Theodor Lammich: Fake News als Herausforderung des deutschen Strafrechts

von Prof. Dr. Anja Schiemann

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2022, Verlag Duncker & Humblot, ISBN: 978-3-428-18475-0, S. 298, Euro 89,90.

In seiner Dissertation (Bearbeitungsstand: März 2021) spürt Lammich dem Phänomen der Fake News nach und setzt diese in den Kontext strafrechtlicher Aufarbeitung. Hierzu wird der Unrechtsgehalt ermittelt sowie der Frage der Strafbarkeit von Fake News de lege lata et ferenda nachgegangen. Die identifizierten Strafbarkeitslücken werden abschließend in konkrete Formulierungsvorschläge überführt.

Zunächst führt der Verfasser in die Thematik ein, indem er einen Überblick über die Grundlagen und Begrifflichkeiten gibt. Insbesondere werden die verschiedenen sozialen Netzwerke vorgestellt und in die Grundanwendungen der Informationsverbreitung in sozialen Netzwerken eingeführt. Danach folgen die Definition und Ausprägungen von Fake News. Ausgehend von einer sprachwissenschaftlichen Analyse, werden sodann die bisherigen definitorischen Ansätze wiedergegeben. Anschließend werden geläufige Fallbeispiele erörtert wie Pizzagate, die Künast-Zitate u.a., um hierauf aufbauend Spezifika zusammenzufassen und eine eigene Definition zu entwickeln. Die Spezifika werden unterteilt in die Untersuchungsgegenstände Inhalt, Gestaltung, Akteur und Übertragungswege. Diese werden wiederum überführt in eine Definition von Fake News für den folgenden Untersuchungsgang:

„Fake News sind digitalisiert manifestierte, inhaltlich falsche Tatsachenbehauptungen, welche trotz positiver, zweifelloser Kenntnis der Unwahrheit geschaffen werden, um unter Ausnutzung der durch soziale Netzwerke gewährleisteten Möglichkeiten der viralen Verbreitung durch gut- und bösgläubige Dritte eine möglichst große Anzahl Rezipienten über die getroffene Behauptung zu täuschen. Gegenstand der Tatsachenbehauptung können, auch nebeneinander, das Verhalten einer Person der Öffentlichkeit, das Verhalten einer staatlichen Institution, eine neuartige wissenschaftliche Erkenntnis oder ein Unglücksgeschehen sein. Zur Generierung von Glaubwürdigkeit missbrauchen Fake News fremde Autoritäten oder ahmen diese in ihrer Aufmachung nach. Weit überwiegend handelt es sich bei den missbrauchten oder nachgeahmten Autoritäten um solche der journalistischen Berichterstattung. Die Motive des staatlichen oder nichtstaatlichen Urhebers zur Schaffung von Fake News sind oftmals an politischen oder wirtschaftlichen Interessen gekoppelt, hierauf aber nicht beschränkt“ (S. 89). Die Definition scheint etwas sperrig, gibt aber ein sehr differenziertes Bild.

Im weiteren Verlauf grenzt der Verfasser seinen Fake-News-Begriff  von  diversen  artverwandten Phänomenen, wie Internet-Hoax, Zeitungsente und Nachrichtensatire ab. Angereichert werden diese Abgrenzungen um Erkenntnisse aus der empirischen Forschung und außerstrafrechtlichen Maßnahmen gegen Fake News. Zu konstatieren ist, dass die Aussagekraft empirischer Erkenntnisse zu den Auswirkungen von Fake News im Wählerverhalten, wirtschaftlichen Vorgängen und in der Pandemiebekämpfung eher eingeschränkt ist. Der Verfasser ist der Auffassung, dass dies der schwierigen begrifflichen Fassung des Untersuchungsgegenstands, den methodischen Grenzen aber auch den methodischen Mängeln in der bisherigen Fake-News-Forschung unterschiedlichster Disziplinen geschuldet ist. Es sei insbesondere kaum zu erfassen, inwieweit Fake News tatsächlich verhaltenssteuernd wirken. Hier wäre ausblickend danach zu fragen, wie die empirische Forschung an dieser Stelle psychologische Grundlagenarbeit leisten könnte.

Lammich beklagt, dass gerade außerstrafrechtliche politische Maßnahmen durch den Zeitfaktor nicht hinreichend wirksam seien. Dabei spiele dieser gerade aufgrund der viralen Verbreitung von Fake News eine entscheidende Rolle und könne perspektivisch nur durch den Einsatz autonom handelnder Programme gestemmt werden. Zwar, so der Verfasser, werden seitens der Betreiber sozialer Netzwerke erhebliche Investitionen in die KI-Forschung getätigt, eine zufriedenstellende Lösung sei jedoch nicht in Sicht.

Im dritten Kapitel widmet sich Lammich dem Unrecht von Fake News. Dieses sehr schmale Kapitel zeigt auf, welche rechtlich relevanten Interessenbeeinträchtigungen durch das Fake-News-Phänomen entstehen. Im Ergebnis seien das Interesse am Schutz der sozialen Identität, das Interesse am Schutz der demokratischen Wahl, das Interesse am friedfertigen Gesellschaftsklima, das Interesse an der unverfälschten Preisbildung am Kapitalmarkt und das Interesse an der Gesunderhaltung in rechtlich erheblicher Weise betroffen. Dies ist sehr weitgehend und belegungsbedürftig.

Der Verfasser ist der Auffassung, dass sich das spezifische Unrecht von Fake News aus dem Zusammenspiel der Gefährlichkeit von typischen Umständen der Schaffung, Verbreitung und Rezeption von Fake News sowie die eingeschränkte Möglichkeit der Beseitigung des schadensauslösenden Irrtumszustands bei den Rezipienten ergibt. Letztlich könnten auch vermeintlich anspruchsvolle Erscheinungstypen von Fake News mit geringer technischer Kompetenz schnell und ohne nennenswerte Kosten geschaffen werden. Diese Schnelligkeit erschwere die Rückverfolgbarkeit.

Im vierten Kapitel, das durchaus als Herzstück der Dissertation betrachtet werden darf, geht es um die Frage der Strafbarkeit von Fake News de lege lata. Hierzu werden zunächst Verhaltensweisen von einer näheren Betrachtung ausgeschlossen, bei denen es nicht um Fake-News-Inhalte im Besonderen geht, sondern um vorbereitende Maßnahmen einschließlich der Gestaltung von Zusammenhängen.

Zunächst wird der Angriff auf die soziale Identität beleuchtet und festgestellt, dass durch die Regelungen der §§ 185 ff. StGB, § 164 StGB, § 145d StGB, § 165 StGB und § 200 StGB ein nahezu lückenloses Konzept bestehe, dass auch den unterschiedlichen Spezifika von Fake News gerecht werde. Dazu gehöre zum einen die Berücksichtigung von Personengruppen, die aufgrund ihrer ausgeprägten Vulnerabilität besonders häufig Angriffen durch Fake News ausgesetzt sei, wie bspw. Politiker. Zudem könnten die Grundsätze der öffentlichen Begehung i.S. der §§ 186 ff. StGB fruchtbar gemacht werden.

Eine echte Strafbarkeitslücke herrsche bei der Handhabe der Sachverhaltsinhalte, in denen eine kompromittierende Sachlage geschaffen werde. Dass das Strafrecht durchaus in der Lage sei, das Schaffen solcher kompromittierender Sachlagen unter Strafe zu stellen, zeige die Strafbarkeit nach § 201a Abs. 2 StGB. Insofern sei ein inkonsequenter Ehrschutz in Bezug auf die Verbreitung von Fake News festzustellen.

Weiterer Untersuchungsgegenstand ist der Angriff auf die demokratische Wahl. Hier seien lediglich Falschmeldungen hinsichtlich des Wahlprozederes pönalisiert. Dagegen sei das Provozieren von wahlbezogenen Motivirrtümern durch das Steuern von Falschbehauptungen strafrechtlich irrelevant. Der Verfasser vermutet, dass diese Strafbarkeitslücke mit dem wahlprüfungsrechtlichen Dogma der Toleranz gegenüber Lügnern im Wahlkampf einhergeht. Allerdings fände dieses bei genauerer Betrachtung der Grundrechte keine verfassungsrechtliche Stütze. Jedenfalls die bewusste Verbreitung von Fake News zur Manipulation der politischen Meinungsbildung sei zu pönalisieren, so Lammich.

Nächster Punkt ist die Frage nach dem Angriff auf das friedfertige Gesellschaftsklima durch Fake News. Diese könnten, so der Verfasser, durch § 130 Abs. 1 StGB erfasst werden. Der Vorwurf, dass § 130 StGB in seiner aktuellen Fassung nicht adäquat auf die Herausforderungen des digitalen Zeitalters reagieren könne, sei hinsichtlich seiner offenen Formulierung nicht haltbar.

Die Frage nach dem Angriff auf den Kapitalmarkt durch Fake News, wird de lege lata auch positiv bewertet. So könne das Strafrecht insbesondere durch den Straftatbestand der Marktmanipulation nach §§ 119 Abs. 1, 120 Abs. 15 Nr. 2 WpHG reagieren. Hinsichtlich des Angriffs auf die Gesundheit und die Implikationen der COVID-19 Pandemie wird auf § 14 HWG Bezug genommen. Die Strafbarkeit scheitere aber an der fehlenden Absatzförderungsabsicht, bei §§ 223 ff. StGB an der Zurechenbarkeit des Verhaltens des verbreitenden Akteurs. Eine Strafbarkeitslücke sei aber nicht zu erkennen.

Im fünften Kapitel wird der Strafbarkeit von Fake News  de lege ferenda nachgegangen und schon einleitend festgestellt, dass im Hinblick auf die strafrechtliche Handhabe von Fake News eine grundsätzlich lückenlose Strafbarkeit und angemessene Strafdrohung im Raum stehe. Dennoch: Handlungsbedarf zeige sich für spezielle Fallkonstellationen (S. 228). Daher spricht sich der Verfasser für eine gezielte Ergänzung des Strafrechts dergestalt aus, dass auch Sachverhalte erfasst werden, in denen die Verbreitung von Fake News über die Wahrheitswidrigkeit hinaus rechtlich relevante Interessen strafwürdig verletzen.

Insofern werden folgende de lege ferenda Vorschläge gemacht:

㤠187a Verleumderische Inszenierung

Wer außer in den Fällen des § 187 wider besseres Wissen eine falsche Tatsache vorspiegelt, die einen Irrtum über eine Handlung eines anderen erregt, der dazu geeignet ist, den anderen verächtlich zu machen oder in der öffentlichen Meinung herabzuwürdigen, wird mit Freiheitsstrafe …“ (S. 230).

Als Zusatz zu § 188 StGB wird in Abs. 2 folgendes vorgeschlagen: „Eine Verleumdung (§ 187) und eine verleumderische Inszenierung (§ 187a) wird unter den gleichen Voraussetzungen mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren bestraft“ (S. 231). Alternativ, so der Verfasser, wäre es auch möglich, das Verhalten einer Verleumdung gleichzustellen.

Im Hinblick auf die Strafbarkeit der Vorfeldmanipulation orientiert sich Lammich an § 264 ö-StGB. Er möchte insoweit § 108a StGB, die Wählertäuschung, um einen zweiten Absatz ergänzen: „Wer außer in den Fällen des Absatzes 1 öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten eines Inhalts (§ 11 Absatz 3) wider besseres Wissen eine unwahre Tatsache behauptet, um einen anderen dazu zu bewegen, sein Wahlrecht nicht oder in einem bestimmten Sinne auszuüben, wird, wenn die Tat in einer Weise begangen wird, die eine den bezweckten Erfolg verhindernde Gegendarstellung nicht möglich macht, mit Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten oder mit Geldstrafe bestraft…“ (S. 233 f.). Diese Formulierung mutet etwas sehr komplex an.

Insgesamt bescheinigt der Verfasser dem Strafrecht eine gewisse Zukunftsfähigkeit im gegenwärtigen Informationszeitalter, weist aber auch darauf hin, dass Strafbarkeitslücken stets ein Grund zur Besorgnis seien (S. 243). Andererseits, so die Auffassung der Rezensentin, ist es angesichts des fragmentarischen Charakters des Strafrechts gar nicht notwendig, jede Strafbarkeitslücke zu schließen. Die festgestellten Strafbarkeitslücken im Zusammenhang mit Fake News sind zudem eher marginal. Besorgnis sollte eher erregen, dass Fake News sich so rasant verbreiten können. Hier gilt es – ggf. auch mit KI – gegenzusteuern und eine effektive Bekämpfung und Löschung von Fake News zu ermöglichen sowie mit Aufklärungskampagnen die Anfälligkeit für solche Falschmeldungen zu reduzieren.

 

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