von OStA Dieter Kochheim
Der BGH befasst sich in dieser Entscheidung mit dem nicht genehmigten, mithin verbotenen Glücksspiel im Zusammenhang mit dem Betrieb von Spielhallen. Die Tragweite des Richterspruchs reicht weit über den besonderen Ausschnitt der verwaltungsakzessorischen Strafnorm des § 284 Abs. 1 StGB hinaus, weil er eine ganz allgemeine Aussage trifft: Dem Strafrecht ist es verwehrt, ein verwaltungsrechtliches Verbot inhaltlich zu überprüfen, sofern keine verfassungs- oder europarechtlichen Vorschriften von höherem Rang betroffen sind. Das „einfache“ Verwaltungsrecht ist insoweit konstitutiv. Grob vereinfacht gesagt am Beispiel des Straßenverkehrsrechts: Kein Lappen – kein Auto.
I. Zum Sachverhalt
Die Entscheidung betrifft eines von drei Strafverfahren, die die Staatsanwaltschaft Hannover gegen verschiedene Betreiber von Spielhallen geführt hat und dabei ganz erheblichen Widerständen seitens der Beschuldigten, ihrer Verteidiger und nicht zuletzt der Instanzgerichte ausgesetzt gewesen ist.[1] Die Sachverhalte sind in ihrem Kern gleich gewesen:
Nach dem Ablauf einer fünfjährigen Übergangsfrist bedarf es seit dem 1.7.2017 zum Betrieb einer Spielhalle neben einer gewerberechtlichen Erlaubnis nach § 31i GewO auch einer besonderen Erlaubnis nach § 24 Glücksspielstaatsvertrag (GlüStV) und den Ausführungsbestimmungen im – hier einschlägigen – Niedersächsischen Glücksspielgesetz (NGlüSpG). Die Zuteilungen von solchen Erlaubnissen sind im Juni 2017 – jedenfalls in der Landeshauptstadt Hannover (LHH) – abgeschlossen gewesen. Die Auswahl zwischen konkurrierenden Bewerbern erfolgte im Losverfahren.[2]
Gegen die Versagungen der Erlaubnisse in verschiedenen niedersächsischen Kommunen sind mehrere gerichtliche Verfahren vor den Verwaltungsgerichten und schließlich vor dem OVG Lüneburg geführt worden. Gleichzeitig hat die LHH gegen drei Betreiber von Spielhallen, denen keine Erlaubnis erteilt worden war und die ihre Spielhallen weiterhin betrieben haben, Strafanzeige wegen der unerlaubten Veranstaltung eines Glücksspiels gemäß § 284 Abs. 1 StGB erstattet.
Im vorläufigen Rechtsschutzverfahren hat das OVG in Lüneburg[3] am 27.6.2017 festgestellt, dass der Erlaubnisvorbehalt nach Verfassungs- und Europarecht nicht zu beanstanden ist. Mit einem weiteren Beschluss vom 4.9.2017 hat das OVG Niedersachsen[4] schließlich ausgeführt, dass das im Auswahlverfahren angewendete Losverfahren nach Maßgabe des niedersächsischen Landesrechts rechtswidrig ist, weil sich die Parameter für die Auswahlentscheidung nur unzureichend aus dem Gesetz selber ergeben und keine Abwägungsentscheidung von einem zufallsbezogenen Losverfahren ersetzt werden könne.
Als Reaktion auf die Entscheidung des OVG vom 4.9.2017 hat das Niedersächsische Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr am 8.9.2017[5] die nachgeordneten Gewerbeaufsichtsbehörden angewiesen, den im Losverfahren unterlegenen Bewerbern in den Fällen der echten Konkurrenz[6] eine bis zum 31.12.2018 befristete Spielhallenerlaubnis nach § 24 Abs. 1 GlüStV zu erteilen. Dem folgend hat die LHH am 19.9.2017 diesen drei Betreibern befristete Betriebserlaubnisse für ihre Spielhallen mit der Erwägung erteilt, dass dem niedersächsischen Gesetzgeber Gelegenheit gegeben werden müsse, nunmehr eine verfassungskonforme Gesetzesgrundlage für eine Auswahlentscheidung zu schaffen. Dem ist das Landesparlament durch die Fassung eines neuen § 10a NGlüSpG am 12.5.2020 nachgekommen.
Strafrechtlich bedeutend ist danach nur die Übergangszeit zwischen dem Inkrafttreten des gesetzlichen Genehmigungsvorbehalts am 1.7.2017 und den vorläufigen Genehmigungen vom 19.9.2017, in der die Spielhallen weiterhin betrieben und – nicht zuletzt – die Betreiber grob geschätzte Einnahmen zwischen 70.000 und 100.000 € je Spielhalle erlangt haben.
II. Glücksspiel-, Verfassungs- und Europarecht
Das Glücksspielrecht ist ein Teil des Wirtschaftsverwaltungsrecht, das grundsätzlich der konkurrierenden Gesetzgebung unterliegt (Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG). Davon ist das Recht der Spielhallen ausdrücklich ausgenommen worden (ebenda), so dass den Ländern allein die Gesetzgebung obliegt. Die Ausformung des Glücksspielrechts hat zu etlichen Reibungsverlusten geführt, deren bekanntesten Beispiele im Zusammenhang mit dem staatlichen Lottomonopol und dem Alleingang Schleswig-Holsteins im Hinblick auf Online-Casinos hier nicht behandelt werden.
1. Glücksspielstaatsvertrag und Landesrecht
Der GlüStV in seiner alten Fassung trat am 1.1.2008 in Kraft und kannte noch keine besonderen Vorschriften für Spielhallen; er trat am 31.12.2011 wieder außer Kraft. Ihm folgte der GlüStV vom 15.12.2011. Sein 7. Abschnitt widmet sich namentlich den Spielhallen und unterwirft sie einem ausdrücklichen, direkt geltenden Erlaubnisvorbehalt (§ 24 Abs. 1 GlüStV). Die geforderte Erlaubnis muss unbeschadet einer bestehenden gewerberechtlichen Erlaubnis nach den §§ 33c ff. GewO bestehen (§ 24 Abs. 1 GlüStV), wobei § 33i GewO besonders auf die Spielhallen anspricht.
Die Zulässigkeit der glücksspielrechtlichen Erlaubnis wird beschränkt durch den § 25 GlüStV. Darin enthalten ist das Abstandsgebot nach § 25 Abs. 1 GlüStV, wonach ein unbenannter Mindestabstand zwischen zwei Spielhallen einzuhalten ist, die insoweit in echter Konkurrenz zueinanderstehen. Der Mindestabstand ist in Niedersachsen grundsätzlich auf 100 Meter Luftlinie festgesetzt worden (§ 10 Abs. 2 NGlüSpG), wobei die Gemeinden aufgrund der örtlichen Besonderheiten Mindestabstände zwischen 50 und 500 Metern festsetzen dürfen.
Den Fall der unechten Konkurrenz betrifft das Verbundverbot in § 25 Abs. 2 GlüStV, wonach die „Erteilung einer Erlaubnis für eine Spielhalle [ausgeschlossen ist], die in einem baulichen Verbund mit weiteren Spielhallen steht, insbesondere in einem gemeinsamen Gebäude oder Gebäudekomplex untergebracht ist“.
Die Vorschriften zum Abstandsgebot und zum Verbundverbot sind erst nach der Übergangsvorschrift des § 29 Abs. 4 GlüStV vollständig in Kraft getreten. Zuvor galten die gewerberechtlichen Genehmigungen für die Dauer von 5 Jahren fort. Diese Übergangsregelung ist spätestens am 1.7.2017 ausgelaufen.
§ 4 Abs. 1 GlüStV unterwirft die Veranstaltung oder Vermittlung eines öffentlichen Glücksspiels einem (repressiven) Verbot mit Befreiungsvorbehalt nach Maßgabe des Landesrechts. § 4 Abs. 1 Nr. 1 NGlüSpG nimmt Bezug auf die Regeln des GlüStV und führt die Einzelheiten für die Erlaubniserteilung aus (Nr. 2 ff.). Darauf nimmt schließlich § 26 Abs. 1 Nr. 1 NGlüSpG Bezug und unterwirft die unerlaubte Veranstaltung oder Vermittlung von Glücksspielen als Ordnungswidrigkeit einer Geldbuße bis zu 500.000 €. Wie im Strafverfahren (§§ 73 bis 73b StGB) unterliegt das Erlangte auch im Ordnungswidrigkeitenverfahren der Einziehung (§ 29a OWiG).
2. Strafrecht, Grundrechte und Europarecht
In den Auseinandersetzungen in den drei Ermittlungs- und dann Strafverfahren spielten verfassungs- und europarechtlich Aspekte eine besondere Rolle. Daneben wurde seitens der Verteidigung auch ins Feld geführt, dass die glücksspielrechtlichen Erlaubnisse eigentlich hätten erteilt werden müssen (hypothetisches Verwaltungshandeln).
a) Verwaltungsrecht
Rechtswidrige Verwaltungsakte haben grundsätzlich Bestandkraft (§ 43 Abs. 2 VwVfG) und eröffnen nur einen Anspruch darauf, künftig einen rechtmäßigen Zustand zu schaffen. Der danach gebotene, rechtmäßige Verwaltungsakt wird nach § 43 Abs. 1 S. 1 VwVfG „gegenüber demjenigen, für den er bestimmt ist …, in dem Zeitpunkt wirksam, in dem er ihm bekannt gegeben wird“. In der Übergangszeit schafft der rechtswidrige Verwaltungsakt keine Duldungspflicht gegen die öffentliche Hand im Hinblick auf eine unerlaubte Ausübung. Der Betroffene hat einen Anspruch auf Schadensersatz, nicht jedoch auf Eigenmächtigkeit.
Genau darauf sprechen weite Teile des Urteils vom 27.2.2020 an: Auf die materiellrechtliche Genehmigungsfähigkeit im Hinblick auf das Verwaltungsrecht kommt es nicht an (Leitsatz 1.), sondern nur auf die formale Wirksamkeit eines Verwaltungsaktes (Rn. 14): „Da somit allein die formale Wirksamkeit entscheidend ist, liegt es insbesondere nicht in der Kompetenz der Strafgerichte, die Rechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes zu überprüfen“ (Rn. 14 am Ende). Es kommt „für die Strafbarkeit allein darauf an, dass es zum Zeitpunkt der Tat an einer Genehmigung fehlte“ (Rn. 19). Ein anderes Ergebnis ließe befürchten, dass „die Funktion abstrakter Gefährdungsdelikte unterlaufen“ würde (Rn. 19). Das ist die Kernaussage des Urteils und sie ist so, wie sie in einer langen Argumentationsstrecke hergeleitet wird, verallgemeinerungsfähig.
b) Verfassungsrechtliche Grenzen
Das Glücksspielrecht verfügt über eine unglückliche Tradition, in der sowohl das BVerfG als auch der EuGH (dazu unter c) deutliche Grenzen aufzeigen mussten.
Nach Maßgabe der alten Fassung des GlüStV hat der BGH[7] einen Freispruch wegen eines unvermeidbaren Verbotsirrtums bestätigt, der erfolgt war, weil der Angeklagte dem Rechtsrat eines im Glücksspielrecht versierten Anwalts folgend ein unerlaubtes Glücksspiel weiter betrieben hat. Das Gericht hat dem Angeklagten zugutegehalten, dass eine unklare Rechtslage bestand und nach Maßgabe des BVerfG[8] das Sportwettengesetz des Saarlandes verfassungswidrig war. Diese Bewertung hat somit zur Folge gehabt, dass die verwaltungsakzessorische Strafbarkeit nach § 284 StGB nicht greift (siehe dazu Urteil, Rn. 25).
Dagegen ist im Grundsatz nichts zu sagen. Wenn die Gesetzgeber verfassungswidrige Normen setzen und dadurch undurchsichtige Rechtslagen schaffen, dann hat der rechtsunkundige Bürger keine Chance, den Rechtsrat eines Kundigen kritisch zu überprüfen, so dass der Verbots-irrtum nach § 17 StGB greifen muss. Das ist aber kein Freibrief für eine interessengewogene Rechtsberatung. Die Lage ist nach aktuellem Recht eine andere. Durch Beschluss vom 7.3.2017 hat das BVerfG[9] das Verbundverbot und das Abstandsgebot sowie weitere einschränkenden Regeln des GlüStV als mit dem Grundgesetz vereinbar angesehen (siehe nur Leitsatz 2). Darüber hinaus hat es einen Vertrauensschutz im Hinblick auf die alte Rechtslage bereits dann ausgeschlossen, „wenn die geplanten Änderungen hinreichend öffentlich in konkreten Umrissen vorhersehbar sind“ (Leitsatz 4). Die jetzt geltenden Beschränkungen traten am 1.7.2012 in Kraft und damit auch die am 1.7.2017 abgelaufene Übergangsregel. Das Verbundverbot und das Abstandsgebot waren somit seit fünf Jahren öffentlich bekannt, als die glücksspielrechtliche Erlaubnispflicht am 1.7.2017 in Kraft trat. Kein Spielhallenbetreiber konnte deshalb ernsthaft von der eintretenden Erlaubnispflicht überrascht werden. Das schließt einen Verbotsirrtum als ultimative Rechtfertigung aus.
c) Europarechtliche Grenzen
Die europarechtlichen Niederlassungs- und Berufsausübungsrechte (bes. Art 15 der GRCh) wirken sich auch auf das nationale Strafrecht aus; Urteil (Rn. 34): „Zwar darf nach dem Grundsatz des Vorrangs des Unionsrechts ein Mitgliedsstaat keine strafrechtliche Sanktion für ein Verhalten verhängen, mit dem der Betroffene verwaltungsrechtlichen Anforderungen nicht genügt hat, die ihrerseits gegen das Unionsrecht verstoßen.“ Maßgebend ist – nur als Beispiel – das Imre-Urteil des EuGH,[10] wonach keine Bestrafung erfolgen darf, wenn der nationale Gesetzgeber gegen unionsrechtliche Vorgaben ein nationales Monopol einrichtet, so dass private Anbieter von einer gleichartigen Dienstleistung ausgeschlossen sind. Daneben unterwirft auch der BGH[11] das Strafrecht der europarechtskonformen Auslegung nach Maßgabe von Art. 4 EUV. Verordnungen sind danach unmittelbar anwendbar (Art. 249 Abs. 2 EGV), Richtlinien jedenfalls dann, solange sie noch nicht in nationales Recht umgewandelt sind (Art. 249 Abs. 3 EGV).
Das Urteil schließt einen grenzüberschreitenden und damit europarechtlichen Bezug aus (Rn. 36). In der hier behandelten Sache kommt hinzu, dass das OVG Niedersachsen[12] den Erwägungen des BVerfG folgt (Rn. 10 bis 18) und eine unionsrechtliche Prüfung (Rn. 20 bis 33) mit dem Ergebnis anschließt, dass das einschlägige Landesrecht auch danach zulässig ist.
d) Auswahlverfahren
Das (seinerzeit) landesrechtlich vorgesehene Losverfahren für die Zweifelsfälle ist unglücklich gewählt, dennoch transparent und hinreichend fachgerichtlich anfechtbar. Damit beschäftigen sich die abschließenden Passagen des Urteils (Rn. 44 ff.). Anzumerken bleibt, dass das Auswahlverfahren keinen direkten Eingriff in grundrechtliche Freiheitsrechte vornimmt, sondern nur je nach Ausgestaltung mittelbar wirkt.
III. Fazit
1. Durch die Verwaltungsakzessorietät wird das Verwaltungshandeln strafrechtlich in Form von Gefährdungstatbeständen unterstützt. Hypothetisches Verwaltungshandeln hat in seiner Rechtsanwendung keinen Raum. Somit ist es der Strafrechtspflege verwehrt, das Verwaltungshandeln sachlichrechtlich anhand des Verwaltungsrechts zu überprüfen oder in Frage zu stellen.
2. Der Vorrang des Verwaltungsrechts wird dann ausnahmsweise durchbrochen, wenn der Bundes- oder die Landesgesetzgeber verfassungswidrige Regeln treffen, die schließlich zu einer unklaren Rechtslage führen. Strafrechtlich greift dann der Verbotsirrtum und führt zur Straflosigkeit.
3. Dasselbe gilt, wenn der nationale Gesetzgeber das Unionsrecht in einer Weise missachtet, dass unionsrechtliche Freiheitsrechte in ihrem Kern betroffen sind.
4. Die Beratungspraxis wird akzeptieren müssen, dass die Rechtsprechung aus Anlass der früheren Fassung des GlüSpStV nicht mehr anzuwenden ist. Seine aktuelle Fassung ist nicht mehr verfassungs- oder europarechtlich anzuzweifeln, so dass Eigenmächtigkeiten und genehmigungswidriges Verhalten strafbar sind, wenn nicht die engen Ausnahmen nach Nr. 2. und Nr. 3. greifen.
5. Das gilt dann auch für alle anderen verwaltungsakzessorischen Gesetze: Kein Lappen – kein Auto.
[1] So ist das LG Hannover ausdrücklich nicht den Vorgaben des OLG Celle gefolgt, Beschl. v. 3.9.2028 – 2 Ws 255/18.
[2] Ich hätte eine Versteigerung nach dem Vorbild der Mobilfunklizenzen charmanter gefunden; dies am Rande.
[3] OVG Niedersachsen, Beschl. v. 27.6.2017 – 11 ME 206/17, Rn. 10 ff., 19 ff.
[4] OVG Niedersachsen, Beschl. v. 4.9.2017 – 11 ME 330/17, Rn 8 pp., 23.
[5] Az. 21-32032/1000/Übergangsfrist § 29 IV GlüStV.
[6] Unterschreitung der gesetzlich bestimmten Abstände zwischen verschiedenen Spielhallen.
[7] BGH, Urt. v. 18.8.2007 – 4 StR 62/07.
[8] BVerfG, Urt. v. 28.3.2006 – 1 BvR 1054/01.
[9] BVerfG, Beschl. v. 7.3.2017 – 1 BvR 1314/12 u.a.
[10] EuGH, Urt. v. 4.2.2016 – C-336/14.
[11] BGH, Urt. v. 5.3.2014 – 2 StR 616/12, Rn. 24, 25.
[12] OVG Niedersachsen, Beschl. v. 4.9.2017 – 11 B 5500/17.