„Palliativmedizin und Sterbefasten – Strafbare Suizidförderung?“ Bericht zum 4. Medizinstrafrechtsabend an der Bucerius Law School

von Jessica Krüger, LL.B. 

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Am 29. Mai 2018 fand an der Bucerius Law School, Hamburg, der vierte Medizinstrafrechtsabend statt. Die von der Zeitschrift medstra, WisteV, dem Wirtschaftsstrafrechtlichen Gesprächskreis der Bucerius Law School und dem neu gegründeten Medizinrechtlichen Institut der Bucerius Law School organisierte Veranstaltung befasste sich mit dem Thema „Palliativmedizin und Sterbefasten – Strafbare Suizidförderung?“. Die Vortragsreihe richtete sich auch in diesem Jahr an Juristen und Mediziner gleichermaßen. Sie möchte auf diesem Wege den interdisziplinären Austausch im Schnittstellengebiet des Medizinstrafrechts fördern. Dieses Ziel wurde durch das Format des Abends in besonderem Maße erreicht: Jeweils nach den Vorträgen von Prof. Dr. iur. Tanja Henking, FH Würzburg-Schweinfurt, und Prof. Dr. iur. Gunnar Duttge, Universität Göttingen, die sich mit unterschiedlichen Aspekten des § 217 StGB befassten, brachte Prof. Dr. med. Karin Oechsle, Oberärztin und ärztliche Leiterin der Palliativstation des UKE Hamburg,in einem spontanen Impulskommentar ihre medizinwissenschaftliche Sichtweise und Erfahrung in die Themen ein. Die zahlreich anwesenden Mediziner trugen in der Diskussion zur weiteren Vertiefung des Austausches bei.

Eingeleitet wurde der Abend mit der Verleihung des Roxin-Preises. Der von der Kanzlei Roxin gestiftete Jahrespreis für die beste wirtschaftsstrafrechtliche Promotion der Bucerius Law School ging an Dr. Christoph Henckel für dessen Arbeit „Faires Verständigungsverfahren durch Transparenz“. Anschließend leitete Prof. Dr. iur. Karsten Gaede, Bucerius Law School, Hamburg, zu den beiden zentralen Vorträgen des Abends über, indem er einen Überblick über Entstehungsgeschichte und Problemfelder des § 217 StGB gab. Ziel des Gesetzgebers bei der Schaffung des § 217 StGB sei vor allem gewesen, Sterbehilfevereine zu erfassen und damit zu verhindern, dass Suizidbeihilfe zur scheinbar verführerischen Normalität werde. Ob dem Gesetzgeber eine überzeugende Kriminalisierung gelungen ist, sei aber fraglich, insbesondere angesichts der verbreiteten Sorge, dass auch nicht strafwürdige Fälle von § 217 StGB erfasst werden.

Mit einem ersten, wichtigen Aspekt fragwürdiger Kriminalisierung beschäftigte sich sodann Prof. Dr. Tanja Henking in ihrem Vortrag zum Thema „§ 217 StGB – ein Risiko für palliativmedizinische Behandlungen?“. Henking zeigte auf, dass der Gesetzgeber davon ausgegangen sei, die Palliativmedizin falle nicht unter § 217 StGB. So habe er § 217 StGB in seiner jetzigen, bedenklich weiten Form verabschiedet, ohne insoweit einen gezielten Ausschluss vorzusehen. Als besonders problematische Folge des weiten Wortlauts identifizierte Henking die Überlassung von potentiell tödlichen Medikamenten
an Patienten. Die Versorgung mit solchen Mitteln falle unter das „Gewähren“ einer Möglichkeit zur Selbsttötung, und da sich die von § 217 StGB geforderte Absicht nur auf das Gewähren der Möglichkeit beziehe, nicht aber auf das Ausnutzen derselben durch den Patienten, ergebe sich hier bei vom Arzt erkannter Suizidgeneigtheit des Patienten prinzipiell ein Strafbarkeitsrisiko. Dies könne sich belastend auf das gerade in der Palliativmedizin besonders wichtige Gespräch zwischen Arzt und Patient auswirken. Als Lösung schlug Henking vor, die Förderungsabsicht zu verneinen, wenn Medikamente zur Symptomkontrolle überlassen werden. Vorzugswürdig erschiene ihr zwar eine restriktive Auslegung der objektiven Tatbestandsmerkmale, insbesondere des Merkmals der Geschäftsmäßigkeit – gegen eine solche Lösung spreche aber der Wille des Gesetzgebers. Abschließend stellte Henking fest, dass das Strafbarkeitsrisiko ihrer Ansicht nach zwar überschaubar sei, es aber ein durchaus beachtliches Risiko der Einleitung eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens gebe. Hierin sehe sie neben der Rechtsunsicherheit einen großen Belastungsfaktor für die Ärzteschaft.

In ihrem an den Vortrag anschließenden Kommentar betonte Prof. Dr. Karin Oechsle die zentrale Rolle, die dem Arzt-Patienten-Gespräch in der Palliativmedizin zukomme. Zahlreiche Patienten ließen sich ihrer Erfahrung nach durch solche Gespräche auch von einem Sterbewunsch abbringen. Auch die Ausstattung der Patienten mit hinreichenden Medikamenten zur Selbstmedikation sei bereits aus psychologischen Gründen sehr wichtig. Hier sei es ganz unerlässlich, Patienten zu ihrem eigenen Schutz über die Wirkweise und damit auch die tödliche Dosis der ihnen überlassenen Medikamente aufzuklären. Zwar habe sich nach ihrem Eindruck in der ärztlichen Gesprächspraxis noch nichts verändert, sie beobachte aber im Kollegenkreis eine zunehmende große Verunsicherung sowie eine gesteigerte Sensibilität für das Thema. Oechsle machte auch darauf aufmerksam, dass die Überlassung von Medikamenten ein Problem sei, das Hausärzte mindestens ebenso betreffe wie Palliativmediziner.

Diese Einschätzung wurde in der folgenden, von Gaede moderierten Diskussion von zahlreichen im Publikum anwesenden Ärzten geteilt. Es wurde betont, dass auch weitverbreitete Alltagsmedikamente wie Paracetamol und Insulin von suizidgeneigten Patienten ohne Weiteres zur Selbsttötung verwendet werden könnten und sich das Problem somit keineswegs auf die in der juristischen Diskussion bislang im Fokus stehenden Opiate beschränke. Aus den Reihen der Palliativmediziner wurde berichtet, dass § 217 StGB bereits jetzt fatale Auswirkungen auf das Gespräch zwischen Arzt und Patient habe und dieses verstummen lasse. Ein Vertreter der Kriminalpolizei wies zudem auf das Risiko hin, dass Angehörige § 217 StGB für Klageerzwingungsverfahren nutzen könnten. Für eine hitzige Debatte sorgte der Vorschlag von LOStA Dr. Folker Bittmann, die Rechtsprechung zur professionellen Beihilfe aus dem Wirtschaftsstrafrecht auf § 217 StGB zu übertragen und so eine Begrenzung der Strafbarkeit über den subjektiven Tatbestand zu erreichen.

Nach der sehr angeregten, von medizinischen und juristischen Beiträgen gleichermaßen geprägten Diskussion, wandte sich Prof. Dr. Gunnar Duttge im nächsten Vortrag der Frage „Organisiertes Sterbefasten – ein Fall des § 217 StGB?“ zu. Duttge zeigte zunächst auf, dass sich das sog. Sterbefasten, der freiwillige Verzicht auf Nahrung und Flüssigkeit, in vielerlei Hinsicht von herkömmlichen Selbsttötungsmethoden unterscheide: Es könne jederzeit unterbrochen werden, sodass ein sukzessiver Kontrollverlust eintrete, der vom Patienten selbst gesteuert werden könne und so weniger Zweifel an dessen Freiverantwortlichkeit lasse. Sterbefasten stehe durch die geringere Abhängigkeit von der Medizin zudem jedem Patienten offen. Deshalb stelle ärztlich begleitetes Sterbefasten kein strafwürdiges Verhalten dar. Wie sich diese Wertung mit § 217 StGB vereinen lässt, erörterte Duttge ausgehend von der Prämisse,dass der historische Wille des Gesetzgebers bei neuen Gesetzen zwar ein wichtiges Indiz sei, jedoch die Auslegung nur präge, solange sich dieser Wille auch widerspruchsfrei entnehmen lasse und er von der normtextlichen Form erfasst sei. Vor diesem Hintergrund müsse sich die Auslegung an der normstrukturellen Systematik und dem Willen des Gesetzgebers, nicht aber an „objektiv-teleologischen“ Vernünftigkeitserwägungen orientieren. Hiervon ausgehend begründete der Vortragende seine ablehnende Haltung gegenüber verschiedenen in der Literatur vertretenen einschränkenden Ansätzen. Sterbefasten sei, stelle man auf das äußere Geschehen ab, weder ein „aliud“ zum Suizid noch ein Behandlungsabbruch, und auch eine teleologische Reduktion der Merkmale Fördern, Förderungsabsicht oder Geschäftsmäßigkeit sei nicht der richtige Lösungsansatz. Vielmehr dürfe Sterbefasten schon nicht als Suizid im Sinne des § 217 StGB eingeordnet werden. Dieses Ergebnis könne im Wege subjektiv-teleologischer Auslegung erreicht werden. Dass Sterbefasten nach der Definition der WHO ein Suizid sei, stehe diesem Ergebnis nicht entgegen, da diese einem psychiatrischen und keinem rechtlichen Kontext entstamme.

Die Meinung, dass Sterbefasten kein Suizid sei, teilte auch Oechsle in ihrem anschließenden Kommentar – dies sei für sie eigentlich eine Selbstverständlichkeit. Allerdings machte sie auch deutlich, wie schwierig es für die Ärzteschaft sei, mit der aktuell bestehenden Unsicherheit umzugehen und forderte mehr Rechtsklarheit. Eine Forderung, die in der anschließenden, von RA Prof. Dr. iur. Michael Tsambikakis geleiteten Debatte von zahlreichen Ärzten wiederholt wurde. Insbesondere wurde darauf verwiesen, dass bei einer Einordnung des freiwilligen Verzichts auf Nahrung und Flüssigkeit als Fall des § 217 StGB auch im Rahmen des Behandlungsabbruchs bzw. im Rahmen von Patientenverfügungen Strafbarkeiten nahe lägen. Gaede hinterfragte zudem kritisch, ob Duttge die bei seiner Kritik an anderen Einschränkungsvorschlägen vertretenen engen Auslegungsgrenzen, die von denen des BVerfG abwichen, in der von ihm vorgeschlagenen Lösung erfülle. Der Gesetzgeber habe den Begriff des Suizides in keiner Weise normspezifisch enger als bisher bestimmt und lasse an keiner Stelle erkennen, dass er sich einen passiven Suizid nicht vorstellen könne. Hierauf präzisierte Duttge, dass der Gesetzgeber ebenso wenig explizit für ein weites Verständnis des Suizidbegriffs eingetreten sei. Insgesamt ergab sich im Publikum die einhellige Ansicht, dass der palliativ unterstützte Suizid nicht strafwürdig sei und möglichst nicht unter § 217 StGB subsumiert werden sollte.

Kennzeichnend für den Abend waren die zahlreichen angeregten und interdisziplinären Diskussionen mit hohem Praxisbezug. Diese wurden durch das passende Format und die sehr heterogene Zusammensetzung des Publikums ermöglicht, das Studierende der Medizin und Rechtswissenschaften ebenso umfasste wie Mediziner, Rechtsanwälte, Staatsanwälte, Polizeibeamte und Professoren. Insgesamt ist es gelungen, einen für rund 100 Mediziner und Juristen gleichermaßen spannenden Abend zu gestalten und wieder einmal die hohe Relevanz des interdisziplinären Austauschs im Bereich des Medizinstrafrechts zu unterstreichen.

 

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