KriPoZ-RR, Beitrag 86/2020

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Beschl. v. 16.10.2020 – 1 ARs 3/20: Zuständigkeitsstreit und Geheimdienste

Leitsatz der Redaktion:

Wird ein Verfahren von einem Gericht rechtskräftig an ein Gericht eines anderen Rechtswegs gem. § 17a Abs. 2 Satz 1 GVG verwiesen, entfaltet dies lediglich hinsichtlich der Bestimmung des Rechtswegs eine Bindungswirkung nach § 17a Abs. 2 Satz 3 GVG. Innerhalb der zuständigen Gerichtsbarkeit tritt keine Bindung hinsichtlich der örtlichen oder sachlichen Zuständigkeit durch die Verweisung ein.

Sachverhalt:

Gegen den Angeklagten läuft am LG Bochum ein Strafprozess wegen des Vorwurfs der Steuerhinterziehung im zweiten Rechtsgang. Im ersten Prozess hatte sich der Angeklagte auf einen Zeugen vom Mossad berufen, der ihn entlasten sollte. Die Strafkammer hatte daraufhin die StA beauftragt, das BKA um Amtshilfe zu ersuchen. Dieses hatte danach beim Mossad angefragt, ob bei Ladung des Zeugen Sicherheitsbedenken bestünden. Eine Antwort hatte die Strafkammer nicht erhalten. Dafür allerdings E-Mails, die angeblich von besagtem Zeugen stammen sollten. In diesen gab er zunächst Bedenken für seine eigene Sicherheit an, später war er jedoch zu einer Aussage bereit gewesen. Zur Hauptverhandlung war der geladene Zeuge dann allerdings nicht erschienen, sodass das LG im ersten Rechtsgang den Beweisantrag zur Zeugenvernehmung wegen Unerreichbarkeit des Zeugen abgelehnt hatte.

Nach Ansicht des Angeklagten, habe das BKA dem Mossad bei der Anfrage mitgeteilt, dass der Zeuge in Deutschland festgesetzt werde, wenn er zur Vernehmung in der Hauptverhandlung erscheine. Um diesen Verdacht aufzuklären hatte der Angeklagte daraufhin vor dem VG Wiesbaden Feststellungsklage erhoben, um die Rechtswidrigkeit des Vorgehens des BKA im Rahmen des Amtshilfeersuchens feststellen zu lassen. Ebenfalls wollte er das BKA mit einer Verpflichtungsklage zur Akteneinsichtsgewährung verpflichten lassen.

Das VG erklärte sich für unzuständig und verwies den Rechtsstreit an das OLG Frankfurt, da das BKA Amtshilfe für die StA Bochum geleistet habe und daher funktionell als Justizbehörde tätig geworden sei, was gem. § 23 Abs. 1 Satz 1 EGGVG die Zuständigkeit der ordentlichen Gerichtsbarkeit begründe.

Das OLG Frankfurt hatte die Sache dann an die im ersten Rechtsgang zuständige Kammer beim LG Bochum abgegeben. Die Verweisung sei hinsichtlich der örtlichen und sachlichen Zuständigkeit innerhalb der Strafgerichtsbarkeit nicht gemäß § 17a Abs. 2 Satz 3 GVG bindend. Für den Verfahrensgegenstand seien auch nicht die Regelungen der §§ 23 ff. EGGVG einschlägig, sondern der Rechtsbehelf nach § 98 Abs. 2 Satz 2 StPO, was die Zuständigkeit des LG Bochums nach § 162 Abs. 3 StPO, § 98 Abs. 2 Satz 2 StPO analog für den Feststellungsantrag und nach § 147 Abs. 5 StPO für den Akteneinsichtsantrag des Antragstellers begründe.

Die mittlerweile im zweiten Rechtsgang zuständige Kammer beim LG Bochum hatte die Übernahme des Verfahrens abgelehnt, da die Bindungswirkung des § 17a Abs. 2 Satz 3 GVG in analoger Anwendung auch die Zuweisung in den Rechtsweg nach §§ 23 ff. EGGVG erfasse.

Entscheidung des BGH:

Der BGH entschied, dass das LG Bochum für die Entscheidung über die Anträge zuständig ist, da die Verweisung des VG Wiesbaden lediglich hinsichtlich des Rechtswegs zur ordentlichen Gerichtsbarkeit binde.

Das OLG Frankfurt sei nicht gemäß §§ 23, 25 Abs. 1 EGGVG zuständig, da der vom Antragsteller beanstandete Vorgang kein Justizverwaltungsakt sei. Die Amtshilfe im Rahmen eines Strafprozesses stelle eine Prozesshandlung dar, die dem Rechtsweg nach den §§ 23 ff. EGGVG entzogen seien.

Zudem sei § 98 Abs. 2 Satz 2 StPO auf die Überprüfung Staatsanwaltschaftlicher Eingriffsmaßnahmen oder solcher von deren Ermittlungspersonen analog anwendbar, sodass ein Rechtsbehelf zur Verfügung stehe.

Zur Bindungswirkung der Verweisung führte der BGH aus, das § 17a Abs. 2 Satz 3 GVG auf Verweisungen innerhalb der ordentlichen Gerichtsbarkeit keine unmittelbare Anwendung finde, da die Vorschriften der §§ 17 bis 17b GVG nur den Rechtsweg, also das Verhältnis der verschiedenen Gerichtsbarkeiten untereinander, regelten. Dies ergebe sich bereits aus dem klaren Wortlaut des § 17a Abs. 2 Satz 1 und 3 GVG.

Auch eine analoge Anwendung des § 17a Abs. 2 Satz 3 GVG komme nicht in Betracht, da es an der planwidrigen Regelungslücke fehle.

Der Gesetzgeber habe die §§ 17 ff. GVG im Jahr 1990 neu geregelt, wobei ihm nach den Gesetzesmaterialien bewusst gewesen sei, dass die Bindungswirkung auch nach alter Regelung nur zwischen verschiedenen Gerichtsbarkeiten bestand und nicht innerhalb einer Gerichtsbarkeit. An diesem Zustand habe der Gesetzgeber auch explizit nichts ändern wollen, so der BGH.

Ebenfalls sei ihm die Debatte um eine analoge Anwendung der Norm bekannt gewesen, sodass nicht mehr von der Planwidrigkeit einer etwaigen Regelungslücke gesprochen werden könne. Vielmehr stelle die Nichtregelung den Willen des Gesetzgebers dar, eine Bindungswirkung innerhalb einer Gerichtsbarkeit nur in den extra geregelten Sonderfällen des § 17a Abs. 6 GVG entstehen zu lassen.

Damit verböte sich seit der Neuregelung eine Analogie.

Daher sei das OLG Frankfurt zur Abgabe des Verfahrens befugt gewesen. Zudem sei das LG Bochum auch gemäß §§ 98 Abs. 2 Satz 3, 163 Abs. 3 Satz 1 StPO sachlich und örtlich zuständig.

 

Anmerkung der Redaktion:

Dieser Meinung entsprechend hatten auch schon entschieden: OLG Karlsruhe, Beschl. v. 04.07.1994 – 2 VAs 5/94; KG Berlin, Beschl. v. 29.09.1999 – 2 AR 120/99 – 4 VAs 26/99; Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg, Beschl. v. 25.06.2014 – 2 VAs 9/14.

 

 

 

KriPoZ-RR, Beitrag 04/2020

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Urt. v. 27.11.2019 – 3 StR 233/19: 3. Strafsenat hält § 6a Abs. 2 Satz 1 AMG nicht für verfassungswidrig

Leitsatz der Redaktion:

§ 6a Abs. 2 Satz 1 AMG ist trotz der Verweisung auf den Anhang des Übereinkommens gegen Doping nicht verfassungswidrig.

Sachverhalt:

Das LG Lüneburg hat den Angeklagten wegen Inverkehrbringens von bedenklichen Arzneimitteln in Tateinheit mit Inverkehrbringen von Arzneimitteln zu Dopingzwecken im Sport, mit Herstellen und Inverkehrbringen von minderwertigen Arzneimitteln und Wirkstoffen sowie mit Handeltreiben mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln außerhalb von Apotheken verurteilt.

Nach den tatgerichtlichen Feststellungen hatte der Angeklagte ab Mitte 2011 angefangen Anabolika zum Vertrieb an Kraftsportler herzustellen und es an seine Kunden zu verkaufen sowie zu versenden.

Entscheidung des BGH:

Der BGH nahm den Vorwurf des Herstellens und Inverkehrbringens von minderwertigen Arzneimitteln und Wirkstoffen (§ 95 Abs. 1 Nr. 3a, § 8 Abs. 1 Nr. 1 AMG) von der Verfolgung aus, verwarf die Revision allerdings im Übrigen.

Zur Begründung führte der Senat zunächst an, dass es sich bei den hergestellten Anabolika um Arzneimittel nach § 2 AMG handele. Dies könne nach den bisherigen vom EuGH aufgestellten Grundsätzen unproblematisch festgestellt werden, da keine grundsätzlichen und für diesen Fall relevanten Rechtsfragen mehr bestünden. Eine Anfrage an den EuGH gemäß Art. 267 Abs. 3 AEUV müsse daher in Bezug auf das Tatbestandmerkmal des Arzneimittels nicht gestellt werden.

Des Weiteren seien auf den Sachverhalt richtigerweise gemäß § 2 Abs. 2 StGB die §§ 95 Abs. 1 Nr. 2a, 6a Abs. 1 AMG in der Fassung vom 19. Oktober 2012 angewendet worden.

Von einer Verfassungswidrigkeit des § 6a Abs. 2 Satz 1 AMG sei der Senat nicht überzeugt, sodass eine Entscheidung des BVerfG gem. Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG nicht habe eingeholt werden müssen.

Zwar bestünden Bedenken aufgrund der am 26. Oktober 2012 eingeführten dynamischen Verweisung auf den Anhang des Übereinkommens gegen Doping, allerdings seien die Zweifel in diesem Fall nicht von genügendem Gewicht.

Eine dynamische Verweisung in einer Strafnorm könne im Hinblick auf die Wahrung der Rechtssetzungshoheit des parlamentarischen Gesetzgebers problematisch sein. Dabei bestimme sich der nötige Grad an gesetzlicher Bestimmtheit nach einer wertenden Gesamtbetrachtung unter Berücksichtigung aller Regelungsalternativen im Einzelfall, so der BGH.

In § 95 Abs. 1 Nr. 2a AMG habe der parlamentarische Gesetzgeber jedoch selbst die Strafbarkeit und die daran anknüpfenden Rechtsfolgen eines Verstoßes gegen § 6a Abs. 1 AMG geregelt. Die Verweisung des § 6a Abs. 2 Satz 1 AMG stelle in diesem Zusammenhang lediglich eine einschränkende Konkretisierung der Verbotsnorm des Absatzes 1 dar. Dieses Vorgehen sei letztlich als unproblematisch zu bewerten.

Auch der Verweis auf Normen aus einem völkerrechtlichen Übereinkommen sei im Ergebnis zulässig, da das Grundgesetz völkerrechtsfreundlich angelegt sei und der Inhalt der Verweisung im Wesentlichen feststehe.

Zudem sei die konkrete Version des damals geltenden Anhangs zum Übereinkommen schon im Gesetzgebungsverfahren zu § 6a Abs. 2 Satz 1 AMG bekannt gewesen, was diese Art der Regelungstechnik ebenfalls als unproblematisch erscheinen lasse.

 

Anmerkung der Redaktion:

Der BGH hatte in einer anderen Entscheidung Bedenken hinsichtlich der Verfassungsmäßigkeit des § 6a Abs. 2 Satz 1 AMG geäußert.

Aufgrund dieser Bedenken des BGH hatte der Gesetzgeber den § 6a AMG am 10. Dezember 2015 durch § 2 AntiDopG ersetzt und dort eine andere Regelungstechnik gewählt. Informationen zum Gesetzgebungsverfahren finden Sie hier.

 

 

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