von Dr. Markus Hirte, LL.M. und Prof. Dr. Mustafa Temmuz Oğlakcıoğlu
I. Einleitung
Am 10.8.2024 veranstaltete das Mittelalterliche Kriminalmuseum Rothenburg o.d.T., Europas bedeutendstes Rechtskundemuseum, sein drittes kulturhistorisches Symposium in Kooperation mit dem Taubertal-Festival.[1] Thematisch widmete sich die Tagung dieses Mal dem Oberthema „Natur und Umwelt“, konkret der Symbiose von Musik und Natur in Geschichte und Recht.[2] Entsprechend interdisziplinär fiel dann auch das „Line-Up“ der Referierenden aus, bei dem Vertreter:innen aus der Musikbranche, Kultur- und Strafrechtswissenschaft zusammentrafen. Als Neuerung wurde erstmals im Vorfeld der Veranstaltung ein studentischer Essay-Wettbewerb in Kooperation mit Prof. Dr. Mustafa Temmuz Oğlakcıoğlu (Universität des Saarlandes) initiiert und den Gewinnern die Möglichkeit einer Präsentation ihres Essays coram publico geboten.Dr. Markus Hirte skizzierte in seiner Eröffnungsrede die beiden Themenblöcke der Veranstaltung. Die erste Sektion widmete sich Musik und Natur(-schutz) von ihren frühen Anfängen bis zum aktuellen Line-up des Taubertal-Festivals 2024. Zudem wurde die Musik als soziale Praxis und gesellschaftliches Teilsystem mit den jeweiligen rechtlichen Implikationen beleuchtet, die von Fragen des Arten- und Tierschutzes beim Musikinstrumentenbau über Energieverbrauchsdebatten bei Großveranstaltungen zu Immissions- und Tierschutzfragen bei Open-Air Veranstaltungen in der Natur bis hin zu urheberrechtlichen Fragen der Verwendung von Naturklängen in Geo- und Biophonie reichen könnten.[3] Hingegen sollte in der zweiten Sektion der Schwerpunkt im Strafrecht liegen, mithin wurden Fragen beleuchtet, welche die Rolle der Strafverfolgung und der Kriminalsanktion im Hinblick auf den Naturschutz betrafen.
II. Natur und Musik
Prof. Dr. Thomas Potthast (Universität Tübingen) widmete sich der Wiedergabe der Natur im politischen Lied. Der Bioethiker betonte einen Wahrnehmungswechsel zwischen der politischen Chormusik des vergangenen Jahrhunderts und der Naturschutzbewegung der 1970er. Die Natur als anthropozentrisches Mittel zum Zweck sei einer relationalen, zugleich anthropo-relationalen Idee einer „partnerschaftlichen“ Ethik gewichen. Am Anfang stünde die Wandervogelbewegung im 19. Jahrhundert. Diese sei nicht nur der Natur verbunden gewesen, sondern auch geprägt durch den Kulturkampf zwischen Bürgertum und Arbeiterschaft. Dieser Konflikt spiegele sich in den Texten, der Musik und Darbietungsform wider. Die Lieder des Kulturkampfes seien in den 1970ern durch das linke Spektrum ironisiert in die heutige Zeit übernommen worden. Als Beispiel brachte Potthast unter anderem das Singen des nationalsozialistischen „Mercedes-Benz-Marsches“ am Eingang der Daimler-Benz Aktionärsversammlung 1996. Mit dem Verweis auf sich neu ergebende Spannungsfelder verwies Potthast auf die Frage nach kultureller Aneignung durch die Verwendung von alten jüdischen oder afrikanischen Liedern als Kampfhymnen in der linken Szene. Er schloss frei nach Ernst Bloch mit der Bemerkung, dass der Ton und die Natur ansprächen, was im Menschen und der Gesellschaft noch stumm sei. Die Ausführungen Anja Bergermanns, M.A., Kulturmanagerin im Kriminalmuseum, bildeten die Überleitung zum Taubertal-Festival. Sie nahm auf Liedtexte, Aussagen und (Bühnen-)Darstellungen verschiedener Künstler:innen des Line-Ups wie Deichkind, Alligatoah und Beatsteaks Bezug und analysierte diese auf deren Wahrnehmung der Natur und der Umsetzung des Naturschutzes.
Den Abschluss des ersten Themenkomplexes bildete eine Diskussionsrunde mit Florian Zoll, Pressesprecher des Taubertal-Festivals, und Florian Vogel, dem Umweltbeauftragten des Festivals. Dabei setzten sie sich mit den Vorteilen des Taubertals als Festival-Location für eine möglichst naturschutzsensible Umsetzung genauso auseinander wie mit den Konflikten, die sich dadurch ergeben.
III. Natur und Recht
Die zweite Sektion stand ganz im Zeichen des Kriminalstrafrechts: Den Start machte Prof. Dr. Hans Kudlich (Universität Erlangen-Nürnberg) mit einer Analyse des Schutzes der Umwelt durch das Strafrecht bei der Altfahrzeugrestauration. In bestimmten Konstellationen könne für Amateur-Autobastler § 326 StGB Relevanz entfalten, dem Tatbestand des unerlaubten Umgangs mit Abfällen. Der Fokus richtete sich hierbei zunächst auf den Abfallbegriff nach § 3 KrWG (und damit auch auf die diesbezüglich anerkannte Gegenüberstellung eines objektiven und subjektiven Abfallbegriffs).
Ersterer, sog. Zwangsabfall, wiederum sei bei alten Autos besonders problematisch: Denn dieser Begriff stelle nach § 3 Abs. 4 KrWG darauf ab, dass ein Stoff/Gegenstand nicht mehr nach seiner Zweckbestimmung verwendet werden kann und geeignet ist, die Umwelt zu gefährden. Ab wann bei einem PKW mit Restaurationsbedarf die Zweckbestimmung wegfalle, könne unklar sein. Dabei könne bspw. dem Aufbewahrungsort des PKW eine wichtige Indizfunktion zukommen. Wenn nämlich durch einen ungeschützten Aufenthaltsort weitere Schäden zu befürchten sind, spräche dies für einen Wegfall der Zweckbestimmung. Ebenso stelle sich die Frage, wann einem solchen Wagen Schadenseignung zugesprochen werden könne. Nach einer kurzen Darstellung eines Urteils des OLG Stuttgart, das letztlich solch einen Fall betraf (NStZ 2024, 238), machte Kudlich schließlich auf den Widerspruch aufmerksam, dass bei nachfolgender Sicherungs- und Beseitigungsbemühungen verwaltungsrechtliche und strafrechtliche Beurteilung divergiere, da insofern auf unterschiedliche Zeitpunkte abgestellt werde.
Prof. Dr. Brian Valerius (Universität Passau) widmete sich dem Spannungsfeld zwischen Klimaaktivismus und Strafrecht. Er setzte sich zunächst mit dem Phänomen des „Tyre Extinguishing“ auseinander, bei dem Aktivist:innen SUVs die Luft aus den Reifen lassen. Ziel sei es, mittels eines „Bekennerschreibens“ auf die Auswirkungen von SUVs auf das Klima aufmerksam zu machen. Rechtlich sei hier zunächst an Sachbeschädigung zu denken, § 303 StGB. Das Entleeren der Luft sei eine Aufhebung der bestimmungsgemäßen Brauchbarkeit. Zu beachten sei die Bagatellschwelle, welche laut BGH aber bereits überschritten sei, wenn die Wiederherstellung des früheren Zustandes einen nicht geringen Aufwand an Zeit, Arbeit oder Kosten verlange. Dies sei praktisch dann (und nur dann) nicht der Fall, wenn sich eine Aufpumpstation direkt daneben befände. Als Nächstes ging Valerius auf die sogenannten „Klimakleber“ ein. Das Festkleben auf der Straße, um damit einen Stau zu provozieren, verletze die persönliche Willensbetätigungsfreiheit der Autofahrer:innen und sei mit der sog. „Zweite-Reihe-Rechtsprechung“ des BGH auch als Gewalt gem. § 240 StGB einzustufen. Das Merkmal der Verwerflichkeit sei bei Versammlungen im Lichte von Art. 8 GG anhand der Intensität der Blockade und des Bezugs zum Versammlungsthema jeweils für den Einzelfall zu bewerten. Fernziele hätten bei der Betrachtung vollständig außen vor zu bleiben. Auf den Rechtfertigungsgrund der Notwehr, § 32 StGB, könnten sich die Klimaaktivist:innen nicht berufen, weil schwerlich eine „Nothilfe“ zugunsten eines überindividuellen Interesses angenommen werden könne. Bezüglich eines rechtfertigenden Notstandes, § 34 StGB, bestünden große Zweifel an der Geeignetheit und der Erforderlichkeit. Die Figur des zivilen Ungehorsams könne bereits begriffslogisch nicht greifen.
Im Anschluss entstand eine lebhafte Diskussion darüber, ob die Strafzwecke bei Überzeugungstäter:innen wie der sog. „Letzten Generation“, denen es gerade auf die Normübertretung ankommt, noch erreicht werden könnten. Während Oğlakcıoğlu dies kritisch sah, verwies Valerius auf das Prinzip der Normgeltung, das Milderungen oder dem Absehen von Strafe hier entgegenstehe.
Als letzten Teil des Symposiums stellte Oğlakcıoğlu die drei Gewinner des Essay-Wettbewerbs zu dem Thema „Sounds and Nature“ vor und leitete damit über zu deren Impulsvorträgen: Daniela Kolland untersuchte mögliche deutsche Umweltstraftaten in Kontext von Superyachten. Das Beispiel eignete sich hervorragend, um die besonderen Schwierigkeiten aufzuzeigen, die sich im Kontext der Verfolgung von Umweltstraftaten (sowohl materiell-rechtlich als auch tatsächlich, Stichwort: Strafanwendungsrecht) ergeben können. Jonas Guth beschäftigte sich mit dem Begriff und Phänomen des Ökozids: Er ging hierbei v.a. auf die Frage ein, welche Herausforderungen ein eigener Straftatbestand im Völkerstrafrecht mit sich brächte und führte dies anhand eines Entwurfs der Stop Ecocide Foundation vor. Robin Kaltenhauser, der für seinen Beitrag den ersten Platz erhielt, diskutierte, inwieweit die Verursachung von Klimaflucht als Verbrechen gegen die Menschlichkeit nach Art. 7 IStGH-Statut ausgelegt werden könnte. Im Ergebnis verneinte er dies, und machte darauf aufmerksam, dass die einschlägigen Delikte historisch nicht zur Verfolgung von Umweltstraftaten angelegt seien.
Danach schloss Hirte das Symposium nach einer Zusammenfassung der Vorträge mit einem Verweis auf Chancen und Risiken und aktuelle internationale Debatten um die Rechtssubjektsqualität von Flora und Fauna, mit einem Fokus auf Biotope in Neuseeland und Kolumbien. Viele Teilnehmende ließen das Symposium bei angenehmem Spätsommerwetter dann auf dem Taubertal-Festival ausklingen zu lassen. Das vierte Symposium zu Musik, Recht und Geschichte ist für August 2026 geplant.
[1] Zum Museum und der Symposiumsreihe vgl. Hirte, in: ders., 100 Jahre Mittelalterliches Kriminalmuseum. Festschrift zum Museumsjubiläum, 2021, S. 19 ff. (44 ff.). Wir bedanken uns bei Armin Leidel (OLG Nürnberg) und Paul Schühle (Universität Tübingen) für die Unterstützung bei diesem Beitrag.
[2] Für die Berichte zu den Tagungen 2018 und 2019 siehe Hirte, MschrKrim 101 (2018), 478 ff. und Hirte/Wilfling, MschrKrim 102 (2019), 315 ff.
[3] Vgl. dazu Meisch/Potthast/Fischer u.a., Natur und Landschaft 2020, 500 ff.