Markus Schreiber: Strafbarkeit politischer Fake News. Zugleich eine Untersuchung zum materiell-rechtlichen Umgang mit der Informationswahrheit in Zeiten demokratiegefährdender Postfaktizität

von Prof. Dr. Anja Schiemann

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2022, Verlag Duncker & Humblot, ISBN: 978-3-428-18434-7, S. 343, Euro 89,90.

Im Mittelpunkt der Dissertation von Schreiber steht die Beobachtung, dass die Bürger in vielen Demokratien westlicher Prägung im heutigen Informationszeitalter vermehrt zu postfaktischen Denk- und Kommunikationsmustern tendieren. Diese Postfaktizität äußere sich in einer Abwendung von der demokratisch-konstitutiven Informationswahrheit bzw. zumindest in einer diesbezüglichen Gleichgültigkeit. Ziel der Arbeit sei es daher zu untersuchen, ob und falls ja, auf welche Art und Weise es Aufgabe des Rechts ist, dieser soziologischen Tendenz unter dem Gesichtspunkt des Demokratieschutzes entgegenzutreten.

Anknüpfungspunkt ist das Phänomen der Fake News. Daher wird nach der Einleitung in Kapitel 2 ein Überblick über die Begrifflichkeiten gegeben. Zunächst werden objektive und subjektive Definitionsmerkmale für den Begriff der Fake News zusammengetragen und in folgende Definition überführt: „Fake News sind unwahre und unwahrhaftige einfache Tatsachenbehauptungen, die eine wahrheitsfähige aktuelle öffentliche Fremdbeobachtung zum Gegenstand haben und sowohl einen Wahrheits- als auch einen abstrakt-quantitativen Wirkungsanspruch aufweisen, wobei ihr Kommunikator ein bestimmtes eigenes oder fremdes Interesse diverser Art verfolgt“ (S. 54). Danach wird in die Begrifflichkeit der Postfaktizität eingeführt und Grundlagen zu den Sozialen Medien aufbereitet.

Schließlich wird der politischen Instrumentalisierung von Fake News nachgespürt und die Wirkweise von Social Bots, Filterblasen und Echokammern erklärt. Zwei Gefahren werden identifiziert. Die erste Gefahr, so Schneider, beträfe die Beeinflussung der individuellen politischen Meinung eines Fake-News-Rezipienten. Die Manipulation dieser individuellen Meinung eines Bürgers erlange dann gesamtgesellschaftliche, relevante Bedeutung, wenn es sich bei der beeinflussten Person um einen Wähler handelt und dieser die Falschinformation zur Grundlage seiner persönlichen Wahlentscheidung mache. Dann sei ganz konkret der staatliche Willensbildungsprozess betroffen, dem die Legitimität beraubt wird. Allerdings, so räumt der Verfasser ein, sei eine Kausalitätsnachweis regelmäßig nur schwer nachweisbar. Die zweite demokratiegefährdende Komponente von politischen Fake News stelle auf die Konsequenzen der Falschinformationen für den demokratisch-konstitutiven Prozess der Bildung einer öffentlichen Meinung in politischen Angelegenheiten ab. Dieser öffentliche Meinungsbildungsprozess werde durch politische  Fake  News  an  zwei  Stellen  angegriffen. Einerseits werde das deliberative Ergebnis, d.h. die öffentliche Meinung an sich verfälscht. Andererseits befeuerten politische Fake News auch die immer häufiger zu beobachtende Neigung der Bürger zu einer postfaktischen Denk- und Kommunikationsweise. Je mehr Bürger zu „Postfaktikern“ mutierten, desto geringer gestalte sich die Legitimation der öffentlichen Meinung, als Stimme aller Bürger das Parlament zu kontrollieren.

Das dritte Kapitel widmet sich den Fake News im Rahmen der außerstrafrechtlichen Rechtsordnung. Zunächst wird das Spannungsfeld zwischen Fake News und dem Grundrecht auf Meinungsfreiheit aufgezeigt. Unter Auseinandersetzung mit Literatur und Rechtsprechung schließt sich der Verfasser der Rechtsprechungslinie des BVerfG an, bewusst unwahre Tatsachenbehauptungen per se aus dem Schutzbereich der Meinungsfreiheit auszuschließen. Im Hinblick auf das enorme demokratiegefährdende Potential von Fake News sei dem schutzverdoppelnden Ansatz des BVerfGzuzustimmen, mit dem eine normative Wahrheitspflicht bei Tatsachenbehauptungen begründet werde. Insofern sei auch eine Einschränkung des Rechts auf individuelle Selbstbestimmung und ein partiell positives Verständnis der Meinungsfreiheit hinzunehmen.

Im nächsten Schritt wird ein Überblick über außerstrafrechtliche Schutzmaßnahmen gegen Fake News gegeben. Anknüpfungspunkt sind zunächst die selbstregulatorischen Maßnahmen der Betreiber von Sozialen Medien auf Grundlage plattformeigener Kommunikationsregeln. Auch wenn diese mit Blick auf Hate-Speech durchaus ambitioniert seien, sei man bzgl. einer effektiven Eindämmung und Weiterverbreitung von Fake News derzeit noch um einiges zurückhaltender. Allerdings setze ein Umdenken ein. Es wäre begrüßenswert, wenn die Informations-Intermediäre einen forscheren Umgang mit Falschinformationen weiter fortführen würden und Spielräume nutzten, um Falschinformationen zu löschen.

Im Rahmen des privaten Medienrechts existierten nur wenige materiell-rechtliche Anknüpfungspunkte für ein privatrechtliches Vorgehen gegen Fake News. Die zivilrechtliche Verantwortlichkeit der Betreiber Sozialer Medien richte sich nach dem sog. Notice-and-take-down-Verfahren, welches unabhängig davon gelte, ob man einen zivilrechtlichen Anspruch gegen die Internet-Intermediäre auf Löschung bspw. über die Störerhaftung oder die allgemeinen Grundsätze zu mittelbaren Rechtsgutsverletzungen wegen einer Verkehrspflichtverletzung als begründet ansieht.

Hinsichtlich des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes wird zunächst festgestellt, dass das befürchtete „Overblocking“ nachweislich ausgeblieben sei. Allerdings könne das Gesetz mittelbar ein Beweggrund für die Internet-Intermediäre sein, ihre jeweiligen Plattformen in dem Sinne sauber zu halten, dass Fake News und Inhalte mit Hate-Speech gelöscht werden. Letztlich erweise sich das NetzDG in Bezug auf die intendierte Bekämpfung von Fake News aber als Etikettenschwindel, da sich das Gesetz infolge seines strafrechtsakzessorischen Charakters nur auf solche User Generated Contend beziehe, der tatbestandlich eines der in § 1 Abs. 3 NetzDG genannten strafrechtlichen Delikte erfülle. Dies sei bei Fake News, insbesondere solche zum Zweck einer politischen Einflussnahme, nur in äußerst limitiertem Rahmen der Fall.

Die rein zivilrechtliche Vorgehensweise berge die Gefahr, dass die Kontrolle über die vermeintliche Informationswahrheit de facto in die Hand privater Konzerne gegeben werde. Lehne man dies ab, so bleibe wohl allein eine strafrechtliche Lösung. Allerdings muss dem Verfasser hier entgegengehalten werden, dass strafrechtliche Lösungen auch nur so gut sind, wie ihre Rechtsdurchsetzungskraft. Das Problem liegt ja vor allem dahin, die Verursacher von Fake News überhaupt aufzuspüren.

In Kapitel vier überprüft der Verfasser die Strafbarkeit von Fake News de lege lata. Er stellt fest, dass das Strafrecht de lege lata nur punktuell zur Informationswahrheit verpflichtet bzw. umgekehrt Fake News untersagt. Eine strafrechtliche Ahndung von Falschinformationen sei nur dann möglich, wenn ein explizit geschütztes Individual- oder Allgemeinrechtsgut beeinträchtigt werde. Defizite offenbare das geltende Strafrecht lediglich in Bezug auf solche politischen Fake News, die neben der Informationswahrheit an sich nicht noch offenkundig die Ehre, den öffentlichen Frieden, die Strafrechtspflege u.ä. schädigen, sondern „nur“ die individuelle und öffentliche Meinungsbildung manipulierten und dadurch die Volkssouveränität und das demokratische Prinzip gefährdeten.

Die strafrechtliche Providerhaftung dagegen hält Schneider für gelungen. Sie trage der Problematik Rechnung, dass den staatlichen Behörden eine effiziente und allumfassende Durchsetzung des Strafrechts auf den Sozialen Medien allein unter quantitativen Aspekten kaum mehr möglich sei. Zudem würdige sie die „sozialnützliche“ Rolle der Internet-Intermediäre und verzichte auf eine zu weitgehende Inpflichtnahme, die im Lichte eines potentiellen Anreizes zum Overblocking auch problematisch wäre. Allerdings komme eine strafrechtliche Providerhaftung des Social-Media-Betreibers nur dann in Betracht, sofern die Fake News an sich einen Straftatbestand erfüllten.

Im nächsten Kapitel wird der Frage einer Ausweitung der Strafbarkeit von Fake News de lege ferenda nachgegangen. Einleitend wird im Rahmen kriminalpolitischer Vorüberlegungen strafrechtlicher Handlungsbedarf gesehen und drei verschiedene Regelungskonzepte vorgestellt. Das erste Konzept sieht eine generelle, d.h. von weiteren Kriterien unabhängige, Strafbarkeit der Verbreitung von Fake News vor. Das zweite restriktivere Regelungskonzept zieht eine Sanktionierung qualifizierter Arten von Fake News in Betracht. Dies könne entweder durch die Ausgestaltung als Sonderdelikt eines Garanten oder die Beschränkung auf bestimmte Tathandlungen, die besonders gefährlich sind, geschehen. Als drittes Konzept wird die punktuelle Anpassung der geltenden Straftatbestände an die Besonderheiten des Phänomens politischer Fake News erwogen.

Um die drei Konzeptionen bewerten zu können, werden zunächst grundsätzliche Parameter einer Legitimation strafrechtlicher Sanktionsnormen festgelegt. Der Verfasser nennt dies die Suche nach einer „Blaupause“ für einen rationalen Strafgesetzgeber. Schon die Entwicklung einer solchen Blaupause wäre eine eigene Monografie wert gewesen. Doch auch die skizzenhaftere Darstellung im Rahmen der Dissertation überzeugt.

Zunächst sei nach einer verfassungsmäßigen primären Verbotsnorm zu fragen. In einem nächsten Schritt sei zu untersuchen, ob und in welcher tatbestandlichen Ausgestaltung zu ihrer Durchsetzung/Etablierung unter dem ultima ratio Gedanken auch strafrechtliche Sanktionsnormen legitimierbar seien. Hierbei sei der Fokus zunächst darauf zu richten, ob das Verhalten auch die absolute Schranke der sozialethischen Verwerflichkeit überschreite. Anschließend hieran sei die strafrechtliche Sanktionsnorm auf ihre Verfassungsmäßigkeit hin zu überprüfen, d.h. am verfassungsrechtlichen Maßstab der Verhältnismäßigkeit zu messen. Hier sei im Rahmen einer legitimen Zielsetzung der Strafbewehrung die materielle Rechtsgutslehre als kriminalpolitische Leitlinie zu beachten. Zum Schutz dieses konzipierten Rechtsguts müsse eine Pönalisierung schließlich auch geeignet sein. Insbesondere sei dessen strukturelle Präventionseignung zu prüfen. Diese sei nur dann zu bejahen, wenn das zu pönalisierende Verhaltensverbot auch tatsächlich dazu beitrage, das zu schützende Rechtsgut vor Verletzungen abzuschirmen. Hier sei insbesondere auch dem Bestimmtheitsgebot Rechnung zu tragen. Gelänge eine entsprechend bestimmte und somit geeignete Formulierung eines Straftatbestands, sei sodann die Erforderlichkeit einer Kriminalisierung zu prüfen und der Ultima-ratio Gedanke zu berücksichtigen.

Halte das zu beurteilende kriminalpolitische Regelungskonzept diesem Effizienzvergleich stand, schließe sich zuletzt die Prüfung der Angemessenheit an. Die Abwägung müsse stattfinden zwischen zweckrelevanten Faktoren, die sich auf das geschützte Rechtsgut bezögen und eingriffsrelevanten Faktoren, die die Folgen einer Strafbewehrung für verschiedene verfassungsrechtliche (Freiheits-)Garantien abbildeten.

An dieser Blaupause misst Schneider nun die drei kriminalpolitischen Regelungskonzepte zur strafrechtlichen Ahndung von Fake News. Eine generelle Kriminalisierung der aktiven Verbreitung von Fake News ohne einschränkende Tatbestandsvoraussetzungen stuft der Verfasser als illegitim ein und lehnt diese ab. Strafrecht müsse die Verbreitung von Fake News zwar nicht gutheißen, dürfe sie aber auch nicht untersagen, solange die Falschinformationen schadensindifferent sind und keine negativen Auswirkungen auf schützenswerte Individual- oder Allgemeininteressen hätten. Auch ein Fake-News-Sonderdelikt zum Schutz der individuellen und öffentlichen Meinungs- und Willensbildung bzw. zur Eindämmung demokratieschädlicher Postfaktizität sei – gemessen an der zuvor konzipierten Blaupause – derzeit nicht legitimierbar. Es fehle an der strukturellen Präventionseignung sowie an der Erforderlichkeit. Zuvor müssten empirische Analysen belegen, dass in Deutschland tatsächlich wiederholt Fälle auftreten, in denen die betreffenden Garantiepersonen Fake News lancieren, die geeignet sind, Wahlberechtigte bei der Ausübung ihres Wahlrechts in einem bestimmten Sinn zu beeinflussen. Auch was das Konzept der punktuellen Anpassung bestehender Straftatbestände an die Besonderheiten politischer Fake News anbelange, bedürfe es keiner weiteren Ergänzungen. Allein eine Pönalisierung solcher Fake News sei sinnvoll, die einerseits inhaltlich geeignet sind, individuelle Wahlentscheidungen der Bürger in einem bestimmten Sinn zu manipulieren und andererseits unter „Verwendung eines reichweitevergrößernden Computerprogramms“ lanciert werden (S. 312). Die Ahndung derartiger qualitativ und quantitativ qualifizierter politischer Fake News, die politischen Einfluss durch Falschinformation ausüben würden, sei nach Ansicht des Verfassers nicht nur praktikabel in der Rechtspraxis, sondern auch unter Berücksichtigung der entwickelten Blaupause legitimierbar.

Der entsprechende de lege ferenda Vorschlag lautet wie folgt: „Wer wider besseres Wissen öffentlich eine unwahre Tatsache mit Wahrheitsanspruch, die geeignet ist, Wahlberechtigte bei der Ausübung ihres Wahlrechts in einem bestimmten Sinn zu beeinflussen, unter Verwendung eines reichweitevergrößernden Computerprogramms behauptet oder verbreitet, wird (…) bestraft“ (S. 293).

Insofern schließt Schneider – zu Recht – aufgrund des Ultima-ratio Gedankens bestehende Strafbarkeitslücken im Zusammenhang mit politischen Fake News nur sehr maßvoll und unter Zuhilfenahme restriktiver Tatbestandserfordernisse. Er betont, dass zwischen Meinungsfreiheit und Faktenfreiheit zu unterscheiden sei und das materielle Recht auch in Zeiten zunehmender Postfaktizität nur äußerst begrenzt gegen politische Fake News vorgehen bzw. umgekehrt Informationswahrheit institutionalisieren dürfe. Schon jetzt gäbe es rechtsübergreifend Schutz, so dass die Kriminalpolitik sich in Zurückhaltung üben solle. Dies ist sicher richtig und wird durch die vom Verfasser entwickelte Blaupause gestärkt. Diese könnte in weiteren Schriften noch etwas angereichert werden, hat aber auf jeden Fall „das Zeug dazu“, Gesetzesvorhaben einem Überprüfungsmaßstab zu unterziehen. Insofern lohnt sich die Lektüre dieser Dissertation nicht nur für diejenigen, die an der Frage des (straf-)rechtlichen Umgangs mit Fake News interessiert sind, sondern für alle, die sich mit Kriminalpolitik beschäftigen sowie die Forderung eines fragmentarischen Strafrechts unter dem Ultima-ratio Gedanken ernst nehmen.

 

 

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