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Diskurs statt Diffamierung – Über die Funktion von Buchrezensionen

von Prof. Dr. Thomas Weigend

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Die prononciert negativen Rezensionen von Monographien zweier jüngerer Strafrechtlerinnen in der Online-Zeitschrift für Internationale Strafrechtsdogmatik[1] (ZIS) haben die community des Strafrechts in Aufregung versetzt. Stellungnahmen dazu wurden in der ZIS veröffentlicht,[2] und der Kriminalpolitische Kreis aus 35 deutschen StrafrechtsprofessorInnen hat sich anhand der beiden „Fälle“ auf einer internen Veranstaltung am 4. Mai 2021 mit den Aufgaben und Problemen von Buchbesprechungen beschäftigt. Der folgende Beitrag greift manche der dort geäußerten Gedanken auf, gibt aber selbstverständlich nur die Meinung des Autors wieder. Der Fokus liegt dabei nicht auf einer Beurteilung der beiden (in Ton und Inhalt durchaus unterschiedlichen) Rezensionen, sondern auf der allgemeinen Frage, was von Besprechungen strafrechtlicher Bücher geleistet werden kann und sollte – und was nicht.

I. Zur Verantwortung des Rezensenten

Dem Leser[3] von Carl-Friedrich Stuckenbergs 19 Seiten langer Rezension der Habilitationsschrift von Frauke Rostalski drängt sich der Eindruck auf, dass der Rezensent nicht nur die (vermeintlichen) Schwächen der Habilitationsschrift aufzeigen, sondern die Person der Autorin und ihre Qualifikation als Wissenschaftlerin kritisch zu beurteilen beabsichtigt. Ist es das, was die Leser von einer Rezension erwarten? Ich will keineswegs ausschließen, dass eine bewertende, persönliche Gesamtabrechnung (wie alles aus der Rubrik „Zoff unter Promis“) den voyeuristischen Neigungen mancher Leser entgegenkommt und bei ihnen größeres Interesse weckt als der genaue Inhalt eines rechtstheoretischen Werkes. Aber solche niedrigen Instinkte sollte ein Rezensent nicht bedienen – und er kann es auch gar nicht mit Anspruch auf Glaubhaftigkeit tun. Denn anhand eines einzigen Werkes ist es nicht möglich, die Person eines Wissenschaftlers zu bewerten; man kann aus einem Buch nicht ableiten, dass der Autor als Person ungebildet, denkunfähig, unredlich oder allzu geschäftstüchtig sei.

Wer dies dennoch unternimmt, missbraucht die Macht, die ihm seine Rolle als Kritiker verleiht. Die gegenüber dem Autor dominante Stellung des Rezensenten basiert nicht notwendig auf dessen überlegenen Fähigkeiten auf
dem kritisierten Gebiet (ein Literaturkritiker kann nicht bessere Romane schreiben, ein Restaurantkritiker kann nicht besser kochen), sondern schlicht auf der konventionellen Rollenverteilung, die dem Rezensenten – wie einem Prüfer gegenüber dem Prüfling – die Macht zuweist, ein normalerweise nicht anfechtbares Urteil über die Leistung zu fällen. Diese Macht beruht auch auf dem Vertrauen des Lesers. Dieser verlässt sich darauf, dass der Rezensent das besprochene Werk tatsächlich gelesen hat, dass es ihm nicht um persönliche Interessen, sondern um die Sache geht, dass er etwas von ihr versteht und dass er ein zwar subjektives, aber rational begründetes Urteil abzugeben willens und aufgrund seiner Sachkunde in der Lage ist.

Gewissermaßen als Treuhänder der Leser wird vorab der verantwortliche Redakteur des Publikationsorgans tätig, in dem die Rezension erscheinen soll. Er ist die einzige Kontrollinstanz, die die Veröffentlichung ungeeigneter und/oder persönlich abwertender Rezensionen verhindern kann. Die Redakteure sollten sich dieser verantwortungsvollen Position bewusst sein und den Mut haben, auch bei Besprechungen renommierter Fachkollegen nötigenfalls auf Änderungen zu dringen oder sogar die Publikation abzulehnen.

Wer ein Buch rezensiert, nimmt das Vertrauen der Leser in seine persönliche und sachliche Qualifikation bewusst in Anspruch. Daran knüpft sich die – gerade bei der jüngsten Rezension von Stuckenberg diskutierte – Frage, in welchem Maße ein Rezensent dafür einzustehen hat, dass nicht persönliche Interessen seinen objektiven Blick auf das Werk trüben. Eine derartige „Befangenheit“ (in einem untechnischen Sinne) kann aus den verschiedensten Gründen bestehen und ist für Außenstehende oft nicht zu erkennen. Sie entzieht sich allerdings gerade wegen der vielen Möglichkeiten der mehr oder weniger subtilen Beeinträchtigung des Urteils durch sachfremde Erwägungen einer Regulierung – vielleicht abgesehen von dem Prinzip, dass Personen, die (etwa als Lehrstuhlinhaber und Mitarbeiter) in einem persönlichen Abhängigkeitsverhältnis stehen, die Werke des jeweils anderen nicht rezensieren sollten. Die tradierte Konvention, dass man keine Bücher eines Fakultätskollegen bespricht, hat zwar einen guten Sinn, da man sich in einem so engen beruflich verbundenen Kreis häufig (so oder so) persönlich sehr nahe kommt; aber hier kann man sich durchaus Ausnahmen vorstellen, in denen die Zugehörigkeit zur selben Fakultät einem objektiven Urteil über ein wissenschaftliches Werk des Kollegen nicht im Wege steht. Letztlich bleibt daher nur der Appell an jeden präsumptiven Rezensenten, seine eigene Unbefangenheit kritisch zu prüfen und im Zweifel ein Rezensionsangebot eher abzulehnen.

Speziell im Bereich des Strafrechts und der Kriminalpolitik besteht eine zusätzliche Hürde gegenüber einer wirklich unbefangenen Besprechung eines Werkes: Es gibt zu einigen grundsätzlichen Fragen konträre theoretische Ausgangspositionen, deren jeweilige Anhänger sich gegenseitig nicht viel (Freundliches) zu sagen haben. Dies gilt etwa für überzeugte Utilitaristen und Deontologen, für Gesetzespositivisten und Freiheitstheoretiker, für Anhänger eines „starken Staates“ und Vertreter einer prononciert liberalen Kriminalpolitik. Wenn jemand ein Buch aus dem jeweils gegnerischen Lager zu besprechen unternimmt, so mag er nichts gegen den Autor persönlich haben; dennoch wird es für den Rezensenten aufgrund seines Vorverständnisses schwer sein, die notwendige Offenheit gegenüber dem Anliegen des Verfassers aufzubringen. Wer in einer solchen Situation dennoch eine Rezension übernimmt, sollte zumindest seine Einstellung zu der jeweiligen Grundsatzfrage von vornherein offenlegen.

II. Was kann eine Rezension leisten?

Nach diesen Bemerkungen zu den Hürden, die einer „guten“ Rezension im Wege stehen können, nun zu ihren positiven Funktionen! Wer sich als Rezensent eingehend mit einer Monographie auseinandersetzt, kann vieles leisten: Er informiert die Leser über den Inhalt des Buches; er ordnet das Werk in den Kontext der wissenschaftlichen Diskussion ein; er kann im günstigsten Fall eine hermeneutische Interpretation der besprochenen Arbeit liefern, in der er das eigentliche Anliegen des Autors herausarbeitet; er entwickelt seine eigene Position zu den Thesen des Verfassers; und er äußert sich zu der allgemeinen „Qualität“ der Arbeit, die auch rhetorische, sprachliche und formale Faktoren umfasst.

Damit informiert der Rezensent nicht nur die interessierte Fachöffentlichkeit, sondern gibt auch dem Autor wertvolles Feedback. Die (positiv oder negativ) kritische Reaktion auf Qualifikationsschriften jüngerer Wissenschaftler hat dabei besonderes Gewicht, da sie dem Verfasser Hinweise auf seine Aussichten zur erfolgreichen weiteren Teilnahme am akademischen Diskurs – und damit auch auf seine Berufschancen – geben kann. Dies zu beurteilen ist zwar in erster Linie die Aufgabe der akademischen Gutachter für die jeweilige Arbeit, aber bei ihnen mag persönliche Sympathie für einen Schüler oder das eigene Engagement bei der Betreuung der Arbeit manchmal zu etwas übertriebenem Optimismus führen. So kann es durchaus auch eine Aufgabe des Rezensenten sein, bei einer missglückten Arbeit ein deutliches Signal zu geben. Er sollte dabei aber bedenken, dass gerade bei jungen Autoren ein ungünstiges Urteil über die Dissertation oder die Habilitationsschrift auch eine negative Stellungnahme zu dem Potential des Verfassers als Wissenschaftler impliziert. Deshalb ist es besonders wichtig, durch die angemessene sprachliche Fassung einer kritischen Rezension persönliche Abwertungen oder Verletzungen zu vermeiden. 

Über die Spezifika einer Kritik rechtswissenschaftlicher Literatur wird selten nachgedacht. Liest man Besprechungen belletristischer Werke, so stehen im Vordergrund häufig die Relevanz und Schlüssigkeit des Plots sowie die sprachliche Form, die der Autor seinem Werk gegeben hat. Bei Arbeiten aus den empirischen Sozialwissenschaften (einschließlich der Kriminologie) konzentriert sich der Rezensent oft auf die Methodik, die der Untersuchung zugrunde liegt. All dies steht bei juristischen Werken eher im Hintergrund, wenngleich juristischer Diskurs als eine Form der Rhetorik besonders auf den fachgerechten und wirkungsvollen Umgang mit Sprache angewiesen ist. Gegenstand der Beurteilung rechtswissenschaftlicher Arbeiten sind aber vor allem die Wahl und der Zuschnitt des Themas, die Prämissen des Autors, sein Umgang mit der vorhandenen Literatur und Rechtsprechung sowie die Schlüssigkeit seiner Ergebnisse. Dabei spielen für die Überzeugungskraft der Argumentation gewiss auch die Einhaltung der Gesetze der Logik und der juristischen Auslegungsregeln eine Rolle, aber doch in einer gegenüber der Methodenstrenge anderer Wissenschaften sehr gelockerten Form. Häufig zielen juristische Monographien auf eine Weiterentwicklung des Rechts ab; solche Vorschläge mag der Rezensent unter verschiedenen Aspekten beurteilen, sie können aber in der Regel nicht als richtig oder falsch erwiesen werden. Insgesamt kann man sagen, dass eine kritische Betrachtung rechtswissenschaftlicher Werke weniger als in anderen Wissensgebieten anhand eines festen methodischen Kanons vorgenommen werden kann (und wird) und der persönlichen Einschätzung des Rezensenten relativ großen Freiraum gewährt.

III. Zu neuen Formen des Rezensierens und Diskutierens

Zur Zeit wird in Deutschland relativ wenig an monographischer Literatur eingehend rezensiert,[4] und es stehen dafür auch nicht viele Zeitschriften zur Verfügung – und dies, obwohl Rezensionen als arbeitszeitschonende Mittel der Information über neuere wissenschaftliche Entwicklungen vermutlich relativ viele Leser finden. Ein Grund für die spärliche Rezensionstätigkeit dürfte darin liegen, dass die Veröffentlichung einer Buchbesprechung zwar in dem Publikationsverzeichnis des Rezensenten verzeichnet wird, dass sie aber üblicherweise nicht viel zählt, wenn es um seine akademische Reputation geht. Daher steht der Aufwand (für die aufmerksame Lektüre eines umfangreichen Buches und die Formulierung der Besprechung) und der berufliche Ertrag für den Rezensenten in keinem günstigen Verhältnis. Einige Zeitschriften begrenzen auch den Umfang von Buchbesprechungen, so dass dem Rezensenten wenig Raum für die schlüssige Entwicklung eigener Ideen zum Thema bleibt; notgedrungen beschränkt er sich dann auf eine Inhaltsangabe des besprochenen Werkes, garniert mit einigen lobenden (oder auch kritischen) Adjektiven.

Das ist für alle Beteiligten unbefriedigend. Größeren Gewinn, nicht zuletzt für den wissenschaftlichen Diskurs, brächten längere Besprechungsaufsätze, wie man sie in US-amerikanischen Fachzeitschriften lesen kann. Solche Beiträge haben gleich mehrere Vorteile: Sie lassen für den Leser wie für den rezensierten Autor erkennen, welche Aspekte des Buches Zustimmung finden und welche Kritikpunkte bestehen; und sie erlauben dem Rezensenten die Entwicklung eigener Positionen im Dialog mit dem Verfasser des Buches.[5] Solche eingehenden Auseinandersetzungen mit einem Werk werden zugleich (mit Recht) als eigene wissenschaftliche Leistungen des Rezensenten anerkannt, so dass die Übernahme einer Rezension auch unter diesem Aspekt attraktiv ist.

Um den begrenzten Raum gedruckter Zeitschriften nicht über Gebühr in Anspruch zu nehmen, bietet es sich an, den ausführlichen Diskurs über juristische Neuerscheinungen wenigstens teilweise in Online-Publikationen zu führen. Formate wie KriPoZ und  ZIS  haben sich  im Bereich  des Strafrechts inzwischen etabliert und dürften von einer größeren Zahl fachlich Interessierter regelmäßig zur Kenntnis genommen werden als manches Print-Organ.

Zur Belebung der Diskussion würde es auch beitragen, wenn der Autor des rezensierten Werkes, falls er dies wünscht, Gelegenheit zur Stellungnahme erhielte. Dies ist bisher unüblich, möglicherweise mit der Erwägung, dass der Rezensierte nicht „objektiv“ sei und dass er sich wahrscheinlich darauf beschränken werde, den Inhalt seines Buches zu wiederholen. Die Möglichkeit zu einer Replik auf eine kritische Besprechung entspricht aber nicht nur einem Gebot der Fairness (audiatur et altera pars), sondern kann auch dazu beitragen, das (ja keineswegs naturgegebene) Autoritätsgefälle zwischen Rezensenten und Rezensiertem auszugleichen und einen fruchtbaren Dialog überhaupt erst in Gang zu bringen. Dass der Autor eines Werkes diesem gegenüber nicht objektiv ist, liegt auf der Hand – aber auch der Rezensent bringt ja schließlich seine subjektive Meinung zum Ausdruck. Ein willkommener Nebeneffekt könnte sein, dass die Leser eines solchen Dialogs dazu angeregt werden, das diskutierte Werk selbst zur Hand zu nehmen und sich ein eigenes Bild zu machen. Im Übrigen bestünde bei einem Online-Format auch die Möglichkeit, dass sich weitere Leser an dem Gespräch zwischen Autor und Rezensent beteiligen.

Durch Veränderungen in diese Richtung könnte sich die etwas verstaubte Rubrik „Buchbesprechungen“ zu einer neuen Form der intensiven, auf Augenhöhe geführten Auseinandersetzung über neue Ideen und zu einem Ort eines lebhaften und dem wissenschaftlichen Fortschritt förderlichen Diskurses entwickeln.

 

[1]      Kuhlen, ZIS 2020, 327 (zu der Dissertation von Cornelia Spörl, Das Verbot der Auslandsbestechung, 2019); Stuckenberg, ZIS 2021, 279 (zu der Habilitationsschrift von Frauke Rostalski, Der Tatbegriff im Strafrecht, 2019).
[2]      Angesichts der von Kuhlens Rezension ausgelösten Debatte hat die Schriftleitung der ZIS eine „Sonderausgabe“ (ZIS 2020, H. 10) publiziert. Dort ging jedoch nur Hörnle(ZIS 2020, 468) in einem kurzen Beitrag auf die Rezension selbst ein. Kuhlen hat in einem späteren Beitrag (ZIS 2020, 488) das Zustandekommen der Rezension erläutert und seine Absichten dargelegt; s. auch Mitsch, ZIS 2020, 522.
[3]      Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird im Text stets die männliche Form verwendet; sie soll alle Menschen bezeichnen.
[4]      Es gibt allerdings viele Kurzbesprechungen von Kommentaren, Festschriften und Sammelwerken, über die man in wenigen Zeilen kaum etwas Sinnvolles sagen kann. Dabei handelt es sich nicht selten um verkappte Eigenwerbung der Verlage, die sowohl das besprochene Werk als auch die Zeitschrift herausbringen, in der die Besprechung erscheint.
[5]      Ein (in Deutschland seltenes) Beispiel für einen solchen umfangreichen, höchst kreativen Besprechungsaufsatz ist die Arbeit von Frisch, ZStW 99 (1987), 349-388, 751-805, wo der Autor in Auseinandersetzung mit strafzumessungsrechtlichen Werken von Bruns und Pallin seine eigene Strafzumessungstheorie entwickelt.

 

 

 

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