KriPoZ-RR, Beitrag 06/2021

Die Entscheidungen im Original finden Sie hier und hier.

BVerfG, Beschl. v. 08.12.2020 – 1 BvR 149/16 & 1 BvR 117/16: Unzureichende Befassung der Fachgerichte mit dem Vorwurf der menschenunwürdigen Gefangenenunterbringung

Leitsatz der Redaktion:

Ein Richter hat sich persönlich und in hinreichender Tiefe sowie bei ungeklärten Rechtsfragen auch im Hauptsacheverfahren mit der Behauptung zu befassen, ein Gefangener werde im Strafvollzug menschenunwürdig untergebracht.

Sachverhalt:

Im Verfahren 1 BvR 149/16 hatte das LG Augsburg einen Prozesskostenhilfeantrag des Beschwerdeführers mit der Begründung abgelehnt, seine Amtshaftungsklage gegen den Freistaat Bayern aufgrund menschenunwürdiger Unterbringung im Strafvollzug habe keine Aussicht auf Erfolg. Dies hatte das LG damit begründet, dass der Beschwerdeführer sich bei Haftantritt schriftlich mit einer Unterbringung in einer Gemeinschaftszelle einverstanden erklärt hatte und einen Verlegungsantrag in eine Einzelzelle hätte stellen können. Die unter Beweisangebot abgegebene Behauptung des Häftlings, auch die Unterbringung in der Einzelzelle verstoße gegen die Menschenwürde, da in diesem Zellenblock ein 23-stündiger Einschluss in eine 7,8 m2 große Zelle erfolge, war vom LG ungeachtet der in diesem Zusammenhang bestehenden ungeklärten Rechtsfragen abgewiesen worden. Diese Entscheidung war vom OLG München bestätigt worden.

Im zweiten Verfahren (1 BvR 117/16) hatte das LG Augsburg ebenfalls einen PKH-Antrag für eine Amtshaftungsklage gegen den Freistaat Bayern abgelehnt. Dieser Beschluss war jedoch vom OLG München aufgehoben worden. Die daraufhin erhobene Klage des Beschwerdeführers war dann vom LG mit Endurteil abgewiesen worden. Das Urteil stammte von einem anderen Richter, als demjenigen, der im PKH-Verfahren entschieden hatte, hatte aber im Wortlaut dem Ablehnungsbeschluss geglichen. Es hatte ohne weitere Begründung ausgeführt, dass das rechtliche Gehör des Klägers nicht verletzt sei. Der Beschwerdeführer wendet sich gegen eine Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör und eine Verletzung des Willkürverbots.

Entscheidung des BVerfG:

Das BVerfG hob die angegriffenen Entscheidungen auf.

Das LG habe im ersten Verfahren, das Recht auf Rechtsschutzgleichheit nicht gewährleistet. Indem es Rechtsfragen, die noch nicht höchstrichterlich geklärt seien, in das Prozesskostenhilfeverfahren vorgelagert habe, habe es dem Beschwerdeführer die Erfolgsaussichten seiner Klage von vornherein abgesprochen, ohne die betreffenden Fragen in hinreichender Tiefe im Hauptsacheverfahren zu erörtern.

Ob ein täglich 23-stündiger Einschluss in einen Einzelhaftraum mit einer Größe von knapp 7,8 m² mit der Menschenwürdegarantie vereinbar ist, sei gesetzlich nicht eindeutig geregelt und in der Rechtsprechung bislang nicht geklärt. Diese für die Beurteilung des Begehrens des Beschwerdeführers maßgebliche Rechtsfrage habe nicht in das Prozesskostenhilfeverfahren vorverlagert werden dürfen, sondern hätte einer Entscheidung in einem Hauptsacheverfahren bedurft, die es dem Beschwerdeführer auch ermögliche, sie gegebenenfalls einer höchstrichterlichen Klärung zuzuführen, so das BVerfG.

Im zweiten Verfahren hätten der Beschluss und das Endurteil des LG den Beschwerdeführer in seinem Recht auf rechtliches Gehör und in der Gewährleistung des allgemeinen Willkürverbots verletzt.

Der Anspruch auf rechtliches Gehör sichere den Bürgern zu, dass sie angehört würden, dass ihre vorgetragenen Tatsachen und Ansichten zur Kenntnis genommen würden und dass sich das Gericht mit ihnen auseinandersetze. Indem der Richter im landgerichtlichen Hauptsacheverfahren die Beweiserhebung zur tatsächlichen Zellengröße des Inhaftierten für entbehrlich erklärt hat, habe er keine hinreichende Auseinandersetzung mit dem Vortrag des Beschwerdeführers erkennen lassen, so das BVerfG. Denn die Frage, ob die dem Beschwerdeführer zustehende anteilige Zellengröße über oder unter 4m2 liege, habe im Hinblick auf die Rechtsprechung des EGMR zu Art. 3 EMRK eine wesentliche Bedeutung. In rechtlicher Hinsicht sei nicht ersichtlich, dass das Gericht das Vorbringen des Beschwerdeführers, sowohl nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte und diverser Obergerichte sei seine Haftunterbringung menschenunwürdig gewesen, in dem gebotenen Maße zur Kenntnis genommen und ernsthaft erwogen habe. Dies stelle aufgrund des offensichtlichen Verschließens vor der Argumentation des Beschwerdeführers gleichfalls einen Willkürverstoß dar, so das BVerfG.

 

Anmerkung der Redaktion:

Bereits 2013 hatte der EGMR entschieden, dass bestimmte Mindestanforderungen an Zellengröße und Beschaffenheit aufgrund der Menschenwürde nicht unterschritten werden dürfen. Eine höchstrichterliche Entscheidung in Deutschland zur Konkretisierung dieser Vorgaben fehlt bislang. Das Urteil des EGMR finden Sie hier.

 

 

 

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