Die Entscheidung im Original finden Sie hier.
Redaktioneller Leitsatz:
Insbesondere, wenn trotz einer Stichverletzung am Oberbauch das Opfer sich noch weiter fortbewegt und der Täter das erkennt, kann noch ein unbeendeter Versuch in Betracht kommen; entscheidend ist die subjektive Vorstellung des Täters.
Sachverhalt:
Aufgrund einer vermeintlichen Belästigung zweier Frauen in einer Diskothek entbrannte in dieser eine Schlägerei. Hierbei entschied sich der Angeklagte, nachdem dessen Freund von dem Nebenkläger ins Gesicht geschlagen wurde, auf den herantretenden Bruder des Nebenklägers zu springen, woraufhin beide zu Boden fielen. Im Folgenden zückte der Angeklagte ein Messer und stach dem Bruder des Nebenklägers und auch dem Nebenkläger selbst jeweils in den Oberbauch. Nach dem vollzogenen Stich bewegte sich der Nebenkläger noch einige Momente auf der Tanzfläche, bevor dieser bemerkte, dass er eine erhebliche Verletzung am Oberbauch zugezogen hatte. Sodann setzte sich der Nebenkläger an die Seite der Tanzfläche, bevor der Türsteher den Nebenkläger und dessen Bruder in Richtung des Ausgangs lenkte. Der Nebenkläger und dessen Bruder wurden in ein Krankenhaus verbracht, wo der Bruder jedoch seinen Verletzungen erlag.
Das LG hat den Angeklagten wegen Totschlags in Tateinheit mit Beteiligung an einer Schlägerei und wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und Beteiligung an einer Schlägerei zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwölf Jahren verurteilt.
Entscheidung des BGH:
Die auf die Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat (Teil-)Erfolg. Der vom Tatgericht entschiedene Schuldspruch ist dahingehend rechtsfehlerhaft, dass die Feststellungen zum strafbefreienden Rücktritt hinsichtlich des Versuchs des Totschlags gegenüber dem Nebenkläger einer rechtlichen Prüfung nicht standhalten.
Grundsätzlich ist für die Bewertung des Rücktritts die subjektive Vorstellung des Täters zum Zeitpunkt der letzten Ausführungshandlung entscheidend (sog. „Rücktrittshorizont“). Soweit der Täter zu diesem Zeitpunkt den Todeseintritt des Opfers schon aufgrund von seiner bisherigen Verhaltensweisen für möglich erachtet, so ist der Versuch beendet. Das LG hat im hiesigen Fall einen beendeten Versuch angenommen, weil der Nebenkläger offensichtlich erhebliche Schmerzen erlitten hatte und von weiteren Kampfhandlungen absah. Bereits die abstrakte Gefährlichkeit der Tathandlung sei ein erhebliches Indiz dafür, dass der Täter dachte, er habe alles Erforderliche für den Erfolgseintritt getan.
Dies sieht der BGH anders. Vielmehr habe das LG keine konkreten Angaben zur Vorstellung des Angeklagten hinsichtlich der Folgen seines Handelns gemacht. Es sei insoweit unklar, ob der Angeklagte wirklich davon ausging, er habe bereits alles Erforderlich getan. Auch die beweiswürdigenden Erwägungen deuten auf eine andere Bewertung hin. Insbesondere habe der Angeklagte die unmittelbare Reaktion des Nebenklägers auf die Stichverletzung beobachtet und dahingehend auch erkannt, dass dieser sich noch bewegte und gerade nicht verletzt zu Boden sank. Gerade dies spreche dafür, dass der Angeklagte den Tod des Opfers aufgrund seiner Handlung nicht für möglich hielt. Letztlich habe das LG auch nicht einen möglichen fehlgeschlagenen Versuch erörtert.