte, führe dies zu einer unverhältnismäßig weit gehenden Durchbrechung des Grundsatzes der Zweckbindung von Daten. Der Austausch personenbezogener Daten zwischen Nachrichtendiensten und Strafverfolgungsbehörden bedürfe somit einer gesetzlichen Reform. Eine Regulierungsmöglichkeit wäre die Beschränkung auf Straftaten mit gewissem Gewicht. Die rechtlich sauberste, aber – so Zöller – auch radikalste Lösung wäre es, das Prinzip des hypothetischen Ersatzeingriffs zum generellen Leitprinzip des Informationsaustauschs zu erheben.
Der diesbezügliche rechtspraktische Standpunkt wurde von OStA beim BGH Dr. Tobias Engelstätter (Generalbundesanwalt beim BGH) vorgestellt. Der Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof (GBA) sei auf nachrichtendienstliche Informationen angewiesen, um schnell auf Bedrohungen – zurzeit insbesondere durch organisationsungebundene Einzeltäter oder IS-Rückkehrer – reagieren zu können. Nachrichtendienstliche Informationen können zur Prüfung des Anfangsverdachts verwendet werden, um eine richterliche Anordnung zu erlangen, oder als Beweismittel zur Anklageerhebung hinzugezogen werden. Die Zulässigkeit der Verwendung der Daten im Rahmen der Strafverfolgung werde vom GBA durchgängig überprüft. Falls das Recht auf ein faires Verfahren bedroht sei, gebe es Kompensationsmöglichkeiten: Dazu zählen etwa die hypothetische Datenneuerhebung oder die Anwendung der Abwägungslehre. Die Grenze für die Verwendbarkeit der Informationen sei stets die Rechtsstaatlichkeit. Insbesondere die weitere Entwicklung bei der Weitergabe von Informationen, die von ausländischen Diensten erhoben und mit einer Sperrerklärung versehen werden, werde sich als interessant darstellen: Es müsse überlegenes Wissen auf Seiten der Richter aufgrund weiterer Geheimverfahren verhindert und effektiver Rechtsschutz gegen Sperrmaßnahmen ermöglicht werden.
IV. Dinner Speech
Die Dinner Speech wurde von Prof. Dr. Dres. h.c. Angelika Nußberger M.A. (Vizepräsidentin des EGMR) gehalten. Sie betonte zunächst, dass die intensive Beschäftigung mit dem Thema Sicherheit auch für das Verhältnis von Staat und Gesellschaft zueinander wichtig sei. Sowohl am Bundesverfassungsgericht als auch am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte und am Gerichtshof der Europäischen Union müssen die Richter in der nächsten Zeit über Fälle entscheiden, in denen über die Rechtmäßigkeit von Befugnissen zur Anordnung von heimlichen Überwachungsmaßnahmen gestritten werde. Auf der einen Seite stehe die Zivilgesellschaft, die vor dem geschichtlichen Hintergrund der NS- und DDR-Zeit die wachsenden Überwachungsmöglichkeiten misstrauisch betrachte, auf der anderen Seite der Staat, der aus den Anschlägen der letzten Jahre Konsequenzen zu ziehen habe und auf die aktuellen Bedrohungen zu reagieren versuche. Die anhängigen Fälle seien zwar neu – so Nußberger–, nicht aber ihre Thematik. In seiner Rechtsprechung zu geheimen Überwachungsmaßnahmen habe der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte bereits Mindestgarantien entwickelt, die in gesetzlichen Regelungen zur Anordnung von Überwachungsmaßnahmen enthalten sein sollten, um Missbrauch von vornherein unmöglich zu machen: So solle im Gesetz die Art der Straftaten, die eine Überwachungsanordnung rechtfertigen können, eine Beschreibung der Personengruppen, die überwacht werden können, die Begrenzung der Dauer der Abhörmaßnahme, das Verfahren für die Auswertung, Verwendung und Speicherung der erlangten Daten, die bei der Übermittlung der Daten zu beachtenden Vorsichtsmaßnahmen und die Umstände, unter denen die Aufzeichnungen gelöscht und vernichtet werden müssen oder dürfen genannt werden.[5] Nun werde darüber gestritten, ob diese Kriterien auf die zurzeit anhängigen Verfahren übertragen werden können. Die streitführenden Parteien fordern darüber hinausgehend als weitere Voraussetzungen für die Anordnung heimlicher Überwachungsmaßnahmen das Bestehen eines ausreichenden Verdachts, einen Richtervorbehalt und die Unterrichtung der überwachten Person. Die Entscheidung darüber obliege nun den Gerichten.
V. Militärische Aufklärung und Nachrichtendienste
Am zweiten Tag wurde im Panel 1[6] unter der Leitung von Dr. Gunter Warg (Hochschule des Bundes) das militärische Nachrichtenwesen näher betrachtet. Das militärische Nachrichtenwesen umfasse – so Prof. Dr. Wolff Heintschel von Heinegg (Europa-Universität Viadrina Frankfurt, Oder), der zum verfassungsrechtlichen Auftrag und den Intelligence-Aktivitäten der Bundeswehr referierte – alle Maßnahmen der Streitkräfte zur Informationsgewinnung. So sammele das Kommando Strategische Aufklärung beispielsweise durch Aufklärungsmaßnahmen im Ausland Informationen, welche die Streitkräfte bei der Durchführung von Einsätzen unterstützend nutzen können. Der Rechtsrahmen des militärischen Nachrichtenwesens bestehe sowohl aus dem Völkerrecht als auch aus verfassungsrechtlichen Vorgaben des Grundgesetzes. Der Schutz der nationalen Interessen als oberstes Gebot der Streitkräfte sei grundsätzlich mit dem Völkerrecht vereinbar; oft werde zudem bei der Frage der Legitimation der Informationsgewinnung der Streitkräfte die Möglichkeit übersehen, dass es völkerrechtlich erlaubt sei, auf völkerrechtswidrige Handlungen anderer Staaten Gegenmaßnahmen zu ergreifen und auch zu diesen Zwecken Informationen zu sammeln. Aber auch in Friedenszeiten sei aus völkerrechtlicher Sicht die Informationsbeschaffung möglich. Es gebe insoweit kein völkerrechtliches Spionageverbot. Die Vorgaben des Völkerrechts werden über Art. 25 und Art. 59 Abs. 2 GG Bestandteil des nationalen Rechts. Die verfassungsrechtliche Grundlage des militärischen Nachrichtenwesens finde sich zum einen in Art. 87a Abs. 1 GG – die Informationsbeschaffung sei erforderlich zur Aufgabenerfüllung –, zum anderen beinhalten aber auch Einsätze gem. Art. 24 Abs. 2 GG die Informationsbeschaffung. Da Informationen lediglich über (potentielle) gegnerische Kräfte gesammelt werden, die grundsätzlich ohnehin nicht grundrechtsfähig seien, sei keine Ermächtigungsgrundlage im Bundesrecht erforderlich. Grundrechtsrelevante Informationen werden entweder schon nicht erhoben bzw. verarbeitet oder nicht gespeichert. Im Gegenteil, eine einfachgesetzliche Ermächtigungsgrundlage würde den verfassungsrechtlichen Auftrag der Streitkräfte konterkarieren; dieses Spektrum könne nicht abstrakt erfasst werden.
MinDir Andreas Conradi (Bundesministerium der Verteidigung) und Generalmajor Axel Binder (Kommando Strategische Aufklärung) stellten daraufhin die rechtlichen und operativen Dimensionen des militärischen Nachrichtenwesens der Bundeswehr vor. Zunächst wies Conradi darauf hin, dass das Kommando Strategische Aufklärung kein Nachrichtendienst im Sinne der Sicherheitsarchitektur darstelle. Es handele sich nicht um einen institutionalisierten Nachrichtendienst, vielmehr sei es integraler Bestandteil der Streitkräfte. Anknüpfend an Heintschel von Heinegg betonte Conradi, dass die Streitkräfte auf Basis des Art. 87a GG und des Völkerrechts agieren und keiner einfachgesetzlichen Ermächtigungsgrundlage bedürfen. Selbstverständlich seien die Streitkräfte in ihrem Handeln an Grundrechte gebunden – so werde bei der Diskussion um eine Ermächtigungsgrundlage oftmals das Fernmeldegeheimnis oder das Recht auf informationelle Selbstbestimmung thematisiert. Es käme jedoch vielmehr auf die Frage an, ob die anvisierten Ziele selbst grundrechtsfähig seien. Aktivitäten eines militärischen Gegners seien grundsätzlich nicht grundrechtsgeschützt. Art. 19 Abs. 3 GG beziehe sich zudem nur auf inländische juristische Personen, ausländische seien somit nicht erfasst. In bestimmten Fällen sei es dennoch möglich, dass der Gegner Grundrechtsschutz genieße, allerdings entfalle in diesen Situationen dann die Notwendigkeit einer einfachgesetzlichen Ermächtigungsgrundlage, wenn der Einsatz auf völkerrechtlicher Grundlage erfolge.
Das Ziel des militärischen Nachrichtenwesens – so Binder – sei, alle einsatzrelevanten Informationen im Vorlauf zu sammeln und aufzubereiten. Aufgaben des militärischen Nachrichtenwesens seien das Nachrichtenmanagement, also die Informationsversorgung auf allen Ebenen, die Aufklärung durch zielgerichteten Einsatz von Aufklärungstruppen und die Herstellung militärischer Sicherheit. So sei das militärische Nachrichtenwesen auch für den Geheimschutz zuständig. Es habe Warn-, Schutz-, Einsatz- und Informationsfunktion. Zwar werde man auch oftmals im selben Gebiet tätig wie der Bundesnachrichtendienst und könne somit den dadurch ermöglichten Informationsaustausch nutzen; das Ziel der Informationserhebung unterscheide sich allerdings insoweit, als das militärische Nachrichtenwesen nur auftragsbezogen handele.
VI. Podiumsdiskussion: Der Fall Amri und die Folgen
In der Podiumsdiskussion unter der Moderation von RiBVerwG a.D. Prof. Dr. Kurt Graulich wurde das Thema „Der Fall Amri und die Folgen“ behandelt. Teilnehmer waren Bundesanwalt Thomas Beck, RA Dr. Nikolaos Gazeas, LL.M., Präsident des BfV Dr. Thomas Haldenwang, Dr. Irene Mihalic MdB, Armin Schuster MdB, Vorsitzender des PKGr und Dr. Ronen Steinke, Süddeutsche Zeitung. Zunächst wurde eine Fehleranalyse des staatlichen Handelns im Fall Amri vorgenommen: Beck wies diesbezüglich auf das Phänomen und zugleich Problem des „zeitweise unauffälligen Gefährders“ hin. Zwar sei Anis Amri zu keiner Zeit unauffällig gewesen, allerdings vorübergehend vom Radar verschwunden. Dies müsse verhindert werden. Auch vermeintlich gesicherte Gefährder, die sich in Haft befänden, müssten nach Ende der Freiheitsstrafe weiterhin überwacht werden. Instrumente dafür stellten beispielsweise Bewährungsauflagen oder die Führungsaufsicht dar. Schuster machte zudem auf einen falschen Ausgangspunkt bei der Bewertung, ob es sich bei einer Person um einen Gefährder handele, aufmerksam. Eine Person galt in der Vergangenheit dann als gefährlich, wenn sie Vorbereitungshandlungen zur Durchführung eines Anschlags vornahm. Dadurch fielen jedoch diejenigen Personen durch das Raster, die lediglich generell gefährlich waren, ohne durch konkrete Handlungen aufzufallen. Dies würde mittlerweile anders bewertet werden. Mihalic wies zudem auf die Tatsache hin, dass es sich bei Amri um einen hochmobilen Gefährder gehandelt habe, was die Bearbeitung eines solchen Falles bei der in Deutschland vorherrschenden Sicherheitsarchitektur erschwere. Sie plädierte für eine Stärkung des BfV als Zentralstelle und für eine gesetzliche Grundlage für das GTAZ, in der etwa die Zusammenarbeit und insbesondere die Federführung durch eine Behörde geregelt werden müsse. Ein weiteres Problem im Fall Amri lag, so Haldenwang, in der fehlenden Kommunikation der Sicherheitsbehörden. Während der Fall von einer Behörde bearbeitet wurde, fühlten sich andere Behörden nicht mehr zuständig, da sie nicht um Hilfe gebeten wurden. Um dies zu verhindern, müssen Abstimmungsprozesse angepasst und die (internationale) Zusammenarbeit intensiviert werden. Steinke stellte daraufhin die Frage in den Raum, ob der Föderalismus in der Sicherheitsarchitektur noch ein geeignetes System sei. Es könne kein effizientes Gesamtbild einer Situation gebildet werden, wenn wie im GTAZ über 40 Behördenvertreter an einem Tisch säßen.
In einem zweiten Schritt wurde über die Konsequenzen, die aus dem Fall gezogen werden müssen bzw. bereits gezogen wurden, gesprochen. Schustersah ein Problem in der fehlenden klaren Definition des Trennungsgebotes. Es sei möglich, klare Grenzen im Gesetz zu formulieren. Allerdings sei kein eigenes Gesetz, wie von Mihalic gefordert, für das GTAZ erforderlich. Er sprach sich für Anpassungen in den jeweiligen bereits bestehenden Gesetzen der unterschiedlichen Behörden aus. Die Federführung im
GTAZ könnte dem GBA zugeordnet werden, jedoch seien Sonderlösungen für Überforderungssituationen notwendig. Mihalic warf daraufhin ein, dass der Inhalt des Trennungsgebots keiner Präzisierung bedürfe, das Problem bestehe vielmehr darin, dass nachrichtendienstliche Informationen schwer bei Polizei und Staatsanwaltschaft eingeführt werden können. Gazeas warf zudem die Frage nach weiteren Befugnissen des Verfassungsschutzes auf. Es könne darüber nachgedacht werden, Mitarbeiter des BfV in geschlossenen sozialen Netzwerken zuzulassen. Wichtig sei dabei jedoch immer die Frage nach der Erforderlichkeit.
VII. Fazit
MR Dr. Michael Baum, Bundeskanzleramt, sprach nach anderthalb intensiven Tagungstagen das Schlusswort. Er bezeichnete das Symposium mit seinen anregenden und kontroversen Diskussionen als wesentlichen Baustein für die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Nachrichtendienstrecht und stellte die Europäisierung der Zusammenarbeit der Nachrichtendienste als mögliches Thema für das 4. Symposium in eineinhalb Jahren in den Raum.
Das diesjährige Symposium zum Recht der Nachrichtendienste machte deutlich, dass sich im Bereich der Sicherheitsarchitektur in Deutschland bereits viel getan hat, allerdings auch noch viele weitere Baustellen bestehen. In den Vorträgen wurden diese nicht nur aufgezeigt, sondern auch etliche Lösungsmöglichkeiten präsentiert. Insbesondere die Kommunikation, der Austausch von Informationen und die generelle Zusammenarbeit müssen in der Zukunft weiter optimiert werden. Diese Vorschläge sollten nun aufgegriffen und umgesetzt werden. Dies gilt nicht nur, um generell die Arbeit der Sicherheitsbehörden effizienter auszugestalten und in Teilen zu vereinfachen, sondern auch, um das bereits von Krings erwähnte Vertrauen der Gesellschaft in die Nachrichtendienste weiterhin zu stärken.
[1] Sämtliche Vorträge, Diskussionen und die Podiumsdiskussion des Symposiums werden in einem Tagungsband veröffentlicht. Die Tagungsteilnahme der Verfasserin wurde durch das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat finanziell im Rahmen der Nachwuchsförderung unterstützt.
[2] Frontex, die Europäische Grenz- und Küstenwache, wurde durch die Verordnung (EU) 2016/1624 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. September 2016 über die Europäische Grenz- und Küstenwache (ABl. L 251 vom 16.9.2016, S. 1) errichtet.
[3] Siehe dazu den Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die Europäische Grenz- und Küstenwache und zur Aufhebung der Gemeinsamen Aktion 98/700/JHA des Rates, der Verordnung (EU) Nr. 1052/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates und der Verordnung (EU) 2016/1624 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. September 2018.
[4] BVerfG, Beschl. v. 24.1.2012 – 1 BvR 1299/05, BVerfGE 130, 151.
[5] Vgl. EGMR, Entsch. v. 29.6.2006 – 54934/00 – Weber and Saravia/Germany.
[6] Der vorliegende Tagungsbericht beschränkt sich insoweit auf die von der Verfasserin besuchten Vorträge. Die Vorträge des parallelen Panels 2 („Internationale nachrichtendienstliche Zusammenarbeit“ unter der Leitung von Prof. Dr. Jan-Hendrik Dietrich (Hochschule des Bundes)) zu den Themen „Intelligence Cooperation in der NATO“ (Dr. Arndt Freiherr Freytag von Loringhoven, Beigeordneter Generalsekretär der NATO) und „Rahmenbedingungen und Notwendigkeiten internationaler Kooperationen von Nachrichtendiensten“ (Präsident Dr. Bruno Kahl, Bundesnachrichtendienst) können in dem angekündigten Tagungsband nachgelesen werden.