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KriPoZ-RR 14/2024

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

Redaktioneller Leitsatz:

Auch chirurgische Instrumente, die bestimmungsgemäß von ausgebildetem medizinischem Personal verwendet werden, begründen eine besondere Gefährlichkeit und sind demnach als gefährliches Werkzeug i.S.d. § 224 Abs. 1 Nr. 2 Var. 2 StGB zu qualifizieren.

Sachverhalt:

Die Angeklagte litt unter dem selten vorkommenden sog. Münchhausen-Stellvertreter-Syndrom, einer psychischen Störung, die sie dazu veranlasste, bestimmte Krankheitssymptome ihrer Kinder gegenüber Ärzten und ihrem sozialen Umfeld vorzutäuschen oder gar zu fingieren, um hierdurch nicht indizierte medizinische Eingriffe zu veranlassen. Hierdurch wollte sie Wertschätzung von Dritten erfahren.

Die Angeklagte veranlasste bei ihrer Tochter M. durch bewusst falsche Angaben die Aufnahme in ein Krankenhaus, um tatsächlich nicht bestehende Darmstörungen behandeln zu lassen. Aufgrund der falschen Angaben wurde ihrer Tochter unter Vollnarkose und durch das Aufschneiden der Bauchwand ein künstlicher Darmausgang gelegt. Die Angeklagte wusste, dass diese Operation für ihre Tochter potenziell lebensgefährlich war.

Bezüglich ihrer jüngsten Tochter A. gab die Angeklagte wahrheitswidrig an, dass diese Atmungs- und Trinkprobleme habe. Wie von ihr beabsichtigt, wurde ihr in dem weiteren Verlauf eine PEG-Sonde eingelegt. Dies konnte nur mittels einer Operation durchgeführt werden, in der die Bauchdecke des Säuglings durchgestochen wurde. Auch bei dieser Operation nahm die Angeklagte die Lebensgefährlichkeit der Behandlung in Kauf. In der Folge entschloss sich die Angeklagte, das für die PEG-Sonde vorgesehene Sondennahrung der A. teilweise vorzuenthalten. Hierdurch wollte sie erzwingen, dass ihre Tochter erheblich an Gewicht verliert und dadurch erneut medizinisch behandelt wird; andauernde körperliche Schmerzen nahm sie hierbei in Kauf. Nachdem der Säugling aufgrund einer erheblichen Unterernährung eingeliefert wurde, kam es schließlich durch das misstrauisch gewordene Pflegepersonal zu der Trennung der Angeklagten von A.

Das LG hatte die Angeklagte wegen Misshandlung von Schutzbefohlenen in drei Fällen, jeweils in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung, unter Einbeziehung der Geldstrafe aus einer Vorverurteilung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt.

Entscheidung des BGH:

Die auf die Rüge der Verletzung materiellen und formellen Rechts gestützte Revision der Angeklagten hat keinen Erfolg und ist offensichtlich unbegründet i.S.d. § 349 Abs. 2 StPO.

Nach Ansicht des Senats könne es dahinstehen, ob das Verhalten der Angeklagten die objektiven Voraussetzungen des § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB erfülle; jedenfalls könne nicht hinreichend belegt werden, dass die subjektive Komponente vorlag. Jedoch tragen die Urteilgründe eine Strafbarkeit gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 2 Var. 2 StGB hinsichtlich der erfolgten operativen Eingriffe. Ein gefährliches Werkzeug sei ein Tatmittel, das nach seiner objektiven Beschaffenheit und der Art seiner Verwendung im Einzelfall dazu geeignet ist, erhebliche Körperverletzungen herbeizuführen. Die chirurgischen Instrumente, die beim Durchtrennen bzw. Durchstechen der Bauchwand benutzt wurden, erfüllen diese Voraussetzungen.

Die bisherige Rechtsprechung zu § 223a StGB in Bezug auf diese Problematik stehe dieser Auslegung nicht entgegen. Lege artis genutzte Instrumente wurden demnach unabhängig von ihrer konkreten Verwendungsweise einem Messer oder anderem gefährlichen Werkzeug gem. dem § 223a StGB nicht gleichgestellt. Auf diese bisherige Rechtsprechung kann seit der nun geltenden Gesetzesfassung des § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB vom 1. April 1998 jedenfalls bei der Nutzung von chirurgischen Instrumenten bei medizinisch nicht indizierten Eingriffen nicht zurückgegriffen werden.

Diese Bewertung unterstütze der Wortlaut des § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB, wonach ein anderes gefährliches Werkzeug kein Beispiel für eine Waffe darstelle, sondern vielmehr eine Waffe als Unterfall eines gefährlichen Werkzeugs zu betrachten sei. Ein gefährliches Werkzeug setze aber in Abgrenzung zu einer Waffe gerade nicht voraus, dass dieses zum Einsatz als Verteidigungs- oder Angriffsmittel bestimmt sei. Soweit nur auf die potenzielle Gefährlichkeit abgestellt werde, könne ein regelgerecht eingesetztes chirurgisches Instrument nicht aus dem Anwendungsbereich des § 224 Abs. 1 Nr. 2 Var. 2 StGB ausgeschlossen werden.

Dafür streite die Gesetzessystematik. Auch in anderen strafrechtlichen Vorschriften sei das Tatbestandsmerkmal des „anderen gefährlichen Werkzeugs“ zu finden, vgl. § 177 Abs. 7 u. Abs. 8 StGB, § 244 Abs. 1 StGB). Hierbei bestehe Einigkeit, dass ein gefährliches Werkzeug keine Bestimmung als Angriffs- oder Verteidigungsmittel voraussetze. Es reiche aus, dass der Gegenstand objektiv geeignet ist, erhebliche Verletzungen herbeizuführen. Dieses Ergebnis entspreche auch einer teleologischen Auslegung. Alle Begehungsvarianten des § 224 StGB zeichne eine besonders gefährliche Begehungsweise aus. Dies sei gerade auch bei dem lege artis Einsatz von chirurgischen Instrumenten gegeben.

Einer Vorlage nach § 132 Abs. 2 GVG sei nicht notwendig, da die rechtliche Grundlage der bisherigen Rechtsprechung seit dem Wegfall des § 223a StGB nicht mehr bestehe.

 

 

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