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Polizeiliche Fehlerkultur – Progressivität im strafrechtlichen Korsett?

von Wiss. Mit. Daniel Zühlke

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Abstract
Eine rechtsstaatliche Polizei bedarf eines konstruktiven Umgangs mit dem eigenen Fehlverhalten. Der vorliegende Beitrag untersucht strafrechtliche Mechanismen, die einer Fehlerkultur nach rechtsfehlerhafter Zwangsanwendung im Wege stehen können, und wirbt für eine Differenzierung zwischen Individualversagen einzelner Beamt*innen und Institutionsversagen der Behörde Polizei. Eine solche strafrechtlich dringend gebotene Abgrenzung ist im Rahmen der Körperverletzung im Amt gem. § 340 StGB nach geltender Rechtslage jedoch nicht möglich. Dies steht einer wirksamen Fehlerkultur im Wege, da der zumeist ergebnislose strafrechtliche Bearbeitungsautomatismus jede Möglichkeit echter Aufarbeitung von Fehlverhalten innerhalb der Polizei als Behörde im Strafrechtskorsett erstickt.

Police authorities operating within the limits of their constitutional powers need to assess mistakes made when applying force to citizens. To reduce illegal police violence, a culture of error that enables improvement, needs to be established. This paper shows how the German Criminal Code can inhibit real learning opportunities by not distinguishing between mistakes made by the police authorities and individual officers. This often leads to criminal charges without any consequences for the officers and hinders the critical analysis and improvement of police work.

I. Einführung

Polizeiliches (Fehl-)Verhalten nimmt in der öffentlichen Diskussion unserer Zeit einen festen Platz ein.  Insbesondere unter dem Begriff der „Polizeigewalt“ wird polizeiliches Verhalten kritisiert, das innerhalb der Polizeibehörden „Anwendung von unmittelbarem Zwang“ heißt.[1] Stetig tauchen neue Videos und Artikel auf; es wird hier von bedauerlichen Einzelfällen und dort von systemischen Problemen innerhalb der Institution Polizei gesprochen. Über Strafverfahren gegen Polizeibeamt*innen wegen des Vorwurfs der Körperverletzung im Amt gem. § 340 StGB wird berichtet; die Einstellungszahlen sind ungewöhnlich hoch – nur in knapp 2 % enden Verfahren mit einer Verurteilung.[2] Ursächlich hierfür ist mitunter[3] die schwierige Beweissituation und die „Mauer des Schweigens“[4] auf Seiten der Polizei, die eine vollständige Aufarbeitung einzelner Sachverhalte erschwert oder verhindert. Die Polizei scheint nicht willens oder fähig, Fehlverhalten vollständig und konstruktiv aufzuarbeiten. Dass dies jedoch neben verschiedenen problematischen innerpolizeilichen Strukturen[5] auch maßgeblich im geltenden (Straf) Recht begründet liegt, das einen konstruktiven Umgang mit polizeilichen Fehlern erheblich erschwert, soll der vorliegende Beitrag aufzeigen.

II. Untersuchungsgegenstand

1. „Fehler“ in der polizeilichen Zwangsanwendung

Zu Art und Häufigkeit illegitimer Polizeigewalt liegen kaum belastbare Erkenntnisse vor,[6] sodass das Dunkelfeld in diesem Bereich groß ist. In einer Befragung von Betroffenen, die als rechtswidrig empfundene Polizeigewalt erlebt haben, zeigte sich eine geringe Anzeigebereitschaft der Verletzten in solchen Situationen; wohl bedingt durch den Glauben, eine Anzeige gegen Polizeibeamt*innen führe zu nichts, die handelnden Beamt*innen seien nicht identifizierbar, bestehende Angst vor einer Gegenanzeige wegen Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte (§ 113 StGB) und die schlechte Beweissituation.[7]

Untersucht werden soll im Folgenden polizeiliches Interaktionsgeschehen, bei dem es zur fehlerhaften Anwendung unmittelbaren Zwangs kommt – der polizeiliche Zwang also die Verhältnismäßigkeitsgrenzen ex situatione unbewusst überschreitet – die Maßnahme daher rechtswidrig ist und hierdurch eine strafbare Körperverletzung im Amt (§ 340 StGB) der handelnden Beamt*innen im Raum steht. Der Begriff des „Fehlers“ wird in diesem Zusammenhang verstanden als zum Handlungszeitpunkt von der handelnden Person für richtig gehaltenes Verhalten, das retrospektiv und mit Einbezug von Erfahrungen und Konsequenzen als „falsch“ bezeichnet wird.[8]

Ein falsches – also im Nachgang an das Handeln[9] als unverhältnismäßig bewertetes – Verhalten bei der Anwendung unmittelbaren Zwangs kann verschiedene Gründe haben, die sich in persönliche und systemische Faktoren unterteilen lassen. Neben emotionalen Erfahrungen wie Angst und Wut[10] kann gerade in tumultartigen Eskalationsprozessen ein Gefühl von Hilflosigkeit erlebt werden, das sich in „reflexartigen affektiven Aktionen und Reaktionen […] an Stelle eines rational abgewogenen Verhaltens“[11] niederschlagen kann. Zudem lässt sich in realitätsnahen Übungssituationen beobachten, dass sich Polizeibeamt*innen im Umgang mit konflikt- und gewaltbereiten Täter*innen häufig zunächst sehr defensiv verhalten und nach einer Eskalation des Situationsgeschehens das zuvor defensive Verhalten durch „Übersteuerung“ kompensieren.[12] Hinzu kommt, dass es sich bei der „Verhältnismäßigkeit“ um einen unbestimmten Rechtsbegriff handelt, dessen Grenzen in hochvolatilen Interaktionsprozessen für die Beteiligten ex situatione schwer zu bestimmen sind. Fehler bei dieser Bestimmung schlagen sich in illegitimen Verhalten der Institution Polizei gegenüber Bürger*innen, die einen staatsrechtlichen Anspruch auf verhältnismäßige und auf geltendem Recht basierende Maßnahmen haben, nieder.

2. Fehlerkultur in der Polizei – status quo

In einer konstruktiven Fehlerkultur[13] müssten solche Situationen der polizeilichen Grenzüberschreitung (ggf. auch mit den Verletzten) aufgearbeitet werden, um erneute Grenzüberschreitungen der Institution Polizei und der handelnden Beamt*innen zu verhindern. Im Folgenden wird jedoch aufgezeigt werden, dass das Korsett[14] strafrechtlicher Mechanismen, die nach einer fehlerhaften Zwangsanwendung einsetzen, so eng geschnürt ist, dass kein Raum für produktive Lernprozesse in der Behörde bleibt. An die Stelle konstruktiver Verbesserung systemischer Probleme tritt die staatliche Suche nach strafrechtlicher Individualschuld einzelner Beamt*innen. Endet das Verfahren – wie in 98 % aller Fälle –[15] ohne eine Verurteilung, endet auch die Aufarbeitung des Sachverhalts. Die Handelnden sind froh: es wurden keine Fehler gemacht! Die Betroffenen sind enttäuscht: sie verlieren das Vertrauen in den Rechtsstaat.

III. Strafrechtliche Rahmenbedingungen

Im Mittelpunkt der strafrechtlichen Rahmenbedingungen, die diesen status quo begründen, stehen dabei die Straftatbestände der Körperverletzung im Amt gem. § 340 StGB und der Strafvereitelung im Amt, § 258a StGB, die im täglichen Polizeivollzugsdienst von erheblicher Relevanz sind.

1. Die Körperverletzung im Amt (§ 340 StGB)

a) Allgemeine Voraussetzungen

Wer als Amtsträger eine Körperverletzung (§§ 223 ff. StGB) begeht oder begehen lässt und dies „während der Ausübung seines Dienstes“ (§ 340 Abs. 1 Alt. 1 StGB) oder „in Beziehung auf seinen Dienst“ (Alt. 2) tut, wird mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft. Die Körperverletzung im Amt stellt damit einen Qualifikationstatbestand zur „einfachen“ Körperverletzung dar, der an der Amtsträgereigenschaft anknüpft. Die Körperverletzung muss dabei vorsätzlich erfolgen, wobei dolus eventualis ausreichend ist.[16]

In einer Situation, in der Polizeivollzugsbeamt*innen unmittelbaren Zwang gegen eine von einer Maßnahme betroffene Person anwenden, um diese Maßnahme durchzusetzen, handeln sie mit Amtsträgereigenschaft im Rahmen ihrer Dienstausübung. Kommt es bei der Zwangsanwendung zu einer Körperverletzung der betroffenen Person,[17] etwa durch zu-Boden-bringen oder einfache körperliche Gewalt, ist der objektive Tatbestand des § 340 Abs. 1 StGB erfüllt. In subjektiver Hinsicht handeln die Beamt*innen regelmäßig zumindest mit Eventualvorsatz, da sie aufgrund ihrer (allgemeinen Lebens-)Erfahrung und Ausbildung mit dem Eintritt von Verletzungen bei der von der Maßnahme betroffenen Person rechnen, diese Möglichkeit jedoch zu Gunsten der durchzuführenden Maßnahme billigend in Kauf nehmen.

Die durch die Tatbestandsmäßigkeit indizierte Rechtswidrigkeit entfällt im nächsten Schritt dann regelmäßig aufgrund der staatlichen Eingriffsbefugnisse aus dem allgemeinen Gefahrenabwehrrecht sowie – seltener – der StPO.[18] Voraussetzung hierfür ist die Einhaltung des in allen Gefahrenabwehrgesetzen der Länder und des Bundes ausdrücklich normierten Verhältnismäßigkeitsgebots, das auf das Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) in Verbindung mit den Grundrechten gestützt wird.[19]

Im Ergebnis führt dies dazu, dass jede polizeiliche Zwangsmaßnahme, die zur Verletzung der betroffenen Person führt, den Tatbestand des § 340 Abs. 1 StGB erfüllt und die Strafbarkeit der beteiligten Beamt*innen vollständig von der gefahrenabwehrrechtlichen Rechtfertigung abhängig ist. Stellt sich die Maßnahme als unverhältnismäßig und damit rechtswidrig heraus, machen sich die beteiligten Polizeibeamt*innen nach h.M.[20] stets gem. § 340 Abs. 1 StGB einer (gefährlichen)[21] Körperverletzung im Amt schuldig – unabhängig davon, ob ihnen diese Rechtswidrigkeit zum Tatzeitpunkt bewusst war.[22]

b) „Dichotomie der Polizeigewalt“ – rechtmäßig oder strafbar?

Aus diesen Erkenntnissen ergibt sich, dass eine Dichotomie der polizeilichen Anwendung unmittelbaren Zwangs bestehen muss: Es lässt sich klar zwischen rechtmäßiger Polizeigewalt zum einen sowie rechtswidriger und damit strafbarer Polizeigewalt zum anderen differenzieren.

Ob diese streng binäre Unterteilung in rechtmäßig und strafbar jedoch sachgerecht ist, muss in einem Diskurs um eine rechtsstaatliche, lernfähige Polizei kritisch hinterfragt werden.[23] Hierzu sind zwingend zwei unterschiedliche Perspektiven voneinander abzugrenzen, die aufgrund der beschriebenen faktischen Verwaltungsrechtsakzessorietät der Körperverletzung im Amt durch Vollzugsbeamt*innen in der strafrechtlichen Bewertung zusammenfallen, aber a priori grundverschieden sind: Die staatsrechtliche Perspektive im Verhältnis Bürger*in – Polizei und die strafrechtliche Perspektive im Verhältnis Staat – Polizeibeamt*in.

Im Verhältnis Bürger*in – Polizei muss die Rechtmäßigkeit einer polizeilichen Maßnahme objektiv feststellbar sein, und ist an entsprechenden staatsrechtlichen Vorgaben zu orientieren. Zu Recht wird daher in der Bewertung der Rechtmäßigkeit einer Maßnahme auf eine objektive ex anteBetrachtung abgestellt.[24] Dabei steht das Individualhandeln einer bestimmten Vollzugsperson im Hintergrund. Abzustellen ist auf das Handeln der Behörde Polizei aus Sicht verständiger und besonnener Polizeibeamt*innen gegenüber den betroffenen Bürger*innen.

Dieser objektivierten staatsrechtlichen Prüfung diametral gegenüber steht das Strafrecht, das seinen Blick bewusst individualisiert auf die Schuld einer bestimmten Person richtet. Hier ist zu prüfen, ob ein in die Tatbestände des Strafrechts gegossener Vorwurf an die handelnden Beamt*innen gemacht werden kann, der im Sinne des ultima ratio-Grundsatzes[25] derart schwer wiegt, dass er ausschließlich mit einer staatlichen Sanktionierung beantwortet werden kann. Es fragt sich, ob die hohen Anforderungen an ein individualstrafrechtlich vorwerfbares Verhalten im Fall von polizeilichen Fehlern in der Anwendung unmittelbaren Zwangs angemessen ausgefüllt werden. Dabei muss ebenfalls Beachtung finden, ob eine mögliche Strafbarkeit überhaupt vermieden werden kann, wenn bereits lege artis durchgeführte Maßnahmen stets den Tatbestand des § 340 Abs. 1 StGB erfüllen und die Strafbarkeit sodann ausschließlich von der verwaltungsrechtlichen Rechtmäßigkeit der Maßnahme abhängt, die jedoch von den Handelnden in einer konfusen Konfliktsituation stets rechtssicher ermittelt werden muss.

Diese Ermittlung der konkreten Verhältnismäßigkeitsgrenzen bei polizeilichem Überwältigungshandeln[26] kann nicht als abschließbarer Prozess verstanden werden, der dem tatsächlichen Handeln vorgelagert ist. In einer diffusen Überwältigungssituation können sich in einem Handlungsverlauf einer Person sowohl Elemente legitimen Handelns („potestas“) als auch illegitimen Handelns („violentia“) finden;[27] eine scharfe Trennung ist dabei kaum möglich. Leistet die einer Zwangsmaßnahme unterworfene Person körperlichen Widerstand, muss dieser Widerstand von den Beamt*innen überwunden werden. Stellt die betroffene Person den Widerstand jedoch ein und ist dies aus gefahrenabwehrrechtlicher ex ante Sicht erkennbar, muss auch die Überwältigungsgewalt unmittelbar eingestellt werden, da „ein Schlag zu viel“[28] (verwaltungs-)rechtswidrig und als Körperverletzung im Amt strafbar ist, auch wenn die ausführenden Beamt*innen dies im aufgeladenen „Widerstandsmodus“[29] der Maßnahme nicht wahrgenommen haben.[30]

Zu der diffizilen Bestimmbarkeit vollständig rechtmäßigen Einsatzverhaltens tritt hinzu, dass für die handelnden Beamt*innen keine „strafrechtsneutrale“ alternative Handlungsmöglichkeit besteht. Eine Untätigkeit – etwa aus Sorge, in der unübersichtlichen Situation einer Schlägerei nicht streng verhältnismäßig handeln zu können – begründet neben einer möglichen Strafvereitelung im Amt auch Strafbarkeitsrisiken aus unechten Unterlassungsdelikten; nach h.M.[31] besteht eine Beschützergarantenstellung von Polizeibeamt*innen, die sich aus der Freiheitsschutzaufgabe der Polizei ableitet. Das Nichteingreifen bei Straftaten erfüllt damit die Voraussetzungen des § 13 Abs. 1 StGB und eröffnet die Anwendung unechter Unterlassungsdelikte. Zusätzlich erfasst die zweite Tatalternative des § 340 Abs. 1 StGB auch das Begehenlassen einer Körperverletzung; das Nichtstun ist somit auch direkt im Sinne eines echten Unterlassens als Körperverletzung im Amt strafbar.[32]

Damit wird deutlich, dass es in der rechtlichen Bewertung polizeilicher Zwangsanwendung einen Bereich geben muss, den die herrschende Dichotomie aus rechtmäßig und strafbar nicht erfasst: Gewaltanwendung, die zwar objektiv aus staatsrechtlicher Perspektive rechtswidrig ist, den handelnden Vollzugsbeamt*innen jedoch nicht im strafrechtlichen Sinne vorgeworfen werden kann. In anderen Worten: wenngleich alle Fehler, die einer besonnenen und fähigen Vergleichsperson ex ante nicht unterlaufen wären, rechtswidrig sind, begründet nicht jedes illegitime Verhalten von Polizeibeamt*innen zugleich einen legitimen Strafanspruch gegen dieselben.

Es muss daher im Sinne einer „Trichotomie der Polizeigewalt“ zwischen drei Arten polizeilichen Verhaltens unterschieden werden: rechtmäßigem Handeln, rechtswidrigem Handeln und strafbarem Handeln.[33]

2. Strafvereitelung im Amt, § 258a StGB

Amtsträger*innen, die mit der Verfolgung von Straftaten betraut sind und dienstlich von einer Straftat Kenntnis erlangen, sind gem. §§ 152 Abs. 2, 160, 163 StPO verpflichtet, die erforderlichen Maßnahmen zu treffen, um die Strafverfolgung in die Wege zu leiten.[34] Ansonsten können sie sich der Strafvereitelung im Amt schuldig machen. Der Anwendungsspielraum der Norm ist bei Polizeibeamt*innen besonders weit, da diese bei dienstlicher Kenntniserlangung ab dem Vorliegen zureichender tatsächlicher Anhaltspunkte für das Vorliegen einer Straftat zum Einschreiten verpflichtet sind und sich anderweitig einer Verfolgungsvereitelung schuldig machen.[35]

Für die hier besprochene Problematik fehlerhafter Anwendung unmittelbaren Zwangs bedeutet dies, dass beobachtende Kolleg*innen einer unverhältnismäßigen Maßnahme einer strafrechtlichen Verpflichtung zur Strafanzeige gegen die handelnden Beamt*innen unterliegen. Dem stehen selbst Zweifel an der Richtigkeit des Verdachts nicht entgegen,[36] sodass – nimmt man die dargelegten Schwierigkeiten in der Bestimmung verhältnismäßigen Verhaltens ernst – in nahezu jeder unübersichtlichen Situation, die mit Widerstandshandlungen der von der Maßnahme Betroffenen einhergeht, ein Anfangsverdacht einer Körperverletzung im Amt besteht; die Kolleg*innen also nahezu nach jeder Zwangsanwendung gegenseitige Strafanzeigen ausfertigen müssten.

IV. Aufarbeitung von polizeilichem Fehlverhalten

1. Folgen der strafrechtlichen „Aufarbeitung“

Die Folge des nach herrschender Auslegung weiten Tatbestandes der Körperverletzung im Amt und der ebenfalls weitreichenden Anzeigepflichten, die aus der Strafvereitelung im Amt resultieren, ist die rechtliche Blockierung einer konstruktiven Fehlerkultur, die dem Rechtsstaat schadet.

Der Graubereich fehlerhafter polizeilicher Gewaltanwendung, der nicht mehr rechtmäßig aber noch nicht strafwürdig ist, muss dringend polizeiliche und juristische Anerkennung finden.  Die binäre Einteilung in rechtmäßig und strafbar wird den hochindividuellen und volatilen Einzelfällen im polizeilichen Alltag nicht gerecht.[37]

Das Problem liegt jedoch nicht in der falschen deskriptiven Zuweisung von Begrifflichkeiten, sondern in der konstitutiven Wirkung, die diese Zuweisung auslöst. Ein materiell weit gefasster Tatbestand stellt bei jeglichem Fehlverhalten alle Hebel auf „Strafverfahren“. Was klingt, als führte es zu einer optimalen Aufarbeitung und befriedigenden, rechtstaatlichen Ergebnissen für alle Beteiligten, endet im genauen Gegenteil. Die Einstellungsraten sind exorbitant hoch;[38] Polizeibeamt*innen fühlen sich einem erheblichen Strafverfolgungsdruck ausgesetzt[39] und von rechtswidriger Polizeigewalt verletzte Betroffene nicht ernstgenommen – schlimmer noch: berechtigte Entschädigungsansprüche lassen sich aufgrund der im Strafverfahren ex negativo festgestellten Rechtmäßigkeit des Handelns nur noch schwer durchsetzen.  Hier zeigt sich die andere Seite der problematischen Vereinheitlichung verschiedener Perspektiven im Bemühen um eine „Einheit der Rechtsordnung“[40]: Es muss jedoch klar zwischen der Beziehung Staat – Bürger*in (Verwaltungsrecht) und Staat – Polizeibeamt*in (Strafrecht) unterschieden werden.

Der Modus „Strafverfahren“ erstickt zudem jegliche innerbehördliche Auseinandersetzung mit materiellem Fehlverhalten. Alle Beteiligten sind entweder Beschuldigte oder Zeug*innen in einem Strafverfahren, sodass sich eine Aufarbeitung in der Dienstgruppe verbietet, insbesondere wenn die polizeilichen Zeug*innen nicht selbst die Strafanzeige erstattet haben und sich ggf. daher mit dem Vorwurf einer (versuchten) Strafvereitelung im Amt auseinandersetzen müssen. Vor diesem Hintergrund verwundert auch die vielbemühte Symbolik von der „Mauer des Schweigens[41] nicht, auf die in der Ermittlungsarbeit regelmäßig gestoßen wird. Wer Gefahr läuft, sich durch seine Aussage selbst zu belasten, muss nicht zu seiner eigenen Strafverfolgung beitragen. Der nemo tenetur-Grundsatz gilt dabei auch uneingeschränkt für Polizeibeamt*innen.[42]

Ist das laufende Verfahren erst einmal beendet, endet auch – sofern überhaupt begonnen – die interne Auseinandersetzung mit dem Sachverhalt. Etwaig vorhandene Unsicherheit bezüglich der durchgeführten Zwangsmaßnahme weicht dem gerichtlich bestätigten Befund: es wurde alles richtig gemacht. Ein neuer Tag im Polizeidienst beginnt.

2. Ein neuer Tag – „Groundhog-Day“?

Selbst in den seltenen Fällen einer Verurteilung ist dem System „Polizei“ jedoch wenig geholfen, wenn das Fehlverhalten nicht im Gesamtkontext aufgearbeitet wird. Die Polizei hat eine schwierige Aufgabe und ist verschiedensten Erwartungen unterschiedlicher Absender ausgesetzt.[43] Dabei agiert Polizei immer dort, wo sich Gewaltkonflikt materialisiert und muss sich „gewaltkompetent“ zeigen.[44]  Das – auch und gerade – in der Polizei vorherrschende Verständnis, die Polizei mache in solchen Extremsituationen keine Fehler,[45] ist in Anbetracht der offensichtlich hoch komplexen Aufgabenstellung weder plausibel noch empirisch haltbar.[46] Die Überschreitung der rechtsstaatlichen Grenzen ist in der Natur der Zwangsanwendung angelegt; die Grenze zwischen Macht und Machtmissbrauch verläuft beim Überwältigungshandeln.[47]

Dabei entbindet die realistische Einsicht, dass Fehler nahezu unvermeidbar sind, jedoch nicht davon, Fehler aufzuarbeiten und alles daran zu setzen, ein erneutes Auftreten dieser Fehler zu verhindern.  Es braucht hierbei eine Perspektivverschiebung vom „bedauerlichen Einzelfall“ zu einer systemischen Betrachtung der Phänomenologie von Überwältigungshandeln im Vollzugsdienst. Es braucht Strukturen der polizeiinternen Reflexion (etwa in der Dienstgruppe) und Supervision, in der das eigene Fehlverhalten aufgearbeitet werden kann, um erneutes Fehlverhalten zu vermeiden. Insbesondere wenig erfahrene Beamt*innen müssen konsequent und unverzüglich korrigiert werden, wenn sie irrtümlich „zu hart“ handeln oder sich in einer Widerstandssituation „übermotiviert“ verhalten. Hierbei kann auch auf Modelle der restorative justice zurückgegriffen werden, mit denen Abseits eines Strafverfahrens auch unter Einbezug der Verletzten einer rechtswidrigen Maßnahme (möglicherweise auf beiden Seiten) stattgefundenes Fehlverhalten reflektiert werden kann.[48] An die Stelle der Furcht vor Fehlereingeständnissen und verfahrenstaktischer Abwehrhaltung muss Mut zur Konfrontation mit den eigenen Unzulänglichkeiten treten, ohne dass das eingeräumte Fehlverhalten bestraft wird.

Eine solche Fehlerkultur, die in der Polizeiwissenschaft schon lange diskutiert und methodisch fundiert vorbereitet worden ist,[49]  bedarf zudem wissenschaftlicher Begleitung zur Erforschung von Überwältigungshandeln, damit sich das aus Fehlern erlernte möglichst zeitnah auch in der Ausbildung niederschlagen kann und auch polizeikulturelle Gründe[50] für Fehlverhalten systematisch bekämpft werden können. Nur so lässt sich ausbrechen aus einem „Groundhog Day“-Kreislauf, in dem täglich wieder ein neuer Fall fehlerhafter Zwangsanwendung verzeichnet werden muss.

3. Fehlerkultur und ihre Grenzen – Regelungsvorschlag: § 340 Abs. 1 StGB de lege ferenda

Selbstredend muss auch die beste Fehlerkultur, in der die konstruktive Aufarbeitung von Fehlverhalten Vorrang vor nicht erforderlicher strafrechtlicher Sanktionierung hat, ihre Grenzen im Strafrecht finden. Dass die vorsätzlich rechtswidrige Gewaltanwendung durch Polizeibeamt*innen auch weiterhin als Körperverletzung im Amt gem. § 340 StGB bestraft werden muss, stellt dieser Beitrag nicht in Frage. Zudem bleiben Fälle von grob pflichtwidrigem Verhalten, die als fahrlässige Körperverletzung im Amt bestraft werden müssen.

Für eine solche Unterscheidung fehlt es jedoch im geltenden Strafrecht an einem wirksamen Abgrenzungskriterium. Der Tatbestand des § 340 StGB ist wie aufgezeigt bereits bei rechtmäßigen Zwangsanwendungen durch Vollzugsbeamt*innen regelmäßig erfüllt und verliert damit seine Funktion der Abgrenzung von erwünschtem (straflosen) und unerwünschtem (strafwürdigen) Verhalten. Insbesondere fehlt es der Körperverletzung im Amt an einer Appellfunktion des Tatbestandes, durch die die Normadressat*innen erkennen können, dass sie sich sozialschädlich[51] in einer Weise verhalten, die ein Strafgesetz verletzt. Abstrahiert man die Frage nach der Rechtswidrigkeit der Maßnahme, ist es nicht mehr möglich zu erkennen, ob sich die Handelnden vollkommen legitim und im Sinne rechtmäßigen polizeilichen Eingreifens verhalten oder gerade eine gefährliche Körperverletzung im Amt begehen. Tatbestandlich fehlt es somit an einem Merkmal, dessen Überschreitung strafrechtlich vorgeworfen werden kann. Die Körperverletzung im Amt unterscheidet sich damit bei Begehung durch Vollzugsbeamt*innen von anderen Tatbeständen, da die reine Erfolgsherbeiführung regelmäßig keine Abkehr vom strafrechtlichen Normensystem darstellt, sondern Teil rechtmäßigen, gesetzgeberisch intendierten, polizeilichen Handelns ist. Mangels Unwerturteils[52] kann in diesen Fällen keine tatbestandlich indizierte Rechtswidrigkeit anzunehmen sein, ohne dass ein strafrechtlicher Vorwurf am Tatbestand anknüpft.

Der eigentliche strafrechtliche Vorwurf, als Amtsträger während der Dienstausübung (bewusst oder fahrlässig) unerlaubt einen Körperverletzungserfolg herbeigeführt zu haben, findet keine tatbestandliche Entsprechung in § 340 Abs. 1 StGB. 

Als kriminalpolitischer Ansatz sollte daher erwogen werden, die Körperverletzung im Amt zu reformieren und den Tatbestand um ein einschränkendes Rechtswidrigkeitskriterium zu erweitern. § 340 Abs. 1 StGB könnte dann lauten:

„Ein Amtsträger, der während der Ausübung seines Dienstes oder in Beziehung auf seinen Dienst rechtswidrig eine Körperverletzung begeht oder begehen lässt, wird mit Freiheitsstrafe […] bestraft.“

Eine solche Gesetzesänderung würde eine rechtssichere Abgrenzung von rechtswidrigem Handeln der Behörde Polizei und strafbarem Individualhandeln einzelner Beamt*innen ermöglichen, da sich der Vorsatz neben dem Verletzungserfolg nun auch auf die Rechtswidrigkeit der Maßnahme beziehen müsste.

In der Folge wäre die bewusst rechtswidrige Zwangsanwendung weiterhin als Körperverletzung im Amt strafbar. Der Vorwurf, im Rahmen einer Sorgfaltspflichtverletzung rechtswidrig gehandelt zu haben, fiele ebenfalls in den Bereich des Strafrechts, würde jedoch folgerichtig aus dem Vorsatzdelikt in die gem. §§ 340 Abs. 3, 229 StGB anwendbare fahrlässige Körperverletzung im Amt überführt werden. Fehlerhaftes Handeln unterhalb einer strafrechtlich relevanten Pflichtverletzung wäre jedoch nicht mehr vom Anwendungsbereich der Norm umfasst, sodass dieses außerhalb des Strafrechts angemessen und lösungsorientiert adressiert werden könnte, um zukünftig ähnliche Fehler bestmöglich zu vermeiden und systemische Probleme zu bekämpfen.

Zusätzlich zu einer solchen Änderung sollte jedoch auch ein anderer Umgang mit der Strafvereitlung im Amt durch Polizeibeamte erwogen werden, der z.B. durch die Etablierung einer Bedenk- und Beratungszeit[53] die psychosoziale Drucksituation vor der Anzeige der eigenen Kolleg*innen lindern und Aufklärungsschwierigkeiten, die aus einem Verfahren wegen Strafvereitelung im Amt gegen die einzigen Zeug*innen eines rechtswidrigen Gewaltexzesses resultieren,[54] verhindern. Hier verlässliche Grenzen zu ziehen, ist eine komplexe Aufgabe, der sich die (Straf-)Rechtswissenschaft jedoch stellen sollte.

V. Fazit

Es drängt sich nahezu auf, dass es einen Bereich geben muss zwischen einwandfreiem, rechtmäßigen Handeln und so stark fehlerbehaftetem (fahrlässigen) oder vorsätzlich rechtswidrigem Handeln, das individualstrafrechtliche Konsequenzen erfordert. Die geltende Rechtslage lässt hierfür jedoch keinen Raum. Die Folge sind kleine Verfehlungen, Unsicherheiten, und Eingriffe contra lege artis, die für die Betroffenen jedoch von erheblicher Eingriffsvehemenz sind und traumatische Extremsituationen darstellen können. In einem System, das der Korrekturmöglichkeit eines Fehlers erhebliche Strafbarkeitsrisiken gegenüberstellt und Verschwiegenheit und Ignoranz[55] belohnt, entsteht ein systemisches Polizeiproblem mit einer Polizei, die ihr Handeln immer mehr an Gewohnheit und Polizistenkultur ausrichtet und sich zunehmend von Recht und Gesetz entfernt. Wer keine Fehler diagnostiziert, kann auch nichts korrigieren. Wer keine Fehler macht, macht aber eben nicht keine Fehler, sondern ist nicht in der Lage, Fehler zu erkennen. Fehler kommen in jeder Organisation vor. Der konstruktive Umgang mit ihnen ist, was den Zustand der Behörde Polizei und des Rechtsstaats entscheidet.

Jede Anwendung von illegitimer Gewalt ist eine zu viel, jede Verletzung von Grundrechten aufgrund rechtswidriger Polizeimaßnahmen ist dringend zu verhindern. Letztlich muss jedoch hinterfragt werden, ob es hierbei zweckdienlich sein kann, mit punitiven Reflexen auf diejenigen zu reagieren, die versuchen, sich pflichtgemäß zu verhalten, oder ob der staatliche Strafanspruch nicht in Richtung vorsätzlicher Polizeigewalttäter*innen besser adressiert ist. Die in der Polizeiwissenschaft schon länger diskutierten Probleme und Möglichkeiten polizeilicher Fehlerkultur müssen endlich auch in Kriminalpolitik und Rechtswissenschaft Anklang finden; der Rechtsstaat steht sich sonst selbst im Wege. Es ist zu hoffen, dass durch eine Reform der Körperverletzung im Amt auch eine neue Wahrnehmung des Delikts in der Polizistenkultur entstehen kann.  Hierzu muss die vorsätzlich rechtswidrige Körperverletzung im Amt – statt eines de lege lata latenten Alltagsrisikos für gewissenhafte Beamt*innen – als absolute Grenzüberschreitung in die Illegalität betrachtet werden, die keine Solidarität aus der Polizeibelegschaft[56] verdient.

All dies macht ein Umdenken dringend erforderlich. Ganz zuvorderst in der Polizei, die zu oft mit problematischen Strukturen und einem „Wir machen keine Fehler“-Mindset[57] agiert. Genauso jedoch auch im Strafrecht, das Versuche, fehlerhaftes Verhalten im Umgang mit Bürger*innen konstruktiv aufzuarbeiten, de lege lata im Strafrechtskorsett erstickt und tatbestandlich nicht zwischen vorsätzlichem Gewalthandeln und unbeabsichtigten Fehlern in schwierigen Entscheidungssituationen zu differenzieren vermag.

Eine rechtsstaatliche Polizei braucht eine konstruktive Fehlerkultur. Die strafrechtlichen Voraussetzungen hierfür zu schaffen, ist erforderlich, um vergangene rechtsstaatswidrige Zwangsanwendungen nachhaltig aufzuarbeiten und so zukünftige zu verhindern. Die bestmögliche Wahrung der Menschenrechte sollte uns diese Bemühungen wert sein.

 

[1]      Juristisch stellt der Begriff „Polizeigewalt“ zunächst eine rein deskriptive Zusammenfügung der Begriffe Polizei und Gewalt dar, wobei körperliche Gewalt jede unmittelbare körperliche Einwirkung auf Personen oder Sachen darstellt, § 2 Abs. 2 UZwG. Unmittelbarer Zwang ist die Einwirkung auf Personen oder Sachen durch körperliche Gewalt, ihre Hilfsmittel und durch Waffen, § 2 Abs. 1 UZwG). Der Begriff der „Gewalt“ wird jedoch im allgemeinen Sprachgebrauch mit illegalem Handeln in Verbindung gebracht und ist innerhalb der Institution Polizei zumeist dem illegalen Handeln der Bürger*innen vorbehalten, vgl. Ohlemacher/Werner, in: dies. (Hrsg.), Empirische Polizeiforschung XIV: Polizei und Gewalt – Interdisziplinäre Analysen zu Gewalt gegen und durch Polizeibeamte, 2012, S. 7 (9) und ausf. Behr, in demselben Band, S. 177 passim zur „Gewalt der Anderen“ sowie mit einer Vermutung, dass sich Führungspersonal „sprachlich von der Faktizität der Gewaltausübung ihrer Mitarbeiter dadurch distanziert, dass es sie juristisch verklausuliert“, ders., in: Hunold/Ruch (Hrsg.), Polizeiarbeit zwischen Praxishandeln und Rechtsordnung, 2020, S. 185 f., zur Unterscheidung von legitimer Gewalt („potestas“) und illegitimer Gewalt („violentia“), S. 204.
[2]      Zur Schwierigkeit der Ermittlung präziser Zahlen aufgrund verschiedener Statistiken und deren Aussagekraft bereits bei Görgen/Hunold, in: Kugelmann (Hrsg.), Polizei und Menschenrechte, 2019, S. 121 (122 ff.); zur Erledigungspraxis der Staatsanwaltschaft (95 % Einstellungsquote): Singelnstein, NK 2013, 15 (18).
[3]      Ermittlungen beim Vorwurf der Körperverletzung im Amt leiden unter der Voraussetzung, dass Polizei und Staatsanwaltschaft gegen Polizeibeamt*innen ermitteln; die Ermittlungen also durch Behörden durchgeführt werden, die im „Tagesgeschäft“ miteinander arbeiten und aufeinander angewiesen sind. Vgl. zu einer besonderen Ermittlungspraxis bereits Singelnstein, NK 2013, 15 (21); vgl. zu den Besonderheiten im (gerichtlichen) Umgang mit Polizeizeugen Theune, StV 2020, 321 passim; sowie Abdul-Rahman/Espín Grau/Singelnstein, Betrifft Justiz 141 (2020), 221 (222 f.).
[4]      Zur „Mauer des Schweigens“ von Polizeibeamt*innen, die sich selten aufklärungsförderlich einlassen, vgl. Singelnstein, NK 2013, 15 (21) sowie Ullenboom, NJW 2019, 3108 (3111) im Kontext von Videoaufzeichnungen von Polizeieinsätzen. Vgl. zur Strafbarkeit von Polizeivollzugsbeamt*innen bei bewusst rechtswidrigen Filmverboten: Zühlke, NK 3/2021 (im Erscheinen).
[5]      Ausf. Erörterung dieser Strukturen (männlich dominierte Cop-Culture, psychosoziale Überforderung, Drucksituationen, politischer Druck) bei Seidensticker, SIAK-Journal 2019, 78 passim.
[6]      Zur Gewalt durch und gegen Polizeibeamt*innen bei Görgen/Hunold, in: Kugelmann (Hrsg.) S. 122 f.; 132.
[7]      Vgl. zu diesen empirischen Erkenntnissen des Forschungsprojektes KViAPol Abdul-Rahman/Espín Grau/Singelnstein, Betrifft Justiz 141 (2020), 221 f.
[8]      Vgl. zu dieser Auffassung des Fehlerbegriffs (im organisationstheroetischen Zusammenhang der Institution Polizei) Mensching, in: Liebl (Hrsg.), Empirische Polizeiforschung V: Fehler und Lernkultur in der Polizei, 2004, S. 43 (46 f.).
[9]      „Im Nachgang an das Handeln“ beschreibt hierbei den Zeitpunkt der Beurteilung, nicht jedoch die Beurteilungsperspektive. Diese basiert im Gefahrenabwehrrecht auf einer Wertung aus Sicht eines objektiven und fähigen Polizeibeamten zum Handlungszeitpunkt (ex ante).
[10]    Angst und Wut wirken sich stark auf die Handlungsfähigkeit und Beurteilung einer Situation aus. Während diese hier zunächst auf Ursachenbasis gleichrangig nebeneinanderstehen sollen, sei doch auf die rechtliche Wertung des StGB verwiesen, das asthenischen Affekten (z.B. Angst) deutlich mehr Verständnis entgegenbringt als sthenischen Affekten (z.B. Wut), vgl. § 33 StGB.
[11]    Behrendes, vorgänge 204 (2013), 41 (44).
[12]    Mit weiteren Gedanken zum Verhältnis von Passivität und Aggression im Umgang mit gewaltbereitem polizeilichen Gegenüber: Füllgrabe, in: Liebl (Hrsg.), S. 57 (68 f.).
[13]    Von diesem Fehlerbegriff und den hier angestellten Überlegungen zu einer polizeilichen Fehlerkultur ausdrücklich nicht umfasst sind Sachverhalte, in denen Polizeivollzugsbeamt*innen vorsätzlich rechtswidrige Gewalt ausüben.
[14]    Ebenso die treffende Metapher des Korsetts bemühend: Seidensticker, SIAK-Journal 2019, 78 (82 f.) sowie Behrendes, vorgänge 204 (2013), 41 (44).
[15]    Vgl. erneut Singelnstein, NK 2013, 15 (18) sowie Abdul-Rahman/Espín Grau/Singelnstein, Betrifft Justiz 141 (2020), 221.
[16]    Ganz herrschende Meinung. Statt aller Heger, in: Lackner/Kühl-StGB, 29. Aufl. (2018), § 340 Rn. 3.
[17]    „Körperverletzung“ bezieht sich hierbei auf den Erfolg des § 223 StGB mit seinen beiden Erfolgsalternativen. Die körperliche Misshandlung als üble, unangemessene Behandlung, die das körperliche Wohlempfinden nicht nur unerheblich beeinträchtigt, und die Gesundheitsschädigung, die im Hervorrufen oder Steigern eines vom Normalzustand der körperlichen und seelischen Funktionen nachteilig abweichenden pathologischen Zustands, unabhängig von dessen Dauer, zu sehen ist (insb. auch Hämatome); vgl. Joecks (Hardtung), in: MüKo-StGB, 3. Aufl. (2017), § 223 Rn. 4, 29.
[18]    Wolters, in: SK-StGB, 9. Aufl. (2016), § 340 Rn. 16.
[19]    Vgl. Kingreen/Poscher, Polizei und Ordnungsrecht, 10. Aufl. (2018), § 10 Rn. 2.
[20]    Hecker, in: Schönke/Schröder, StGB, 30. Aufl. (2019), § 340 Rn. 7 f.; Kuhlen, in: NK-StGB, 5. Aufl. (2017), § 340 Rn. 11 f.; Lilie, in: LK-StGB, 12. Aufl. (2009), § 340 Rn. 13 f.; Voßen, in: MüKo-StGB, 3. Aufl. (2019), § 340 Rn. 19 ff.; Wolters, in: SK-StGB, § 340 Rn. 16; Fischer, StGB, 68. Aufl. (2021), § 340 Rn. 4;
[21]    Gem. § 340 Abs. 3 StGB sind die allgemeinen Qualifikationen der Körperverletzung anwendbar: nahe liegen die gefährliche Körperverletzung gem. § 224 Abs. 1 Nr. 2 (Waffe oder gefährliches Werkzeug) und Nr. 4 („mit einem anderen Beteiligten gemeinschaftlich“).
[22]    Hierbei ist sich in Einzelfällen ggf. mit der Irrtumsdogmatik auseinanderzusetzen, wobei Tatbestandsirrtümer gem. § 16 Abs. 1 StGB ausscheiden, sofern Fehlvorstellungen über die Verhältnismäßigkeit und Rechtmäßigkeit des Handelns einschlägig sind.  Wenngleich diese Sonderfälle von (un)vermeidbaren Verbots- bzw. Erlaubnis(grenz)irrtümern oder etwaigen Erlaubnistatbestandsirrtümern in Einzelfällen zu einer angemessenen Lösung führen können, helfen sie doch nicht den strukturellen Problemen in der Systematik des § 340 StGB – insbesondere der Blockade einer konstruktiven Aufarbeitung polizeilichen Fehlverhaltens innerhalb der Institution Polizei – ab.
[23]    Vgl. Behr, in: Hunold/Ruch (Hrsg.), S. 185 (207), der in der Unfähigkeit, ein binäres Muster von gut und böse aufzugeben, die eigentliche Problematik im polizeilichen Umgang mit dem Thema Gewalt sieht.
[24]    Vgl. Kingreen/Poscher, § 8 Rn. 41 ff.
[25]    Zu strafverfassungsrechtlichen Aspekten des Ultima Ratio-Prinzips: Jahn/Brodowski, ZStW 129 (2017), 363 (366-371, 377 ff.).
[26]    Zum Begriff bei Behr, in: Hunold/Ruch (Hrsg.), S. 185 passim.
[27]    Behr, in: Hunold/Ruch (Hrsg.), S. 185 (192).
[28]    Behrendes, vorgänge 204 (2013), 41 (44).
[29]    Zur Problematik dieses sich ständig entwickelnden, fluiden Interaktionsgeschehens: Görgen/Hunold, S. 133; Ohlemacher/Werner, in: dies. (Hrsg.), S. 7 (9), Behrendes, vorgänge 204 (2013), 41 (42); Behr, in: Hunold/Ruch (Hrsg.), S. 185 passim. Aus entgegengesetzter Perspektive der Widerstandshandlungen durch Bürger*innen im Rahmen des § 113 StGB (komplexe Konfliktsituationen, die auf beiden Seiten mit gewaltsamen Mitteln ausgetragen werden), Singelnstein/Puschke, NJW 2011, 3437 (3476).
[30]    Zur Problematik, dass Fehler ex situatione nicht unbedingt von den Verursachenden wahrgenommen werden: Seidensticker, SIAK-Journal 2019, 78 (79).
[31]    Kühl, StGB AT, 8. Aufl. 2017, § 18 Rn. 84 f. m.w.N.; „Ermessensreduzierung auf Null“ zumindest bei gravierenden Rechtsgutsverletzungen, Rn. 87.
[32]    Vgl. § 340 Abs. 1 Alt. 2 StGB: „Ein Amtsträger, der […] eine Körperverletzung begeht oder begehen läßt“ (herv. d. Verf.); so auch Kudlich, in: SSW-StGB, 5. Aufl. (2021), § 340 Rn. 7.
[33]    Strafbares Handeln wird regelmäßig auch verwaltungsrechtlich rechtswidrig sein, wenngleich sich Einzelfälle konstruieren lassen, in denen – z.B. angeschlossen an die Diskussion um den umgekehrten Erlaubnistatbestandsirrtum – das subjektive Rechtfertigungselement entfallen kann und polizeiliche Zwangsanwendung trotz der gefahrenabwehrrechtlichen Rechtmäßigkeit als Körperverletzung im Amt strafbar ist.
[34]    Hecker, in: Schönke/Schröder, StGB, § 258a Rn. 10.
[35]    Hecker, in: Schönke/Schröder, StGB, § 258a Rn. 10.
[36]    Walter, in: LK-StGB, § 258a Rn. 11.
[37]    Vgl. hierzu erneut Behr, in: Hunold/Ruch (Hrsg.), S. 185 (207), der in der Unfähigkeit, ein binäres Muster von gut und böse aufzugeben, die eigentliche Problematik im polizeilichen Umgang mit dem Thema Gewalt sieht.
[38]    Die von Singelnstein, NK 2013, 15 (18) beobachtete besondere Erledigungspraxis in den Staatsanwaltschaften ließe sich – wenngleich das angeführte Argument einer besonderen Parteilichkeit einleuchtet – auch als (möglicherweise unbewusstes) Korrekturverhalten der Staatsanwaltschaften interpretieren, die nicht strafwürdiges Fehlverhalten für nicht weiter Strafverfolgungswürdig halten.
[39]    Es herrsche hierbei keine Einstellung „die Staatsanwaltschaft wird es schon richten“ sondern Sorge um die berufliche Zukunft vor, Behrendes, vorgänge 204 (2013), 41 (46).
[40]    Kritisch zu dieser allzu häufig bemühten Argumentationsfigur bereits Felix, Einheit der Rechtsordnung, 1999, S. 399 ff., sowie konkret zu dem Verhältnis von öffentlichem Recht und Strafrecht, S. 58 ff.
[41]    Ullenboom, NJW 2019, 3108 (3111); Singelnstein, NK 2013, 15 (21); Behrendes, vorgänge 204 (2013), 41 (44): das Strafrecht liefere „Steine für die ‚Mauer des Schweigens‘“; Seidensticker, Die Polizei macht (keine) Fehler, 2016, S. 29. Losgelöst vom Bild der „Mauer“ zur schwierigen Beweissituation: Abdul-Rahman/Espín Grau/Singelnstein, Betrifft Justiz 141 (2020), 221 (222 f.). Zulässigkeit des privaten Filmens von Polizeieinsätzen aus Gründen der Beweissicherung, Reuschel, NJW 2021, 17 (21) sowie zur polizeilichen Überwachung und damit konstruierter Definitionsmacht Ullrich, Technical University Working Papers, TUTS-WP-2-2018, S. 10, 17.
[42]    Ebenso (aus Polizeisicht) Behrendes, vorgänge 204 (2013), 41 (44).
[43]    Mensching, Gelebte Hierarchien, 2008, S. 71.
[44]    Ohlemacher/Werner, in: dies. (Hrsg.), S. 7 (8).
[45]    Vgl. zu diesem Selbstbild, die Polizei mache keine Fehler: Seidensticker, Die Polizei macht (keine) Fehler, 2016, S. 26 ff.; ders., SIAK-Journal 2019, 78 (80 f.). Zur Blockade von Forschungsvorhaben zu polizeilichem Überwältigungshandeln Behr, in: Hunold/Ruch (Hrsg.), S. 185 (196).
[46]    Vgl. zur hohen Fehleraffinität der Polizei Behrendes, vorgänge 204 (2013), 41 (43); „Unvermeidbarkeit von Fehlern“ bei Mensching, in: Liebl (Hrsg.), S. 43 (53); Seidensticker SIAK-Journal 2019, 78 f.
[47]    Behr, in Hunold/Ruch (Hrsg.), S. 185 (207).
[48]    Hierbei wäre auch Platz für eine Entschuldigung für „punktuelle Fehleinschätzungen und Überforderung“, die in vielen Fällen für die Betroffenen mehr bewirke als eine Sanktionierung der Beamt*innen, vgl. Behrendes, vorgänge 204 (2013), 41 (47).
[49]    Seidensticker, SIAK-Journal 2019, 78 m.w.N.; Volkmer, in: Liebl (Hrsg.), S. 81 (88 ff.); Mensching, in: Liebl (Hrsg.), S. 43 (53 f.); Behrendes, vorgänge 204 (2013), 41 (48).
[50]    Eine Sammlung übergriffsfördernder Strukturen innerhalb der „Cop-Culture“ findet sich bei Behr, in: Hunold/Ruch (Hrsg.), S. 185 (203 f.).
[51]    So bereits Engisch, ZStW 70 (1958), 566 (572): „wenigstens weiß er doch um das Nichtswürdige, Gemeine, Sozialschädliche seines Verhaltens, das den Grund dafür abgibt, daß es auch rechtlich verboten ist.“
[52]    Vgl. Rengier, AT, 12. Aufl. (2020), § 17 Rn. 1.
[53]    Vorgeschlagen u.a. von Seidensticker SIAK-Journal 2019, 78 (88 m.w.N.); Problematik der Aufklärungserschwerung aufgrund kurzen Zögerns der später strafanzeigenden Kölner Polizeibeamt*innen gegen Kollegen, die eine psychisch erkrankte Person misshandelt hatten, vgl. Behrendes, vorgänge 204 (2013), 41 (44) sowie LG Köln, Urt. v. 25.7.2003 – 111 – 4/03, openJur 2011, 22673.
[54]    Hierzu instruktiv Behrendes, vorgänge 204 (2013), 41 (44 f.) zu dem in Fn. 53 geschilderten Verfahren, bei dem die einzigen Zeug*innen aufgrund eines gegen sie laufenden Verfahrens wegen Strafvereitelung im Amt wegen der Anzeigeverzögerung um einen Tag zunächst nicht zu dem eigentlichen Verfahren wegen Körperverletzung im Amt mit Todesfolge aussagen konnten, um sich nicht selbst zu belasten. Vgl. zu diesem Verfahren LG Köln, Urt. v. 25.7.2003 – 111 – 4/03, openJur 2011, 22673.
[55]    Vgl. zum „Totschweigen“ von Fehlern, Volkmer, in: Liebl (Hrsg.), S. 81 (82 ff.).
[56]    Vgl. zum bisherigen Umgang in der Cop-Culture mit Beamt*innen, die bereit sind, ihre Kolleg*innen wegen des Verdachts einer Körperverletzung im Amt anzuzeigen Behr, in: Hunold/Ruch (Hrsg.), S. 185 (196 f.).
[57]    Ausf. dazu Seidensticker, 2016.

 

 

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