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Überlegungen zur Wissenschaftskommunikation im Strafrecht

von Prof. Dr. Dr. Milan Kuhli

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Abstract
Der Beitrag widmet sich den verschiedenen Formen, in denen strafrechtswissenschaftliche Erkenntnisse durch Experten verbreitet werden können. Dies betrifft Publikationen in wissenschaftlichen Fachzeitschriften ebenso wie Interviews und Podcasts. Der Beitrag beleuchtet die Fragen, welchem Nutzen der Transfer wissenschaftlicher Erkenntnisse dient und welche Herausforderungen sich hierbei stellen. Letzteres leitet über zu einigen Empfehlungen für eine gelungene Wissenschaftskommunikation.

The article deals with the various forms in which scientific knowledge in criminal law can be distributed. This concerns, for example, publications in scientific journals as well as interviews and podcasts. The article focuses on the questions which users could benefit from the distribution of scientific knowledge and what challenges arise. The latter leads on to some recommendations for successful science communication.

I. Einleitung

Zweifellos darf Forschung auch dann betrieben werden, wenn sie keinen absehbaren gesellschaftlichen Nutzen bringt. Eine anderslautende Auffassung würde zu einer Funktionalisierung wissenschaftlicher Erkenntniserlangung führen, die keinen Raum für solche Forschungsaktivitäten ließe, die entweder „einfach nur“ interessant erscheinen[1] oder deren später eintretender gesellschaftlicher Nutzen ursprünglich nicht absehbar ist.[2] Aus gutem Grund basiert demnach auch die grundrechtlich gewährleistete Wissenschaftsfreiheit (Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG) in den Worten des BVerfG auf der Idee, dass „eine von gesellschaftlichen Nützlichkeits- und politischen Zweckmäßigkeitsvorstellungen freie Wissenschaft Staat und Gesellschaft im Ergebnis am besten dient“.[3] Doch ändert das eben Gesagte nichts an der Bedeutung adäquater Wissenschaftskommunikation, die durch Experten betrieben wird – ein Bereich, der im vorliegenden Beitrag aus einer kriminalwissenschaftlichen Perspektive beleuchtet wird.[4] Dies beinhaltet erstens Überlegungen zur Klassifikation. Hieran anschließend widmet sich der Beitrag der Frage, welchen Herausforderungen die strafrechtliche Wissenschaftskommunikation unterliegt. Dies leitet schließlich über zu einigen Empfehlungen.

II. Klassifikationen

Betrachtet man den Gegenstand der Wissenschaftskommunikation, so bieten sich verschiedene Formen der Klassifikation an. In jedem Fall können Äußerungen strafrechtlicher Experten über kriminalwissenschaftliche Inhalte[5] danach unterschieden werden, ob sie schriftlich oder mündlich erfolgen, live vorgenommen oder aufgezeichnet werden. Vor allem aber erscheinen die folgenden Unterscheidungen zentral:

1. Interne oder externe Äußerungen

So kann man zwischen einer internen und einer externen Wissenschaftskommunikation unterscheiden, wobei jedoch die Übergänge durchaus fließend sind. Unter der internen Kommunikation wird hier der Austausch innerhalb der jeweiligen Fachdisziplin verstanden – ein Austausch der nicht nur in der Fachliteratur[6] und auf Fachkongressen, sondern auch in allgemein zugänglichen Medien[7] vorgenommen werden kann. Demgegenüber richtet sich die externe Kommunikation an einen Adressatenkreis außerhalb der eigenen Fachdisziplin, etwa an Wissenschaftler aus anderen Disziplinen[8] oder die interessierte Öffentlichkeit.[9] Soweit sich Äußerungen an den zuletzt genannten Adressatenkreis richten sollen, wird dieser Wissenstransfer regelmäßig über allgemein zugängliche Medien erfolgen, etwa in Form von Zeitungsbeiträgen, TV-Interviews, Podcasts und in den Sozialen Medien.

Nach dem eben Gesagten sind die Grenzen zwischen interner und externer Kommunikation keineswegs strikt. So gibt es wissenschaftliche Publikationen, die sowohl innerhalb als auch außerhalb der eigenen Fachdisziplin wahrgenommen werden. Zu einer Herausforderung werden diese fließenden Übergänge deshalb, weil Wissenschaftler den Adressatenkreis ihrer Äußerungen reflektieren sollten – eine Herausforderung, auf die weiter unten noch zurückzukommen sein wird.

2. Mit oder ohne Anfrage

Darüber hinaus können wissenschaftliche Äußerungen auf Anfrage hin oder aus eigenem Antrieb erfolgen. Auch hier sind die Übergänge wiederum fließend. Dies zeigt sich etwa dann, wenn ein Wissenschaftler auf eigene Initiative in den Sozialen Medien eine Äußerung macht, die später von Lesern kommentiert wird, sodass sich der Wissenschaftler wiederum veranlasst sieht, hierauf mit weiteren Äußerungen zu reagieren.

III. Nutzen und Herausforderungen

Die eingangs aufgezeigte Unabhängigkeit wissenschaftlichen Arbeitens von Erwägungen der Nützlichkeit ändert nichts daran, dass die Verbreitung wissenschaftlicher Erkenntnisse nützlich sein kann. Für den Adressatenkreis, der über wissenschaftliche Erkenntnisse informiert, mag dieser Nutzen augenscheinlich sein: In dem Maße, in dem das Strafrecht auf aktuelle Veränderungen reagieren muss, hat die interessierte Medienöffentlichkeit ein berechtigtes Interesse, von Experten über gegenwärtige Entwicklungen informiert zu werden. Der aufgezeigte Nutzen von Wissenschaftskommunikation dürfte sich aber auch aus einer wissenschaftsinternen Perspektive ergeben. Dies gilt nicht nur für die interne, sondern auch für die externe Wissenschaftskommunikation, also in Fällen des Wis-sens­transfers: Derartige Stellungnahmen verlangen eine allgemeinverständliche[10] Übersetzung, die keineswegs als Verkürzung zu verstehen ist, sondern eine Reflexion über das eigene Feld, die mitunter die Einnahme eines neuen Blickwinkels erforderlich macht.

Wenn nach alledem nicht bezweifelt wird, dass Wissenschaftler ihre Erkenntnisse, Ergebnisse und Auffassungen kommunizieren sollen, stellt sich allerdings die Frage nach dem „Wie“ einer solchen Verbreitung. Allgemein lässt sich sagen, dass eine gelungene Wissenschaftskommunikation voraussetzt, dass wissenschaftliche Erkenntnisse in adäquater Weise vermittelt werden. Eine erste Herausforderung des Wissenstransfers zeigt sich dabei in dem eben aufgezeigten Übersetzungserfordernis. Dies gilt insbesondere dann, wenn zwischen dem Experten und der interessierten Öffentlichkeit kein dolmetschender Wissenschaftsjournalist steht (z.B. bei Äußerungen über Soziale Medien).[11] Aber auch bei der Wissenschaftskommunikation, die auf Anfrage hin erfolgt, können sich in Fällen besonderer Eilbedürftigkeit Probleme aus einer zeitlichen Limitierung ergeben. Dies gilt insbesondere dann, wenn innerhalb des potenziellen Adressatenkreises unterschiedliche Vorstellungen über kriminalwissenschaftliche Inhalte bestehen.

IV. Empfehlungen 

Es stellt sich die Frage, wie den eben angedeuteten Herausforderungen zu begegnen ist. Dies leitet über zu einigen Empfehlungen für eine gelungene Wissenschaftskommunikation:[12]

1. Berücksichtigung des Adressatenkreises

Es ist wichtig, dass der sich äußernde Experte den Adressatenkreis seiner Stellungnahme identifiziert.[13] So dürften etwa die Anforderungen an die Konkretheit bzw. Abstraktheit wissenschaftlicher Äußerungen vom Vorverständnis und von Vorkenntnissen der mutmaßlichen Leser- oder Hörerschaft abhängen. Insbesondere bei der externen Wissenschaftskommunikation kann es dabei maßgeblich auf das Alter und den Hintergrund des potenziellen Adressatenkreises ankommen.

2. Umgang mit Erwartungen

 Die zweite Empfehlung betrifft den Umgang mit bestehenden Erwartungen: Insbesondere bei Äußerungen, die auf Anfrage hin erfolgen (Stichwort: „Eilige Interviewanfragen“), sollte stets vorab geklärt werden, ob innerhalb des vom Anfragenden erwarteten Zeitrahmens eine adäquate Aussage möglich ist. Sollte dies nicht der Fall sein, wird hier empfohlen, die Anfrage abzulehnen. Das zuletzt Gesagte lässt sich sogar dahingehend verallgemeinern, dass Anfragen immer dann abgelehnt werden sollten, soweit die Erwartungen des Anfragenden vermutlich nicht erfüllt werden können. Dies gilt nicht nur in zeitlicher, sondern auch in inhaltlicher Hinsicht. So sind beispielsweise journalistische Anfragen zur Angemessenheit der Strafhöhe in einem konkreten Strafverfahren[14] teilweise nicht zu beantworten, soweit der Adressat der Anfrage nicht persönlich an der jeweiligen Hauptverhandlung teilgenommen hat.[15] Als hilfreicher und besser zu beantworten erweisen sich offen gehaltene Fragen zur strafrechtlichen oder strafprozessualen Einordnung eines bestimmten Sachverhalts. Soweit die Beantwortung von Anfragen nicht möglich erscheint, kann aber auch erwogen werden, diese Unmöglichkeit dem Anfragenden zu vermitteln und auf eine Anpassung der Erwartungshaltung hinzuwirken (z.B. durch den Vorschlag einer allgemeineren Frage).

Wichtig ist auch die Reflexion hinsichtlich der Erwartungen, die die Leser- und Hörerschaft an die Rolle des Wissenschaftlers hat. Die hier skizzierten Fälle strafrechtlicher Wissenschaftskommunikation haben die Gemeinsamkeit,  dass  Experten  im Bereich  der  Kriminalwissenschaft über entsprechende Inhalte sprechen oder schreiben.  Allerdings  kann  die  Rolle  des  Referenten  für  den  Adressatenkreis dann unklar sein, wenn sich Experten in den Sozialen Medien (z.B. auf „Twitter“) über einen Account äußern, der auch für private Inhalte genutzt wird. Hier sollte eine klare Trennung erfolgen.

3. Regeln guter wissenschaftlicher Praxis 

In diesem Zusammenhang sei wiederum an die Notwendigkeit der Einhaltung der Regeln guter wissenschaftlicher Praxis erinnert. Diese Notwendigkeit stellt sich nicht nur bei „klassischer“ Forschungsarbeit, sondern auch im Bereich des Wissenstransfers.[16] So sollte etwa in Fällen externer Wissenschaftskommunikation, die sich auf aktuelle gesellschaftliche Veränderungen bezieht, kenntlich gemacht werden, ob die strafrechtliche Diskussion noch im Fluss ist. Auch sollte verdeutlicht werden, ob es anderslautende Auffassungen zu dem betreffenden Thema gibt.[17]

V. Fazit

Strafrechtliche Wissenschaftskommunikation hat durchaus vielfältige Erscheinungsformen. Sie alle eint aber das Erfordernis, kriminalwissenschaftliche Erkenntnisse gegenüber Dritten zu vermitteln. Es bleibt zu wünschen, dass das hier skizzierte Thema der strafrechtlichen Wissenschaftskommunikation in Zukunft eingehender erforscht wird – ein Wunsch, der nicht nur die normative, sondern auch die empirische Seite betrifft.

 

[1]      Möglicherweise ließe sich dies sogar unter das Konzept des gesellschaftlichen Nutzens fassen.
[2]      Vgl. in diesem Kontext auch Seethaler/Beaufort, in: Hagen/Lüthje/Ohser, Wissenschaftskommunikation. Die Rolle der Disziplinen, 2018, S. 55 (56).
[3]      BVerfG, NVwZ 2011, 224 (227); vgl. hierzu auch Gärditz, in: Dürig/Herzog/Scholz, Grundgesetz, 95. EL (2021), Art. 5 Abs. 3 Rn. 18.
[4]      Vgl. auch allgemein zur Wissenschaftskommunikation ohne Beschränkung auf das Strafrecht Jamieson/Kahan/Scheufele, The Oxford Handbook of the Science of Science Communication, 2017; Weingart/Wormer/Wenniger u.a., Perspektiven der Wissenschafts-kommunikation im digitalen Zeitalter, 2017.
[5]      Es geht an dieser Stelle also weniger um die – zweifelsohne wichtige – Vermittlung juristischer Inhalte im Verhältnis zwischen Strafverteidigern und Mandanten etc.; vgl. hierzu und zur entsprechenden Juristenausbildung Harbarth, faz.net v. 26.1.2022,  online abrufbar unter: https://www.faz.net/aktuell/politik/wie-wir-unsere-juristenausbildung-verbessern-17753469.html?premium=0x6e5a43acc97576ed970625498f00a38b&GEPC=s5&service=printPreview (zuletzt abgerufen am 17.4.2022).
[6]      Beispielsweise strafrechtliche, kriminologische und kriminalpolitische Zeitschriften.
[7]      Man denke etwa an die in einer Tageszeitung veröffentlichte Rezension eines strafrechtlichen Buches.
[8]      Da die Grenzen zwischen interner und externer Wissenschaftskommunikation ohnehin fließend sind, ist eine exakte Bestimmung der Reichweite der jeweiligen Fachdisziplin an dieser Stelle nicht notwendig.
[9]      Demgegenüber bezieht sich das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) in einem 2019 veröffentlichten Grundsatzpapier (S. 2) auf ein engeres Verständnis der Wissenschaftskommunikation: Dieses „meint vor allem die allgemeinverständliche, dialogorientierte Kommunikation und Vermittlung von Forschung und wissenschaftlichen Inhalten an Zielgruppen außerhalb der Wissenschaft“ (im Original mit Hervorhebungen), online abrufbar unter: https://www.bmbf.de/SharedDocs/Publikationen/de
/bmbf/1/24784_Grundsatzpapier_zur_Wissenschaftskommunikation.pdf;jsessinid=B6C8318D70DC62588C28ADF45390973D.live382?__blob=publicationFile&v=4 (zuletzt abgerufen am 19.4.2022). Damit meint das BMBF der Sache nach diejenigen Formen der Kommunikation, die im vorliegenden Beitrag als externe Wissenschaftskommunikation verstanden werden.
[10]    Das Erfordernis der Allgemeinverständlichkeit findet sich auch in dem – ansonsten engeren – Begriff der Wissenschaftskommunikation im Sinne des 2019 veröffentlichten Grundsatzpapiers (S. 2) des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (vgl. hierzu Fn. 10).
[11]    Vgl. hierzu auch Neuberger/Weingart/Fähnrich u.a., Der digitale Wandel der Wissenschaftskommunikation, in: Wissenschaftspolitik im Dialog 16/2021, S. 26, online abrufbar unter: https://www.bbaw.de/files-bbaw/user_upload/publikationen/Broschuere-WiD_16_PDFA-1b.pdf (zuletzt abgerufen am 19.4.2022).
[12]    Die folgende Aufzählung ist keineswegs als abschließend zu verstehen; vgl. zu den „Voraussetzungen gelungener Rechtswissenschaftskommunikation“ auch Funk/Klatt/Potthast, RuZ 2021, 142 (152 ff.).
[13]    Vgl. Funk/Klatt/Potthast, RuZ 2021, 142 (156).
[14]    Ein Beispiel bildet etwa eine (hier anonymisierte) E-Mail-Anfrage einer Tageszeitung gegenüber dem Autor zu Strafverfahren zu mutmaßlichen Ausschreitungen im Rahmen des G20-Gipfels 2017 in Hamburg. Gefragt wurde, ob die „[…] bislang ergangenen Urteile härter ausgefallen [sind] als die in der Vergangenheit in ähnlichen Zusammenhängen ergangenen […]“.
[15]    In diesen Fällen ist es durchaus möglich, dass für Außenstehende nicht alle strafzumessungsrelevanten Gesichtspunkte i.S.d. § 46 Abs. 2 S. 2 StGB ersichtlich sind.
[16]    Funk/Klatt/Potthast, RuZ 2021, 142 (158).
[17]    Vgl. Funk/Klatt/Potthast, RuZ 2021, 142 (158).

 

 

 

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