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Das neue Sexualstrafrecht – Der Prozess einer Reform

von J.-Prof. PD Dr. Elisa Hoven

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I. Die Rolle der Medien für die Strafrechtspolitik

Die Bedeutung der Medien für die Gestaltung der Strafrechtspolitik ist kaum zu überschätzen. Immer häufiger werden mehr oder weniger spektakuläre Einzelfälle zum Anlass für mediale Kampagnen gegen das geltende Recht. Die Berichterstattung suggeriert dringenden staatlichen Handlungsbedarf und schafft eine gesellschaftliche Stimmung, die von politischen Parteien oft bereitwillig aufgegriffen wird. Eine Reform des Strafrechts bietet dem Gesetzgeber eine entschlossen wirkende und zugleich kostengünstige Lösung, um auf die öffentlichen Forderungen zu reagieren und seine Handlungsfähigkeit zu demonstrieren.[1] Dieser Form der spontanen, aktionistischen Symbolpolitik hat das StGB die unklare und ausufernde „Lex Edathy“[2] ebenso zu verdanken wie die übereilte Abschaffung des § 103 StGB.

Im Bereich des Sexualstrafrechts ist der Einfluss der Medien besonders erheblich. Medienberichte über Sexualstraftaten prägen die Wahrnehmung sexueller Gewalt als soziales Problem, formulieren Schuldzuschreibungen und identifizieren praktische und politische Defizite bei der Prävention und Bekämpfung sexueller Gewalt. Damit geben sie Maßstäbe für die (richtige) Reaktion auf Sexualdelinquenz vor und tragen als „Vierte Gewalt des Staates“[3] zur Konstitution gesellschaftlicher Bilder und der Entstehung einer „öffentlichen Meinung“ bei.[4] Journalisten intendieren hierbei jedoch nicht zwingend die neutrale Aufklärung der Rezipienten, sondern folgen der Eigengesetzlichkeit der Medien; sie setzen teilweise eine eigene politische Agenda um oder versuchen – nicht selten durch eine skandalisierende Darstellung – die Zahl ihrer Konsumenten und damit den wirtschaftlichen Erfolg ihres Publikationsorgans zu steigern.[5]

Die „Kölner Silvesternacht“ und der „Fall Gina Lisa Lohfink“ waren Anstoß für intensive mediale Diskussionen über das geltende Sexualstrafrecht und die Notwendigkeit seiner Verschärfung. Mit der im November 2016 in Kraft getretenen Neuregelung hat der Gesetzgeber die zentrale Vorschrift des § 177 StGB weitgehend umgestaltet und die populäre Forderung „Nein heißt Nein“ zur Grundlage des Sexualstrafrechts gemacht. Zugleich wurden zwei neue Strafvorschriften (§§ 184i und 184j StGB) eingeführt, durch die weniger schwere sexuelle Übergriffe pönalisiert worden sind.[6]

Dieser Beitrag wirft einen Blick auf die Rolle der Medien im Vorfeld der Reform des Sexualstrafrechts. Im Rahmen einer Analyse digitaler Medienberichte[7] wird untersucht, welche Positionen zur Einführung eines „Nein heißt Nein“-Modells kommuniziert und welche Bilder von der damals geltenden Rechtslage sowie ihrer praktischen Anwendung gezeichnet wurden. Anschließend werden einige Aspekte der Neuregelung betrachtet und die Schwächen einer durch medialen Druck forcierten Gesetzgebung erörtert.

II. Erkenntnisse der Medienanalyse

1. Methodisches Vorgehen und Fragestellungen der Medienanalyse

Gegenstand der Analyse sind 60 Text-Beiträge, die sich mit der Reform des Sexualstrafrechts auseinandersetzen. In die Studie einbezogen wurden digital verfügbare journalistische Texte, darunter sowohl online verfügbare Beiträge der Printmedien als auch reine Online-Publikationen; ausgenommen wurden Blog-Einträge von Privatpersonen ohne Anbindung an ein bestehendes Publikationsorgan. Die Studie beschränkt sich auf Artikel, die im Zeitraum vom 1.4.2016 bis zum 7.7.2016 – also unmittelbar vor dem Beschluss des Bundestages zur Reform des Sexualstrafrechts[8] – erschienen sind. Eine an inhaltlichen Kriterien ausgerichtete Vorselektion erfolgte nicht, vielmehr wurde versucht, alle Beiträge aus dem relevanten Zeitraum zu erfassen. Von den 60 Beiträgen wurden 36 näher untersucht; bei den übrigen 24 handelte es sich um Interviews, wortgleiche Wiederholungen bereits analysierter Beiträge sowie knappe Wiedergaben von Expertenpositionen ohne substanzielle eigene Ergänzungen oder Positionierungen. Diese Beiträge wurden allein unter dem Gesichtspunkt der Tendenzverstärkung mit Blick auf die kommunizierte Haltung zur Reform einbezogen.

Im Rahmen der Inhaltsanalyse wurden Haltung und Diskursstrategie des jeweiligen Beitrages untersucht. Neben der grundsätzlichen Positionierung zum „Nein heißt Nein“-Modell (II.2.) sollen nachfolgend drei häufige Argumentationsmuster dargestellt werden: Die falsche Kommunikation von Statistiken (II.3.), die unrichtige Wiedergabe der Gesetzeslage (II.4.) und die selektive Auswahl von Fallbeispielen (II.5.).

2. Haltung zur Reform

Von den 24 Beiträgen, die keine eigene Stellungnahme enthalten, kommunizieren 19 eine positive Sicht auf die Einführung eines „Nein heißt Nein“-Modells; sie haben Interviews mit Befürwortern zum Gegenstand oder geben die Position von Politikern oder AktivistInnen wieder, die sich für eine Reform aussprachen.

„Doch dem Deutschen Juristinnenbund (djb) gehen diese Reformen nicht weit genug. Der djb begrüße zwar, Strafbarkeitslücken in gravierenden Fällen sexueller und sexualisierter Übergriffe zu schließen, das greife aber im Hinblick auf die Kriminalisierung nicht einverständlicher sexueller Handlungen zu kurz.“[9]

Vier Beiträge zeichnen ein ausgewogenes Bild von der Reform (enthalten also sowohl befürwortende als auch ablehnende Sichtweisen) und nur ein Artikel ein überwiegend kritisches. Wenngleich sich die Verfasser der Beiträge nicht explizit für oder gegen eine Neuregelung aussprechen, vermitteln sie durch die Auswahl der zitierten Personen – PolitikerInnen und AktivistInnen auf der einen, StrafverteidigerInnen und Justiz auf der anderen Seite – eine klare Haltung zur Notwendigkeit der Reform.

Von den 36 näher untersuchten Beiträgen argumentieren 26 für eine Reform[10], sechs sind neutral (weisen also differenziert auf Vor- und Nachteile hin) und vier positionieren sich gegen eine Neuregelung.

„Kann ein ausgesprochenes ‚Nein’ ausreichen, um einen Menschen zu verurteilen? Darf man das gesetzlich festschreiben? Ja, man kann. Man muss es sogar.“[11]

3. Falsche Kommunikation von Statistiken

16 der 36 Beiträge berufen sich für ihre Forderung nach einer Reform auf Statistiken zu Sexualstraftaten und deren Verfolgung. Die Verfasser stützen die Notwendigkeit einer Verschärfung des Sexualstrafrechts auf die geringen Verurteilungszahlen. Die Daten der Strafverfolgungsstatistiken werden dabei in Relation zur polizeilichen Kriminalstatistik oder gar zu den Erkenntnissen der Dunkelfeldforschung gesetzt.

„Momentan werden in Deutschland nur einer von 100 strafrechtlich relevanten sexuellen Übergriffen gesühnt.“[12]

Die Behauptung einer fehlenden Ahndung sexueller Gewalt wird häufig gekoppelt mit der Annahme eines hohen Dunkelfelds und dem Hinweis auf nur geringe Falschbeschuldigungszahlen.

„2012 wurden von allen angezeigten Vergewaltigungen nur 8,4 Prozent der Täter_innen verurteilt. Die Falschbeschuldigungsquote liegt bei etwa 5 Prozent. Und der Rest der angezeigten Fälle, immerhin über 80 Prozent der Verfahren, können wegen Geringfügigkeit, gegen Auflagen     oder weil kein hinreichender Tatbestand besteht eingestellt werden oder nach Beginn eines Strafverfahrens auch mit einem Freispruch aus Mangel an Beweisen enden. 85-95 Prozent aller Menschen, die vergewaltigt wurden, zeigen übrigens gar nicht erst an.“[13]

„Tatsächlich liegt das Verhältnis bei ungefähr 135:1, also: Auf jeden Fall von falschen Vergewaltigungsvorwürfen kommen 135 reale Vergewaltigungen.“[14]

Die Berufung auf Daten und Zahlen vermittelt den Eindruck von Objektivität; die Position des Verfassers wird aus dem Bereich des Subjektiven und Ambivalenten gehoben und auf das scheinbar neutrale und damit unangreifbare Fundament der Statistik gestellt.[15] Die in den untersuchten Beiträgen verwendeten Daten beruhten jedoch auf – bewussten oder unbewussten – Fehlinterpretationen, Übertreibungen und Verzerrungen.[16]

Es existieren keine seriösen Daten zum tatsächlichen Anteil von Falschbeschuldigungen an Vorwürfen sexueller Gewalt. Die wenigen Studien, die sich mit falschen Verdächtigungen wegen einer Sexualstraftat beschäftigen,[17] beruhen auf den Daten der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) sowie der Strafverfolgungsstatistiken des Statistischen Bundesamtes (StVStat). Eine falsche Verdächtigung nach § 164 StGB geht jedoch nur dann in die PKS ein, wenn sie zur Anzeige gebracht wurde; in der Verurteilungsstatistik erscheint sie nur dann, wenn der Täter auch verurteilt wurde. Es spricht vieles dafür, dass die Strafverfolgungsbehörden regelmäßig nur in eindeutig gelagerten Fällen gegen das vorgebliche Opfer einer Sexualstraftat ermitteln. Für diese Zurückhaltung gibt es gute Gründe – schließlich soll das Risiko, ein tatsächliches Opfer sexueller Gewalt zu Unrecht wegen falscher Verdächtigung anzuklagen und damit ein weiteres Mal zu viktimisieren, weitgehend ausgeschlossen werden. Unabhängig von einer womöglich restriktiven Verfolgungspraxis lässt sich in allen „Aussage gegen Aussage“-Konstellationen, in denen das Gericht die Wahrheit nicht zu ermitteln vermochte, eine falsche Verdächtigung ebenso wenig ausschließen wie ein sexueller Übergriff. Jeder Einstellung und jedem Freispruch, die nicht aus Rechtsgründen erfolgen, liegt daher möglicherweise eine Falschbeschuldigung zugrunde. Da diesen Non-liquet-Situationen die Ungewissheit darüber, ob die Tat in der behaupteten Form stattgefunden hat oder erdacht wurde, immanent ist, verbietet sich seriöserweise eine Aussage über den prozentualen Anteil von Falschbeschuldigungen.

Ebenfalls problematisch ist die Argumentation mit einem großen Dunkelfeld bei Sexualdelikten. Die Behauptung hoher Opferzahlen außerhalb des statistisch erfassten Bereichs ist eine gängige Methode zur Skandalisierung gesellschaftlicher Probleme.[18] Der Hinweis auf eine weite Verbreitung des Phänomens verdeutlicht den Rezipienten das Risiko einer eigenen Betroffenheit und suggeriert zugleich einen dringenden staatlichen Handlungsbedarf.[19] Doch die von Lobbygruppen wie dem Bundesverband Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe (bff)[20] kolportierten Zahlen über das Erleben sexueller Übergriffe sind zu wenig verlässlich, um eine überzeugende Grundlage für die Reformdiskussion zu bilden.

Neben den allgemeinen Limitationen der Dunkelfeldforschung[21] wirkt sich im Bereich der Sexualdelinquenz insbesondere die Subjektivität der Erfahrungsbewertung aus. Mit Dunkelfeldbefragungen wird schließlich nicht die objektive „’Kriminalitätswirklichkeit’, sondern immer nur die Selbstbeurteilung und Selbstauskunft der Befragten gemessen“[22]. Sexuelle Übergriffe können sich in ganz unterschiedlichen Formen zeigen; wo die Grenze zwischen einer (straflosen) Distanzlosigkeit, einer Belästigung oder einer abgenötigten sexuellen Handlung liegt, wird von den Betroffenen unterschiedlich empfunden und ist auch rechtlich nicht immer eindeutig zu beurteilen. Einen Hinweis auf die individuell abweichende Einschätzung sexueller Übergriffe gibt die viel zitierte Studie „Gewalt gegen Frauen“ der Agentur der Europäischen Union für Grundrechte.[23] Die europaweite Befragung von Frauen zu Gewalterfahrungen – auch im sexuellen Kontext – kommt zu dem erstaunlichen Ergebnis, dass 81 Prozent der Schwedinnen bereits Opfer sexueller Belästigung geworden sind, jedoch nur 24 Prozent der Bulgarinnen.[24] Hier liegt die Vermutung nahe, dass über Voraussetzungen und Verständnis sexueller Übergriffe kein Konsens existiert.[25] Die Wahrnehmung einer Viktimisierung hängt offenbar auch von den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen ab; eine mögliche Erklärung der divergierenden Resultate besteht darin, dass eine fortgeschrittene Gleichstellung der Frau (wie in Schweden) mit einer höheren Sensibilität für die Verletzung der eigenen sexuellen Grenzen korreliert.

Der wohl schwerwiegendste Fehler der Berichterstattung liegt jedoch in der Berufung auf eine Verurteilungsquote, der zufolge Sexualstraftaten in Deutschland nur in seltenen Fällen geahndet werden.[26]

„Deutschland hat eine durchschnittliche Verurteilungsquote bei sexueller Gewalt von rund 8%. Wenn man die Vielzahl der erst gar nicht angezeigten Fälle (siehe auch #ichhabnichtangezeigt) hinzuzieht, dann muss man konstatieren, dass sexuelle Gewalt ein nahezu strafloses Verbrechen ist.“[27]

Die Verurteilungsquote von 8 Prozent beruht auf gleich mehreren Missverständnissen.[28] Sie ist nicht das Ergebnis einer detaillierten Verlaufsstudie[29], sondern das Resultat einer schlichten Gegenüberstellung der Zahlen aus PKS und StVStat. Eine solche Konstruktion von Verurteilungsquoten ignoriert sowohl die Natur der Statistiken als auch den ganz üblichen Ausfilterungsprozess („Strafverfolgungstrichter“)[30] im Strafverfahren. PKS und StVStat sind Tätigkeitsnachweise der jeweiligen Behörden, die unterschiedlichen, nicht aufeinander abgestimmten Parametern folgen. So entstehen Verzerrungen bereits im Rahmen einer rechtlichen Neubewertung der Tat zwischen Anzeige und Verurteilung. Wurde ein sexueller Übergriff etwa als Vergewaltigung nach § 177 StGB a.F. angezeigt und stellt das Gericht dann eine sexuelle Nötigung nach § 240 Abs. 4 StGB a.F. fest, so erscheint dieser Verfahrensausgang bei einem mechanischen Vergleich der Statistiken als „Freispruch“ in Bezug auf die angezeigte Vergewaltigung.

Neben den Verzerrungen aufgrund eines direkten Vergleichs von Daten aus PKS und StVStat leidet die Bildung einer „Verurteilungsquote“ an dem grundlegenden Fehler einer Gleichsetzung von Anzeigen und Taten. Die Berichterstattung geht davon aus, dass es sich bei jeder angezeigten Tat um einen „strafrechtlich relevanten sexuellen Übergriff“ handelt und eine geringe Verurteilungsquote daher Ausdruck eines ungerechten und defizitären Strafrechtssystems ist. Diese Sichtweise blendet zunächst aus, dass nicht jeder Anzeige auch tatsächlich ein strafbares Verhalten des Angeklagten zugrunde liegen muss. Der berechtigte Freispruch eines Beschuldigten – etwa nach einer falschen Verdächtigung oder weil es sich nicht um den wahren Täter handelt – wird nach dieser Lesart jedoch zu einem Teil der „desaströsen“ Verurteilungsquote.

Besonders bedeutsam für die Reformdiskussion ist die mediale Darstellung, dass die Verurteilung einer angezeigten Tat an zu hohen Strafbarkeitsvoraussetzungen scheitert („Das Opfer muss sich wehren“, hierzu sogleich unter 3.); eine Annahme, mit der die Forderung nach einer Verschärfung des Sexualstrafrechts begründet wird. Verlaufsstudien legen jedoch nahe, dass nicht die Hürden des Rechts, sondern Probleme der Nachweisbarkeit wesentliche Ursache für die Einstellung von Strafverfahren sind. So stellten Hartmann et al. fest, dass in 40 Prozent der von ihnen untersuchten Fälle die Verfahrenseinstellung ihren Grund (auch) in dem Verhalten des Anzeigeerstatters hatte: der Opferzeuge widerrief die eigene Aussage oder machte von seinem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch.[31] Erstattet eine Person also Anzeige bei der Polizei und verweigert anschließend weitere Angaben, so liegt die Verurteilungsquote – erneut – bei 0 Prozent; ein Befund, an dem auch ein extensives Strafrecht nichts zu ändern vermag.

4. Die unrichtige Wiedergabe der Gesetzeslage

18 der untersuchten Beiträge behaupten, dass die Strafbarkeit des Täters nach § 177 StGB a.F. eine aktive körperliche Gegenwehr des Opfers voraussetzte.[32]

„Heute muss das sexuelle Selbstbestimmungsrecht wehrhaft verteidigt werden, man muss also körperlich Widerstand leisten.“[33]

„Wer sich beim Akt nicht deutlich und körperlich wehrt, wird nach deutschem Recht also auch nicht vergewaltigt.“[34]

Bereits ein kurzer Blick auf § 177 StGB a.F. zeigt, dass es sich hier um ein – bedauerlicherweise verbreitetes –[35] Missverständnis handelt. Die Norm knüpft allein an die Handlung des Täters an; ein besonderes Abwehrverhalten des Opfers ist erkennbar keine Voraussetzung der Strafbarkeit. Nach altem Recht musste der Täter das Selbstbestimmungsrecht seines Opfers durch Gewalt, Drohung oder das Ausnutzen einer schutzlosen Lage verletzen. In all diesen Fällen oblag es dem Opfer – selbstverständlich – nicht, sich gegen den Täter zur Wehr zu setzen.

Die Fehldeutung der Vorschrift lässt sich damit erklären, dass der Täter – wenn sich das Opfer nicht bereits in einer schutzlosen Lage befand – ein Nötigungsmittel einsetzen musste. Tat er dies nicht und blieb das Opfer vollständig passiv, so war der Handelnde (mangels Nötigung) nicht strafbar. Durch eine Gegenwehr konnte das Opfer also eine Situation herbeiführen, in der sich der Täter eines Nötigungsmittels bedienen und damit die Grenze zur Strafbarkeit überschreiten musste.[36] Allerdings genügte hierfür etwa bereits der Versuch, den Raum zu verlassen; in diesem Fall war der Täter gezwungen, mit Gewalt oder Drohungen auf das Opfer einzuwirken, um die sexuelle Handlung vornehmen zu können. Eine körperliche – oder gar eine „kräftige“ oder „massive“ – Gegenwehr war unter keinem denkbaren Gesichtspunkt rechtlich erforderlich.[37]

Die Beschreibung der Rechtslage ist in einigen Beiträgen in einer Weise unrichtig, die mit bloßen Recherchefehlern kaum zu erklären ist. Während der Tatbestand teilweise auf die Begehungsform der Gewaltausübung beschränkt wird, kumulieren andere Autoren die Strafbarkeitsvoraussetzungen des § 177 StGB a.F. und stellen damit praktisch kaum erfüllbare Anforderungen an die Verwirklichung der Strafnorm.

„[§§ 177 ff.] besagen aktuell, dass sich eine Frau körperlich wehren muss, also um sich schlagen, um einen Mann wegen Vergewaltigung anzeigen zu können. Außerdem müsse sie sich in einer schutzlosen Lage befinden und ihr Leben bedroht sein.“[38]

Darüber hinaus werden an die Handlungsvarianten Bedingungen gestellt, die weder nach dem Wortlaut der Norm noch nach der Rechtsprechung vorliegen müssen: so soll allein die „massive“ Gewalt und die Bedrohung des Lebens für eine Verurteilung des Täters ausreichen.

„Als Vergewaltigung zählt nur eine Penetration gegen den Willen des Opfers unter Anwendung massiver physischer Gewalt“[39]

5. Selektive Auswahl von Fallbeispielen

27 Beiträge stützen die Notwendigkeit einer Reform auf „erhebliche Schutzlücken“ im Sexualstrafrecht. Illustriert werden die legislativen Mängel durch Berichte über Fälle, in denen nach damals geltender Gesetzeslage eine Verurteilung des Täters – nach Ansicht der Autoren zu Unrecht – nicht möglich gewesen sei. Die Schilderung individueller Schicksale spricht den Rezipienten emotional an und löst, gerade im Bereich der Sexualdelinquenz, „bei sehr vielen Menschen Einfühlungsbereitschaft“[40] aus. Die Rechtslage wird hierbei auf ein anschauliches Fallbeispiel reduziert, die mögliche Ambivalenz einer komplexen Beweislage ausgeblendet und die „richtige“ Bewertung der Tat als alternativlos vorausgesetzt. Das vermittelte Gefühl, einem Opfer sexueller Gewalt werde Gerechtigkeit versagt, führt zu einer Affektbindung, die eine „anhaltende moralische und vielleicht auch politische Empörung auslösen“[41] kann. Hinzu tritt, dass der dargestellte Fall als „Teil eines größeren, dahinterstehenden, bedeutsameren und bedrohlicheren Problems“ erscheint und damit und in der Wahrnehmung der Leser keine Ausnahme, sondern „nur die ‚Spitze des Eisberges’.“ bildet.[42] Durch die selektive Auswahl werden höchst seltene – und bei näherer Betrachtung meist nicht eindeutig zu beurteilende – Taten an der Grenze des gesetzlich Strafbaren oder schlichte Fehlurteile[43] zum Beleg für grundlegende Missstände des Rechts stilisiert.[44]

22 Beiträge, die sich mit der Reform des Sexualstrafrechts beschäftigten, nahmen auf die „Kölner Silvesternacht“ Bezug, 17 Texte auf den „Fall Gina-Lisa Lohfink“. Die Ereignisse in der Silvesternacht wurden in 16 Beiträgen explizit als Beleg für die Schutzlücken des deutschen Rechts herangezogen; das Verfahren gegen Gina-Lisa Lohfink war in 13 Berichten Anlass für die Forderung nach einem „Nein heißt Nein“-Modell.

„Der Fall Gina-Lisa Lohfink zeigt: Das deutsche Sexualstrafrecht muss endlich reformiert werden.“[45]

„Wenn ein Justizminister die Kölner Betroffenen zur Anzeige auffordert, wohl wissend, dass unser derzeitiges Sexualstrafrecht gar keinen Straftatbestand für ein solches Verhalten vorsieht.“[46]

In Wahrheit eignen sich beide Aufhänger nicht oder nur sehr begrenzt als argumentative Grundlage für den Ruf nach einer Reform. Es ist nicht bekannt, dass eine Verurteilung der auf der Kölner Domplatte begangenen Taten an den Unzulänglichkeiten des damals geltenden Rechts scheiterte. Die berichteten Tatumstände legen es jedenfalls nahe, dass die in der Silvesternacht begangenen Handlungen auch nach altem Recht ohne Weiteres strafbar waren; schließlich wurde durch das Einkesseln der Frauen Gewalt ausgeübt oder eine schutzlose Lage geschaffen. Das Ausbleiben strafrechtlicher Sanktionen hat seine Ursache vielmehr darin, dass die überforderten Polizeikräfte die notwendigen Festnahmen nicht durchführen konnten und eine spätere Identifikation der Täter kaum möglich war. Die Kölner Silvesternacht erscheint hier als Vorwand für die Durchsetzung einer zuvor nicht mehrheitsfähigen Agenda und der Ruf nach einer Verschärfung des Strafrechts als Manöver der Ablenkung von den eigentlichen politischen Versäumnissen.[47]

Nicht anders zu bewerten ist die Rolle der Medien im Fall Gina-Lisa Lohfink. Das Verfahren gegen die Anzeigeerstatterin wegen falscher Verdächtigung wurde von Medien und Politik zum Symbol für die Schwächen eines Strafrechts erhoben, das ein „Nein“ des Opfers nicht genügen lässt. Doch auch hier war das Beispiel schlecht gewählt; die Video-Aufzeichnungen des Sexualakts legten nahe, dass sich das von Gina-Lisa Lohfink geäußerte „Hör auf“ allein auf das Filmen und nicht auf die sexuelle Handlung bezog. Da ein entgegenstehender Wille für den objektiven Betrachter also nicht erkennbar war, hätten sich die Beteiligten auch nach dem „Nein heißt Nein“-Modell nicht strafbar gemacht. Die mediale Berichterstattung ist hier nicht nur irreführend, sondern schafft auch falsche Erwartungen; sieht man in der fehlenden Verurteilung der Männer eine „Schutzlücke“, so wird sie auch durch das neue Recht nicht geschlossen.

III. Die Reform des Sexualstrafrechts und ihre Defizite

Der medial erzeugte Reformdruck konnte an Politik und Gesetzgeber nicht spurlos vorübergehen.[48] Selbst die damalige Vorsitzende des Rechtsausschusses, Renate Künast, stützte ihre Forderung nach einem „Nein heißt Nein“-Modell auf in den Medien verbreitete Fehlannahmen:

„Die Reform ist ein historischer Schritt. (…) Wir haben nie akzeptiert, dass eine Frau sich wehren muss, damit eine Vergewaltigung auch als solche bestraft werden kann.“[49]

Die im Wesentlichen einstimmige[50] Verabschiedung des Gesetzes wurde als „Sternstunde“ der parlamentarischen Demokratie[51] gepriesen.

Tatsächlich erfolgte die Änderung des Sexualstrafrechts überhastet und ohne die notwendige Auseinandersetzung mit den Inhalten und Folgen des neuen Rechts.

In seiner Eile blendete der Gesetzgeber die sensiblen Fragen der Grenzziehung zwischen sexueller Selbstbestimmung und individueller Freiheit ebenso aus wie die Erkenntnisse der vom Bundesminister der Justiz und für Verbraucherschutz Anfang 2015 zur Reform des Sexualstrafrechts eingesetzten Expertenkommission.[52]Auch der zurückhaltendere Änderungsentwurf der Bundesregierung zu § 177 StGB[53] wurde im Rechtsausschuss des Bundestages beiseite geschoben und ohne nennenswerte Diskussion durch eine offenbar spontan und kurzfristig erstellte neue Fassung ersetzt.[54]

Die problematischen Folgen dieser Form aktionistischer Gesetzgebung sollen anhand von vier Beispielen knapp dargelegt werden: Die fehlende Reflexion der Neuausrichtung des geschützten Rechtsguts (a), die systematischen Schwächen des § 177 StGB (b), die Verwendung unklarer Begriffe (c) sowie die verfassungsrechtlich fragwürdige Einführung symbolträchtiger, aber rechtsdogmatisch undurchdachter Tatbestände (d).

a) Die Neuausrichtung des Schutzguts der „sexuellen Selbstbestimmung“

Nach § 177 StGB a.F. setzte die Strafbarkeit des Täters die Ausübung von Gewalt, eine Drohung oder das Ausnutzen einer schutzlosen Lage des Verletzten voraus. Für § 177 Abs. 1 StGB n.F. genügt nunmehr die Vornahme einer sexuellen Handlung gegen den „erkennbaren Willen“ der anderen Person.[55] Befürworter der Reform begrüßten diese Umsetzung des „Nein heißt Nein“-Modells als Weg zur Schließung zuvor bestehender Strafbarkeitslücken.[56] Tatsächlich wird mit der Neuregelung jedoch keine „Lücke“ geschlossen, sondern das Rechtsgut der sexuellen Selbstbestimmung neu definiert.

Von dem Schließen einer „Lücke“ kann jedoch nicht gesprochen werden, wenn mit der Änderung des Strafrechts das bestehende Schutzniveau nicht lediglich aufrecht erhalten, sondern erweitert werden soll. § 177 StGB a.F. schützte die sexuelle Selbstbestimmung als Fähigkeit eines jeden Menschen, frei über seine Sexualität entscheiden und nach dieser Entscheidung handeln zu können; also sexuell selbstbestimmt zu leben. So formuliert etwa Sick, dass der Schutz der sexuellen Selbstbestimmung dem Opfer die „physischen und psychischen Voraussetzungen für die Fähigkeit erhalten soll, selbst zu bestimmen, ob es jetzt, hier und von dieser Person in ein sexualbezogenes Geschehen einbezogen werden will oder nicht.“[57] Legt man dieses Verständnis zugrunde, sind Eingriffe in die sexuelle Selbstbestimmung konsequenterweise als Nötigungsunrecht auszugestalten: Der Täter verletzt das Recht eines anderen auf sexuelle Selbstbestimmung dann, wenn er die Autonomie seines Opfers etwa durch die Anwendung von Gewalt oder das Ausnutzen einer schutzlosen Lage überwindet.

Dem neuen § 177 Abs. 1 StGB liegt hingegen ein anderer Begriff der sexuellen Selbstbestimmung zugrunde. Hiernach hat jede Person einen Anspruch darauf, dass die von ihr getroffene (und geäußerte) Entscheidung über die eigene Sexualität respektiert wird. Ein so verstandenes Recht auf sexuelle Selbstbestimmung ist bereits dann berührt, wenn der Täter die von seinem Opfer kommunizierte Ablehnung sexueller Handlungen ignoriert.[58]

Das Schutzgut der neuen Vorschrift ist also die Achtung der Willensentscheidung einer Person und nicht mehr – wie bisher – deren Fähigkeit zur sexuellen Selbstbestimmung. Als rechtspolitische Entscheidung ist dies durchaus vertretbar. Der Gesetzgeber hat damit jedoch nicht eine „Schutzlücke“ innerhalb des früheren Konzepts geschlossen, sondern das geschützte Rechtsgut neu definiert und den Bereich des Strafbaren über den bisherigen Schutz der Willensbetätigung hinaus ausgedehnt.[59] Eine solch grundlegende Änderung der Kernvorschrift des Sexualstrafrechts steht dem Gesetzgeber selbstverständlich frei. Es wäre allerdings sinnvoll und notwendig gewesen, die Voraussetzungen und Auswirkungen einer derart weitreichenden Neukonzeption in Ruhe zu bedenken – anstatt sie als bloße Korrektur des alten Rechts eilig zu beschließen.

b) Systematische Schwächen

Ein gravierender Mangel der Neuregelung besteht in der wenig plausiblen Ausgestaltung der Qualifikationstatbestände und Regelbeispiele in § 177 StGB. So sieht etwa § 177 Abs. 6 StGB für den Fall der Vergewaltigung einen besonders schweren Fall mit einer Mindeststrafandrohung von 2 Jahren vor. Das Beisichführen eines gefährlichen Werkzeuges wird demgegenüber in Abs. 7 als Qualifikation mit einer Mindeststrafe von drei Jahren geahndet. Es wird also härter bestraft, wer mit einem Schraubenzieher in der Tasche sein Opfer überraschend in den Schritt fasst als derjenige, der an seinem Opfer gegen dessen Willen den Geschlechtsverkehr vollzieht. Die Einteilung in Qualifikationen und Regelbeispiele sowie die Festlegung unterschiedlicher Strafmaßandrohungen folgt hier keiner erkennbaren systematischen Logik.

Problematisch erscheint auch, dass Qualifikationen und besonders schwere Fälle unterschiedslos für sämtliche Tathandlungen in den Abs. 1 bis 5 gelten sollen; also bereits für den sexuellen Übergriff ohne Anwendung von Gewalt oder Drohung. Die Schwierigkeit einer fehlenden Differenzierung zwischen sexuellen Übergriffen und sexueller Nötigung zeigt sich insbesondere am Beispiel des Beisichführens gefährlicher Werkzeuge (§ 177 Abs. 7 Nr. 1 StGB). Nach der Gesetzesbegründung liegt das gesteigerte Unrecht des Beisichführens eines gefährlichen Werkzeugs in dem „erhöhten Gefahrenpotenzial“ des Täters.[60] Ein solches Potenzial kann jedoch nur dann von Bedeutung sein, wenn der Täter damit rechnen muss, das Werkzeug möglicherweise zur Überwindung des Widerstandes seines Opfers einzusetzen. Möchte  der Täter die sexuelle Handlung etwa durch Gewalt oder Drohung (§ 177 Abs. 2 Nr. 5 und Abs. 5 StGB) erreichen, so erhöht das Beisichführen eines gefährlichen Werkzeuges die Gefährlichkeit der Situation. Nutzt der Täter zur Vornahme der sexuellen Handlung dagegen die Bewusstlosigkeit des Opfers (§ 177 Abs. 2 Nr. 1 StGB), dessen Überraschung (§ 177 Abs. 2 Nr. 3 StGB) oder eine bestehende Bedrohungslage (§ 177 Abs. 2 Nr. 4 StGB) aus, so besteht keine vergleichbare Eskalationsgefahr. Aus seiner Sicht kommt ein Widerstand des Opfers und damit auch der Einsatz eines zufällig mitgeführten Werkzeugs gar nicht in Betracht, so dass auch die Gefährlichkeit der Tat nicht gesteigert wird. Der Gesetzgeber hätte daher den Anwendungsbereich von § 177 Abs. 7 Nr. 1 StGB auf solche Begehungsweisen begrenzen sollen, bei denen der Täter damit rechnen muss, dass er mit einem entgegenstehenden Willen des Opfers konfrontiert wird.

Ein überzeugenderes Konzept für die Regelung ungewollter sexueller Handlungen schlägt auch die Reformkommission zum Sexualstrafrecht in ihrem 2017 vorgelegten Abschlussbericht vor: An die Stelle des § 177 StGB sollten eine Vorschrift für Nötigungstatbestände und eine Vorschrift für sexuelle Übergriffe treten, für die jeweils passende Qualifikationstatbestände vorgesehen werden.[61]

c) Begriffliche Unklarheiten

Dass ein neu geschaffener Straftatbestand auslegungsbedürftige Begriffe enthält und Streitfragen aufwirft, ist für sich genommen weder verwunderlich noch gänzlich vermeidbar. Wird ein Gesetz allerdings in einem hektischen Verfahren ohne nennenswerte Einbeziehung von Experten und kritischer Überprüfung durch Sachverständige beschlossen, so besteht eine besondere Gefahr für normative Ungenauigkeiten. Beispiele hierfür sind die unklare Formulierung der „Erkennbarkeit“ in § 177 Abs. 1 StGB[62] sowie der misslungene § 184i StGB (Sexuelle Belästigung), auf den im Folgenden kurz näher eingegangen werden soll.

Nach § 184i StGB macht sich strafbar, wer „eine andere Person in sexuell bestimmter Weise körperlich berührt und dadurch belästigt“. Hier ist zunächst fraglich, aus wessen Perspektive die Sexualbezogenheit der Handlung zu ermitteln ist: der eines objektiven Beobachters oder der des Täters.[63] Letzteres legt die Gesetzesbegründung nahe: eine körperliche Berührung soll dann „in sexuell bestimmter Weise“ erfolgen, wenn sie „sexuell motiviert“ ist.[64] Danach wäre etwa die Berührung des Fußes durch einen Fußfetischisten sexuell bestimmt und nach § 184i StGB strafbar. In der Literatur wird hingegen – bislang für die Auslegung der „sexuellen Handlung“ § 184h Nr. 1 StGB – ein objektiver Ansatz vertreten.[65] Danach kann eine für den durchschnittlichen Betrachter neutrale Handlung nicht allein durch die Wahrnehmung des Täters zu einer „sexuellen“ werden. Diese Sichtweise ist für den neuen § 184i StGB richtig. Da die Berührung hier nicht einmal „erheblich“ i.S.v. § 184h Nr. 1 StGB sein muss, wären bei einer rein tätergesteuerten sexuellen „Bestimmung“ auch Handlungen erfasst, die – wie etwa das Berühren des Unterarms einer anderen Person – von der großen Mehrzahl der Menschen nicht mit Sexualität in Verbindung gebracht werden und die daher auch der Betroffene zwar vielleicht als unangenehmes Eindringen in seine Persönlichkeitssphäre, aber nicht als Verletzung seiner sexuellen Selbstbestimmung versteht. Der Gesetzgeber hätte diese – auf der Hand liegende – Zweifelsfrage durch eine Beschränkung des Tatbestandes auf objektiv eindeutig sexualbezogene Berührungen vermeiden können.

Eine weitere begriffliche Unklarheit liegt in der Voraussetzung einer „Belästigung“. Der Gesetzgeber hat die Formulierung aus § 183 StGB (Exhibitionistische Handlungen) übernommen – ohne zu beachten, dass das Tatbestandsmerkmal seit langer Zeit erheblicher Kritik ausgesetzt und in seinen Konturen weitgehend unbestimmt ist.[66]

Eine „Belästigung“ soll nach dem Verständnis des Gesetzgebers dann vorliegen, wenn das Opfer „in seinem Empfinden nicht unerheblich beeinträchtigt“ wurde.[67] Ausgeschlossen ist eine Belästigung hingegen dann, wenn der Vorgang bei dem Betroffenen „nur Interesse, Verwunderung oder Vergnügen auslöst“.[68] Die Verwirklichung des § 184i StGB hängt also von der Reaktion des Opfers – und damit vom „Glück“ des Täters – ab. Küsst etwa ein Mann in der Diskothek eine ihm unbekannte Frau unvermutet auf den Hals, so ist er strafbar, wenn sich die Frau hierdurch belästigt fühlt; er bleibt straflos, wenn er bei ihr auf Interesse stößt.

Dass die Strafbarkeit des Täters durch die Präferenzen und Emotionen des Opfers bestimmt wird, ließe sich vermeiden, wenn § 184i StGB nicht auf das subjektive Empfinden des Opfers, sondern auf die objektive Eignung der Berührung zur Belästigung, d.h. zum Hervorrufen negativer Emotionen, abstellen würde.[69] Es ist vor allem mit der Eile des Gesetzgebers zu erklären, dass er diesen Ansatz, den er erst vor kurzem für den Tatbestand der Nachstellung umgesetzt hat,[70] nicht auf die sexuelle Belästigung übertragen hat.

d) Verfassungsrechtliche Probleme

Die mit weitem Abstand schärfste Kritik hat der im Zuge der Reform eingeführte § 184j StGB (Straftaten aus Gruppen) auf sich gezogen. Wer „eine Straftat dadurch fördert, dass er sich an einer Personengruppe beteiligt, die eine andere Person zur Begehung einer Straftat an ihr bedrängt, wird (gem. § 184j StGB) bestraft, wenn von einem Beteiligten der Gruppe eine Straftat nach den §§ 177 oder 184i begangen wird und die Tat nicht in anderen Vorschriften mit schwererer Strafe bedroht ist.“

Die Vorschrift weist zunächst eine Vielzahl begrifflicher Unschärfen auf (Wann handelt es sich um eine „Gruppe“ und keine bloße Ansammlung? Wie „beteiligt“ man sich an einer Gruppe? Wie kann der Wille zur Begehung einer Straftat durch die Gruppe gebildet werden? Ist „Fördern“ ein eigenes TB-Merkmal? Oder besteht das „Fördern“ in der Beteiligung? Was ist die „Straftat“?). Besonders problematisch erscheint jedoch die Voraussetzung einer objektiven Bedingung der Strafbarkeit, die zugleich die Verbindung der an sich nicht sexualbezogenen Tathandlung des § 184j StGB zu den Sexualdelikten des 13. Abschnitts herstellen soll: Ein Beteiligter der Gruppe muss eine Straftat nach § 177 StGB oder § 184i StGB begangen haben. Der einzelne Beteiligte wird hier mit Blick auf die Tat eines anderen Gruppenbeteiligten bestraft, obwohl er dessen exzessives Verhalten nicht notwendig voraussehen konnte und obwohl es – anders als bei der Mittäterschaft – mangels gemeinsamen Tatentschlusses keine Grundlage für eine Kollektivverantwortung aller Gruppenmitglieder gibt.

Renzikowski befand, dass der „neue Straftatbestand […] eine der schlimmsten Verirrungen des Gesetzgebers [sei] und […] mit einem rechtsstaatlichen Strafrecht nichts zu tun“ habe.[71] Auch Fischer stuft die Norm als verfassungsrechtlich bedenklich ein und hält sie für „unter den Anforderungen des Schuldprinzips kaum vertretbar“.[72]

Hörnle hingegen kritisiert den „vorschnellen Rückgriff auf das Verfassungsrecht“ als eine „unter deutschen Juristen verbreitete Unart“.[73] Eine Verletzung des Schuldgrundsatzes sieht Hörnle nicht; anderenfalls, so Hörnle, müssten sämtliche objektive Strafbarkeitsbedingungen, die das StGB – etwa in § 231 oder § 323a StGB kennt – ebenfalls zur Verfassungswidrigkeit der jeweiligen Tatbestände führen.[74]

Hörnles Mahnung, nicht jede unliebsame Neuregelung als verfassungswidrig zu rügen, um den eigenen kriminalpolitischen Einwänden „Drastik“ zu verleihen, ist durchaus berechtigt.[75] Ebenso ist es richtig, dass dem StGB die Verknüpfung einer missbilligten Handlung mit einer objektiven Strafbarkeitsbedingung nicht fremd ist. Es lässt sich argumentieren, dass das vorsätzliche Bedrängen zur Begehung einer Straftat sozialinadäquat ist und durch die körperliche Nähe zum Opfer das naheliegende Risiko für eine Sexualstraftat schafft.

Nach dem Wortlaut des § 184j StGB der Norm muss jedoch kein innerer Zusammenhang mit dem Anliegen der Gruppe vorhanden sein; die unvorhersehbare Exzesstat eines einzelnen Beteiligten reicht aus. Auch braucht das Opfer nicht zu denjenigen Personen zu gehören, die durch die Gruppe „bedrängt“ wurden, sondern kann offenbar sogar ein Mitglied der Gruppe selbst sein.[76] Demnach wäre der Beteiligte X an einer Gruppe nach § 184j StGB auch dann strafbar, wenn nach erfolgreichem Diebstahl das Gruppenmitglied A dem Gruppenmitglied B in den Schritt fasst. Eine Verurteilung des Beteiligten X wäre hier mit dem Schuldgrundsatz tatsächlich nicht zu vereinbaren. Zwar ist es nicht erforderlich, dass der Eintritt der objektiven Strafbarkeitsbedingung kausal auf die Tathandlung des Einzelnen rückführbar ist; sie muss jedoch naheliegende Folge des tatbestandlich umschriebenen Verhaltens sein. Anders gewendet: Als objektive Strafbarkeitsbedingungen dürfen nur solche Erfolge normiert werden, die im typischen Gefahrenbereich des vorwerfbaren sozialinadäquaten Verhaltens liegen. Ein lediglich zufälliges, allenfalls anlässlich der Gruppentat begangenes Sexualdelikt kann daher keine Strafbarkeit des hieran unbeteiligten Gruppenmitglieds begründen. Lässt sich das oben skizzierte Ergebnis nicht durch eine restriktive Auslegung der Norm erreichen,[77] wäre § 184j StGB zu Recht als verfassungswidrig einzustufen.

Die Einführung des § 184j StGB war eine unmittelbare Reaktion auf die Übergriffe in der „Kölner Silvesternacht 2015“. Wie so häufig, wenn das Strafrecht als „politische Allzweckwaffe“[78] zur Beruhigung der (Medien-)Öffentlichkeit eingesetzt wird, entstehen Normen von maßgeblich symbolischer Wirkung mit etlichen „handwerklichen“ Mängeln. Es verwundert daher nicht, dass die Reformkommission in ihrem Abschlussbericht die Streichung des § 184j StGB empfiehlt.[79]

IV. Fazit

Medienberichte suggerieren, dass für die Bewertung strafrechtlich relevanter Vorgänge keine besondere Befähigung nötig ist. Sie appellieren an Emotionen und Moral der Rezipienten und blenden komplexere Rechtsfragen bei der Beschreibung der Gesetzeslage überwiegend aus. Die verkürzte Darstellung des Rechts, verbunden mit einer emotionalisierten Ansprache lässt Rufe nach einer Ausweitung strafrechtlicher Normen laut werden. Die Gefahr einer solchen Popularisierung des Strafrechts ist eine wenig reflektierte Punitivität in der öffentlichen Meinung.

Für diesen Prozess bietet die Reform des Sexualstrafrechts ein eindrucksvolles Beispiel. Angesichts der klaren Täter-Opfer-Bilder und die Nähe zur Lebenswirklichkeit der Bevölkerung hat eine einseitige Medienberichterstattung in besonderer Weise das Potential, Einfluss auf die öffentliche Meinung zu nehmen. Die hier vorgestellte Medienanalyse hat verschiedene Diskursstrategien gezeigt, mit denen Stimmung für die Einführung eines „Nein heißt Nein“-Modells gemacht wurde. Die – wissentlich oder versehentlich – falsche Kommunikation empirischer Erkenntnisse und gesetzlicher Regelungen, flankiert durch skandalisierte Einzelfälle hat die öffentliche Sicht auf das Sexualstrafrecht maßgeblich beeinflusst und den Gesetzgeber in Zugzwang gebracht.[80] In einem solch emotionalisierten Klima ist eine sachliche Auseinandersetzung mit den tatsächlich bestehenden Schwächen des Rechts und den Möglichkeiten seiner Reform kaum mehr möglich. Am Ende der gesellschaftlichen Diskussion über die Reform des Sexualstrafrechts steht eine gesetzliche Neuregelung, die zwar der öffentlichen Forderung nach einer Rechtsverschärfung Rechnung trägt, die jedoch gravierende dogmatische Mängel aufweist und die in der Praxis kaum zu steigenden Verurteilungszahlen führen wird.[81]

Möchte sich die Strafrechtswissenschaft nicht dem Vorwurf zu großer Zurückhaltung ausgesetzt sehen, muss sie sich künftig noch stärker in die öffentliche Diskussion einbringen.

„[W]enn sensationalistische Medienberichte (über Sexualmorde und Serientäter) die Stimmung aufheizen, dann ziehen nüchtern Denkende vielleicht die Augenbrauen hoch, Experten zucken mit den Achseln – aber sie sagen nichts. Die Gegenkritik ist mundtot. Dabei müsste in einer modernen Rechtskultur, die sich für aufgeklärt und wissenschaftlich informiert hält, jede Strafforderung untersucht und abgewogen werden.“[82]      

Es liegt in der Verantwortung der Strafrechtswissenschaft, einer tendenziösen Medienberichterstattung mit sachlichen Argumenten entgegenzutreten, verzerrte Darstellungen von Recht und Praxis zu korrigieren und alternative Regelungsmöglichkeiten  aufzuzeigen.  Sie  sollte die  Gestaltung des Strafrechts nicht anderen Akteuren überlassen, sondern den Mut haben, auf Medien und Politik zuzugehen, um Gegenimpulse zu setzen und die Basis für eine seriöse und ausgewogene Debatte zu schaffen. Der Kriminalpolitische Kreis als Zusammenschluss kriminalpolitisch  interessierter  und  engagierter  StrafrechtslehrerInnen soll hierfür als Forum dienen.

 

[1]      Dies erkennt auch der Bundesminister der Justiz und für Verbraucherschutz Maas, NStZ 2015, 305 (309).
[2]      Heuchemer, in: BeckOK-StGB, 32. Ed. (2016), § 201a Rn. 3.
[3]      Süss/Lampert/ Wijnen, Medienpädagogik, 2013, S.108.
[4]      Aufermann/Bohrmann/Sülzer, Gesellschaftliche Kommunikation und Information, 1973; Merten, Die Wirklichkeit der Medien, 1994, S. 318; Schorb/Mohn/Theunert, Sozialisation durch Massenmedien, in: Hurrelmann/Ulrich (Hrsg.), Handbuch der Sozialisationsforschung, 1998, S. 493 (494).
[5]      Pundt, Medien und Diskurs. Zur Skandalisierung von Privatheit in der Geschichte des Fernsehens, 2015, S. 10; Schenk, Medienwirkungsforschung, 2007, S. 446 f.; Schetsche, Die Karriere sozialer Probleme, 1996, S. 40; Walter, Von der Kriminalität in den Medien zu einer Bedrohung durch Medienkriminalität und Medienkriminologie, in: Bundesministerium der Justiz (Hrsg.), Kölner Symposium. Kriminalität in den Medien, 2000, S. 10 (13).
[6]      BGBl. I 2016, S. 2460. Zur Begründung siehe BT-Drs. 18/9097 v. 6.7.2016.
[7]      Eine ausführliche Darstellung der Medienanalyse findet sich bei Hoven, MschrKrim 2017, 161. Stellen des vorliegenden Beitrags sind aus der Veröffentlichung in der MschrKrim entnommen.
[8]      BGBl. I 2016, S. 2460.
[9]      Hein, Fall Lohfink treibt Debatte um Sexualstrafrecht an, RP-Online v. 14.6.16, abrufbar unter: http://www.rp-online.de/panorama/deutschland/fall-lohfink-befoerdert-debatte-um-sexualstrafrecht-neinheisstnein-aid-1.6043891 (zuletzt abgerufen am 20.12.2017).
[10]    Sechzehn forderten eine Verschärfung mit Nachdruck, zehn äußerten sich zustimmend, ohne selbst eine Forderung aufzustellen.
[11]    Reinsch, Nein heißt Nein, Frankfurter Rundschau Online v. 14.6.16, abrufbar unter: http://www.fr.de/politik/meinung/leitartikel/sexualstrafrecht-nein-heisst-nein-a-339290 (zuletzt abgerufen am 20.12.2017).
[12]    Maas, Heißt Nein bald wirklich Nein?, bento.de v. 10.6.16, abrufbar unter: http://www.bento.de/politik/neues-sexualstrafrecht-in-deutschland-heisst-nein-bald-endlich-nein-617471/ (zuletzt abgerufen am 20.12.2017).
[13]    So kann das nicht bleiben – zur Reform des Sexualstrafrechts, Blogeintrag kleinerdrei.org v. 26.4.16, abrufbar unter: http://kleinerdrei.org/author/nicole/ (zuletzt abgerufen am 20.12.2017).
[14]    Maas, Gina-Lisa Lohfink: Warum bestraft das deutsche Recht Opfer und schützt Vergewaltiger?, bento.de v. 11.6.16, abrufbar unter: http://www.bento.de/politik/fall-gina-lisa-lohfink-warum-das-deutsche-recht-vergewaltiger-schuetzt-und-opfer-bestraft-621468/ (zuletzt abgerufen am 20.12.2017).
[15]    Zum unseriösen Umgang mit Statistiken siehe etwa Krämer, So lügt man mit Statistik, 2015. Ders. jüngst auch in Zeit Online v. 26.4.16, abrufbar unter: http://www.zeit.de/wissen/2017-04/statistiken-walter-kraemer-rechenfehler-medien (zuletzt abgerufen am 20.12.2017); Bosbach/Korff, Lügen mit Zahlen. Wie wir mit Statistiken manipuliert werden, 2011.
[16]    Hierzu auch Fischer, Im Medienrausch der Sexismus-Debatte, Zeit Online v. 6.12.17, abrufbar unter: http://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2017-12/sexualstrafrecht-sexismus-debatte-zahlen (zuletzt abgerufen am 20.12.2017).
[17]    Siehe etwa Elsner/Steffen, Vergewaltigung und sexuelle Nötigung in Bayern, 2005, S. 182, 282. Elsner und Steffen gehen allerdings von einer Quote von 7,4 Prozent aus.
[18]    Schetsche (Fn. 5), S. 89.
[19]    A.a.O.
[20]    Frauen gegen Gewalt e.V., abrufbar unter: https://www.frauen-gegen-gewalt.de/Kampagne-Vergewaltigung-verurteilen.html (zuletzt abgerufen am 20.12.2017).
[21]    Siehe hierzu Prätor, Ziele und Methoden der Dunkelfeldforschung, in:  Eiffler/Pollich (Hrsg.), Empirische Forschung über Kriminalität, 2014, S. 31.
[22]    Heinz, in: FS Kury, 2006, S. 241 (244); vgl. auch Bock, Kriminologie, 2013, Rn. 256.
[23]    Abrufbar unter: http://fra.europa.eu/de/press-release/2014/gewalt-gegen-frauen-sie-passiert-taglich-und-allen-kontexten (zuletzt abgerufen am 20.12.2017).
[24]    Studie „Gewalt gegen Frauen“ (Fn. 23), S. 99.
[25]    So auch Krämer, der die Studie zur „Unstatistik des Monats“ gewählt hat, abrufbar unter: http://www.rwi-essen.de/media/content/pages/presse/downloads/Unstatistik_Maerz_Layout.pdf (zuletzt abgerufen am 20.12.2017).
[26]    So auch Frauen gegen Gewalt e.V., Zahlen und Fakten zum Plakat „Vergewaltigung verurteilen“, abrufbar unter: https://www.frauen-gegen-gewalt.de/zahlen-und-fakten-zum-plakat-vergewaltigung-verurteilen.html (zuletzt abgerufen am 20.12.2017).
[27]    Dahlberg, Der Fall Gina-Lisa – Eine historische Chance für ein neues Sexualstrafrecht?, huffingtonpost.de v. 13.6.16, abrufbar unter: http://www.huffingtonpost.de/hanna-dahlberg/sexuelle-gewalt-lohfink_b_10435224.html (zuletzt abgerufen am 20.12.2017).
[28]    Hieran ist auch die Wissenschaft nicht ganz unschuldig. Die Aussagen gehen zurück auf eine Veröffentlichung des Kriminologischen Instituts Niedersachsen, abrufbar unter: http://wwwedit.kfn.de/versions/kfn/assets/Presseerklaerung_Vergewaltigung.pdf (zuletzt abgerufen am 20.12.2017).
[29]    So etwa Kerner, Kriminalistik 70 (2016), 30 und Hartmann/Schrage/Boetticher/Tietze, Untersuchung zu Verfahrensverlauf und Verurteilungsquoten bei Sexualdelikten in Bremen. Abschlussbericht, 2015.
[30]    Bei der Betrachtung aller angezeigten und verurteilten Taten ergibt sich eine „Verurteilungsquote“ von etwa 11,8 Prozent. Sie liegt damit zwar höher als in Fällen sexueller Übergriffe, weicht aber auch nicht in einem dramatischen Umfang ab.
[31]    Hartmann/Schrage/Boetticher/Tietze (Fn. 29), S. 27.
[32]    Sechs Beiträge stellten die Rechtslage weitgehend zutreffend dar, zehn verhielten sich zu diesem Punkt nicht.
[33]    Reich/Clemm, Wann heißt Nein endlich Nein?, zeit.de vom 20.4.16, abrufbar unter: http://www.zeit.de/kultur/2016-04/sexualstrafrecht-gesetzesentwurf-kritik-geschlechterverhaeltnis-10nach8 (zuletzt abgerufen am 20.12.2017).
[34]    Maas (Fn. 14).
[35]    Diese Fehlvorstellung von den Anforderungen des § 177 StGB a.F. finden sich erstaunlicherweise auch in Veröffentlichungen in Rechtszeitschriften: Herning/Illgner, ZRP 2016, 77.
[36]    Hierzu auch Hoven/Weigend, JZ 2017, 182.
[37]    Das Tatbestandsmerkmal der „Gewalt“ ist etwa auch erfüllt, wenn der Täter die Beine des Opfers auseinander presst; BGH NStZ 2010, 149; Renzikowski, in: MüKo-StGB, 3. Aufl. (2017), § 177 Rn. 25.
[38]    In Deutschland reicht ein ’Nein’ nicht aus: Politiker setzen sich für Gina-Lisa Lohfink ein, in focus.de v. 13.06.16, abrufbar unter: http://www.focus.de/kultur/vermischtes/gina-lisa-lohfink-politiker-setzen-sich-fuer-sie-ein_id_5623153.html (zuletzt abgerufen am 20.12.2017).
[39] Elmenthaler in Deutschlandradio Kultur – Sein und Streit v. 19.6.2016, abrufbar unter: http://www.deutschlandradiokultur.de/debatte-ueber-sexualstrafrecht-gegen-stereotypen-in-den.2162.de.html?dram:article_id=357639 (zuletzt abgerufen am 20.12.2017).
[40]    Klimke/Lautmann, Zeitschrift für Sexualforschung 19 (2006), 1 (8).
[41]    Schetsche (Fn. 5), S. 89.
[42]    Cremer-Schäfer, KrimJ 1992, 23 (32); Walter (Fn. 5), S. 18 f.; Walter, MschrKrim 1998, 433 (435).
[43]    Frommel, Beiheft ‚Sexualität und Strafe’ zu KrimJ 2016, 53 (56).
[44]    So war etwa die Entscheidung BGH 3 StR 385/12 Grund für Empörung, vgl. etwa http://www.tagesspiegel.de/politik/umstrittene-urteile-des-bgh-warum-das-gesetz-gegen-vergewaltigung-geaendert-werden-muss/12817908.html (zuletzt abgerufen am 20.12.2017). Das Gericht hat eine Vergewaltigung hier zwar nicht abgelehnt, sondern die Sache zur weiteren Aufklärung an das Landgericht zurückverwiesen. Doch wäre die Annahme einer konkludenten Drohung durch den Täter, der den Freund des Opfers in ihrem Beisein erschossen hatte und die Tatwaffe weiterhin bei sich führte, naheliegend gewesen. Die Entscheidung des 3. Strafsenates weist daher eher auf eine zu restriktive Anwendung des geltenden Rechts als auf dessen Mangelhaftigkeit hin.
[45]    Reinsch (Fn. 11).
[46]    Dahlberg (Fn. 27).
[47]    Die Debatte um die Kölner Silvesternacht hat allerdings eine tatsächliche Schwachstelle des Sexualstrafrechts in den Blick gerückt: Das sogenannte „Grabschen“ konnte nach früherem Recht allein als tätliche Beleidigung, nicht aber als Sexualdelikt bestraft werden. Die Einführung einer speziellen Regelung gerade im Sexualstrafrecht trägt der Tatsache Rechnung, dass es sich in diesen Fällen nicht um eine Verletzung der Ehre, sondern der sexuellen Selbstbestimmung handelt.
[48]    Zur Macht der öffentlichen Meinung und der Medien vgl. etwa Luhmann, Soziologische Aufklärung 5. Konstruktivistische Perspektiven, 1990, S. 180; Dölling/Gössel/Waltoś, Kriminalberichterstattung in der Tagespresse. Rechtliche und kriminologische Probleme, 1998; Hamm, Große Strafprozesse und die Macht der Medien, 1997; Frehsee, Kriminalität in den Medien. Eine kriminelle Wirklichkeit eigener Art, in: Bundesministerium der Justiz (Hrsg.), Kölner Symposium. Kriminalität in den Medien, 2000, S. 23 (37); Walter (Fn. 42), 433 f.
[49]    Renate Künast, zitiert nach http://www.deutschlandfunk.de/sexualstrafrecht-bundestag-beschliesst-nein-heisst-nein.1818.de.html?dram:article_id=359399 (zuletzt abgerufen am 20.12.2017).
[50]    Gegenstimmen gab es nur bezüglich der Einführung von § 184j StGB; s. BT-Protokoll 18/183, S. 17999, 18015.
[51]    Siehe die Stellungnahme der Abg. WinkelmeierBecker (CDU), abrufbar unter http://www.elisabeth-winkelmeier-becker.de/index.php/neuigkeiten/neuigkeiten-berlin/1515-reform-des-sexualstrafrechts-war-sternstunde-des-parlaments (zuletzt abgerufen am 20.12.2017).
[52]    Zum Auftrag der Expertenkommission siehe https://www.bmjv.de/SharedDocs/Artikel/DE/2015/02202015_Stn_Reform_Sexualstrafrecht.html (zuletzt abgerufen am 20.12.2017).
[53]    BT-Drs. 18/8210 v. 25.4.2016.
[54]    Hierzu bereits Hoven/Weigend (Fn. 36); deutlich Fischer, StGB, 64. Aufl. (2017), § 177 Rn. 5 (in der aktuellen Auflage deutlich zurückhaltender).
[55]    § 177 Abs. 1 StGB: „Wer gegen den erkennbaren Willen einer anderen Person sexuelle Handlungen an dieser Person vornimmt oder von ihr vornehmen lässt oder diese Person zur Vornahme oder Duldung sexueller Handlungen an oder von einem Dritten bestimmt, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.“
[56]    Siehe zu der Diskussion z.B. Hörnle, GA 2015, 313; dies., ZIS 2015, 206; Walter, JR 2016, 361.
[57]    Sick, Sexuelles Selbstbestimmungsrecht und Vergewaltigungsbegriff, 1993, S. 87; übereinstimmend Wolters, in: SK -StGB, 8. Aufl. (2012), § 177 Rn. 2.
[58]    So Hörnle, in: LK-StGB, 12. Aufl. (2010), vor § 174 Rn. 28; dies., ZStW 127 (2015), 851 (862). Ähnlich Frommel, in: NK-StGB, 4. Aufl. (2013), vor § 174 Rn. 1, die das Unrecht darin sieht, dass sich der Täter über den Willen der anderen Person hinwegsetzt, und dabei die Wahl der Nötigungsmittel „unberücksichtigt“ lassen möchte. Eine mittlere Position nimmt Renzikowski, in: MüKo-StGB (Fn. 37), vor § 174 Rn. 8, ein; er versteht das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung als „Freiheit davor, zum Objekt fremdbestimmter sexueller Übergriffe herabgewürdigt zu werden“.
[59]    Fischer, StGB (Fn. 54), § 177 Rn. 5f.
[60]    BT-Drs. 18/9097 (Fn. 6), S. 29.
[61]    Abschlussbericht der Reformkommission zum Sexualstrafrecht vom 19.7.2017, S. 305, 727.
[62]    Fischer, Noch einmal: § 177 StGB und die Istanbul-Konvention, ZIS 2015, 312 (317).
[63]    Hierzu ausführlich Hoven/Weigend (Fn. 36).
[64]    BT-Drs. 18/9097 (Fn. 6), S. 31.
[65]    Siehe Laufhütte/Roggenbuck, in: LK-StGB, 12. Aufl. (2010), § 184g Rn. 6; Hörnle, in: MüKo-StGB, 3. Aufl. (2017), § 184g Rn. 4; Eisele, in: Schönke/ Schröder, 29. Aufl. (2014), § 184g Rn. 6, jeweils m.w.N.
[66]    Kritisch zu diesem Merkmal Hörnle, in: MüKo-StGB (Fn. 65), § 183 Rn.11.
[67]    BT-Drs. 18/9097 (Fn. 6), S. 31.
[68]    A.a.O.; ebenso zu § 183 StGB Hörnle, in: MüKo-StGB (Fn. 65), § 183 Rn. 10; Eisele, in: Schönke/ Schröder (Fn. 65), § 183 Rn. 4; Fischer, StGB (Fn. 54), § 183 Rn. 6.
[69]    So bereits für § 183 StGB Lackner/Kühl/Heger, StGB, 28. Aufl. (2014), § 183 Rn 3.
[70]    Die Verwirklichung des Tatbestands der Nachstellung (§ 238 StGB) hängt nun nicht mehr von einer tatsächlichen Beeinträchtigung des Opfers ab. Vielmehr kommt es nach der – notwendigen – Neufassung nur noch auf die Eignung der Handlung an, die Lebensgestaltung des Opfers schwerwiegend zu beeinträchtigen; siehe BT-Drs. 18/9946 v. 12.10.2016.
[71]    Renzikowski, NJW 2016, 3553 (3557).
[72]    Fischer, StGB (Fn. 54), § 184j Rn. 20; ebenso Bezjak, KJ 16, 557 ff.
[73]    Hörnle, BRJ 1/2017, 57 (60). Eine ähnliche Kritik an der deutschen Strafrechtswissenschaft äußert Gärditz, JZ 2016, 641 (648).
[74]    Hörnle (Fn. 73), 59.
[75]    Hierzu auch Hoven, DRiZ 2017, 280 (281 f.).
[76]    Daran knüpft sich die interessante Frage, ob ein Gruppenmitglied, das selbst Opfer einer von einem anderen Beteiligten begangenen Sexualstraftat geworden ist, nach § 184j StGB bestraft werden kann. Zu der parallelen Frage bei § 231 StGB (wo Strafbarkeit des schwer verletzten Beteiligten an der Schlägerei angenommen wird) siehe Stree/Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, 29. Aufl. (2014), § 231 Rn. 4, 7.
[77]    Ähnliche Überlegungen stellen Paeffgen/Böse für § 231 an; Paeffgen/Böse, in: NK-StGB, 5. Aufl. (2017), § 231 Rn. 20.
[78]    Mitsch, ZIS 2016, 352.
[79]    Abschlussbericht der Reformkommission (Fn. 61), S. 14.
[80]    Zur Wirkung von Medien auf politische Entscheidungsprozesse siehe bereits Scherer, KrimJ 1978, 223 (223); vgl. auch Walter (Fn. 5), S. 20.
[81]    Hierzu Hoven/Weigend (Fn. 36).
[82]    Klimke/Lautmann (Fn. 40), 5.

 

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