KriPoZ-RR, Beitrag 06/2019

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BVerfG, Beschl. v. 05.07.2019 – 2 BvR 167/18: Wahlfeststellung zwischen (gewerbsmäßig begangenem) Diebstahl und gewerbsmäßiger Hehlerei ist verfassungsgemäß

Leitsätze der Redaktion:

  1. Eine Verurteilung auf wahldeutiger Tatsachengrundlage nach dem Rechtsinstitut der sog. echten Wahlfeststellung ist zulässig, soweit feststeht, dass der Angeklagte bei nicht weiter aufzuklärendem Sachverhalt einen von mehreren möglichen Tatbeständen mit Sicherheit erfüllt hat.
  2. Dies setzt voraus, dass beide Straftatbestände rechtsethisch und psychologisch gleichwertig sind.

Sachverhalt:

Nach den Feststellungen des LG Meiningen stahlen oder hehlten die Beschwerdeführer in großem Umfang Fahrzeuge, Fahrzeugteile sowie Werkzeuge für die Fahrzeugreparatur. Eine zweifelsfreie Beurteilung, ob die Gegenstände von den Angeklagten selbst gestohlen oder später als Hehlerware erworben worden waren, konnte das LG nicht treffen. Daher verurteilte es die Beschwerdeführer alternativ wegen (gewerbsmäßig begangenen) Diebstahls oder gewerbsmäßiger Hehlerei.

Diese Entscheidung wurde nach Anrufung des Großen Senats vom 2. Strafsenat des BGH bestätigt.

Entscheidung des BVerfG:

Das BVerfG wies die Kritik der Beschwerdeführer zurück und beurteilte die Grundsätze der sog. echten Wahlfeststellung als verfassungsgemäß.

Zum einen wirkten die richterrechtlichen Grundsätze nicht strafbarkeitsbegründend, da Grundlage des Schuldspruchs immer noch und ausschließlich der Inhalt gesetzlicher Strafnormen sei. Das Institut der Wahlfeststellung diene nicht dazu, materiell-rechtliche Strafbarkeitslücken zu schließen, sondern es regle als strafverfahrensrechtliche Entscheidungsregel den Umgang mit konkreten Erkenntnislücken. Somit greife es nicht in die Kompetenz des Gesetzgebers ein und verstoße daher im Ergebnis nicht gegen das Bestimmtheitsgebot aus Art. 103 Abs. 2 GG. Art und Maß der Bestrafung seien für den Normadressaten auch hinreichend bestimmt, da die verhängte Strafe vom Tatgericht durch einen Vergleich beider gesetzlich normierter Tatbestände ermittelt werde.

Des Weiteren werde auch die aus dem Rechtsstaatsprinzip abgeleitete Unschuldsvermutung nicht verletzt. Denn bei einer wahldeutigen Verurteilung sei nicht das Ob einer Strafbarkeit zweifelhaft, sondern, aufgrund der begrenzten gerichtlichen Erkenntnismöglichkeit, lediglich der konkret erfüllte strafgesetzliche Tatbestand. Würde durch die doppelte Anwendung des Zweifelssatzes in dubio pro reo eine Straffreiheit erreicht, stünde dies allerdings in Widerspruch zum Rechtsstaatsprinzip, denn der strafrechtliche Rechtsgüterschutz und seine effektive gerichtliche Durchsetzung seien Verfassungsaufgaben.

Das Erfordernis der rechtsethischen und psychologischen Vergleichbarkeit der Straftatbestände stelle dabei sicher, dass die Taten einen gleichartigen Unrechts- und Schuldgehalt aufwiesen und so ein hinreichend einheitlicher Unrechts- und Schuldvorwurf Grundlage der Verurteilung werde, so das BVerfG.

Schließlich verletzte die Wahlfeststellung zudem nicht das Recht der Beschwerdeführer aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 2 S. 2 und Abs. 3 GG, weil es die verfassungsrechtlichen Schranken richterlicher Rechtsfortbildung wahre. Die Wahlfeststellung sorge für die Wahrung der Einzelfallgerechtigkeit, da ein Freispruch, trotz sicherer Verwirklichung zumindest eines Straftatbestands durch den Angeklagten, mit der Idee materieller Gerechtigkeit nicht vereinbar sei.

Die Vorgehensweise der Rechtsprechung könne sich auch auf die Billigung des Gesetzgebers stützen, da bei verschiedenen Gesetzesnovellen nie der Wille des parlamentarischen Gesetzgebers zum Ausdruck gekommen sei, an der bisherigen Praxis Änderung vornehmen zu wollen.

Abschließend formuliert das BVerfG jedoch eine Einschränkung der Wahlfeststellungsgrundsätze: Die Möglichkeit der Wahlfeststellung dürfe nicht dazu führen, dass der Versuch, den Sachverhalt zur Gänze aufzuklären, unterbliebe. Es müssten alle Beweismöglichkeiten vom Tatgericht erkennbar ausgeschöpft und gewürdigt werden.

Anmerkung der Redaktion:

Der 2. Strafsenat des BGH beabsichtigte, in diesem Fall von der ständigen Rechtsprechung des BGH abzuweichen und hat – nach einer gegenteiligen Entscheidung des 5. Strafsenats (BGHSt 61, 245) – deshalb die Frage, ob eine Wahlfeststellung zwischen Diebstahl und Hehlerei zulässig ist, dem Großen Senat zur Entscheidung vorgelegt (Vorlagebeschl. v. 02.11.2016 – 2 StR 495/12). Nach Ansicht des 2. Senats wirke die ungleichartige Wahlfeststellung strafbarkeitsbegründend, da die Verurteilung auf der Grundlage eines synthetisierten dritten Straftatbestandes erfolge und verstoße somit gegen Art. 103 Abs. 2 GG. Dieser Argumentation folgte der Große Senat allerdings nicht (BGHSt 62, 164).

 

 

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