Gesetzesantrag zur Ermöglichung von Auskunftsverlangen über retrograde und künftige Postsendungsdaten

Gesetzentwürfe: 

 

Der Freistaat Bayern hat einen Gesetzesantrag zur Ermöglichung von Auskunftsverlangen über retrograde und künftige Postsendungsdaten (BR Drs. 401/20) in den Bundesrat eingebracht. Damit möchte das Bundesland gegen den Trend des Versandhandels vorgehen, der mehr und mehr für kriminelle Zwecke eingesetzt wird. Der anonyme und mittels Krypto-Währung abgewickelte Handel mit illegalen Waren über das Darknet habe erheblich zugenommen. Ebenso seien vermehrt Betrugsfälle im Versandhandel zu verzeichnen. Dabei stehe vor allem das Problem der Identifizierbarkeit der Täter im Vordergrund. Ermittlungsansätze ergeben sich dabei beim Übergang der digitalen in die analoge Welt. Als Schlüsselstelle sind dies die Daten, die die Postdienstleister bei der Aufgabe und der Annahme entsprechender Waren festhalten. Für retrograde Auskunftsverlangen besteht jedoch de lege lata keine Verpflichtung der Postdienstleister. Ähnliches ergebe sich für Postsendungen, die sich noch nicht im Gewahrsam des Postdienstleisters befinden. Diese Gesetzeslücke soll der Entwurf nunmehr schließen. Vorgesehen ist die Verankerung einer gesetzlichen Rechtsgrundlage für Auskunftsverlangen der Strafverfolgungsbehörden gegenüber Postdienstleistern in § 99 Abs. 2 StPO, die sich auf noch nicht ein- oder bereits ausgelieferte Sendungen erstreckt. 

§ 99 Abs. 2 StPO-E:

„(2) Statt einer Beschlagnahme kann der Richter, unter den Voraussetzungen des § 100 auch der Staatsanwalt, von Personen oder Unternehmen, die geschäftsmäßig Post- oder Telekommunikationsdienste erbringen, Auskunft über die in Absatz 1 genannten Sendungen verlangen, die vom Beschuldigten herrühren oder für ihn bestimmt sind. Die Auskunft wird auch über solche Sendungen erteilt, die sich bei Eingang des Ersuchens nicht mehr oder noch nicht im Machtbereich der Person oder des Unternehmens befinden.“

Auf Antrag des Freistaates Bayern wurde der Gesetzentwurf am 18. September 2020 den Ausschüssen des Bundesrates zur Beratung zugewiesen. Der federführende Rechtsausschuss sowie der Ausschuss für Innere Angelegenheiten und der Wirtschaftsausschuss empfahlen dem Bundesrat, den Gesetzentwurf in den Bundestag einzubringen (BR Drs. 401/1/20). So entschied auch das Plenum am 27. November 2020.

 

 

Gesetzesantrag zur Anpassung der Urteilsverkündungsfrist des § 268 Absatz 3 Satz 2 StPO an die Unterbrechungsfrist des § 229 StPO

Gesetzentwürfe: 

 

Das Land Niedersachsen hat einen Gesetzesantrag zur Änderung der StPO in den Bundesrat eingebracht (BR Drs. 354/20). Der Entwurf sieht vor, die Urteilsverkündungsfrist des § 268 Abs. 3 S. 2 StPO an die Unterbrechungsfrist des § 229 StPO anzupassen. 

Das Land sieht ein Problem darin, dass die Hauptverhandlung bis zu drei Wochen (§ 229 Abs. 1 StPO), bzw. bis zu einem Monat (§ 229 Abs. 2 StPO) unterbrochen werden kann, ein Urteil jedoch spätestens am elften Tag nach Schluss der Verhandlung verkündet werden muss (§ 268 Abs. 3 S. 2 StPO). Insoweit sei die reguläre Unterbrechungsfrist verkürzt. Den Grund für den Ungleichlauf der Fristen sieht Niedersachsen in der bis zum 31. August 2004 geltenden Fassung des § 229 Abs. 1 StPO, der eine Unterbrechung der Hauptverhandlung lediglich für bis zu zehn Tage vorsah. Der nunmehr verkürzte Zeitraum führe zu terminlichen Problemen. Es sei nicht nur notwendig, dass alle Mitglieder des erkennenden Gerichts innerhalb der Frist des § 268 Abs. 3 S. 2 StPO zusammenfinden, sondern es sei überdies erforderlich, dass sich das Gericht in diesem kurzen Zeitfenster umfangreich beraten kann. Dies sei aber insbesondere bei der Beteiligung von Schöffen ein Problem, da diese im Regelfall neben der ehrenamtlichen Schöffentätigkeit einem Beruf nachgehen und auch dort zeitlich eingebunden sind. 

Ebenso erschließe sich nicht, warum zwar § 229 Abs. 3 StPO entsprechend auf die Urteilsverkündungsfrist des § 268 Abs. 3 S. 2 StPO anwendbar ist, die Frist im Übrigen aber kürzer als diejenigen des § 229 Abs. 1 und 2 StPO sein soll. Daher seien die Fristen einander anzupassen, so dass zwischen dem Schluss der Verhandlung und der Urteilsverkündung bis zu drei Wochen liegen dürfen. Hat die Hauptverhandlung bereits zuvor an mindestens zehn Tagen stattgefunden, soll zwischen dem Schluss der Hauptverhandlung und der Urteilsverkündung eine Unterbrechung bis zu einem Monat möglich werden.

Der Entwurf wurde am 3. Juli 2020 im Bundesrat vorgestellt und im Anschluss zwecks weiterer Beratung an die Fachausschüsse überweisen. Der Rechtsausschuss empfiehlt dem Bundesrat, den Gesetzentwurf in den Bundestag einzubringen (BR Drs. 354/1/20). Der Entschluss hierzu wurde am 18. September 2020 gefasst und am 23. Oktober 2020 umgesetzt (BT Drs. 19/23547)

 

 

Anpassung der Revisionsbegründungsfrist

Gesetzentwürfe: 

 

Die Fraktion der FDP hat am 28. Mai 2020 einen Antrag zur Anpassung der Revisionsbegründungsfrist in den Bundestag eingebracht. § 345 Abs. 1 StPO sieht derzeit zur Revisionsbegründungsfrist von einem Monat vor. Nach Ansicht der Fraktion kann eine solche starre Frist gerade bei langwierigen Verfahren mit langer Absetzungsdauer des Urteils einer bestmöglichen Bearbeitung des Falles nicht gerecht werden. Im Vergleich zu der nicht begrenzten Frist für die Urteilsabsetzung (§ 275 Abs. 1 StPO) sei die Frist zur Revisionsbegründung zu starr. Darum soll diese angepasst werden. Sie soll erst zu laufen beginnen, wenn dem Rechtsmittelführer das Urteil und das Hauptverhandlungsprotokoll zugestellt worden sind. 

Der Bundestag soll daher die Bundesregierung auffordern: 

  1. „einen Gesetzesentwurf vorzulegen, in dem die Frist des § 345 StPO zur Revisionsbegründung vergleichbar der Regelung des § 275 Abs. 1 StPO unter Berücksichtigung des Umfangs des Verfahrens gestaffelt wird,
  2. die Vorschrift des § 345 StPO so zu reformieren, dass die Revisionsbegründungsfrist erst zu laufen beginnt, wenn dem Rechtsmittelführer das Urteil und das Hauptverhandlungsprotokoll zugestellt worden sind,
  3. eine absolute Obergrenze für die Absetzungsfrist gem. § 275 Abs. 1-3 StPO zu schaffen.“

 

 

 

 

 

 

Entwurf eines Gesetzes zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht

Gesetz zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht vom 27. März 2020: BGBl. I 2020 Nr. 14, S. 569 ff. 

Gesetzentwürfe: 

 

Die Bundesregierung hat am 24. März 2020 eine Formulierungshilfe für ein Gesetz zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht veröffentlicht. Das Virus SARS-CoV-2 hat in ganz Deutschland zu beträchtlichen Einschränkungen im Privat- und Wirtschaftsleben geführt und betrifft auch die Gerichte und Staatsanwaltschaften, insbesondere die strafgerichtliche Hauptverhandlung. Schon im Dezember 2019 wurden mit dem Gesetz zur Modernisierung des Strafverfahrens die Fristen für eine Unterbrechung der Hauptverhandlung bei Krankheit, Mutterschutz und Elternzeit (§ 229 Abs. 3 StPO) verlängert. Bereits jetzt sei aber absehbar, dass die verlängerten Unterbrechungsfristen nun nicht mehr ausreichen. Ein zusätzlicher Hemmungstatbestand soll die Fortsetzung der aufgrund der COVID-19-Pandemie unterbrochenen Strafverfahren sichern und eine Neuverhandlung der Prozesse vermeiden. 

Dazu soll § 10 EGStPO wie folgt gefasst werden: 

„§ 10  – Hemmung der Unterbrechungsfristen wegen Infektionsschutzmaßnahmen 

(1) Unabhängig von der Dauer der Hauptverhandlung ist der Lauf der in § 229 Absatz 1 und 2 der Strafprozessordnung genannten Unterbrechungsfristen gehemmt, solange die Hauptverhandlung aufgrund von Schutzmaßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung von Infektionen mit dem SARS-CoV-2-Virus (COVID-19-Pandemie) nicht durchgeführt werden kann, längstens jedoch für zwei Monate; diese Fristen enden frühestens zehn Tage nach Ablauf der Hemmung. Beginn und Ende der Hemmung stellt das Gericht durch unanfechtbaren Beschluss fest. 

(2) Absatz 1 gilt entsprechend für die in § 268 Absatz 3 Satz 2 der Strafprozessordnung genannte Frist zur Urteilsverkündung.“ 

Der Deutsche Anwaltverein hat bereits zu dem Entwurf Stellung genommen. Er begrüßt grundsätzlich den Vorschlag der Bundesregierung, sieht allerdings auch in einigen Punkten Nachbesserungsbedarf. Die Stellungnahme finden Sie hier

Neben den Änderungen im Strafverfahrensrecht sieht der Gesetzentwurf auch solche im Bereich des Zivil- und Insolvenzrechts vor.

Am 25. März 2020 hat der Bundestag den Gesetzentwurf der Fraktionen CDU/CSU und SPD einstimmig angenommen. Am 27. März 2020 stimmte der Bundesrat in einer Sondersitzung ebenfalls für den Entwurf. Die Regelungen gelten begrenzt für die derzeitige Ausnahmesituation, danach erfolgt die Rückkehr zur bisherigen Lage. 

Das Gesetzes zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht (BGBl. I 2020 Nr. 14, S. 569 ff.) wurde am selben Tag noch im Bundesgesetzblatt verkündet. Artikel 3 (Änderungen im Strafverfahrensrecht) trat bereits einen Tag später in Kraft. 

 

 

Gesetz zur Effektivierung des beschleunigten Verfahrens in Strafsachen

Gesetzentwürfe: 

 

Das Land Nordrhein-Westfalen hat am 17. Mai 2019 einen Gesetzesantrag zur Effektivierung des beschleunigten Verfahrens in Strafsachen (BR Drs. 241/19) in den Bundesrat eingebracht, wo er am 7. Juni 2019 vorgestellt wird. 

Ziel des Entwurfes ist es, den Strafprozesse häufiger im beschleunigten Verfahren abzuwickeln, um so den Zeitraum zwischen Tat und Hauptverhandlung zu verkürzen und den Täter möglichst unmittelbar nach der Tat mit den strafrechtlichen Folgen seines Handelns zu konfrontieren. Das beschleunigte Verfahren soll in Fällen mit einfachem Sachverhalt und klarer Beweislage zur Anwendung kommen, in denen eine Geldstrafe oder die Freiheitsstrafe von bis zu einem Jahr zu erwarten ist. 

In der Vergangenheit habe der Gesetzgeber primär „die mit einer Verfahrensvereinfachung verbundene Entlastung der Justiz gegenüber dem Normalverfahren als Argument für die Verfahrensbeschleunigung in den Vordergrund gerückt“. Man habe allerdings außer Acht gelassen, dass eine Hauptverhandlung eine nachhaltigere Einwirkung auf den Täter und zugleich eine verbesserte Generalprävention ermögliche, als ein Strafbefehl dies könne. Das beschleunigte Verfahren soll ausgebaut, praxisgerechter gestaltet und zugleich rechtsstaatlich geschärft werden.

Am 07. Juni 2019 überwies der Bundesrat den Antrag zur Beratung an den  Rechtsausschuss. Dieser empfiehlt dem Bundesrat den Entwurf in den Bundestag einzubringen (BR Drs. 241/1/19). Der Antrag des Landes Nordrhein-Westfalen stand am 28. Juni 2019 erneut auf der Tagesordnung, wurde aber kurzfristig wieder abgesetzt. 

 

 

 

 

 

 

Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Strafverfahrens

Gesetz zur Modernisierung des Strafverfahrens vom 10. Dezember 2019: BGBl I 2019, S. 2121 ff. 

Hier finden Sie folgende Entwürfe: 

Die Bundesregierung hat am 23. Mai 2019 ein Eckpunktepapier zur Modernisierung des Strafverfahrens vorgelegt (BT Drs. 19/10388):

  • Bündelung der Nebenklagevertretung 
    Zur nachhaltigen Wahrnehmung der Opferinteressen in der Hauptverhandlung, soll die Nebenklagevertretung gebündelt und die Kostentragung neu geregelt werden. Dies führe zu einer fiskalischen Entlastung der Länder. Insgesamt soll ein neu zu schaffender § 397b StPO – „Mehrfachvertretung“ in die Strafprozessordnung aufgenommen werden. 
  • Ausweitung der Nebenklageberechtigung auf alle Vergewaltigungstatbestände 
    Nach der Reform des Sexualstrafrechts soll es auch Opfern von Vergehen nach § 177 StGB ermöglicht werden, einen Opferanwalt nach § 397a Abs. 1 Nr. 1 StPO einzuschalten, wenn ein besonders schwerer Fall i.S.d. § 177 Abs. 6 StGB vorliegt. Hierzu ist eine Erweiterung des § 397a Abs. 1 Nr. 1 StPO geplant. 
  • Vereinfachung des Befangenheitsrechts 
    Eine Neufassung des § 29 StPO – Vornahme unaufschiebbarer Amtshandlungen, soll einer Verzögerung der Hauptverhandlung durch unbegründete Befangenheitsanträge entgegenwirken. Die Bundesregierung sieht vor, den bisher geltenden Grundsatz der Wartepflicht abzuschaffen und eine Frist zur Stellung von Ablehnungsersuchen einzuführen. 
  • Vereinfachung des Beweisantragsrechts 
    Ebenso sollen die Voraussetzungen für eine Ablehnung gestellter Beweisanträge mit Verschleppungsabsicht erleichtert werden. Dazu ist die Präzisierung des Ablehnungsgrundes des § 244 Abs. 3 S. 2 Var. 6 StPO geplant: in objektiver Hinsicht soll in Zukunft nicht mehr die „wesentliche“ Verzögerung eines Verfahrens notwendig sein, die bislang in der Praxis dazu geführt habe, dass der Ablehnungsgrund der Verschleppungsabsicht lediglich ein Schattendasein führe. 
  • Vorabentscheidungsverfahren für Besetzungsrügen 
    Um die Besetzungsrügen der Revision zu entziehen, sollen diese nur noch vor oder zu Beginn der Hauptverhandlung abschließend durch ein höheres Gericht beschieden werden. Hierfür soll eine Frist von 1 Woche ab der Zustellung der Besetzungsmitteilung eingeführt werden. Nach Ablauf der Frist  präkludiert das Rügerecht. Nur wenn das Gericht die Besetzung aus organisatorischen Gründen erst zu Beginn der Hauptverhandlung mitteilen kann, verbleibt es bei der bisherigen Regelung. Ein Änderungsbedarf entsteht dadurch bei den §§ 222b und 338 Abs. 1 StPO.
  • Harmonisierung der Unterbrechungsfristen mit Mutterschutz und Elternzeit 
    Eine Hemmung des Laufes der Unterbrechungsfristen gem. § 229 Abs. 1 und 2 StPO für die Dauer des Mutterschutzes soll die Vereinbarkeit von Familie und Beruf stärken und das „Platzen“ von Prozessen verhindern. 
  • Erweiterung der DNA-Analyse
    Eine Änderung des § 81e Abs. 2 StPO soll in Zukunft eine molekulargenetische Untersuchung auch an aufgefundenem, sichergestellten und beschlagnahmten Material ermöglichen, die die Bestimmung der Haar-, Augen- und Hautfarbe sowie des Alters des Spurenlegers ermöglichen. 
  • Bekämpfung des Einbruchsdiebstahls 
    Die TKÜ-Befungnis soll auch für einen serienmäßig begangenen Einbruchdiebstahl in eine dauerhaft genutzte Privatwohnung (§ 244 Abs. 4 StGB) eingeführt werden. Dazu muss der Katalog des § 100a Abs. 2 StPO erweitert werden. Die Regelung sei zunächst auf 5 Jahre zu befristen.
  • Qualitätsstandards für Gerichtsdolmetscher 
    Die Beeidigung von Gerichtsdolmetschern ist in den einzelnen Ländern unterschiedlich ausgestaltet. Insbesondere die persönlichen und fachlichen Anforderungen differieren stark. Daher sollen die Pflichten, denen ein Gerichtsdolmetscher nachkommen muss, gesetzlich festgelegt werden. § 189 GVG soll dahingehend geändert und zudem ein Gerichtsdolmetschergesetz implementiert werden, in dem die Voraussetzungen für eine Beeidigung und die persönliche und fachliche Eignung festgelegt wird. 
  • Gesichtsverhüllung vor Gericht 
    In Zukunft sollen Verfahrensbeteiligte vor Gericht ihr Gesicht weder ganz noch teilweise verhüllen dürfen. Ausnahmen sollen lediglich für die Fälle gelten, in denen die Identitätsfeststellung oder die Beurteilung des Aussageverhaltens nicht notwendig sind. Ebenso kann eine Ausnahme zum Schutz einzelner Personengruppen zugelassen werden. Dazu sollen § 176 GVG, §§ 68 und 110b StPO und § 10 des Zeugenschutz-Harmonisierungsgesetzes geändert werden. 
  • Informationsbefugnis für Bewährungshilfe/Führungsaufsicht 
    Im Anschluss an die Änderung des § 481 StPO sollen weitere Klarstellungen nach dem Beschluss der Konferenz der Justizministerinnen und Justizminister vom 7. Juni 2018 erfolgen: 

    • Klarstellung der Befugnis zur Übermittlung personenbezogener Daten der Führungsaufsichtsstellen an die Polizeibehörden, wenn eine rechtzeitige Übermittlung durch die Strafverfolgungsbehörden und Gerichte nicht gewährleistet werden kann. Bislang werden nur die Bewährungshelfer explizit genannt.
    • Erlaubnis zur Übermittlung zur Abwehr jeder Gefahr, nicht nur einer „dringenden“ Gefahr.
    • Schaffung einer gesetzlichen Grundlage für die Zusammenarbeit mit der Polizei und anderen Verwaltungsbehörden im Rahmen „runder Tische“.
  • Bild-Ton-Aufzeichnungen einer richterlichen Vernehmung 
    Die Möglichkeit der Aufzeichnung einer richterlichen Vernehmung soll auch auf zur Tatzeit erwachsene Opfer von Sexualstraftaten ausgeweitet werden. Die Möglichkeit des Einsatzes einer Aufzeichnung soll durch eine „Muss-Regelung“ ersetzt werden, die an eine doppelte Einverständnislösung des betroffenen Verletzten gekoppelt ist. Das besondere Schutzbedürfnis von Opfern von Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung vor belastenden Mehrfachvernehmungen wurde bereits in der Konferenz der Justizministerinnen und Justizminister vom 22. Juni 2017 festgestellt. Die Neuregelung erfordert eine Änderung der §§ 58a Abs. 1 S. 2 Nr. 1 und 255a Abs. 2 StPO. 

 

Hieraus ergab sich nun der Referentenentwurf zur Modernisierung des Strafverfahrens, den das BMJV am 8. August 2019 veröffentlichte. Der Entwurf soll den sich wandelnden Rahmenbedingungen der Strafrechtspflege gerecht werden. Zuletzt wurden einzelne strafprozessuale Regelungen durch das Gesetz zur effektiveren und praxistauglicheren Gestaltung des Strafverfahrens vom 17. August 2017 geändert. Der Referentenentwurf knüpft daran an und enthält Vorschläge, die der weiteren Effektivierung und Steigerung der Praxistauglichkeit dienen sollen. Konkret sieht der Gesetzentwurf vor, das gerichtliche Strafverfahren zu beschleunigen,

  • indem missbräuchlich gestellte Befangenheit- und Beweisanträge unter einfacheren Voraussetzungen abgelehnt werden können,
  • ein Vorabentscheidungsverfahren für den Besetzungseinwand eingeführt wird,
  • die Möglichkeit geschaffen wird, die Nebenklagevertretung durch Bestellung oder Beiordnung eines gemeinsamen Nebenklagevertreters zu bündeln
  • und die Fristen für eine Unterbrechung der Hauptverhandlung bei Mutterschutz und Elternzeit zu hemmen,
  • ferner ein Verbot der Gesichtsverhüllung in der Gerichtsverhandlung einzuführen. 

Des Weiteren sind folgende Aspekte berücksichtigt worden:

  • Erweiterung der TKÜ im Rahmen der Verfolgung des Wohnungseinbruchdiebstahls
  • Erweiterung der DNA-Analyse im Strafverfahren 
  • Einführung einer Eilkompetenz für Führungsaufsichtsstellen zur Übermittlung personenbezogener Daten an die Polizeibehörden
  • Informationsweitergabe im Rahmen der Führungsaufsicht in Form von „Runden Tischen“
  • Einführung einer Verpflichtung zur audiovisuellen Aufzeichnung richterlicher Vernehmungen im Ermittlungsverfahren von Opfern von Sexualstraftaten 
  • Ausdehnung des Anspruchs auf privilegierte Bestellung eines Rechtsbeistandes für Nebenkläger (insbes. bei Vergewaltigung)
  • Einführung eines bundesweiten Gerichtsdolmetschergesetzes 

Am 23. Oktober 2019 beschloss das Bundeskabinett den vom BMJV vorgelegten Regierungsentwurf zur Modernisierung des Strafverfahrens. Damit sollte sich der diesbezügliche Antrag der FDP (BT Drs. 19/14244), der am 23. Oktober 2019 in den Bundestag eingebracht wurde, erledigt haben. 

Am 5. November 2019 brachten die Fraktionen CDU/CSU und SPD einen eigenen Gesetzentwurf in den Bundestag ein (BT Drs. 19/14747). Die im Entwurf berücksichtigten Themenkomplexe entsprechen denen des Referententwurfs. 

Am 7. November 2019 waren das Eckpunktepapier der Bundesregierung (BT Drs. 19/10388), der Gesetzentwurf der Fraktionen CDU/CSU und SPD (BT Drs. 19/14747) sowie der Antrag der FDP (BT Drs. 19/14244) Thema einer ersten Beratung im Bundestag. Alle Vorlagen wurden zwecks weiterer Beratung an den federführenden Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz überwiesen. Insbesondere die FDP sieht bei dem Gesetzentwurf Änderungsbedarf. Zwar äußerte sich die Fraktion zu den geplanten Änderungen bzgl. der Opferrechte und der Bündelung der Nebenklage positiv, Effizienz und Schnelligkeit könnten aber nicht die einzigen Kriterien des Strafprozesses sein, denn oberstes Gebot bleibe die Wahrheitsfindung. Darum gebe es keinen Änderungsbedarf bei den Befangenheits- und Beweisanträgen. 

Am 11. November 2019 fand im Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz eine öffentliche Anhörung statt. Eine Liste der Sachverständigen und deren Stellungnahme finden Sie hier. Die Ansichten der Experten zu dem Regierungsentwurf waren gespalten. Während die Vertreter der Justiz die geplanten Maßnahmen mit Dringlichkeit begrüßten, lehnten die Verteidiger diese weitestgehend ab. 

So betonte Jens Gnisa vom DRB, dass die Praxis bereits seit Jahren auf eine Modernisierung des Strafverfahrens warte. Die zentralen Regelungen zu Befangenheitsanträgen, Besetzungsrügen, sowie zum Beweisantragsrecht und zur Bündelung der Nebenklage seien sinnvolle Ergänzungen, durch die die Beschuldigtenrechte nicht im Übermaß gekappt werden. Stefan Caspari sprach sich in seiner Stellungnahme ebenfalls weitestgehend für den Entwurf aus. Er hob jedoch hervor, dass im Rahmen der audiovisuellen Aufzeichnung von Zeugenaussagen und deren Vorführung in der Hauptverhandlung eine gesetzgeberische Klarstellung erforderlich sei. Richter am OLG Stuttgart Stefan Maier ging diesbezüglich noch weiter und äußerte sich kritisch bzgl. der zwingenden Aufzeichnung von richterlichen Vernehmungen der zur Tatzeit erwachsenen Opfer von Sexualstraftaten und der vernehmungsersetzenden Vorführung der Aufzeichnung vor Gericht. Dadurch sei mit einer Entbehrlichkeit der Vernehmung der Opferzeugen vor Gericht regelmäßig nicht zu rechnen. Prof. Dr. Andreas Mosbacher beschäftigte sich insbesondere mit den erstinstanzliche Strafverfahren vor den Landgerichten, die seiner Meinung nach trotz überschaubarer Tatvorwürfe und unkomplizierter Beweislage unverständlich lange dauerten. Daher seien die geplanten Änderungen noch nicht ausreichend, um diesen Missstand zu beheben. Dazu seien u.a. Fortbildungen der Richter an den Landgerichten zum Thema effektive Verhandlungsführung notwendig. Für die Erweiterung der DNA-Analyse sprach sich insbesondere OStA Ken Heidenreich von der Staatsanwaltschaft München aus. Die diesbezüglich erhobenen Einwände seien nicht nachvollziehbar. So werde weder das Recht auf informationelle Selbstbestimmung verletzt noch liege ein Eingriff in den Kernbereich des Persönlichkeitsrechtes vor. 

Prof. Dr. Matthias Jahn betonte in seiner Stellungnahme, dass der Entwurf durchaus problematische Änderungen vorsehe, die einen rechtspolitischen Zweck vermissen ließen. Insbesondere mit Blick auf die Beschuldigtenrechte seien die Regelungen zu den Befangenheitsanträgen, Besetzungsrügen, sowie zum Beweisantragsrecht bedenklich, da von ihnen keine Beschleunigung der Verfahren zu erwarten sei. Als kritisch befand er auch die Erweiterung der DNA-Analyse sowie der TKÜ. Stefan Conen von der Vereinigung Berliner Strafverteidiger sah in der Möglichkeit schnellerer Verfahrensabschlüsse eine erhöhte Gefahr von Fehlurteilen. Dr. Ali B. Norouzi vom Deutschen Anwaltverein teilte diese Ansichten und sprach von der Notwendigkeit empirischer Erkenntnisse zu den bereits  erfolgten Änderungen der StPO, bevor weitere Neuerungen ins Auge gefasst werden könnten. Seiner Meinung nach hätten die Neuregelungen keinen Mehrwert für die Praxis sondern böten eher Konfliktstoff für die Hauptverhandlung. 

Am 13. November 2019 stimmte der Rechtsausschuss über die vorliegenden Gesetzentwürfe ab. Die Oppositionsfraktionen lehnten die vorliegenden Entwürfe mit Hinweis auf die Kürze des Gesetzgebungsverfahrens und die kritischen Ausführungen der Sachverständigen ab. Der Koalitionsentwurf wurde dennoch gegen die Stimmen der Fraktionen Die Linke, FDP und Bündnis 90/Die Grünen und mit Enthaltung der AfD angenommen. Die Anträge der FDP (BT Drs. 19/14244) und der Grünen: (BT Drs. 19/13515) wurden abgelehnt. 

In der Gegenäußerung (BT Drs. 19/15082) zur vom Bundesrat vorgeschlagenen Neufassung des § 25 StPO äußert sich die Bundesregierung kritisch. Eine Änderung sei nicht geboten. Ebenfalls seien die Ausnahmen vom Verbot der Gesichtsverhüllung ausreichend. 

Am 15. November 2019 stand der Regierungsentwurf und der wortgleiche Entwurf der Koalitionsfraktionen auf der Tagesordnung des Bundestages. Letzterer wurde in der geänderten Fassung des Rechtsausschusses (BT Drs. 19/15161) mit den Stimmen der Fraktionen CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der FDP, der Linken und der Grünen bei Enthaltung der AFD angenommen. Der Regierungsentwurf wurde einstimmig für erledigt erklärt. 

Gleichzeitig wurde der Gesetzentwurf der FDP zur Nutzung audiovisueller Aufzeichnungen in Strafprozessen (BT Drs. 19/11090) und der Antrag „Strafprozesse effektiver, schneller, moderner und praxistauglicher gestalten“ (BT Drs. 19/14244) abgelehnt. 

Der Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, das Strafverfahren durch „digitale Dokumentation der Hauptverhandlung“ zu modernisieren (BT Drs. 19/13515) wurde auf Empfehlung des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz (BT Drs. 19/15161) ebenfalls abgelehnt. 

Das Gesetz zur Modernisierung des Strafverfahrens vom 10. Dezember 2019 (BGBl I 2019, S. 2121 ff.) wurde am 12. Dezember im Bundesgesetzblatt verkündet und trat überwiegend am 13. Dezember 2019 in Kraft. Art. 2 und Art. 4 treten am 12. Dezember 2024 und Art. 6 (Gerichtsdolmetschergesetz) am 1. Juli 2021 in Kraft. 

 

 

 

 

 

 

 

Alternativ-Entwurf – Abgekürzte Strafverfahren im Rechtsstaat (AE-ASR)

Hier finden Sie folgende Gesetzentwürfe: 

 

Der Arbeitskreis deutscher, österreichischer und schweizerischer Strafrechtslehrer hat sich mit den Formen abgekürzter Strafverfahren beschäftigt und einen Alternativvorschlag zur Regelung unterbreitet. Eine ausführliche Auseinandersetzung mit dem Entwurf finden Sie in der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift Goltdammer´s Archiv für Strafrecht (GA 2019, 1). Er beschäftigt sich insbesondere mit den Möglichkeiten der Verfahrenseinstellung unter Auflage und Weisungen (§ 153a StPO) und der Verständigung (§ 257c StPO). 

 

 

 

 

 

 

Gesetzentwurf zur Verbesserung der Inneren Sicherheit – Verfahrensbeschleunigungsgesetz und verbesserte Eingriffsgrundlagen der Justiz

Gesetzentwürfe: 

 

Ein Gesetzentwurf der AfD, zur Verbesserung der Inneren Sicherheit und für verbesserte Eingriffsgrundlagen der Justiz, wurde am 19. Oktober 2018 in erster Lesung im Bundestag beraten und im Anschluss zur weiteren Beratung an den federführenden Rechtsausschuss überwiesen. 

Der Entwurf der Fraktion sieht umfangreiche Änderungen im Ausländer-, Straf- und Strafprozessrecht vor. Hiervon verspricht sich die Fraktion eine effizientere Strafverfolgung und einen besseren Schutz vor Straftätern, von denen eine erhöhte Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgehe. Der Forderungskatalog stieß jedoch bei den anderen Fraktionen auf entschiedene Ablehnung.

Im StGB sollen die Anforderungen an eine verminderte Schuldfähigkeit und an die Strafaussetzung zur Bewährung heraufgesetzt werden. Ebenso soll die Möglichkeit der Sicherungsverwahrung für die Fälle geschaffen werden, in denen ein Täter nicht durch die Maßregeln der §§ 63, 64 StGB therapierbar und weiterhin gefährlich sei.

Im Strafprozessrecht soll es nach Vorstellung der AfD künftig keine Möglichkeit mehr der Revision geben. Vielmehr soll diese durch eine Annahmeberufung ersetzt werden. Die Qualität der Strafurteile soll durch eine Änderung des GVG gesichert werden,  indem der Tätigkeitsbereich der Richter auf Probe eingeschränkt wird und die Leitung der Hauptverhandlung vor dem LG nur einem Richter mit der entsprechenden Berufserfahrung vorbehalten bleibt. Des Weiteren erfährt der Bereich der Untersuchungshaft durch den Gesetzentwurf eine Erweiterung. Diese soll künftig auch über die Fortdauer von 6 Monaten ausgedehnt werden können, wenn ein Haftgrund der Wiederholungsgefahr vorliegt. Ferner soll es:

  • ein geregeltes Analogieverbot für verbotene Vernehmungsmethoden nach § 136a StPO n.F. geben
  • Maßregelmöglichkeiten im Falle des Fernbleibens eines Zeugens zu einer polizeilichen Vernehmung eingeführt werden und
  • die Regelung des „Deals“ in § 257c StPO a.F. aufgehoben werden. 

Auch vor dem Jugendstrafverfahren macht der Entwurf der AfD keinen Halt. Dieses soll eine Angleichung an das Erwachsenenstrafrecht erfahren, indem für Heranwachsende nur noch ausnahmsweise das Jugendstrafrecht anwendbar sei. Außerdem soll das Jugendstrafrecht nicht mehr zur Anwendung kommen, wenn es sich bei der begangenen Straftat um ein Verbrechen nach allgemeinem Strafrecht handele.

Im Strafvollzugsrecht soll die schuldangemessene Sühne als weitere Vollzugsaufgabe aufgenommen werden. Ferner sollen die Anforderungen an Vollzugslockerung steigen. Hier soll insbesondere die Schwere der Schuld zu berücksichtigen sein und die Vollstreckungsbehörden mit in die Entscheidungen eingebunden werden. 

Die Änderungen im Ausländerrecht sollen nach Vorstellung der AfD dem Zweck dienen, straffällige Asylsuchende ohne Bleiberecht auszuweisen bzw. abzuschieben. So soll beispielsweise im AsylG eine Präventivhaft eingeführt werden, die solang andauern können soll, wie von dem Ausländer eine Gefahr für die Bundesrepublik oder der Allgemeinheit ausgehe. 

Roman Reusch (AfD) beklagte in der Debatte, dass die Strafjustiz nicht mehr in der Lage sei, die innere Sicherheit ausreichend zu erfüllen. So sei es eine „irrsinnige Zumutung für alle Beteiligten“, wenn durch die Revision monate- oder jahrelang geführte Verfahren wieder von vorne verhandelt werden müssten. Ferner sprach sich Reusch für einen Haftgrund für Raub und Messerattacken aus. 

Alex Müller (CDU) kritisierte den Forderungskatalog der AfD. Die Abschaffung der Revision bedeute den „Gang in den Unrechtsstaat“. Die Streichung des Erziehungsgedankens im Jugendstrafrecht und die Streichung der Resozialisierungsbemühungen der Strafvollzugsanstalten sei auf eine „reine Abschreckung“ ausgerichtet. 

FDP und SPD warfen der AfD vor, sie wolle mit den Änderungen ein „Sonderstrafrecht für Ausländer“ etablieren und strebe eine „Sippenhaft“ an. Jürgen Martens (FDP): „Die familienbezogene Erfassung von Straftätern gab es zuletzt im Dritten Reich.“ 

Auch die Linke und die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen warfen der AfD mit dem Entwurf einen Angriff auf die Demokratie und den Rechtsstaat vor. Canan Bayram (Die Grünen) kritisierte, dass die AfD in der Vorlage Straf- und Verwaltungsrecht durcheinanderbringe und in Bezug auf die geplanten Änderungen im Jugendstrafrecht und Justizvollzug nicht darstelle, wie sie überhaupt mit den Folgen der Änderungen umgehen wolle.

Am 15. Januar 2020 empfahl der Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz in seinem Bericht die Ablehnung des Gesetzentwurfs (BT Drs. 19/10050). Ein entsprechender Beschluss des Bundestages erging am 23. Juni 2021 ohne weitere Aussprache in abschließender Beratung. 

 

 

 

 

Anwesenheitsrecht des Angeklagten

Gesetzentwürfe:

Zur Umsetzung der Richtlinie 2016/343/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9. März 2016 über die Stärkung bestimmter Aspekte der Unschuldsvermutung und des Rechts auf Anwesenheit in der Verhandlung in Strafverfahren bedarf es im deutschen Recht punktueller Änderungen in der Strafprozessordnung. Der Referentenentwurf des BMJV schlägt Neuerungen mit Bezug zum Anwesenheitsrecht des Angeklagten in der Hauptverhandlung, insbesondere in der Revisionshauptverhandlung, vor.

So soll bei einer zulässigen Abwesenheitsverhandlung (§ 231 Abs. 2 StPO) eine Hinweispflicht für den Angeklagten eingeführt werden. Ebenso soll in Fällen der Abwesenheit in der Berufungs- und Revisionsverhandlung zur Anpassung an die Richtlinie eine ausdrückliche Belehrung des Angeklagten über seine Rechte aus § 329 Abs. 7 StPO (Ausbleiben des Angeklagten; Vertretung in der Berufungshauptverhandlung) und § 356a StPO (Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör bei einer Revisionsentscheidung) ergänzt werden.

Des Weiteren sieht der Entwurf eine klarstellende Ergänzung in § 350 Abs. 2 S. 2 StPO (Revisionshauptverhandlung) vor. Es soll deutlich werden, dass es im Ermessen des Gerichts liegt, ob der inhaftierte Angeklagte der Revisionsverhandlung zugeführt wird oder nicht.

Die BRAK hat am 11. Juli 2018 eine Stellungnahme zu dem Referentenentwurf veröffentlicht und sieht darin eine „in weiten Teilen überzeugende und begrüßenswerte Konzeption zur Umsetzung des Rechts des Angeklagten auf Anwesenheit in der Verhandlung, wie es europarechtlich nunmehr durch Art. 8 f. RL 2016/343/EU determiniert ist.“ Die Stellungnahme finden Sie hier

Auf Empfehlung des Rechtsausschusses erhob der Bundesrat in seiner Plenarsitzung am 21. September 2018 gemäß Art. 76 Abs. 2 GG keine Einwendungen.

Am 26. September 2018 hat die Bundesregierung ihren Gesetzentwurf (BT Drs. 19/4467) nun auch in den Bundestag eingebracht. Dort wurde er am frühen Morgen des 30. November 2018 mit den Stimmen der Fraktionen CDU/CSU, SPD und AfD nach zweiter und dritter Lesung und auf Empfehlung des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz (BT Drs. 19/6138) angenommen. 

In seiner Plenarsitzung am 14. Dezember 2018 stimmte der Bundesrat dem verabschiedeten Gesetz ebenfalls zu. Es wurde am 20. Dezember 2018 verkündet und trat am darauffolgenden Tag in Kraft.

 
 
 
 
 

Zweiter Strafkammertag in Würzburg, 26. September 2017 – Forderungskatalog der teilnehmenden Richter

 

Am 26. September 2017 fand in Würzburg der zweite Strafkammertag unter dem Motto „Gerechter Strafprozess braucht gute Gesetze“ statt. 80 Vorsitzende aus Strafkammern und Strafsenaten sowie viele Praktiker erarbeiteten Gesetzgebungsvorschläge, um den Strafprozesses weiter zu vereinfachen. Dabei ließen sie insbesondere ihre langjährige Erfahrung in der gerichtlichen Praxis mit einfließen.

Die Arbeitsgruppe „Zukunft des Strafprozesses“, in der sich die Präsidenten/innen des Bundesgerichtshofs, der Oberlandesgerichte und des Kammergerichts unter Leitung des Präsidenten des Oberlandesgerichts Bamberg Clemens Lückemann zusammengefunden haben, veröffentlichte am 26. September 2017 eine Pressemitteilung, in der sie gemeinsam mit den Teilnehmern des Strafkammertages einen Appell an die Politik richteten, eine Verbesserung des deutschen Strafprozesses in die Koalitionsvereinbarungen einzubeziehen. Clemens Lückemann: „Die deutsche Strafjustiz erhofft sich ein Signal von der Politik durch die Aufnahme etwa folgender Vereinbarung in einen abzuschließenden Koalitionsvertrag: Wir werden das Strafverfahren weiter praxisgerecht verbessern und die Wahrheitsfindung im Strafprozess erleichtern.“

Sechs Arbeitsgruppen, die sich aus den Teilnehmern des Strafkammertages zusammensetzten, haben hierzu Kernvorschläge erarbeitet, die anschließend im Plenum verabschiedet wurden.

Der Forderungskatalog lautet:

  1. Nach Befangenheitsanträgen – vor und während der Hauptverhandlung – soll die Hauptverhandlung bis zum übernächsten Verhandlungstag, mindestens aber für zwei Wochen fortgesetzt werden können.
  2. Entscheidung über Besetzungsrügen im Rahmen eines Beschwerdeverfahrens, wobei die sofortige Beschwerde keine aufschiebende Wirkung entfaltet und die vom Beschwerdegericht getroffene Entscheidung für das Revisionsverfahren bindend ist.
  3. Unterbindung von „ins Blaue hinein“ gestellten Beweisanträgen durch erhöhte gesetzliche Anforderung an deren Begründung.
  4. Erweiterte Verlesbarkeit von Urkunden in Fällen – von Zeugenfragebögen/Strafanzeigen in gleichgelagerten Masseverfahren – von Berichten der Jugendgerichtshilfe und der Bewährungshilfe
  5. Revisionen sollen nur noch dann zulässig sein, wenn sie durch einen Verteidiger begründet werden, der die Sachrüge in gleicher Weise wie die Verfahrensrüge auszuführen hat. Die Revision gegen Entscheidungen der kleinen Strafkammer bedarf zusätzlich der Zulassung; die Sprungrevision wird abgeschafft.
  6. Das Verschlechterungsverbot bei Widerruf eines Geständnisses nach erfolgter Verständigung entfällt.
  7. Sofern mehrere Nebenkläger gleichgelagerte Interessen im Strafverfahren verfolgen, soll ihnen derselbe Rechtsbeistand bestellt werden. Dies ist in den Fällen des § 395 II Nr. 1 StPO in der Regel anzunehmen. Die Rechte aus §§ 68b und 406f StPO bleiben unberührt.
  8. Die Tatsachenfeststellungen und der Schuldspruch im Strafverfahren sollen eine Bindungswirkung in nachfolgenden Zivilverfahren entfalten.
  9. Wir fordern die Formulierung eines Anspruchs auf und eine Pflicht zur aufgabenorientierten Fortbildung (zeitnah, ortsnah, kompakt, nacharbeitsfrei) unter Berücksichtigung bei der Personalausstattung und tätigkeitsbegleitende Unterstützung durch Maßnahmen wie Coaching/Supervision gezielt für Strafrichter.
  10. Wir fordern zur Entlastung der Strafkammern und Professionalisierung der Pressearbeit eine gesetzliche Regelung, die gewährleistet, dass die Tätigkeit durch erfahrene, entsprechend geschulte und ausreichend freigestellte Mitarbeiter ausgeübt werden kann.
  11. Gerechter Strafprozess braucht gute Gesetze und zuverlässige technische Grundlagen. Die Verantwortlichen in Bund und Ländern werden aufgefordert, für die elektronische Akte im Strafprozess einheitliche Standards zu schaffen und einen reibungslosen Datenaustausch zwischen sämtlichen beteiligten Stellen zu gewährleisten. Zur Wahrung der Rechte aller Verfahrensbeteiligten auf informationelle Selbstbestimmung sollte in Abänderung der neu gefassten Regelungen Einsicht in die eAkte nur durch Rechtsanwälte oder im Gericht erfolgen. Der missbräuchliche Umgang mit den Daten muss verhindert werden.
  12. Die Möglichkeiten der eAkte zur Konzentration der Hauptverhandlung sollen umfassend geprüft werden, zum Beispiel für das Selbstleseverfahren und für die (Selbst-) Augenscheinseinnahme auch durch die Öffentlichkeit.

Der Forderungskatalog wird den entsprechenden Partei- und Fraktionsvorsitzenden mit der Bitte um Berücksichtigung in der kommenden Legislaturperiode weitergeleitet.

Am 25. Oktober 2017 veröffentlichte der Deutsche AnwaltVerein eine Stellungnahme und kritisierte die Beschlüsse des Strafkammertages zur Reform des Strafprozesses. Die Stellungnahme finden Sie hier.

Nunmehr ist die Abschlussdokumentation des 2. Strafkammertages als PDF-Dokument verfügbar. Sie enthält auf 96 Seiten u.a. die Impulsreferate und Protokolle zu den 6 Arbeitsgruppen sowie die vom Strafkammertag formulierten Vorschläge. die Dokumentation finden Sie hier.

 

 

Unsere Webseite verwendet sog. Cookies. Durch die weitere Verwendung stimmen Sie der Nutzung von Cookies zu. Informationen zum Datenschutz

Die Cookie-Einstellungen auf dieser Website sind auf "Cookies zulassen" eingestellt, um das beste Surferlebnis zu ermöglichen.
Wenn Sie diese Website ohne Änderung der Cookie-Einstellungen verwenden oder auf "Akzeptieren" klicken, erklären Sie sich damit einverstanden.

Weitere Informationen zum Datenschutz entnehmen Sie bitte unserer Datenschutzerklärung. Hier können Sie der Verwendung von Cookies auch widersprechen.

Schließen