KriPoZ-RR, Beitrag 33/2021

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Beschl. v. 12.01.2021 – 4 StR 280/20: Vorbehaltene Sicherungsverwahrung im JGG

Amtlicher Leitsatz:

Zu den formellen und materiellen Voraussetzungen einer vorbehaltenen Sicherungsverwahrung nach § 7 Abs. 2 Satz 1 JGG.

Sachverhalt:

Das LG Bochum hat den Angeklagten wegen besonders schwerer Vergewaltigung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und mit Diebstahl sowie wegen besonders schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Einheitsjugendstrafe verurteilt und die Anordnung der Sicherungsverwahrung vorbehalten.

Nach den tatgerichtlichen Feststellungen hatte der Angeklagte mit dem Mitangeklagten das Opfer gewaltsam zu Boden gebracht, um ihm Wertsachen und Betäubungsmittel zu entwenden. Nach der Wegnahme hatte der Angeklagte dem Opfer einen wuchtigen Tritt in das Gesicht versetzt.

Bei der zweiten Tat hatte der Angeklagte die Nebenklägerin unter Anwendung von Gewalt und trotz ihrer Gegenwehr gezwungen, den vaginalen und analen Geschlechtsverkehr mit ihm auszuüben, wobei sie sich Verletzungen zugezogen hatte. Im Anschluss daran hatte der Angeklagten dann noch ihr Mobiltelefon und eine Packung Zigaretten entwendet.

Entscheidung des BGH:

Der BGH bestätigte das Urteil des LG hob jedoch die Anordnung der vorbehaltenen Sicherungsverwahrung gem. § 7 Abs. 2 Satz 1 JGG auf.

Die formellen Voraussetzungen einer vorbehaltenen Anordnung der Sicherungsverwahrung seien allerdings erfüllt gewesen, so der BGH. Der Angeklagte sei wegen eines Verbrechens gegen die sexuelle Selbstbestimmung verurteilt worden, durch welches das Opfer auch schwere seelische und körperliche Schäden erlitten habe. Ebenfalls sei eine Strafe oberhalb der Siebenjahresgrenze ausgeurteilt worden. Dass es sich bei der Strafe um eine einheitliche Jugendstrafe handele, die neben der Katalogtat auch andere tateinheit- und –mehrheitlich begangene Nicht-Katalogtaten ahnde, sei nicht von Belang.

Der Wortlaut widerspreche dem nicht und auch der gesetzgeberische Wille lasse nichts Anderes erkennen, da im Gesetzgebungsprozess literaturseitig auf diesen Punkt hingewiesen worden sei und der Gesetzgeber die Regelung dennoch unverändert beibehalten habe.

Es sei auch nicht als besondere Einschränkung zu verlangen, dass das Tatgericht in den Urteilsgründen festhalte, dass die Katalogtat schon alleinig eine Strafe über der Siebenjahresgrenze rechtfertige. Eine solche Einschränkung sei im Wortlaut der Norm nicht angelegt und der Gesetzgeber habe mit dem Erfordernis der schweren seelischen oder körperlichen Schäden durch die Katalogtat schon für eine hinreichend prägende Bedeutung der Katalogtat für die Strafzumessung Sorge getragen, so der Senat. Die anderslautende Rechtsprechung, die sich zu § 66 Abs. 3 Satz 1 StGB und § 66a Abs. 1 Nr. 1 StGB entwickelt habe, sei auf die vorbehaltene Sicherungsverwahrung nach § 7 Abs. 2 Satz 1 JGG nicht übertragbar, da sich die Tatbestandsvoraussetzungen beider Normen derart unterschieden, dass eine vergleichbare Rechtslage nicht bestehe.

Ebenfalls könne eine solche Einschränkung nicht aus dem Umstand abgeleitet werden, dass eine vorbehaltene Sicherungsverwahrung nach Erwachsenenstrafrecht bei Heranwachsenden gemäß § 106 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 JGG auch anhand der Strafzumessung für die konkrete Katalogtat anzuordnen sei. Eine drohende Schlechterstellung, wenn ein Heranwachsender nach Jugendstrafrecht verurteilt werde, sei nicht gegeben, da die sonstigen formellen Voraussetzungen ein gleiches Schutzniveau für den Täter gewährleisten würden.

Dennoch sei die vorbehaltene Sicherungsverwahrung hier aufzuheben gewesen, da die Gefährlichkeitsprognose als materielle Voraussetzung nicht den revisionsrechtlichen Anforderungen entspreche.

Erforderlich sei eine Gesamtwürdigung des Jugendlichen und seiner Tat oder seiner Taten, die ergebe, dass er mit hoher Wahrscheinlichkeit erneut Straftaten der in § 7 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 JGG bezeichneten Art begehen werde.

Der Begriff „hohe Wahrscheinlichkeit“ in § 7 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 JGG entspreche der Gefährlichkeitsstufe für die nachträgliche Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung nach einer Maßregelerledigung gemäß § 66b Satz 1 Nr. 2 StGB. Diese liege über der Gefährlichkeit im Sinne von § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB, § 106 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 JGG und der Erwartung erheblicher Straftaten gemäß § 66a Abs. 3 Satz 2 StGB und könne nur angenommen werden, wenn ein „hohes Maß an Gewissheit“ (Prognosesicherheit) über die Gefahr bestehe, dass der Täter neue Katalogtaten begehen werde, so der BGH.

Die Prognose müsse inhaltlich eine Auseinandersetzung mit der Person des Betroffenen, seiner Taten und seiner Entwicklung bis zur Entscheidung erkennen lassen und sowohl inhaltlich, als auch qualitativ höchsten Anforderungen entsprechen.

 

Anmerkung der Redaktion:

Im Februar 2021 hatte der BGH entschieden, unter welchen Voraussetzungen eine vorbehaltene Anordnung der Sicherungsverwahrung endgültig durchgeführt werden kann. Mehr dazu im KriPoZ-RR, Beitrag 16/2021.

 

 

 

 

KriPoZ-RR, Beitrag 16/2021

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Beschl. v. 04.02.2021 – 4 StR 448/20: Endgültige Anordnung vorbehaltener Sicherheitsverwahrung (§ 66a Abs. 3 StGB)

Amtlicher Leitsatz:

Zu den Voraussetzungen der endgültigen Anordnung vorbehaltener Sicherungsverwahrung im Nachverfahren gemäß § 66a Abs. 3 StGB.

Sachverhalt:

Das LG Essen hat die vorbehaltene Sicherungsverwahrung gegen den Angeklagten im Nachverfahren angeordnet.

Nach den tatgerichtlichen Feststellungen habe der Verurteilte einen in seiner Persönlichkeit wurzelnden Hang zur Begehung von schwerwiegenden Raub- und Körperverletzungsdelikten, was ihn für die Allgemeinheit gefährlich mache. Die Verhältnismäßigkeit der Anordnung hatte das LG damit begründet, dass der Verurteilte für die von ihm ausgehende Gefahr weitestgehend selbst verantwortlich sei.

Entscheidung des BGH:

Der BGH hob das Urteil auf, da die tatgerichtlichen Erwägungen zur Gefährlichkeitsprognose lückenhaft seien.

Zu den Voraussetzungen der Anordnung vorbehaltener Sicherheitsverwahrung im Nachverfahren führte der Senat aus:

Eine Hangfeststellung sei in § 66a Abs. 3 Satz 2 StGB nicht gefordert, was sich aus dem klaren Wortlaut der Norm und dem Willen des Gesetzgebers ergebe, unter den sehr kontrollierten Bedingungen des Strafvollzugs gerade keine Anhaltspunkte für eine Hangfeststellung sammeln zu müssen. Dafür spreche auch, dass die vorbehaltene Sicherungsverwahrung als zweiaktiges Verfahren, bestehend aus dem Anordnungsverfahren und dem Nachverfahren, konzipiert sei. Die Frage des Hangs werde dabei vergangenheitsbezogen im Anordnungsverfahren behandelt. Je nachdem wie sicher sie beantwortet werden konnte, bestimmten sich die Anforderungen an die Gefährlichkeitsprognose im Nachverfahren, so der BGH.

Die Gefährlichkeitsprognose sei jedoch immer als umfassende Gesamtwürdigung aller prognostisch relevanten Umstände anzustellen. Also solche zählte der Senat beispielhaft auf: Täterpersönlichkeit, bisherige Legalbiographie, Haltungsänderungen durch fortschreitendes Alter, Erkrankungen des Verurteilten, Wirkungen des Strafvollzugs und etwaige dadurch bedingte Verhaltensänderungen bis zur Entscheidung des Gerichts im Nachverfahren, Wirkungen der Behandlungsangebote im Strafvollzug, konkrete Entlassungssituation und die Möglichkeit einer Gefährlichkeit mit flankierenden Auflagen und Weisungen oder Therapiemaßnahmen nach der Haft zu begegnen.

Insgesamt sei erforderlich, aber auch ausreichend, dass die Gefährlichkeitsprognose unter Einbeziehung neu hinzutretender prognoserelevanter Umstände seit Anordnung des Vorbehalts der Maßregel nunmehr eindeutig positiv begründbar sei.

Die diese Voraussetzungen erfüllenden tatsächlichen Umstände müssten in normaler Weise in den schriftlichen Urteilsgründen aufgeführt sein, also dergestalt, dass sie für das Revisionsgericht nachvollziehbar seien. Lediglich in den Fällen, in denen in der Ausgangsverurteilung sowohl Hang als auch Gefährlichkeit nur für wahrscheinlich gehalten worden seien, beständen erhöhte Darlegungsanforderungen, so der BGH. Dann sei im Einzelnen vollständig, lückenlos und nachvollziehbar darzulegen, dass und aufgrund welcher zusätzlichen Tatsachen das Gericht nun doch zu der positiven Feststellung gelangt, dass der Verurteilte für die Allgemeinheit gefährlich sei. Dabei dürften die schon aus dem Ausgangsverfahren bekannten Tatsachen nicht lediglich neu bewertet werden.

Diesen Anforderungen werde das Urteil des LG nicht gerecht, da nicht alle Anknüpfungstatsachen des Sachverständigengutachtens mittgeteilt würden sowie auch lückenlose und nachvollziehbare Feststellungen zum Haftverlauf des Verurteilten fehlten.

 

Anmerkung der Redaktion:

Dass eine solche vorbehaltene Anordnung der Sicherungsverwahrung selbst neben der Verhängung einer lebenslangen Freiheitsstrafe zulässig ist, entschied der BGH bereits 2018 (Beschl. v. 20.11.2018 – 4 StR 168/18).

Zu den Anforderungen an die Beweiswürdigung zur Gefährlichkeitsprognose bei einer solchen Anordnung im Nachverfahren äußerte er sich dann 2020 (Beschl. v. 01.07.2020 – 6 StR 175/20).

 

 

 

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