KriPoZ-RR, Beitrag 09/2021

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BVerfG, Beschl. v. 10.12.2020 – 1 BvR 1837/19: BVerfG zur Verwirklichung des Rechts auf Selbsttötung

Leitsatz der Redaktion:

Aufgrund der Entscheidung des Zweiten Senats zur Unvereinbarkeit des Verbots der geschäftsmäßigen Sterbehilfe (§ 217 StGB) mit der Verfassung, sind Verfassungsbeschwerden gegen die Ablehnung der Genehmigung zum Erwerb eines tödlichen Medikaments zur Suizidierung nunmehr unzulässig aufgrund des Subsidiaritätsgrundsatzes, wenn andere zumutbare Möglichkeiten zur Erreichung des Beschwerdebegehrens existieren.

Sachverhalt:

Ein in Hessen lebendes Ehepaar hat mit seiner Verfassungsbeschwerde gerügt, dass ihnen die Erlaubnis nach § 5 Abs. 1 Nr. 6 BtMG zum Erwerb jeweils einer tödlichen Dosis Natriumpentobarbital vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte versagt worden war.

Nach Ansicht der Beschwerdeführer habe sich ihr Anliegen auch nicht durch die vorangegangene Entscheidung des Zweiten Senats erledigt, da eine alternative ärztliche Verschreibung des Medikaments gem. § 13 BtMG nach dem hessischen Standesrecht für Ärzte nicht in Betracht komme und andere professionelle Angebote der Sterbehilfe in Hessen faktisch nicht existent seien. Daher sei die Verfassungsbeschwerde zur Durchsetzung ihrer Grundrechte erforderlich.

Entscheidung des BVerfG:

Das BVerfG wies die Verfassungsbeschwerde als unzulässig ab, da sie die Anforderungen des Subsidiaritätsgrundsatzes nicht erfülle.

Das Recht, ihrem Leben selbstbestimmt ein Ende zu setzen, sei nach dem Urteil des Zweiten Senats nun verfassungsgerichtlich anerkannt. Dies versetze die Beschwerdeführer nun in die Lage, aktiv und bundesweit nach Möglichkeiten der professionellen Sterbehilfe zu suchen.

Der Grundsatz der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde fordere, dass ein Beschwerdeführer vor Erhebung der Verfassungsbeschwerde und auch noch während des laufenden Beschwerdeverfahrens, sämtliche nach Lage der Sache zumutbaren Möglichkeiten und Rechtsbehelfe ausschöpfe, um die geltend gemachte Grundrechtsverletzung in dem unmittelbar mit ihr zusammenhängenden sachnächsten Verfahren abzuwenden oder zu beseitigen. Daraus könne bei einer sich zwischenzeitlich ändernden Sach- oder Rechtslage auch eine Pflicht zur Stellung eines Abänderungsantrags nach § 80 Abs. 7 VwGO folgen sowie entsprechende Bemühungen gegenüber den zuständigen Behörden oder andere geeignete Anstrengungen jenseits formalisierter Verfahren.

Diese Möglichkeiten hätten die Beschwerdeführer nicht in Gänze ausgeschöpft, so das BVerfG.

Ihnen wäre beispielsweise zumutbar gewesen, zunächst bundesweit nach medizinisch kundigen Suizidbeihelfern und verschreibungswilligen und –berechtigten Personen zu suchen. Der Umstand, dass die Entscheidung zur Aufhebung des § 217 StGB nur ergehen konnte, weil Ärzten aufgrund des Angebots einer solchen, nach damaligem Recht strafbaren, Suizidbeihilfe eine strafgerichtliche Verurteilung drohte, mache deutlich, dass es in Deutschland zur Suizidbeihilfe fähige und berechtigte Personen gebe.

Darüber hinaus sei von einer erneuten Bemühung der Beschwerdeführer, unter diesen geänderten Vorzeichen Suizidbeihilfe zu erhalten, eine erheblich bessere Entscheidungsgrundlage zu erwarten, dank derer der Senat die nach der Entscheidung des Zweiten Senats geänderten tatsächlichen Verhältnisse in Deutschland deutlich besser einschätzen könne. Genau dies sei Sinn und Zweck des Subsidiaritätsgrundsatzes.

Eine direkte Sachentscheidung unterlaufe zudem den politischen Willensbildungs- und Entscheidungsprozess, den der Zweite Senat dem Gesetzgeber zugebilligt habe.

Anmerkung der Redaktion:

Der Zweite Senat hatte mit Urteil vom 26. Februar 2020 (2 BvR 2347/15) den § 217 StGB, der die geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung unter Strafe gestellt hatte, für nichtig erklärt. Er verstoße gegen das Grundrecht eines jeden Menschen, selbst nach eigenen Maßstäben zu entscheiden, das eigene Leben zu beenden, indem er eine professionell begleitete Umsetzung dieses höchstpersönlichen Entschlusses faktisch unmöglich gemacht habe. Den KriPoZ-RR Beitrag zu diesem Urteil finden Sie hier: KriPoZ-RR, Beitrag 16/2020

 

 

 

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