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Stellungnahme zum Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Ausweitung der elektronischen Aufenthaltsüberwachung auf extremistische Straftäter im Rahmen der Führungsaufsicht

von Dr. Alexander Baur, M.A./B.Sc.

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Abstract
Der Terrorismus ist im Sanktionenrecht angekommen: Unter dem Eindruck des jüngsten Anschlags auf den Berliner Weihnachtsmarkt plant die Bundesregierung, die 2013 in das Recht der Führungsaufsicht (§ 68b Abs.1 S. 1 Nr. 12 StGB) eingeführte Elektronische Aufenthaltsüberwachung (EAÜ) auf extremistische Straftäter auszudehnen. Da bei extremistischen Straftätern ein resozialisierungs- und besserungsorientiertes Strafrecht an seine Grenzen stößt, fügt sich das Vorhaben nicht ohne Friktionen in das Recht der Führungsaufsicht ein. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung ist ein neuerliches Symptom einer sich verändernden Grundausrichtung des Sanktionenrechts. Diesen Paradigmenwechsel und andere Bedenken gegen das Gesetzesvorhaben möchte der folgende Beitrag aufzeigen.

I. Bisherige Regelungen zur EAÜ

Nach § 68b StGB kann das Gericht im Rahmen der Führungsaufsicht Probanden Weisungen erteilen. Die Weisungen des 68b StGB lassen sich in zwei Gruppen aufteilen. Die des § 68b Abs. 1 StGB sind in einem Katalog einzeln benannt und über § 145a StGB strafbewehrt. Nicht strafbewehrte Weisungen sind nach der generalklauselartigen Regelung des § 68 Abs. 2 StGB möglich. Als Reaktion auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) zur nachträglichen Sicherungsverwahrung[1] ergänzte der Gesetzgeber den Katalog strafbewehrter Weisungen um § 68b Abs. 1 S. 1 Nr. 12 StGB. Diese Weisung ermöglicht es seit dem 1.1.2011,[2] bestimmte Straftätergruppen im Rahmen der Führungsaufsicht elektronisch zu überwachen (sog. elektronische Aufenthaltsüberwachung – EAÜ).[3]

In der Gesetzesbegründung zum Reformvorhaben 2011 ist zu lesen, die EAÜ wirke spezialpräventiv und füge sich daher ohne Brüche in das Recht der Führungsaufsicht mit seiner maßregeltypisch doppelten Zielsetzung (Besserung und Sicherung).[4] Mit der EAÜ steige das Entdeckungsrisiko für Weisungsverstöße und erneute Straftaten; dieses erhöhte Entdeckungsrisiko halte den Probanden von weisungswidrigen und sonst strafbaren Handlungen ab (negative Spezialprävention).[5] Gleichzeitig sei die EAÜ ein Instrument, um die Selbstkontrolle des Probanden zu stärken; sie könne deswegen den Probanden auch im Resozialisierungsprozess stützen (positive Spezialprävention).[6] Eine empirische Unterlegung dieser Wirkungsthesen blieb der Gesetzgeber schuldig.[7]

Nach dem bisherigen Regelungskonzept sind mehrere Ausgestaltungsmöglichkeiten der EAÜ denkbar. Der praktisch häufigste Fall ist der Einsatz der EAÜ als Kontrollweisung.[8] Mithilfe der EAÜ wird die Einhaltung aufenthaltsbezogener Weisungen (§ 68 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 und Nr. 2 StGB) engmaschig kontrollierbar. Genauso ist es rechtlich aber möglich, die EAÜ ohne aufenthaltsbezogene Bezugsweisungen anzuordnen. Die durch die EAÜ gewonnenen Informationen können zur Feststellung und strafrechtlichen Verfolgung von Weisungsverstößen (§ 463a Abs. 4 S. 2 Nr. 1 und Nr. 3 StPO), zur Ergreifung führungsaufsichtsrechtlicher Reaktionen (§ 463a Abs. 4    S. 2 Nr. 2 StPO), zur Verfolgung bestimmter Straftaten (§ 463a Abs. 4 S. 2 Nr. 5 StPO) sowie zur Gefahrenabwehr (§ 463a Abs. 4 S. 2 Nr. 4 StPO) verwendet werden.

Unmittelbar nach der Schaffung der gesetzlichen Voraussetzungen wurde die EAÜ eher zögerlich und zurückhaltend genutzt.[9] Das dürfte insbesondere daran gelegen haben, dass die technische Infrastruktur für die Umsetzung der EAÜ noch nicht bereitstand. Seit der Schaffung der gemeinsamen Überwachungsstelle der Länder (GÜL)[10] im Jahr 2012 sind technische Umsetzungsschwierigkeiten aus dem Weg geräumt. Dennoch wird von der Praxis auch weiterhin eher zurückhaltend von der EAÜ Gebrauch gemacht.[11] Die Befürchtung, dass die EAÜ inflationär angewendet werden könnte, hat sich bislang nicht bewahrheitet.[12] Die Zahl bundesweit erteilter und umgesetzter EAÜ-Weisungen liegt mittlerweile bei 70 bis 80 mit leicht steigender Tendenz.[13] Anders als diese verhältnismäßig geringe Zahl vermuten ließe, zeigt eine zwischen 2013 und 2015 im Auftrag des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz durchgeführte Evaluation, dass die EAÜ als Instrument der Führungsaufsicht von den Akteuren der Führungsaufsicht überwiegend dennoch eher positiv eingeschätzt wird.[14]

II. Geplante Änderungen zur EAÜ

Die Weisungen des § 68b StGB können grundsätzlich unabhängig von Eintrittsgrund und Anlassdelikt der Führungsaufsicht erteilt werden.[15] Abweichend von diesem Grundsatz formuliert § 68b Abs. 1 S. 1 Nr. 12 StGB wegen der hohen Eingriffsintensität der Weisung spezifische Voraussetzungen für die Erteilung der EAÜ. Die Regelung sieht bislang vor, dass eine Weisung nach § 68b Abs. 1 S. 1 Nr. 12 StGB nur in vollverbüßungs- und erledigungsbedingten Führungsaufsichten (§ 68b Abs. 1 S. 3 Nr. 1 StGB) erteilt werden darf. § 68b Abs. 1 S. 3 Nr. 2 StGB grenzt den Anwendungsbereich der EAÜ zusätzlich auf bestimmte Delikte ein und verweist hierzu auf die Anlassdelikte des § 66b Abs. 3 S. 1 StGB. Darüber hinaus muss die Legalprognose ergeben, dass die erneute Begehung gerade solcher Delikte droht (§ 68b Abs. 1 S. 3 Nr. 3 StGB). Schließlich muss eine Interventionsprognose nahelegen, dass sich die verurteilte Person durch die EAÜ von der erneuten Begehung solcher Delikte abhalten lassen wird (§ 68b Abs. 1 S. 3 Nr. 4 StGB). Die Erteilung einer Weisung nach § 68b Abs. 1 S. 1 Nr. 12 StGB ist derzeit de lege lata nur bei bestimmten Verbrechen und Vergehen möglich. Als Anlassdelikte mit unmittelbarem Terrorbezug kommen derzeit vor allem die Verbrechenstatbestände des § 129a Abs. 1 und Abs. 2 StGB (vgl. § 66 Abs. 3 S. 1 in Verbindung mit Abs. 1 S. 1 Nr. 1 lit. b StGB) in Betracht.[16]

Der Gesetzgeber plant mit dem vorliegenden Gesetzentwurf, die Erteilungsvoraussetzungen der EAÜ dreifach auszuweiten:[17] Erstens sollen die fakultative Sicherungsverwahrung und damit im Gleichlauf auch die EAÜ künftig nicht mehr nur auf (schwere) Vergehen aus dem Bereich der Sexualdelikte (§ 66 Abs. 3 S. 1 Alt. 2 StGB) beschränkt sein; der Katalog soll um einzelne staatsschützende und terrorismusbekämpfende Vergehen ergänzt werden.[18] Zweitens soll bei einer Verurteilung wegen einer Straftat des ersten oder siebenten Abschnitts des Besonderen Teils des StGB abweichend von der bisher ausnahmslos geltenden Voraussetzung einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren eine reduzierte Freiheitsstrafe von nur noch zwei Jahren genügen. Drittens gibt der Gesetzgeber mit der geplanten Neuregelung den bisherigen Gleichlauf zwischen § 66 Abs. 3 S. 1 StGB und § 68b Abs. 1 S. 3 StGB teilweise auf. Zu den tauglichen Anlassdelikten einer EAÜ sollen in Ergänzung des Katalogs des § 66 Abs. 3 S. 1 StGB nicht nur Straftaten nach § 129a Abs. 5 S. 1 StGB (Unterstützung einer terroristischen Vereinigung), sondern auch Straftaten nach § 129a Abs. 5 S. 2 StGB (Werben für eine terroristische Vereinigung) gehören.[19] Eine Ausweitung der Entfristungsregelungen des § 68c Abs. 3 StGB, um eine EAÜ auch nach Ablauf der fünfjährigen Höchstdauer der Führungsaufsicht zu ermöglichen, sieht der Gesetzentwurf bislang nicht vor.

Die Bundesregierung verfolgt ausweislich der sehr knappen und inhaltlich nicht sonderlich in die Tiefe gehenden Begründung ihres Gesetzesentwurfs mit der EAÜ für extremistische Straftäter mehrere Ziele. Durch die EAÜ soll zunächst die Einhaltung aufenthaltsbezogener Weisungen besser kontrollierbar werden. Bei extremistischen Straftätern könne durch Gebotszonen (§ 68b Abs. 1 S. 1 Nr. 1 StGB) gewährleistet werden, dass sie einen vorgeschriebenen Aufenthaltsbereich nicht zur Ausbildung in sogenannten Terrorcamps verließen.[20] Mithilfe von Verbotszonen (§ 68b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 StGB) könne daneben verhindert werden, dass sich extremistische Straftäter an möglichen Anschlagsorten aufhielten.[21] Sollte sich eine verurteilte Person dennoch in einer Verbotszone aufhalten, würde dies umgehend als Gefährdungslage erkannt und es könnten Gegenmaßnahmen ergriffen werden.[22] Schließlich erhöhe die EAÜ allgemein die Entdeckungs- und Aufklärungswahrscheinlichkeit von Weisungsverstößen und anderen strafbarer Handlungen; dies könne auch bei extremistischen Straftätern dazu beitragen, diese von weisungswidrigem und strafbarem Handeln abzuhalten.[23]

III. Bewertung der geplanten Änderungen

Es ist zweifelhaft, ob durch die Ausweitung der EAÜ alle in der Gesetzesbegründung formulierten Zielsetzungen erreichbar sind. Die Bundesregierung selbst scheint gewisse Zweifel an der praktischen Geeignetheit der EAÜ zu hegen. Sie geht davon aus, dass die EAÜ für extremistische Straftäter die Ausnahme bleiben wird.[24] Auch wenn bei steigenden Verurteilungszahlen die formellen Voraussetzungen häufiger als bisher erfüllt sein sollten, sei nicht automatisch davon auszugehen, dass eine Weisung nach § 68b Abs. 1 S. 1 Nr. 12 StGB von den Gerichten auch tatsächlich erteilt werde.[25]

1. Erleichterung der Aufsicht und Abschreckung durch die EAÜ?

Am ehesten wird man den Aufenthalt verurteilter Personen in Terrorcamps durch eine mit der EAÜ kontrollierte Gebotszone unterbinden können.[26] Durch die EAÜ wäre die Führungsaufsichtsstelle zuverlässig über den Aufenthaltsbereich[27] eines extremistischen Straftäters informiert und könnte überwachen, wohin sich der Proband bewegt, wenn er die Gebotszone – mit oder ohne Erlaubnis der Führungsaufsichtsstelle – verlässt. Damit würde die Aufsicht über die verurteilte Person erleichtert. Bei extremistischen Straftätern wird es in der Regel auch rechtlich zulässig sein, die Erlaubnis zum Verlassen der Bundesrepublik zu verweigern.[28]

Die Gefahr terroristischer Anschläge mithilfe elektronisch kontrollierter Verbotszonen zu senken, scheint hingegen kaum realistisch. Ein lückenloser Schutz aller denkbaren Anschlagsziele ist mit den Mitteln der Führungsaufsicht nicht möglich, sondern lässt sich nur durch eine intramurale Unterbringung verwirklichen.[29] Zu bedenken ist zunächst, dass es eine nicht überschaubare Vielzahl möglicher Anschlagsorte gibt,[30] die Zahl von Verbotszonen, die mit der EAÜ kontrolliert werden könnten, aber rechtlich und technisch begrenzt ist. Sollte im Übrigen das Misserfolgsrisiko eines Anschlags an einem bestimmten Ort durch eine engmaschig kontrollierte Verbotszone erhöht werden, wird ein extremistischer Straftäter ohne größere Mühe auf ein anderes Anschlagsziel ausweichen.[31] Schließlich dürfte auch die Vorstellung illusorisch sein, durch die EAÜ erfolgreich auf konkrete Gefährdungslagen reagieren zu können. Ein Alarm wird im Rahmen der automatischen Datenerhebung (§ 463a Abs. 4 S. 1 und S. 3 StPO) erst dann ausgelöst, wenn sich ein extremistischer Straftäter bereits innerhalb einer Verbotszone – also an einem möglichen Anschlagsort oder in unmittelbarer Nähe eines möglichen Anschlagsorts – befindet.[32] Sollen Verbotszonen nicht unangemessen groß definiert werden, wird für eine effektive Gefahrenabwehr häufig kaum noch Zeit bleiben.

2. Wirkungsvolle Kontrolle kriminogener Einflüsse?

Anders als bei Sexualstraftätern fällt es bei extremistischen Straftätern schwer, eine Kriminalitätshypothese zu bilden, auf die mit punktuellen Verbotszonen sinnvoll reagiert werden kann. Mag es bei Sexualstraftätern ausgehend vom modus operandi ihrer Straftaten und unter Berücksichtigung ihrer sexuellen Neigungen möglich sein, Orte mit besonderer kriminogener Anreizwirkung zu identifizieren, muss dies bei der charakteristischen Beliebigkeit potentieller Anschlagsorte ungleich schwerer fallen. Mit Anschlagszielen ist nämlich gerade keine konkrete und spezifische kriminogene Anreizwirkung verbunden, vor der der Straftäter abgeschirmt werden müsste, um das Risiko erneuter Straffälligkeit zu senken.

Eher im Einklang mit dem bisherigen Verständnis aufenthaltsbezogener Weisungen nach § 68b StGB stünde es, extremistischen Straftätern den Aufenthalt an solchen Orten zu verbieten, die sie der Gefahr weiterer Radikalisierung aussetzen. In Betracht kämen zu diesem Zweck auch Kontaktverbote nach § 68b Abs. 1 S. 1 Nr. 3 StGB, deren Kontrolle durch die EAÜ nur mittelbar möglich ist. Überraschenderweise nennt die Regierungsbegründung diese Einsatzmöglichkeit der EAÜ gerade nicht.[33]

3. Besserungswirkung der EAÜ?

Schon weil die grundsätzliche Resozialisierungsfähigkeit extremistischer Straftäter zweifelhaft erscheint, muss die plausible Herleitung einer positiv-spezialpräventiven (bessernden) Wirkung der EAÜ bei dieser Tätergruppe schwerfallen. Die Vorstellung, dass sich die EAÜ allgemein fördernd auf die Eigenkontrolle auswirke und dadurch das Rückfallrisiko nachhaltig reduziert werden könne,[34] ist erkennbar auf Sexualstraftäter gemünzt und lässt sich so wohl nicht auf extremistische Straftäter übertragen. Anders als Sexualstraftäter, bei denen eine Verstärkung der Impulskontrolle durch die Erhöhung des Entdeckungsrisikos durchaus gelingen kann, ist ein derartiger Wirkmechanismus bei extremistischen Straftätern nicht zu vermuten.

Wird die EAÜ bei extremistischen Straftätern in der Praxis so umgesetzt, wie es die Regierungsbegründung nahelegt, dürfte sie rasch an die Zumutbarkeitsgrenzen des § 68b Abs. 3 StGB stoßen. Verbotszonen dürfen nicht zur Folge haben, dass sich die verurteilte Person wegen angrenzender, überlappender oder nahe beieinanderliegenden Verbotszonen kaum noch ohne Weisungsverstoß innerhalb eines bestimmten Gebiets fortbewegen kann.[35] Würde – soweit es technisch möglich ist – eine Vielzahl möglicher Anschlagsorte als Verbotszonen definiert, führte dies zumindest in städtischen Gegenden zu erheblichen Beschränkungen möglicher Aufenthaltsorte und labyrinthartigen Bewegungskorridoren. Verstärkt würden die belastenden Wirkungen noch dadurch, dass insbesondere Orte des sozialen Lebens (z.B. Sportstadien), aber auch fortbewegungsrelevante Einrichtungen (z.B. Bahnhöfe) als Verbotszonen besonders in Betracht kommen.[36]

Nimmt man die Begründung des Gesetzgebers zur Einführung der EAÜ 2011 ernst, lässt sich anhand des dort niedergelegten Maßstabs die geplante Ausweitung kaum rechtfertigen. Gilt nach wie vor die These, dass die EAÜ als eine besonders eingriffsintensive Weisung nur deswegen legitimierbar ist und sich in das Recht der Führungsaufsicht einpasst,[37] weil sie nicht nur der negativen Spezialprävention (Sicherung), sondern auch der positiven Spezialprävention (Besserung) dient, bricht beim aktuellen Gesetzesvorhaben die zweite Legitimationssäule weitgehend in sich zusammen. Zuzugeben ist freilich, dass die Führungsaufsicht im Ausnahmefall auch rein sichernd ausgestaltet werden darf – und zwar immer dann, wenn Besserungsmaßnahmen nicht erfolgversprechend sind.[38] An dieser Stelle wäre wenigstens zu wünschen gewesen, dass die Regierungsbegründung das Kind klar beim Namen nennt und nicht mögliche Besserungseffekte der EAÜ behauptet, die in der Praxis so gut wie nicht zu finden sein dürften.[39]

IV. Schleichender Paradigmenwechsel im Recht der Führungsaufsicht?

Der Gesetzgeber entschied sich bei der Schaffung der Führungsaufsicht 1975 gegen die bis dahin bestehende polizeirechtliche Umsetzung ambulanter Sicherungsmaßnahmen bei Straftätern in Freiheit und gestaltete sie bewusst als Maßregel der Besserung und Sicherung aus, die er strafrechtlichen Grundsätzen unterstellte.[40] Diese strafrechtliche Grundausrichtung der Führungsaufsicht wird auch nicht durch die 2011 eingeführte Möglichkeit zur Verwendung der mithilfe der EAÜ erhobenen Daten zu Zwecken der Gefahrenabwehr in Frage gestellt. § 463a Abs. 4 S. 2 Nr. 4 StPO sieht zwar einen Übergang vom strafrechtlichen zum polizeirechtlichen Datenverwendungszweck vor;[41] diese nur unter bestimmten Bedingungen gegebene Nutzbarkeit zu polizeirechtlichen Zwecken ändert aber nichts daran, dass die EAÜ nur unter den rein strafrechtlich zu beurteilenden Voraussetzungen des § 68b Abs. 1 StGB erteilt werden kann und dabei allein die Zwecke der Führungsaufsicht Berücksichtigung finden dürfen.[42]

Schon bei ihrer Schaffung 2011 stand die EAÜ freilich in einem spannungsreichen Widerspruch zur historischen Grundsatzentscheidung des Gesetzgebers zugunsten einer strafrechtlich ausgerichteten Führungsaufsicht.[43] Der Gesetzgeber führte die EAÜ vor allem auch als kostengünstigere Alternative zur sogenannten „24/7-Überwachung“ entlassener Sicherungsverwahrter durch die Polizei ein.[44] Der unmittelbare Austausch einer polizeirechtlichen Maßnahme der Gefahrenabwehr durch eine führungsaufsichtsrechtliche Weisung hatte bereits damals Friktionen und bisweilen eine fragwürdige Verwischung straf- und polizeirechtlicher Maßnahmen zur Folge.[45] Mit der EAÜ für extremistische Straftäter schafft der Gesetzgeber jetzt erstmals ein Instrument innerhalb der Führungsaufsicht, dass beinahe ausschließlich unter einer polizeirechtlichen Handlungslogik sinnvoll einsetzbar ist.[46] Der Gesetzgeber gibt selbst zu, mithilfe der EAÜ solle im Falle extremistischer Straftäter bei Weitem nicht nur auf eine sanktionenrechtlich relevante Kriminalitätsgefährlichkeit, sondern vor allem auf konkrete Gefahrensituationen rechtzeitig reagiert werden können.[47] Dieses Ziel dürfte nur dann zuverlässig zu erreichen sein, wenn der Aufenthaltsort der verurteilten Person jederzeit präventiv überprüfbar und – unabhängig von einem konkreten Weisungsverstoß oder Tatverdacht – vollständige Bewegungsbilder herstellbar wären. Das ist aber nach der bisherigen Rechtslage, die durch eine automatisierte Erhebung und Verarbeitung die Kenntnisnahme der Daten ohne konkreten Anlass verhindert (§ 463a Abs. 4 S. 1 und S. 3 StPO) und dadurch die strikte Einhaltung der Zweckbindung bei der Verwendung der Daten garantieren möchte, gerade nicht möglich.[48]

Angesichts der geplanten Ausweitung der EAÜ kann man sich des Eindrucks kaum erwehren, dass dabei im Kern polizeirechtliche Instrumente der Gefahrenabwehr strafrechtlich geregelt werden, um die weitgehendere Legitimationswirkung des Strafrechts zur Rechtfertigung besonders eingriffsintensiver Maßnahmen zu nutzen. Bei extremistischen Straftätern wird dieser Eindruck noch dadurch befördert, dass die Anlassdelikte einer EAÜ – wie etwa § 129a StGB – weit ins Vorfeld der konkreten Gefährdung oder gar Verletzung geschützter Rechtsgüter ausgreifen.[49] Sollte der Gesetzgeber mit der geplanten Ausweitung der EAÜ tatsächlich einen ersten Schritt hin zu einer lücken- und anlasslosen elektronischen Überwachung bestimmter Straftätergruppen machen oder auch nur die Polizeibehörden künftig besonders großzügig auf die Daten der EAÜ zurückgreifen wollen, müssen – trotz der Bedrohung durch extremistische Straftäter, auf die der Gesetzentwurf der Bundesregierung sicherlich zurecht hinweist – schon jetzt erhebliche straf- und verfassungsrechtliche Bedenken gegen ein solches Vorhaben angemeldet werden.

V. Zusammenfassung und Ausblick

So wie der Gesetzgeber 2011 im Windschatten der Rechtsprechung des EGMR und der deswegen drohenden Entlassung Sicherungsverwahrter die EAÜ in der Führungsaufsicht verankert hat, plant die Bundesregierung nun deren Anwendungsbereich unter dem Eindruck der aktuellen Anschläge weiter auszudehnen. Die polizeilich-präventiven Zielsetzungen des Gesetzentwurfs lassen sich dabei allenfalls unter einer gefahrenabwehrrechtlichen Handlungslogik erreichen; insbesondere eine großzügige Verwendung der mithilfe der EAÜ erhobenen Daten zur Gefahrenabwehr ist dabei kritisch einzuschätzen. Ohne das Bedürfnis danach wecken zu wollen, verwundert es im Übrigen, dass die Bundesregierung die Gelegenheit nicht nutzt, auch die Vorschriften zur Entfristung der Führungsaufsicht (§ 68c Abs. 3 StGB) anzupassen, um dadurch die Möglichkeit einer dauerhaften EAÜ zu schaffen.

Die mittlerweile seit Jahrzehnten geführten strafrechtstheoretischen Debatten rund um das Sicherungs- und Feindstrafrecht zeigen, wie schwer dem Strafrecht der Umgang mit extremistischen Straftätern fällt.[50] Auch die kriminologischen Kenntnisse zum angemessenen Umgang mit extremistischen Straftätern sind bei weitem nicht ausreichend, um belastbare (strafrechtliche) Lösungsvorschläge machen zu können.[51] Die Hilfslosigkeit, mit der der Strafrechtsgesetzgeber auf die Gefahren durch extremistische Straftäter reagiert, ist auch im vorliegenden Reformvorhaben mit Händen zu greifen.

 

[1]      EGMR, NJW 2010, 2495 ff.; vgl. auch EGMR, NJW 2013, 1791 ff. sowie jüngst EGMR, Urt. v. 7.1.2016 – 23279/14.
[2]      Gesetz vom 22.12.2010 (BGBl. I, 2300).
[3]      Zur geplanten Einführung der EAÜ im neuen BKA-Gesetz (§§ 55, 56 ff. BKAG n.F.), vgl. BT-Drs. 18/11163 vom 14.2.2017.
[4]      BT-Drs. 17/3403, S. 17; vgl. zur zweifachen Zielsetzung der Führungsaufsicht Groß, in: MüKo-StGB, 3. Aufl. (2016), Vorb. § 68 Rn. 1; Heger, in: Lackner/Kühl, StGB, 28. Aufl. (2014), § 68 Rn. 1; Stree/Kinzig, in: Schönke/Schröder, StGB, 29. Aufl. (2014), § 68 Rn. 3
[5]      BT-Drs. 17/3403, S. 17 und S. 38.
[6]      A.a.O.
[7]      Diesbezüglich skeptisch mit Blick auf die empirische Bewährung von Kontrolltheorien Bräuchle, Die elektronische Aufenthaltsüberwachung gefährlicher Straftäter im Rahmen der Führungsaufsicht, Tübinger Schriften zur Kriminologie, Band 37, 2016, S. 29 f.
[8]      A.a.O., S. 110 ff.; zum Konzept der Kontrollweisung vgl. Baur, in: Baur/Kinzig, Die reformierte Führungsaufsicht, 1. Aufl. (2015), S. 334.
[9]      Anders als dies vereinzelt vorhergesagt wurde, vgl. dazu u.a. Brauneisen, StV 2011, 311 ff.
[10]    Mittlerweile sind sämtliche Bundesländer dem GÜL-Staatsvertrag beigetreten. Anders als vom Gesetzgeber angenommen, liegt die Umsetzung der EAÜ nicht in den Händen der Polizei; § 463a Abs. 4 S. 4 StPO ist damit von der Rechtswirklichkeit überholt.
[11]    Ebs. Maltry in der Anhörung des Rechtsausschusses des Bundestages am 20.3.2017.
[12]    Zu Befürchtungen einer Ausdehnung der Maßnahme vgl. Haverkamp/Schwedler/Wößner, Neue Kriminalpolitik 2012, 62 (63).
[13]    Bräuchle, Die elektronische Aufenthaltsüberwachung gefährlicher Straftäter im Rahmen der Führungsaufsicht, Tübinger Schriften zur Kriminologie, Band 37, 2016, S. 161: („Nachdem die Anordnungszahlen nach der Einführung der EAÜ im Jahre 2011 zunächst stark anstiegen, haben sie sich Anfang des Jahres 2014 bei einem Wert von etwas über 70 permanent überwachten ehemaligen Straftätern oder Maßregelinsassen eingependelt.“); vgl. Baur, in: Baur/Kinzig, Die reformierte Führungsaufsicht, 1. Aufl. (2015), S. 429. Dabei zeigt sich eine erhebliche Ungleichverteilung in den Fallzahlen zwischen den Bundesländern. Der Effekt lässt sich auch nicht durch eine größere Bevölkerungszahl oder eine höhere Anzahl von Führungsaufsichten erklären. Die unterschiedenen Fallzahlen dürften richtigerweise eine unterschiedliche Anordnungspraxis der Justiz widerspiegeln.
[14]    Bräuchle, Die elektronische Aufenthaltsüberwachung gefährlicher Straftäter im Rahmen der Führungsaufsicht, Tübinger Schriften zur Kriminologie, Band 37, 2016, S. 156 ff.; noch eine kritischere Einschätzung berichtend: Baur, in: Baur/Kinzig, Die reformierte Führungsaufsicht, 1. Aufl. (2015), S. 432 ff.
[15]    Zur normativen Offenheit der Führungsaufsicht, vgl. Baur, in: Baur/Kinzig, Die reformierte Führungsaufsicht, 1. Aufl. (2015), S. 37 ff.
[16]    Bräuchle, Die elektronische Aufenthaltsüberwachung gefährlicher Straftäter im Rahmen der Führungsaufsicht, Tübinger Schriften zur Kriminologie, Band 37, 2016, S. 47 mit kriminalpolitischer Bewertung.
[17]    Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 30.1.2017, Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches – Ausweitung des Maßregelrechts bei extremistischen Straftätern (künftig: Gesetzentwurf der Bundesregierung).
[18]    Namentlich um § 89a Abs. 1 bis 3, § 89c Abs. 1 bis 3 und § 129a Abs. 5 S. 1 Alt. 1 StGB.
[19]    Gesetzentwurf der Bundesregierung, S. 6.
[20]    A.a.O., S. 7.
[21]    A.a.O., S. 7.
[22]    A.a.O., S. 7.
[23]    Gesetzentwurf der Bundesregierung, S. 7.
[24]    A.a.O., S. 9 f.
[25]    A.a.O., S. 10.
[26]    Ob das zulässig ist, ist teilweise umstritten; vgl. H. Schneider, in: LK-StGB, 12. Aufl. (2008), § 68b Rn. 20 und Stree/Kinzig, in: Schönke/Schröder, StGB, 29. Aufl. (2014), § 68b Rn. 5, wonach die Weisung nur zu Aufsichtszwecken erteilt werden dürfe. Die Gegenansicht bestreitet umgekehrt die Zulässigkeit von Weisungen nach § 68b Abs. 1 S. 1 Nr. 1 StGB zu reinen Aufsichtszwecken; vgl. Bräuchle, Die elektronische Aufenthaltsüberwachung gefährlicher Straftäter im Rahmen der Führungsaufsicht, Tübinger Schriften zur Kriminologie, Band 37, 2016, S. 38 f., die sich auf BGH, NStZ 2014, 203 (205) und eine unveröffentlichte Entscheidung des OLG Jena (Beschl. v. 25.9.2013 – 1 Ws 340/13) stützt. Richtigerweise kann die Weisung Aufsichtszwecken und der Reduzierung kriminogener Einflüsse gleichermaßen dienen; ebs. Groß, in: MüKo-StGB, § 68b Rn. 12 und zutreffend verstanden im Ergebnis auch BGH, NStZ 2014, 203 (205). Dieser Auffassung folgt nunmehr auch implizit der Gesetzgeber.
[27]    Zu eng dürfen Gebotszonen nicht definiert sein; vgl. Groß, in: MüKo-StGB, 3. Aufl. (2016), § 68b Rn. 12; H. Schneider, in: LK-StGB, 12. Aufl. (2008), § 68b Rn. 20; Stree/Kinzig, in: Schönke/Schröder, StGB, 29. Aufl. (2014), § 68b Rn. 5.
[28]    H. Schneider, in: LK-StGB, 12. Aufl. (2008), § 68b Rn. 20; Stree/Kinzig, in: Schönke/Schröder, StGB, 29. Aufl. (2014), § 68b Rn. 5; krit. Groß, in: MüKo-StGB, 3. Aufl. (2016), § 68b Rn. 12.
[29]    Zum möglichen Sicherheitsniveau der Führungsaufsicht vgl. Baur, in: Baur/Kinzig, Die reformierte Führungsaufsicht, 1. Aufl. (2015), S. 32 f.
[30]    Die Gesetzesbegründung nennt beispielhaft Flughäfen, Bahnhöfe, Kraftwerke oder Sportstadien; vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung, S. 7.
[31]    Ebs. Kinzig in der Anhörung des Rechtsausschusses des Bundestages am 20.3.2017.
[32]    Ebs. Kinzig in der Anhörung des Rechtsausschusses des Bundestages am 20.3.2017.
[33]    Im Einzelfall stieße eine entsprechende Weisung wohl auf Bedenken im Hinblick auf Art. 4 GG und führte zur Unzumutbarkeit der Weisung i. S. des § 68b Abs. 3 StGB.
[34]    BT-Drs. 17/3403, S. 18 und S. 38.
[35]    Ähnlich Groß, in: MüKo-StGB, 3. Aufl. (2016), § 68b Rn 12.
[36]    Gesetzentwurf der Bundesregierung, S. 7.
[37]    BT-Drs. 17/3403, S. 17; vgl. Baur, in: Baur/Kinzig, Die reformierte Führungsaufsicht, 2015, S. 319 ff.
[38]    Stree/Kinzig, in: Schönke/Schröder, StGB, 29. Aufl. (2014), § 68b Rn 1; Heger, in: Lackner/Kühl, StGB, 28. Aufl. (2014), § 68b Rn 1.
[39]    Vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung, S. 7.
[40]    Zu den Reformüberlegungen der Großen Strafrechtskommission vgl. Baur, in: Baur/Kinzig, Die reformierte Führungsaufsicht, 2015, S. 20 f. m.w.N.
[41]    Vgl. Coen, in: BeckOK-StPO, 27. Ed. (1.1.2017), § 463a Rn 11.
[42]    Mit überzeugender Begründung Bräuchle, Die elektronische Aufenthaltsüberwachung gefährlicher Straftäter im Rahmen der Führungsaufsicht, Tübinger Schriften zur Kriminologie, Band 37, 2016, S. 30.
[43]    Vgl. Baur, in: Haynert/Kammeier (Hrsg.)., Wegschließen für immer?, 2012, S. 181 ff.
[44]    BT-Drs. 17/3403, S. 19; so auch die Begründung des aktuellen Gesetzesentwurfs, vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung, S. 10.
[45]    Vgl. u.a. OVG NRW, Urt. v. 5.7.2013 – 5 A 607/11; krit. auch Bräuchle, Die elektronische Aufenthaltsüberwachung gefährlicher Straftäter im Rahmen der Führungsaufsicht, Tübinger Schriften zur Kriminologie, Band 37, 2016, S. 28.
[46]    Das zeigt auch die geplante Ergänzung des BKAG (§§ 55, 56 BKAG n.F.).
[47]    Zur Abgrenzung sanktionenrechtlich relevanter Kriminalitätsgefährlichkeit zum polizeirechtlichen Gefahrbegriff vgl. Baur, in: Baur/Kinzig, Die reformierte Führungsaufsicht, 2015, S. 235 f. und Popp, in: Beulke u.a. (Hrsg.), Das Dilemma rechtsstaatlichen Strafens, 2009, S. 113 ff.
[48]    Vgl. dazu auch die Gesetzesbegründung 2011, BT-Drs. 17/3403, S. 45 und Bräuchle, Die elektronische Aufenthaltsüberwachung gefährlicher Straftäter im Rahmen der Führungsaufsicht, Tübinger Schriften zur Kriminologie, Band 37, 2016, S. 61; Die Regelungen zur Datenverwendung in den geplanten Neuregelungen des BKAG (§ 56 Abs. 2 BKAG n.F.) stoßen auf ähnliche Bedenken, vgl. BT-Drs. 18/11163, S. 122 ff.
[49]    Zur Verfassungsmäßigkeit solcher Vorfelddelikte vgl. BGH, NStZ 2014, 703 (704); ebs. auch König in der Anhörung des Rechtsausschusses des Bundestages am 20.3.2017.
[50]    Vgl. Arnold, HRRS 2006, 303 ff.; Bung, HRRS 2006, 63 ff.; Jacobs, ZStW 97 (1985), 751 ff.; Bung, HRRS 2006, 63 ff.; jüngst mit Bezug zum Terrorismus: Leitmeier, HRRS 2015, 128 ff.
[51]    Vgl. zur Reintegration baskischer Terroristen in Spanien zuletzt Stelzel, Reintegration haftentlassener Terroristen in die Gesellschaft, Tübinger Schriften zur Kriminologie, Band 36, 2016.

 

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