Podiumsdiskussion „Terrorabwehr im Rechtsstaat“ am 15.11.2017 in Mainz

von Marcus Papadopulos

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Wie reagiert der deutsche Rechtsstaat in Zeiten terroristischer Bedrohungen ohne dabei seine Werte aufzugeben? Eine Podiumsdiskussion der Rechtsanwaltskammer Koblenz zum Thema Terrorabwehr im Rechtsstaat wollte – 40 Jahre nach dem Deutschen Herbst – eben diese Grundsatzfrage interdisziplinär beleuchten. Kritische Töne zu aktuellen politischen Umsetzungen waren dabei im Ratssaal des Mainzer Rathauses nicht nur von Seiten der Referenten, sondern auch aus dem Kreise des Auditoriums zu hören.

Dr. Andreas Ammer, Vorstandsmitglied der Rechtsanwaltskammer Koblenz, eröffnete nach Begrüßung der Teilnehmer und Zuhörer mit der Annahme, viele Täter seien oft bereits im Visier der Behörden, ohne dass offenbar etwas unternommen werde. Könnte ein Grund hierfür in zu wenigen oder zu wenig scharfen Gesetzen liegen? Wie sei es außerdem um präventive Ansätze und Früherkennung bestellt, wenn sich Minderjährige vollständig radikalisierten, wie im Beispiel eines heute 13-Jährigen in Ludwigshafen.

Als Leiterin des Frankfurter Forschungszentrums Globaler Islam (FFGI) ging Prof. Dr. Susanne Schöter zuvorderst vor allem auf die Problematik islamistischer Radikalisierung in Deutschland ein. Für terroristische Ereignisse sei in Deutschland ab dem Jahr 2016 ein deutlicher Anstieg festzustellen. Trotz Aufstockung von Polizei und anderen Maßnahmen nehme die Zahl junger Leute zu, die bereit wären, Attentate zu begehen. Die Frage danach, ob bisherige Mittel überhaupt zielführend seien, müsse man ergebnisoffen stellen. Scheinbar werde das Phänomen der Radikalisierung in Deutschland nicht ernst genug genommen. Insbesondere für junge Menschen könne der Islam als Religion unter entsprechenden Voraussetzungen als normative Ideologie wirken. In letzter Konsequenz gebe diese auf Grundlage der Scharia zwischenmenschliches Zusammenleben komplett anders vor, nämlich antidemokratisch und die freiheitlich demokratische Grundordnung ablehnend, und führe zur Radikalisierung. Dass es sich nicht um eine geschlechtsspezifische Problematik handele, zeige der Messerangriff einer 15-Jährigen auf einen Polizisten am 26.2.2016 in Hannover. Nicht zuletzt aufgrund ausgefeilter Rekrutierungsstrategien seien auch Frauen und Mädchen beteiligt. Ebenso würden die Täter immer jünger – siehe Ludwigshafen. Organisationen wie IS & Co. wirkten nach dem Prinzip von Franchise-Unternehmen – die Herausforderung sei es, junge Menschen gegen Manipulationen zu immunisieren. Ziel sollte dabei sein, Parallelstrukturen – „Gegengesellschaften – zu verhindern, die sich aktuell beispielsweise in Form der Identität „Nicht-Deutscher manifestierten. Bereits im Kindergarten habe man zur Stiftung einer gemeinsamen gesellschaftlichen Identität in einer pluralistischen Gesellschaft anzusetzen. Dogmatisch-ideologische Predigten, eine Einteilung in „gute Gläubige“ und „Ungläubige“ – dem ersten Schritt vor aktiver Ablehnung – hätten somit weniger Chancen. Hierin sieht Schröter eine Hauptvoraussetzung – weit vor dem Ansatz polizeilicher und juristischer Maßnahmen. Auch und insbesondere sei es notwendig, öffentlich einen gesellschaftspolitischen Diskurs zum Thema Migration zu suchen. Die Gesellschaft verändere sich gerade durch Zuwanderung unvorhersehbar und ohne Regelwerk – eine Tabuisierung der Auseinandersetzung mit Entwicklungen bzw. Folgen von Migration nach dem Motto: dies sei „AfD-Sicht“ sei dabei fehl am Platz.

Unter dem Deckmantel der Glaubensgemeinschaften erhalte Gewalt – eine der anthropologischen Konstanten – eine sinnstiftende Solidarisierungsgrundlage, so  Dr. Marwan Abou-Taam, Islamismusexperte des Landeskriminalamts Rheinland-Pfalz und Mitglied des Berliner Instituts für empirische Integrations- und Migrationsforschung. Mit dem islamistischen Terrorismus erlebten wir heute die Transnationalisierung emotionalisierter Gewalt.

Eine freie Gesellschaft sei laut Dr. Abou-Taam eine risikobereite Gesellschaft – doch wie viele Risiken sind wir bereit einzugehen? Politischen Konzepte, die wir gegen Radikalisierung vorzubringen hätten, gehörten überprüft. Integrationsansätze, wie sie seit Jahren angewandt würden, funktionierten nicht. Schwierig sei beispielsweise bereits die Frage zu beantworten, ob das Geld für Vorsorgeprogramme aktuell gut eingesetzt werde. Die bedingte Messbarkeit der Vorsorge leiste dabei ihr übriges. Wo also ansetzen? Terrorismus sei wie Rost, der sich in die Gesellschaft fresse. Das Ideal einer in sich solidarischen Gemeinschaft brauche auch passende Nenner und Normen, die laut Abou-Taam teilweise verloren gegangen sind. Normativität werde auch durch eine sich konstituierende ethische Pluralisierung nicht ausgeschlossen und dürfe nicht hinter falsch verstandener Toleranz zurücktreten. Betrachte man islamistischen Terrorismus als eine Krankheit, sollten nicht nur deren Symptome mit repressiven Maßnahmen bekämpft werden. Eine Stärkung der Gesellschaft mit den richtigen, wirksamen Mitteln sei angebracht – und hierbei müsse man investieren. Solange Personen ausgegrenzt und abgelehnt würden, wirkten Salafisten vom Format eines Pierre Vogel auch weiterhin identitätsstiftend. Dreh- und Angelpunkt seien dabei unbedingt vermittelte Feindbilder: der verhasste Andere sei immer wichtigster Teil der eigenen Identität. Ziel müsse also die Vermittlung einer Idee der Gleichwertigkeit darstellen. Doch scheinbar scheiterten wir ein Stück weit daran, demokratische Werte zu vermitteln. Mit seinen Ausführungen zu Präventionsprogrammen sprach Dr. Abou-Taam damit einen der Punkte an, welcher sich in knapper Ausführung auch im aktuellen Koalitionsvertrag wiederfindet.

Im Folgenden wagte Prof. Dr. Franz Salditt, Fachanwalt für Strafrecht, einen vorerst wertfreien Blick über Ländergrenzen hinweg auf Mittel und Ansätze der Terrorismusbekämpfung. Potentielle, wenn auch radikale Modelle im Umgang mit der Problematik terroristischer Bedrohungen in all ihren Facetten zeigten sich am Beispiel des amerikanischen Weges. Mit der Proklamierung des War on Terror gingen Weiterentwicklungen des Völkerrechts zur Legitimierung präemptiver Interventionen als Möglichkeit der Verteidigung durch Präventivschläge – auf dem Gebiet anderer souveräner Staaten – einher. Außerdem sollte durch die Internierung und Folterung von sog. ungesetzlichen Kombattanten im hochumstrittenen Gefangenenlager in der Guantanamo Bay Naval Base die USA im Kampf gegen Terroristen unterstützen werden. Auch unser Nachbarland Frankreich habe mit der Verhängung des Ausnahmezustandes seinen Weg gesucht, über die temporäre Einschränkung von Freiheitsrechten sowie eine Erweiterung von behördlichen Befugnissen, der Lage spätestens nach den Ereignissen in Paris und Nizza Herr zu werden. Diesen radikalen staatlichen Reaktionen stünden demgegenüber in Deutschland Polizei- sowie Straf- und Strafprozessrecht als Mittel zur Verfügung. Jedoch setze der Wunsch nach Abwendung von Anschlägen Ermittlungsmethoden und Instrumente voraus, die wir noch nicht handhaben könnten – das bayerische Unterbindungsgewahrsam sei hierbei als exemplarische Maßnahme zu nennen. Das deutsche Strafrecht, geknüpft an Grenzen wie Straftäterbiographien und Rechtsgüterschutz, setze hingegen eine normative Ansprechbarkeit und somit auch die nötige Sozialisierung unter allgemein anerkannten Werten voraus, wie sie beim Tätertypus aktueller terroristischer Couleur zumindest in Frage gestellt sein dürfte. Als klassisches System sei es dadurch nur bedingt zur Terrorbekämpfung geeignet, was sich insbesondere durch die für notwendig erachteten Erweiterungen mit der Tendenz der Vorverlagerung zeige. Schließlich brachte Salditt den bereits aus älteren Diskussionen bekannten Ansatz eines Sonder- oder auch Kriegsstrafrechtes für Gegner der freiheitlich demokratischen Grundordnung gegenüber einem Bürgerstrafrecht zur Sprache. Die Strafjustiz arbeite sorgsam, so Salditt, vielleicht sei es jedoch an der Zeit, zugunsten der Wehrhaftigkeit – zumindest auf Zeit – Werte zu diskutieren, die uns teuer geworden sind. Wobei dies nicht als Plädoyer für eine Notstandsgesetzgebung verstanden werden solle. Die Diskussion über temporäre Probleme müsse möglich sein, eine Tabuisierung in Form der Verteufelung von beispielsweise § 89a und § 129a StGB, sei dabei störend.

Auch Dr. Dr. Hans-Heiner Kühne, Professor für deutsches, europäisches sowie internationales Straf- und Strafprozessrecht und für Kriminologie anerkannte im islamistischen Terror besondere Herausforderungen für Sicherheits- und Justizbehörden. Anders als bei „normaler“ Kriminalität, die nicht selten von ökonomischen Erwägungen geleitet sei, versetze die radikale Ideologie einer Religion stärker in die Lage, Handlungen zu rechtfertigen. Sie befördere die Häufigkeit und Intensität der Straftaten dabei tendenziell und stehe im direkten Gegensatz zu rationalem Denken. Die Ursachen seien insofern auch Ergebnis eines mangelnden Bildungssystems. Unsere heutigen Bekämpfungsansätze ließen derweil Analogien zu denen der 70´er Jahre erkennen: die Einführung immer neuer Vorschriften, ohne hierbei jedoch triftige Belege für die Insuffizienz der Bestehenden darzulegen. Einfacher sei es eben, neue Gesetze zu schreiben, als vorhandene Normen mit hierfür zu schaffenden Ressourcen konsequent umzusetzen. Außer Acht gelassen würden dabei weitere Einschränkungen von Freiheitsrechten – ohne Not. Lösung sei weder eine Aufrüstung der Sicherheitsbehörden und noch absolutere Kontrolle, sondern vielmehr die konsequentere Anwendung der bestehenden Mittel sowie zielgerichtete, fundierte Prävention.

Für den stellvertretenden Bundesvorsitzenden der Gewerkschaft der Polizei, Polizeihauptkommissar Jörg Radek, sei die Veränderung der Polizei in den letzten 20 Jahren Sinnbild einer Veränderung der Gesellschaft. Mit aktuellen Bedrohungsszenarien habe auch ein konzeptionelles Umdenken zur Bewältigung lebensgefährlicher Einsatzlagen stattgefunden. Polizei befinde sich nicht nur in Bezug auf Ausstattung und Taktiken im Wandel, insbesondere stehe sie vor der Herausforderung im Spannungsfeld zwischen moderner Anti-Terror-Einheit und nahbarer Bürgerpolizei, welche es professionell zu lösen gelte. Im Zusammenhang mit effektiver Gefahrenabwehr sei die Zusammenarbeit deutscher Behörden grundlegende Voraussetzung. Jedoch wirkten sich gewisse zeitliche Komponenten, die dem Föderalismus innewohnten, sowie heterogene behördliche Arbeitslogiken – teilweise sogar Inkompatibilitäten – retardierend aus. Daneben sei zur konsequenteren Umsetzung bestehender Normen ein Ausbau der personellen und technischen Ausstattung notwendig. Aktuell bestehe kein Gesetzes- sondern vielmehr ein Vollstreckungsdefizit.

Im Rahmen der Diskussion kamen auch anwesende Hörerinnen und Hörer zu Wort. So nahm Prof. Dr. Dieter Kugelmann, Landesbeauftragter für Datenschutz und Informationsfreiheit in Rheinland-Pfalz, gegenüber                Prof. Dr. Salditt und Prof. Dr. Kühne mit seiner Frage nach der Notwendigkeit spezifischer Gesetze gegen Terrorismus hauptsächlich Bezug auf verfahrensrechtliche Sicherheitsmechanismen.

Salditt begrüßte in diesem Zusammenhang exemplarisch Maßnahmen, wie die Verabschiedung von Quellen-TKÜ und Online-Durchsuchung als zeitgemäß, deren Anliegen im Rahmen der kritischen Diskussion weitestgehend untergehe. Gegen ein „Sonderstrafrecht für Terroristen plädierte Prof. Dr. Kühne. Die hierbei intendierte Wirkung könne seiner Meinung nach nur verfehlt werden und im Endeffekt sogar schaden. Differenzierte Anpassungen in Ausländer- und Asylrecht hingegen seien demgegenüber anzustreben. Strafrecht solle ohnehin nur als ultima ratio verstanden und eingesetzt werden.

Im Auditorium der Diskussionsrunde befanden sich neben Vertreter*innen aus Landtag, dem Ministerium der Justiz sowie dem Ministerium des Innern und für Sport Rheinland-Pfalz auch Behördenleiter*innen der Ressorts Justiz sowie des Innern – insbesondere zwei Vertreterinnen der seit November bestehenden Landeszentralstelle für die Bekämpfung von Terrorismus und Extremismus (ZeT_rlp).

Dr. Thomas Feltes, Professor an der Ruhr-Universität Bochum, musste seine Teilnahme als Referent kurzfristig vor Beginn der Veranstaltung absagen.

 

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