KriPoZ-RR, Beitrag 74/2020

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Beschl. v. 01.09.2020 – 3 StR 214/20: Nebenkläger können Freispruch erstreben

Amtlicher Leitsatz:

Die Befugnis, sich der erhobenen öffentlichen Klage mit der Nebenklage anzuschließen, entfällt nicht dadurch, dass der Nebenkläger in der Hauptverhandlung die Schuldfähigkeit (§ 20 StGB) oder die strafrechtliche Verantwortlichkeit (§ 3 JGG) des Angeklagten in Zweifel ziehende Anträge stellt und letztlich dessen Freispruch erstrebt.

Sachverhalt:

Am LG Koblenz ist ein Strafverfahren gegen den Angeklagten wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zum Nachteil seiner Pflegeeltern geführt worden.

Diese hatten sich als Nebenkläger dem Verfahren angeschlossen, was das LG als zulässig angesehen hatte. Nachdem die Nebenkläger daraufhin im Hauptverfahren mehrere Anträge gestellt hatten, die die Schuldfähigkeit oder die strafrechtliche Verantwortlichkeit des Angeklagten in Frage gestellt hatten, um dessen Freispruch zu erreichen, hatte das LG die Zulassung als Nebenkläger aufgehoben, da es in so einem Fall an einer Anschlussbefugnis nach § 395 Abs. 1 bis 3 StPO fehle. Hiergegen wendeten sich die Nebenkläger zum BGH, da ihnen das Urteil und die Revisionsschrift des Angeklagten nicht zugestellt worden war und der BGH so nicht über die Revision entscheiden könne.

Entscheidung des BGH:

Der BGH entschied, dass die Aufhebung der Zulassung als Nebenkläger rechtswidrig gewesen sei und das Urteil sowie die Revisionsschrift den Nebenklägern zugestellt werden müsse.

Die Anschlussberechtigung der Pflegeeltern habe weiter fortbestanden und ergebe sich aus § 80 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 JGG.

Sowohl der § 80 JGG als auch § 395 StPO fordern lediglich, die Verletzung des Nebenklägers durch die verfahrensgegenständliche rechtswidrige Tat des Angeklagten.

Weder der Wortlaut der Normen noch deren systematischer Zusammenhang forderten darüber hinaus ein bestimmtes vom Nebenkläger zu verfolgendes Ziel oder ein bestimmtes Prozessverhalten.

Dies ergebe sich schon daraus, dass § 400 StPO die Rechte der Nebenkläger nur für konkrete Sonderfälle beschränke und keinen Rückschluss auf eine allgemeine Beschränkung der Nebenklagebefugnis zulasse. Es müsse zwischen Zulassung zur Nebenklage und zulässiger Einlegung eines Rechtsmittels durch die Nebenkläger unterschieden werden, was nicht heißte, dass pauschal jedes Rechtsmittel der Nebenkläger zugunsten des Angeklagten unzulässig sei. Beispielsweise könne der Nebenkläger eine Unterbringung nach § 63 StGB erreichen wollen.

Auch dass der Nebenkläger sich der Klage „anschließe“ bedeute aufgrund seiner eigenen prozessualen Rechte nicht, dass er auch das Ziel der Anklage teilen müsse. Vielmehr sollten ihm seine Rechte ermöglichen, auf eine sachgerechte Aufklärung der Tat durch das Gericht hinzuwirken. Wie er dies zu tun gedenke, sei seine eigene Entscheidung. Dies sei auch Ziel der Gesetzesnovelle durch das Opferschutzgesetz vom 18. Dezember 1986 gewesen, das die Vorstellung einer doppelt besetzten Anklagerolle explizit aufgegeben habe.

 

Anmerkung der Redaktion:

So hatte auch schon der 4. Strafsenat entschieden: BGH, Beschl. v. 12.07.1990 – 4 StR 247/90.

 

 

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