KriPoZ-RR 1/2024

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

Leitsatz der Redaktion:

Die Mitursächlichkeit des Hangs für die Tat ist für die Annahme der Kausalität nur ausreichend, wenn sie quantitativ andere Ursachen überwiegt. Eine Mitursächlichkeit des Hangs für die Anlasstat unterhalb dieser Schwelle reicht für die Erfüllung des Tatbestandsmerkmals nicht mehr aus. Das Vorliegen dieses Kausalzusammenhangs ist durch das Tatgericht positiv festzustellen.

Sachverhalt:

Das LG hat den Angeklagten am 4. Mai 2022 wegen Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung sowie wegen versuchter besonders schwerer räuberischer Erpressung unter Einbeziehung vorheriger Einzelstrafen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 4 Jahren verurteilt. Zudem wurde der Angeklagte am 11. Juli 2023 wegen besonders schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung sowie Erpressung zu einer weiteren Gesamtfreiheitsstrafe von 7 Jahren und 8 Monaten verurteilt. Die Kammer hat mit der Verurteilung am 11. Juli 2023 die Unterbringung in eine Entziehungsanstalt angeordnet und bestimmt, dass 3 Jahre und 10 Monate der Strafe vor der Maßregel zu vollziehen sind.

Entscheidung des BGH:

Die Revision des Angeklagten hat hinsichtlich der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt Erfolg.

Nach Auffassung des 5. Senats belegen die Ausführungen des LG nicht, dass die Voraussetzungen der § 64 StGB n.F. bei der Unterbringungsanordnung beachtet wurden. Zwar läge bei dem Angeklagten eine Polytoxikomanie vor, die grundsätzlich für eine Substanzkonsumstörung i.S.d. § 64 S. 1 StGB sprechen könne, jedoch werde aus den Feststellungen des LG nicht ersichtlich, dass die Tatbegehung durch den Angeklagten überwiegend auf einen Hang zurückgehe.

Der Senat führt in der Folge aus, dass der Gesetzgeber durch die Ergänzung des Wortes „überwiegend“ in § 64 S. 1 StGB konkretisiert habe, dass zwischen dem Hang und der Anlasstat ein kausaler Zusammenhang vorliegen müsse. Ein Hang sei dann überwiegend für die Anlasstat, wenn dieser mehr als andere Umstände für die Begehung der Tat ausschlaggebend war. Der Hang müsse demnach quantitativ andere Ursachen überwiegen. Eine Mitursächlichkeit des Hangs unterhalb dieser Schwelle reiche für eine Unterbringung nach § 64 S. 1 StGB nicht aus. Das Vorliegen des Kausalzusammenhangs müsse von dem Tatgericht positiv festgestellt werden.

Das LG habe bei seiner Prüfung der Anordnungsvoraussetzungen den aktualisierten, strengeren Maßstab nicht berücksichtigt. Die Feststellungen belegten gerade nicht, dass die Taten überwiegend auf den Hang zurückgingen. Es sei nicht ersichtlich, dass der Angeklagte die Taten zur Finanzierung der Drogensucht als auch des Lebensunterhalts beging. Die Unterbringungsanordnung bedürfe einer erneuten Prüfung und Entscheidung des Senats. Hierbei müsse bei der Prüfung und Entscheidung der durch die Neufassung des § 64 StGB veränderte und von dem Senat nach § 2 Abs. 5 StGB und § 354a StPO zu berücksichtigende Anordnungsmaßstab berücksichtigt werden. Der Senat wird hierbei auch zu berücksichtigen haben, dass nach § 64 S. 2 StGB n.F. das Erreichen des Unterbringungsziels erwartbar sein muss; dies müsse durch tatsächliche Anhaltspunkte belegt werden.

 

 

 

KriPoZ-RR, Beitrag 14/2021

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BVerfG, Beschl. v. 14.01.2021 – 2 BvR 2032/19: Verletzung des Gebots bestmöglicher Sachaufklärung bei Verstoß gegen § 463 Abs. 4 Satz 2 StPO

Leitsatz der Redaktion:

Bestellt das Gericht einen Sachverständigen, der nur formal in einer organisatorisch getrennten Klinik arbeitet, stellt dies einen Verstoß gegen § 463 Abs. 4 Satz 2 StPO dar, was den Begutachteten in seinem Freiheitsgrundrecht in der Ausprägung des Rechts auf bestmögliche Sachverhaltsaufklärung (Art. 2 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. 104 Abs. 1 Satz 1 GG) verletzt.

Sachverhalt:

Der Beschwerdeführer war vom Landgericht Freiburg – Jugendkammer wegen verschiedener Delikte verurteilt worden. Daneben war die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet und von einer Jugendstrafe abgesehen worden.

Das für die Vollstreckung zuständige Amtsgericht hatte den Beschwerdeführer zur Entscheidung über die Fortdauer der Unterbringung angehört und festgestellt, dass das erforderliche externe Gutachten noch nicht in Auftrag gegeben war.

Gegen die Beauftragung des Sachverständigen hatte der anwaltlich vertretene Beschwerdeführer keine Einwände erhoben.

Später hatte er den Arzt wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt, da er herausgefunden hatte, dass der Sachverständige teils in eigener Praxis und teils in einer Klinik desselben Krankenhausverbunds gearbeitet hatte, zu der auch die Unterbringungseinrichtung des Beschwerdeführers gehört hatte. Dies hätte gegen die Vorschrift des § 463 Abs. 4 Satz 3 StPO verstoßen.

Das AG hatte nach dem Gutachten die Fortdauer der Unterbringung angeordnet. Die hiergegen erhobene sofortige Beschwerde ist vom LG Landau in der Pfalz verworfen worden, da keine Bedenken dagegen bestanden hätten, den beauftragten Gutachter im vorliegenden Fall als externen Sachverständigen im Sinne vom § 463 Abs. 4 Satz 3 StPO anzuerkennen. Er sei neben seiner Tätigkeit in einem eigenen Sachverständigenbüro als Leiter der forensischen Ambulanz des Klinikums für Forensische Psychiatrie beschäftigt. Der Beschwerdeführer habe sich demgegenüber im „P.-Institut“ befunden. Der Sachverständige arbeite somit weder in dem psychiatrischen Krankenhaus, in dem sich der Beschwerdeführer befinde, noch sei er erkennbar zu irgendeinem Zeitpunkt mit dessen Behandlung befasst gewesen.

Der Beschwerdeführer hat sich durch diese Entscheidung in seinem Freiheitsgrundrecht verletzt gesehen und Verfassungsbeschwerde gegen die Beschlüsse des AG und des LG erhoben.

Entscheidung des BVerfG:

Das BVerfG gab der Verfassungsbeschwerde statt. Die Entscheidungen der Fachgerichte verletzten den Beschwerdeführer in seinem Freiheitsgrundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG.

Das Grundrecht auf Freiheit enthalte aufgrund seines Stellenwerts und der Intensität, die Eingriffe in den Schutzbereich zumeist aufwiesen, auch ein Gebot der bestmöglichen Sachverhaltsaufklärung. Dieses Gebot komme in § 463 Abs. 4 StPO dadurch zum Ausdruck, dass ein unabhängiger Sachverständiger die Notwendigkeit der Fortdauer der Maßnahmen beurteilen soll, um die Entscheidung so objektiv wie nur möglich zu fällen. Da die Einhaltung der prozeduralen Erfordernisse bei Freiheitsentziehungen gem. Art. 104 Abs. 1 GG ein Gebot von Verfassungsrang sei, komme in der Auslegung des einfachen Rechts der StPO ein besonderer grundrechtlicher Einschlag zum Tragen.

Nach diesen Maßstäben hätten die Instanzgerichte die Bedeutung und Tragweite des Erfordernisses in § 463 Abs. 4 Satz 3 StPO verkannt, so das BVerfG.

Da der Sachverständige lediglich in einer anderen Klinik beschäftigt gewesen sei, die letztlich aber nur formal vom Institut des Beschwerdeführers getrennt gewesen sei, weil sie zur selben betrieblichen Einheit gehörte und zudem ein gemeinsamer Krankenhausträger sowie eine gemeinsame Rechtsform mit gemeinsamer Leitungs- und Verwaltungsebene bestehe, sei der Sachverständige nicht als externer Gutachter im Sinne des § 463 Abs. 4 Satz 3 StPO zu werten.

Dieses Ergebnis werde von der systematischen, telexlogischen und historischen Auslegung der Norm gestützt. Auch die vorherige Zustimmung des Beschwerdeführers ändere hieran nichts, da da dieser, ungeachtet der Frage der Disponibilität der Vorschrift, jedenfalls bei Bekanntwerden der Umstände seine Zustimmung widerrufen habe.

Anmerkung der Redaktion:

Bereits 2019 hatte das BVerfG entschieden, dass das Gebot der bestmöglichen Sachverhaltsaufklärung bei psychiatrischen Unterbringungen ein besonderes Gewicht habe und deshalb Zweifeln an der Aktualität eines Gutachtens substantiiert nachzugehen ist. Mehr dazu finden Sie im KriPoZ-RR, Beitrag 16/2019.

 

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