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Sexualstrafrecht – Der Prozess einer Reform – Kommentar zum Beitrag von J.-Prof. PD Dr. Elisa Hoven

von Prof. Dr. Tatjana Hörnle

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I. Medienberichte im Vorfeld der Reform des Sexualstrafrechts

Elisa Hovens Kritik am journalistischen Umgang mit Zahlen ist teilweise berechtigt. Es ist für die Qualität einer Darstellung besser, keine Zahlen anzuführen, die vorgeben, präzise Angaben etwa zur Größe des Dunkelfelds bei Sexualstraftaten zu machen. Tatsächlich ist es nicht möglich, dazu exakte und aktuelle Daten zu bekommen. Es gibt bedauerlicherweise in Deutschland keine in kurzen Abständen durchgeführten repräsentativen Erhebungen zum Dunkelfeld bei Sexualstraftaten und anderen Delikten (ein Manko, das behoben werden sollte). Allerdings ist die Kritik, dass Falschdarstellungen verbreitet wurden, zu streng. Damit wird suggeriert, dass die Unterstützung für einen geänderten § 177 StGB auf sachlich unrichtige Darstellungen der Lebens- und Verfahrensrealität zurückzuführen gewesen sei. Tatsächlich handelte es sich aber nur um Ungenauigkeiten beim Umgang mit statistischem Material, die nicht zu einer grundlegenden Verfälschung der inhaltlichen Tendenz führten. Angaben zu ungefähren Größenordnungen sind auf der Basis vorhandener Forschung durchaus möglich, etwa die Aussage, dass ein Großteil der Sexualdelikte nicht angezeigt wird.[1] Natürlich kann bei fast jeder empirischen Erhebung über Details gestritten werden (z.B. weil ein für Umfragen maßgebliches Alltagsverständnis von sexueller Gewalt nicht unbedingt mit rechtlichen Definitionen übereinstimmen muss oder weil eine Untersuchung schon länger zurückliegt). Aber daraus folgt nicht, dass gar nichts über die Größe des Dunkelfelds bekannt wäre oder es kein Dunkelfeld gäbe. Das Gleiche gilt für den beträchtlichen Schwund, der sich zeigt, wenn man Anzeigen und Verurteilungen vergleicht. Hoven verweist zu Recht darauf, dass man es bei einem sorgfältigen Umgang mit Statistiken unterlassen sollte, Daten der Polizeilichen Kriminalstatistik und der Strafverfolgungsstatistik zusammenzuziehen und Prozentzahlen zu errechnen, die dann als numerisch bezifferbare Schwundquote ausgewiesen werden. Aber auch ohne Nennung exakter Prozentzahlen kann ein Befund dem Grund nach festgestellt werden: Die Schwundquote ist groß.

Zum Vorwurf einer unrichtigen Wiedergabe der alten Gesetzeslage möchte ich Folgendes anmerken: Die Aussage, dass eine  Strafbarkeit  an  der  aktiven  Gegenwehr  des Opfers hing, ist dann unzutreffend, wenn man sie auf die Tatbestandsvoraussetzungen in § 177 StGB a.F. bezieht. Dort wird, worauf Hoven hinweist, Täterverhalten und nicht Opferverhalten beschrieben. Gleichwohl ist festzuhalten, dass das alte Recht im Hinblick auf Verhaltenserwartungen an Opfer (zu) anspruchsvoll war. Bei Interaktionsdelikten ergeben sich aus den Beschreibungen strafbaren Täterhandelns mittelbar auch Vorgaben für die andere Person. Dabei kann nicht von Pflichten i.e.S. gesprochen werden, aber es wird ein indirekter Anreiz zur Verhaltensanpassung gesetzt. Strafrechtliche Normen ziehen die Grenze zwischen Recht und Unrecht. Nach altem Recht reichte das explizite und von allen Beteiligten als ernsthaft erkannte „Nein“ nicht aus, um einen sexuellen Übergriff zur strafbaren Handlung zu machen. Daraus ergab sich ein vom Gesetz gesetzter Anreiz, sich zu wehren oder zu fliehen, wenn absehbar war, dass eine erklärte Ablehnung ignoriert würde – anderenfalls würde dem Täter attestiert, dass das Recht auf seiner Seite stand.

II. Erweiterung des Schutzes sexueller Selbstbestimmung im Lichte des deutschen Ultima-Ratio-Dogmas

Der Ultima-Ratio-Grundsatz lässt sich bildlich als eine Monstranz beschreiben, welche die deutsche Strafrechtswissenschaft vor sich her trägt. Es ist nicht zu bestreiten, dass diese Monstranz wertvoll ist. Das zeigt insbesondere der Vergleich mit dem US-amerikanischen Strafrecht. Es ist wichtig, dass bei allen in der Profession, bei Strafrechtswissenschaftlern ebenso wie bei den von uns ausgebildeten Praktikern, der Ultima-Ratio-Grundsatz in Ehren gehalten wird und das Bewusstsein dafür lebendig bleibt, dass Strafrecht sparsam eingesetzt werden sollte. Aber es sind mit dem häufigen Einsatz unserer Monstranz auch Probleme verbunden. Ein solches Problem ist, dass damit Status-quo-Effekte maskiert werden und das geltende Recht als optimale Lösung glorifiziert wird. Status-quo-Verzerrungen sind ein bekanntes psychologisches Phänomen[2] und sind natürlich auch bei Diskussionen über Gesetzesänderungen zu erwarten.

Für mich war es eine wesentliche Erkenntnis aus der Teilnahme an der Reformkommission Sexualstrafrecht, wie stark vor allem bei Praktikern der Status-quo-Effekt ausgeprägt ist und wie gering die Bereitschaft und Fähigkeit ausfällt, sich vom geltenden Recht gedanklich zu entfernen. Für eine ernsthafte Reform wäre das eine notwendige Haltung. Der Ansatzpunkt müsste sein, sich vorzustellen, dass kein Sexualstrafrecht existiere. Es wäre auf dieser Basis zu überlegen: erstens, was sexuelle Selbstbestimmung bedeutet; zweitens, welche Handlungen sexuelle Selbstbestimmung missachten; drittens, wie diese Überlegungen in präzise, für Laien verständliche und für Juristen anwendbare Tatbestandsformulierungen umgesetzt werden können. Leider hat sich aber gezeigt, dass Juristen kaum fähig sind, sich auf dieses Abstraktionsniveau einzulassen und sich gedanklich von dem abzukoppeln, was als vertrauter Bestand des deutschen Rechts erlernt wurde. Wer vom geltenden Recht ausgeht und sich allenfalls Reparaturen hier und da vorstellen kann, wird nur einen weiteren Flicken auf einem Flickenteppich anbringen, der das Produkt insgesamt nicht besser macht.

Von einer Glorifizierung des geltenden Rechts kann nicht für alle Rechtsgebiete die Rede sein. Aber im Bereich des Sexualstrafrechts hält sich leider ein hartnäckiger Mythos, dem zufolge in den großen Reformwellen Ende der sechziger und siebziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts eine vorbildhafte Liberalisierung erreicht wurde und danach nur noch Verschlechterungen zu verzeichnen seien.[3] Das ist so nicht richtig. Der 13. Abschnitt des StGB wurde seit der Einführung des Reichsstrafgesetzbuchs von 1871 nie von Grund auf überdacht. Der Übergang von einem vorkonstitutionellen Rechtszustand zu neuartigen Vorgaben im Grundgesetz (Selbstbestimmung, Art. 2 Abs. 1 GG, und Gleichberechtigung der Geschlechter, Art. 3 Abs. 2 S. 1 GG) legte es eigentlich nahe, dass damit auch die Grenzen für sexuelle Handlungen neu justiert werden müssten. Die vielfältigen Änderungen in den seit 1871 vergangenen fast 150 Jahren haben, etwa mit der Einführung der Strafbarkeit sexueller Nötigung auch in der Ehe, zwar einige der offensichtlich heute unhaltbaren Annahmen vergangener Jahrhunderte beseitigt. Letztlich blieben aber Ergänzungen und Streichungen punktueller Natur und schufen den bereits erwähnten Flickenteppich. Dies gilt auch für die Reformgesetze in den sechziger und siebziger Jahren. Das dürfte nicht nur an der Zusammensetzung des Personenkreises liegen, der damals mit einer Reform des Sexualstrafrechts befasst war. Ein vertieftes, in breite Teile der Gesellschaft vorgedrungenes Verständnis dessen, was Sexualautonomie auch für Frauen bedeutet, hat sich erst gegen Ende des 20. Jahrhunderts entwickelt. Auch in anderen Ländern, die schon vor einigen Jahren die Definitionen für sexuelle Übergriffe geändert haben,[4] kamen gesellschaftliche Debatten, anfangs beschränkt auf feministische Zirkel, erst seit den sechziger und siebziger Jahren allmählich in Gang. Es wird Zeit, den Mythos zu verabschieden, dass es im deutschen StGB seit dem 4. StrRG vom 23.11.1973 ein perfektes Sexualstrafrecht gegeben habe und dass Ausweitungen der Strafbarkeit automatisch als „Moralisierung“ zu etikettieren seien. Dass auch die jetzt geltende Gesetzeslage in § 177 StGB n.F. alles andere als perfekt ist, weil über die schwierige Frage der Tatbestandsformulierung nicht intensiv genug beraten wurde, ist kein Grund, die alte Rechtslage zu idealisieren.

III. Sexuelle Belästigung und Straftaten aus Gruppen

In der kürzlich statt gefundenen #MeToo-Kampagne wurden erneut Forderungen erhoben, besser gegen sexuelle Belästigung vorzugehen. Bundesfamilienministerin Katarina Barley sprach sich in einem Interview dafür aus, dass unser Rechtssystem „schärfer“ werden müsse[5] – auf die Einführung des § 184i StGB im Jahr 2016 ging sie dabei nicht ein. Ein Problem bei diesen erregt geführten Debatten ist, dass unterschiedliche Themen nicht auseinandergehalten werden. Manche via soziale Medien erhobenen Beschwerden gelten unmanierlichem oder ungeschicktem Verhalten jenseits von Abhängigkeitsverhältnissen. Das Anliegen, Geschlechterstereotype und die Grenzen zwischen schlechten, akzeptablen und guten Manieren diskursiv auszuleuchten, ist grundsätzlich berechtigt. Soweit es um konkrete Vorfälle mit namentlich genannten Personen geht, ist es allerdings auch erforderlich, sich selbstreflektiert damit zu befassen, dass es Grenzen für eine Erörterung menschlicher Unzulänglichkeiten in der Öffentlichkeit geben muss und dass selbstgerechtes Moralisieren unerfreulich sein kann. Ein davon zu trennendes Thema ist der Komplex „korruptionsähnliches Verhalten – Ausnutzen von Macht innerhalb einer Organisation“. An dieser Stelle wird die Schwelle zwischen außerrechtlichen und rechtlichen Verhaltensnormen überschritten, wobei allerdings nicht das Straf-, sondern vor allem das Arbeitsrecht gefragt ist. Rechtliche Regulierung kann mit dem persönlichen Schutz der Betroffenen begründet werden, aber auch damit, dass aus Sicht einer Organisation oder eines Kollektivs das Einfordern sexueller Handlungen von abhängigen Personen selbst dann problematisch sein kann, wenn es Betroffenen im Einzelfall gelingt, solche Aufforderungen ohne persönliche Probleme zurückzuweisen, oder wenn sie sich in überlegter Weise darauf einlassen.

Schließlich bleibt der uns interessierende Bereich der strafrechtlichen Folgen. Dabei ist eine Überforderung des Strafrechts zu vermeiden, die eintreten würde, wenn man erwartet, dass ein breites Spektrum an lästigen Verhaltensweisen und Übergriffen sanktioniert werden solle. In öffentlichen Diskussionen werden Trennlinien mit dem Schlagwort „Sexismus“ zugekleistert und das Strafrecht als allgemeine Moralvollstreckungsinstanz wahrgenommen. An dieser Stelle ist auf den Ultima-Ratio-Gedanken und das Schutzgut „sexuelle Selbstbestimmung“ zurückzukommen. Aus dem Gesamtspektrum unerwünschter körperlicher Berührungen bilden Handlungen, die sexuelle Selbstbestimmung verletzen, nur einen Ausschnitt. Damit Verhalten sexuelle Selbstbestimmung tangiert, muss es eine sexuelle Komponente aufweisen. Das bedeutet, dass bei der Anwendung von § 184i StGB die körperliche Berührung als solche sexueller Natur sein muss.[6] Beim Griff um die Taille, dem Kuss auf die Wange[7] oder der Hand auf dem Knie ist das nicht der Fall. Sinn und Zweck der Einführung des § 184i StGB liegt darin, bisher straflose sexuelle Berührungen (etwa: Busengrapschen) zu erfassen, die zuvor wegen der Erheblichkeitsschwelle des § 184h Nr. 1 StGB in Kombination mit dem hohen Strafrahmen in § 177 Abs. 1 StGB a.F. nicht strafrechtlich geahndet wurden. Für die Zwecke des Strafrechts kann es nicht genügen, auf die Rechtsprechung von Arbeitsgerichten abzustellen[8] – Fürsorgepflichten gegenüber Arbeitnehmern rechtfertigen einen weitergehenden Schutz vor Belästigungen am Arbeitsplatz als dies beim allgemeinen Schutz sexueller Selbstbestimmung der Fall ist. Es bleibt zu hoffen, dass die Strafgerichte § 184i StGB nicht extensiv auslegen.

Elisa Hoven geht in ihrem Vortrag kritisch auf § 184j StGB (Straftaten aus Gruppen) ein. Dazu möchte ich nur kurz Stellung nehmen, da ich mich an anderer Stelle ausführlicher zu dieser Norm und ihrer Auslegung geäußert habe.[9] Meine Kritik kurz zusammengefasst: In der deutschen Strafrechtswissenschaft besteht die Tendenz, in rechtspolitischen Diskussionen zu schnell die Keule „verfassungswidrig“ einzusetzen. § 184j StGB ist nicht unbestimmter als viele andere, ebenfalls auslegungsbedürftige Straftatbestände. In der Verwendung einer objektiven Bedingung der Strafbarkeit liegt keine Verletzung des Schuldprinzips, wenn der Tatbestand im Übrigen Unrecht beschreibt. § 184j StGB läuft nicht auf die Bestrafung für fremdes Unrecht hinaus. Die vorsätzliche Förderung einer Straftat durch Bedrängen einer anderen Person mittels einer Personengruppe begründet eigenes Unrecht und eigene Vorsatzschuld. Dass in einem solchen Gedränge Gruppenmitglieder die Gelegenheit für weitere Delikte ausnutzen, ist kein Exzess, der eine Zurechnung unterbrechen würde. Ein vorsichtigerer Umgang mit dem Argument der Verfassungswidrigkeit bedeutet natürlich nicht den Verzicht auf rechtspolitische Kritik. Zu bemängeln ist, dass die Auswahl der objektiven Bedingung der Strafbarkeit in § 184j StGB nicht gut begründet ist. Der Verweis auf die Straftaten in der Kölner Silvesternacht legt es nicht nahe, sich nur auf Sexualstraftaten zu konzentrieren – es wurden schließlich auch eine Reihe anderer Delikte begangen. Der Sache nach handelt es sich bei „Straftaten aus Gruppen“ um eine Ausweitung der Lehre von Täterschaft und Teilnahme, die im Allgemeinen Teil des StGB anzusiedeln wäre. Dass die deutsche Strafrechtswissenschaft auf § 184j StGB mit überzogener Polemik reagiert,[10] befördert eine sachliche Diskussion über Gefahren und Strafwürdigkeit gruppendynamischer Tatgeschehen nicht.

IV. Nochmals zu Medien und Gesetzgebung

Abschließend möchte ich auf die Grundthese von Hoven zurückkommen, dass die 2016 erfolgte Änderung des Sexualstrafrechts durch skandalisierende und falsche Berichterstattung beeinflusst worden sei. Ihre These zur Gesetzesgenese würde ich in dieser starken Formulierung nicht unterschreiben. Unpräzise formulierte Aussagen oder fehlendes Verständnis für die Grenzen dessen, was man aus Statistiken ableiten kann, sind aus wissenschaftlicher Sicht ärgerlich, aber keine genuine Falschdarstellung. Vor allem verwundert es, dass sich Hoven auf journalistische Berichte beschränkt und die Aktivitäten in den sog. sozialen (oft zutreffender: asozialen) Medien ausblendet. Twitter, Blogs und Kommentare auf Internetseiten sind sowohl unter dem Aspekt „mindestens grob fahrlässige Falschdarstellungen“ als auch unter dem Aspekt „Aufschaukelung von Emotionen“ problematischer als selbst die schlechteren Presseartikel. Dies gilt auch dann, wenn sich grobes Polemisieren mit dem Nimbus des hohen Amtes verbindet, wie es Thomas Fischer zum Befremden vieler praktiziert hat.

Dass zu den Medien auch unsere eigene Fachliteratur gehört, ist ebenfalls zu betonen. Eigentlich sollte es in unserem Kreis überflüssig sein, an die Verantwortung zu erinnern, die Kommentatoren des geltenden Rechts für die Anwendbarkeit desselben in der Praxis haben. Leider gibt es aber in der Kommentarliteratur Autoren, die versuchen, missliebige Entscheidungen des Gesetzgebers zu umgehen, indem sie die eigene rechtspolitische Position ausführlich ausbreiten, aber die Gesetzesmaterialien ignorieren.[11]

Elisa Hoven ist allerdings in ihrem Fazit zuzustimmen, dass die Änderung des Sexualstrafrechts 2016 in überhasteter Weise erfolgte und deshalb § 177 StGB auch in der neuen Fassung überarbeitungsbedürftig ist.[12] Ein wesentlicher Grund für die Überhastung liegt meines Erachtens in der zu kurzen Legislaturperiode des Bundestags. Wenn man die Arbeitsbedingungen für Abgeordnete kennt, die sich in kurzer Zeit mit einer Fülle von Regelungsanliegen auseinandersetzen sollten, ist es nicht verwunderlich, dass das „Fenster der Gelegenheiten“, in dem sich Fraktionen auf gemeinsames Handeln verständigen können, für ein Thema nur kurz geöffnet bleibt. Nicht optimal sind die kurzen Legislaturperioden natürlich auch für die Arbeit in den Ministerien. Reformprojekte fordern langen Atem. Gleichzeitig gilt es unter den Bedingungen einer modernen Mediengesellschaft als opportun, in hoher Schlagzahl neue Projekte zu verkünden, was es erschwert, Vorhaben durchdacht und mehrfach geprüft zu Ende zu bringen.

Wir sollten uns auch keine Illusionen machen: Die Situation wird sich nicht verbessern. Je mehr Zeit in einer fragmentierten Gesellschaft und fragmentierten Parteienlandschaft in die Gründung und den Zusammenhalt von Koalitionen investiert werden muss, umso weniger Zeit steht für Gesetzesreformen zur Verfügung. Es ist unwahrscheinlich, dass in der Zukunft die intensive Beschäftigung mit den Schwächen geltender Gesetze hohe Priorität haben wird.

 

[1]      S. dazu eine Dunkelfeldstudie des Bundesfamilienministeriums: Müller/Schröttle, Lebenssituation, Sicherheit und Gesundheit von Frauen in Deutschland, 2004, S. 64 ff.
[2]      S. z.B. Eidelman/Crandall, Bias in Favor of the Status Quo, Social and Personality Psychology Compass 2012, S. 270.
[3]      S. zu diesem Mythos z.B. Klimke/Lautmann, Zeitschrift für Sexualforschung 2006, 97 ff.; Brüggemann, Entwicklung und Wandel des Sexualstrafrechts in der Geschichte unseres StGB, 2013, S. 502 ff.
[4]      S. etwa die ersten Tatbestände im Sexual Offences Act 2003 für England und Wales.
[5]      Zeit Online v. 22.10.2017.
[6]      Dazu Hörnle, NStZ 2017, 13 (20).
[7]      Dazu explizit BT-Drs. 18/9097, S. 30.
[8]      So aber Renzikowski, in: MüKo-StGB, 3. Aufl. (2017), § 184i Rn. 8.
[9]      Hörnle, Bonner Rechtsjournal 2017, 57 ff.
[10]    S. z.B. die Kommentierung von Renzikowski, in: MüKo-StGB, 3. Aufl. (2017), § 184j
[11]    Dies führt vor allem dann zu Problemen, wenn es sich um einen sog. Praktikerkommentar handelt. Es ist eine Sache, eine Gesetzesänderung zu kritisieren, eine andere aber, die Rechtsanwender unzureichend zu informieren, indem man die Gesetzesmaterialien ignoriert. So wäre ein Blick in BT-Drs. 18/9097 geeignet, das Urteil zu korrigieren, dass in § 177 Abs. 2 Nr. 2 StGB „Menschen mit psychischen Behinderungen … die Fähigkeit abgesprochen wird, selbstverantwortliche Entscheidungen über ihr Sexualverhalten zu treffen“ (Fischer, 64. Aufl., 2017, § 177 Rn. 29). Das Gegenteil ist richtig: Weil das Tatbestandsmerkmal „Zustimmung“ auf den faktischen, natürlichen Willen verweist, wird im Gegensatz zur alten Rechtslage klargestellt, dass geistig behinderte Menschen nach ihren Wünschen Sexualkontakte haben können, ohne dass sich die andere Person strafbar macht, die diesen Wunsch kennt (BT-Drs. 18/9097, S. 24). Unverständlich bleibt auch, warum Fischer schreibt, dass es zwischen Gewalt bzw. Drohungen und sexuellen Handlungen (früher § 177 Abs. 1 Nr. 1, 2; nunmehr § 177 Abs. 5 Nr. 1, 2 StGB) nach wie vor eines Finalzusammenhangs bedürfe (§ 177 Rn. 69), ohne die entgegengesetzte Aussage in BT-Drs. 18/9097, S. 27, und den geänderten Gesetzeswortlaut zu erwähnen.
[12]    S. dazu den Abschlussbericht der Reformkommission zum Sexualstrafrecht, 2017, S. 293 ff.

 

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