„Nein heißt Nein“ oder „Ja heißt Ja“? Der Tatbestand der Vergewaltigung in der Richtlinie zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt

von Prof. Dr. Jörg Eisele

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Abstract
Artikel 5 der Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt legt Mindestvorschriften für den Straftatbestand der Vergewaltigung fest. Zusätzlich zu der Frage, ob die EU überhaupt die Gesetzgebungskompetenz für einen solchen Straftatbestand besitzt, stellt sich die Frage, ob in diesem Artikel die sogenannte „Ja heißt Ja“-Lösung verankert ist und welche Bedeutung diese Lösung im Verhältnis zu der in § 177 Abs. 1 StGB geregelten „Nein heißt Nein“-Lösung hat.

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KriPoZ-RR, Beitrag 14/2023

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Urt. v. 5.1.2023 – 5 StR 386/22: Eine weniger stark belastend empfundene Tat kann sich strafmildernd nach § 177 Abs. 9 Var. 3 StGB auswirken

Sachverhalt:

Das LG Berlin hat den Angeklagten wegen besonders schwerer Vergewaltigung gemäß § 177 Abs. 1, Abs. 5 Nr. 1 und 2, Abs. 6 S. 2 Nr. 1, Abs. 8 Nr. 1 StGB zu einer dreijährigen Freiheitsstrafe verurteilt und einen minder schweren Fall nach § 177 Abs. 9 Var. 3 StGB angenommen. Nach den tatgerichtlichen Feststellungen traf sich der Angeklagte in seiner Wohnung mit der Nebenklägerin, die sexuelle Handlungen gegen Entgelt anbot. Der Angeklagte beabsichtigte das vereinbarte Entgelt nicht zu entrichten, schloss die Nebenklägerin in die Wohnung ein und bedrohte diese mit einem Küchenmesser. In der Folge kam es unter Ausnutzung dieser Situation zu mehrmaligem ungeschützten Oralverkehr. Schließlich gelang es der Nebenklägerin einen Notruf abzusenden. Strafmildernd berücksichtigte das LG Berlin, dass die Nebenklägerin „mit keiner völlig unvorhersehbaren Sexualpraktik konfrontiert“ worden sei. Der Angeklagte und die Staatsanwaltschaft legten gegen die Entscheidung Rechtsmittel ein. 

Entscheidung des BGH:

Der 5. Strafsenat des BGH hat sowohl die Revision des Angeklagten als auch der Staatsanwaltschaft verworfen. Unter Zugrundelegung des eingeschränkten revisionsgerichtlichen Prüfungsmaßstabes weise die Strafzumessungsentscheidung keine Rechtsfehler auf. Die Strafzumessung sei nicht schematisch, sondern im Einzelfall vorzunehmen. Tatfolgen und Vorgeschehen seien nicht zu generalisieren, vielmehr individuell festzustellen. Starre Vorgaben würden nach der Istanbul-Konvention nicht greifen, sondern der Kontext stets zu berücksichtigen. 

Die Tatfolgen seien vorliegend i.S.v. § 46 Abs. 2 S. 2 StGB individuell festgestellt worden. Die Wertung des LG Berlin, aufgrund der vorherigen Vereinbarung sei „die Nebenklägerin zumindest mit keiner völlig unvorhergesehenen Sexualpraktik konfrontiert“ worden, habe gegen keinen rechtlich anerkannten Strafzweck verstoßen. Mit dieser Wertung sei die Schutzwürdigkeit der sexuellen Selbstbestimmung der Nebenklägerin nicht relativiert oder angenommen worden, dass die Tat für die Nebenklägerin psychisch weniger belastend gewesen wäre. Der BGH erörtert sodann, dass – entgegen früherer Rechtsprechung – die generelle Schutzwürdigkeit der sexuellen Selbstbestimmung auch für Prostituierte nicht gemindert sei, wenn die Handlung erzwungen werde und bezieht sich auf die Änderungen im Sexualstrafrecht durch das 50. StrÄndG. Ferner verweist der Senat auf die jüngst vom BGH getroffene „Stealthing“ Entscheidung und bekräftigt die Unerheblichkeit der Ablehnung durch das Opfer. 

Anmerkung der Redaktion:

Hintergründe zur „Stealthing“ Entscheidung des BGH (Beschl. v. 13.12.2022 – 3 StR 372/22) und zu den Auswirkungen durch das 50. StrÄndG finden Sie hier. 

KriPoZ-RR, Beitrag 64/2020

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Urt. v. 02.07.2020 – 4 StR 678/19: Schutzlose Lage in § 177 Abs. 5 Nr. 3 StGB ist nach obj. Maßstäben zu bestimmen

Amtliche Leitsätze:

  1. Der Begriff der schutzlosen Lage ist rein objektiv zu bestimmen; einer subjektiven Zwangswirkung der Schutzlosigkeit auf das Tatopfer bedarf es nicht.

  2. Zum Begriff des „Ausnutzens“ im Sinne des § 177 Abs. 5 Nr. 3 StGB.

Sachverhalt:

Das LG Halle hat den Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in zwei Fällen, in einem davon in Tateinheit mit sexuellem Übergriff und in einem Fall in Tateinheit mit sexueller Nötigung verurteilt.

Nach den tatgerichtlichen Feststellungen hatte der Angeklagte im April 2018 das ihm bekannte sechs Jahre alte Tatopfer unter einem Vorwand in eine verlassene Fabrikhalle gelockt, ihr dort Hose und Unterhose ausgezogen und im Intimbereich berührt. Nachdem das Mädchen angefangen hatte zu weinen und den Angeklagten gebeten hatte aufzuhören, hatte er von ihr abgelassen.

Im November 2018 hatte der Angeklagte ein vor seinem Haus wartendes achtjähriges Mädchen entdeckt. Er hatte das Kind daraufhin hochgehoben und den Mund zugehalten. Im Anschluss hatte er das Mädchen unter Todesdrohungen zu einer verlassenen Ruine geführt. Wiederum hatte er dann Hose und Unterhose des Kindes sowie seine eigene ausgezogen und das Kind im Intimbereich geleckt. Danach hatte das Mädchen ihm einen Kuss geben sollen. Nach dessen Weigerung hatte der Beschuldigte das Kind geküsst und war mit seiner Zunge in ihren Mund eingedrungen. Danach hatte er das Mädchen auf ihre Bitte hin gehen lassen.

Die erste Tat ist vom LG als sexueller Missbrauch von Kindern in Tateinheit mit sexuellem Übergriff im Sinne der § 176 Abs. 1 und § 177 Abs. 1 StGB abgeurteilt worden. Eine Verurteilung wegen § 177 Abs. 5 Nr. 3 ist nicht erfolgt, da es an einer schutzlosen Lage und auf Seiten des Opfers an der Kenntnis der schutzlosen Lage fehle.

Die zweite Tat ist vom LG als sexueller Missbrauch von Kindern in Tateinheit mit sexueller Nötigung im Sinne der § 176 Abs. 1, § 177 Abs. 1 und Abs. 5 Nr. 2 StGB abgeurteilt worden. Wiederum hat es dem LG für eine Verurteilung nach der Variante des § 177 Abs. 5 Nr. 3 StGB an einer schutzlosen Lage und einer darauf beruhenden Willensbeugung des Opfers gefehlt.

Hiergegen wendete sich die Revision.

Entscheidung des BGH:

Der BGH hob das Urteil zuungunsten des Angeklagten auf, da das LG von einem zu engen Verständnis der schutzlosen Lage i.S.d. § 177 Abs. 5 Nr. 3 StGB ausgegangen sei.

Die Vorschrift ist durch das 50. Gesetz zur Änderung des StGB – Verbesserung des Schutzes der sexuellen Selbstbestimmung am 4. November 2016 eingeführt worden. Inhaltlich entspreche das Tatbestandsmerkmal des Ausnutzens einer schutzlosen Lage zwar dem § 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB a.F., dennoch lasse sich die hierzu ergangene höchstrichterliche Rechtsprechung nicht auf den neuen Tatbestand übertragen, so der BGH.

Ursprünglich sei auch nach der Rechtsprechung des BGH die Schutzlosigkeit einer Lage rein objektiv zu bestimmen und zu bejahen gewesen, wenn die Schutz- und Verteidigungsmöglichkeiten des Tatopfers in einem solchen Maße verringert seien, dass es dem ungehemmten Einfluss des Täters preisgegeben sei. Dies sei dann der Fall, wenn sich das Opfer dem Täter alleine gegenübersieht und auf fremde Hilfe nicht rechnen könne.

Da nach der alten Gesetzesfassung jedoch für alle Tatbestandsalternativen zusätzlich eine nötigende Einwirkung des Täters gefordert worden war, ging die Rechtsprechung zu einer einschränkenden subjektivierten Auslegung über und verlangte von da an, dass das Tatopfer die Schutzlosigkeit der Lage erkannt und gerade deshalb auf ihm grundsätzlich möglichen Widerstand verzichtet habe.

Diese einschränkende Auslegung des Merkmals sei nun für die neue Gesetzesfassung aus mehreren Gründen nicht zu übernehmen, so der Senat.

Zum einen setzte der neu konzipierte § 177 Abs. 5 StGB eine nötigende Einwirkung des Täters nicht mehr voraus. Mit der Gesetzesreform 2016 habe der Gesetzgeber einen Wechsel der Schutzrichtung erreichen wollen. Anknüpfungspunkt der Strafbarkeit sei nicht mehr länger die Beugung des Opferwillens im Sinne einer Nötigung, sondern die Missachtung des erkennbar entgegenstehenden Willens des Opfers. Damit könne eine etwaige einschränkende subjektivierende Auslegung des Merkmals des Ausnutzens einer schutzlosen Lage nicht mehr mit dem Erfordernis einer nötigenden Einwirkung begründet werden.

Zum anderen seien auch die Ansichten in der Literatur, die dennoch an einer subjektiven Zwangswirkung beim Opfer festhielten, nicht mit dem Wortlaut oder den Gesetzesmaterialien vereinbar. Anderslautende Hinweise in den Gesetzesmaterialien seien widersprüchlich und nicht mit dem eigentlichen Zweck der Gesetzesänderung zu vereinbaren, so der BGH.

Auch die Systematik spreche gegen eine einschränke Auslegung, da ansonsten die für alle sexuellen Übergriffe in § 177 Abs. 1 und 2 StGB geschaffene Qualifikation des § 177 Abs. 5 Nr. 3 StGB nicht auf die Grundtatbestände des § 177 Abs. 2 Nr. 1 bis 3 StGB angewendet werden könne, da in diesen Fällen gerade kein entgegenstehender Wille beim Opfer gebildet werden könne.

Das Argument, dass in Fällen, in denen ein Kind das Tatopfer ist, bei einer rein objektiven Beurteilung regelmäßig eine schutzlose Lage anzunehmen sei und so der Tatbestand mit denen der §§ 176, 176a StGB verschwimmen würden, ließ der Senat nicht gelten. Schließlich schützten die Vorschriften gänzlich unterschiedliche Rechtsgüter, was eine Abgrenzung der Anwendungsfelder nicht erforderlich mache.

Schließlich sprächen aus Sinn und Zweck der Gesetzesreform für eine rein objektive Bestimmung der schutzlosen Lage, da nur so der umfassende Schutz der sexuellen Selbstbestimmung erreicht werden könne, den der Gesetzgeber gewollt habe.

Demnach sei im Ergebnis allein die objektive Schutzlosigkeit des Opfers genügend. Diese sei zu bejahen, wenn nach zusammenfassender Bewertung die Möglichkeiten des Täters, mit Gewalt auf das Opfer einzuwirken, größer sind als die Möglichkeiten des Tatopfers, sich solchen Einwirkungen des Täters mit Erfolg zu entziehen, ihnen erfolgreich körperlichen Widerstand entgegenzusetzen oder die Hilfe Dritter zu erlangen. Eine gänzliche Beseitigung jeglicher Verteidigungsmöglichkeiten sei ebenso wenig Voraussetzung wie die Herbeiführung der schutzlosen Lage durch den Täter persönlich.

Erforderlich sei eine Gesamtwürdigung aller tatbestandsspezifischen äußeren Umstände und persönlichen Voraussetzungen von Täter und Opfer im jeweiligen Einzelfall.

 

Anmerkung der Redaktion:

Informationen zum Gesetz zur Verbesserung des Schutzes der sexuellen Selbstbestimmung finden Sie hier.

 

 

 

KriPoZ-RR, Beitrag 51/2020

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Beschl. v. 10.03.2020 – 4 StR 624/19: Vergewaltigung per Chat

Leitsatz der Redaktion:

Für die Annahme einer Vergewaltigung ist es ausreichend, dass das Opfer die sexuellen Handlungen an sich selbst vornimmt; eine gleichzeitige Anwesenheit des Täters ist nicht erforderlich.

Sachverhalt:

Das LG Siegen hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in vier Fällen, in drei davon in Tateinheit mit Sich-Verschaffen jugendpornografischer Schriften verurteilt.

Nach den tatgerichtlichen Feststellungen hatte der Angeklagte sein 14-jähriges Opfer in einem Chatroom kennen gelernt und sich als 18-jähriger Musiker ausgegeben. Es war ihm gelungen, dass das Mädchen sich in ihn verliebt hatte. Mit einem Zweitaccount, den der Täter unter einer Legende geführt hatte, hatte er das Opfer glauben gemacht, er sei ein Bandkollege ihres Chatpartners und dieser wünsche sich Nacktbilder von ihr. Diesem Wunsch war die Geschädigte nachgekommen. Daraufhin hatte sich der Angeklagte einen dritten Account zugelegt, mit dem er das Opfer genötigt hatte, sich in mehreren Videotelefonaten selbst mit verschiedenen Gegenständen zu penetrieren, damit ihre Mutter nichts von den verschickten Nacktbildern erfahre.

Im Anschluss hatte er dem Opfer mit diesem Account vorgespiegelt, dass er selbst von einer kriminellen japanischen Organisation erpresst werde und diese weitere Bilder und Videos von ihr gefordert hatte. Gegen ihren ausdrücklich erklärten Willen hatte der Angeklagte das Opfer dann dazu gebracht weitere Bilder und Videos anzufertigen, in denen sie verschiedene sexuelle Handlungen an sich vorgenommen hatte, die teilweise auch Schmerzen verursacht hatten.

Entscheidung des BGH:

Der BGH bestätigte die Verurteilung wegen Vergewaltigung.

Der besonders schwere Fall nach § 177 Abs. 6 Satz 2 Nr. 1 StGB erfasse mit seinem Wortlaut auch sexuelle Handlungen des Opfers an sich selbst, was sich aus den Gesetzgebungsmaterialien ergebe.

Ebenso sei es nicht erforderlich, dass der Täter räumlich anwesend sei.

Zwar stelle die Warnung vor Bestrafungen durch die „Japaner“ keine Drohung mit einem empfindlichen Übel nach § 177 Abs. 2 Nr. 5 StGB dar, da das Opfer geglaubt hatte, der Täter habe auf den Eintritt dieses Übels keinen Einfluss. Jedoch habe der Täter dadurch den Grundtatbestand des § 177 Abs. 1 Alt. 2 StGB verwirklicht. Eine letztlich freiwillige Anfertigung der Bilder und Videos durch das Opfer komme ebenfalls nicht in Betracht, da sie ausschließlich von der durch den Angeklagten erzeugten Angst motiviert worden sei und ihr Entschluss damit vollständig fremdbestimmt gewesen sei.

 

Anmerkung der Redaktion:

Das Sexualstrafrecht in §§ 177 ff. StGB war 2016 reformiert worden. Informationen zur Reform erhalten Sie hier.

 

 

 

KriPoZ-RR, Beitrag 30/2020

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Beschl. v. 07.04.2020 – 3 StR 90/20: Ruhen der Verjährungsfrist bei Sexualdelikten

Leitsatz der Redaktion:

Das Ruhen der Verjährung bei Sexualdelikten gem. § 78b Abs. 1 Nr. 1 StGB richtet sich einzig und allein nach der Vollendung des 30. Lebensjahres des Opfers und muss nicht teleologisch reduziert werden.

Sachverhalt:

Das LG Oldenburg hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung verurteilt.

Nach den tatgerichtlichen Feststellungen hatte der Angeklagte in der ersten Hälfte des Jahres 1993 sein Opfer zum Geschlechtsverkehr gezwungen. Ein Ermittlungsverfahren wegen dieses Vorwurfs war 1999 mangels hinreichenden Tatverdachts eingestellt worden. Erörterungsbedürftig war für den BGH ausschließlich die Frage der Verjährung der Tat.

Entscheidung des BGH:

Der BGH bestätigte die Verurteilung durch das LG, da die Tat entgegen der Ansicht der Revision noch nicht verjährt sei.

Die Verjährungsfrist ruhe bis zur Vollendung des 30. Lebensjahres des Opfers. Daran ändere auch die Gesetzesänderung des § 78b Abs. 1 Nr. 1 StGB vom 27.01.2015 nichts, da die Tat vor Änderung der Norm nicht verjährt war und damit kein Rückwirkungsverbot bestanden habe. Demnach finde die neue Regelung, die auf das 30. Lebensjahr abstellt, Anwendung.

Zudem sei die Norm auch nicht teleologisch zu reduzieren und die Verjährung nur bis zur Einleitung des ersten Ermittlungsverfahrens ruhen zu lassen. Ob die Tat bereits vor Vollendung des 30. Lebensjahres des Opfers Gegenstand von Ermittlungen gewesen sei, entfalte keine Relevanz. Dafür spreche schon der klare Wortlaut des § 78b Abs. 1 Nr. 1 StGB, der eine andere Auslegung nicht zulasse. Zudem müsse auch aus Gründen der Rechtsklarheit und –sicherheit auf die Vollendung des 30. Lebensjahres abgestellt werden, so der BGH.

Nähme man ein Ende des Ruhens der Verjährung ab Kenntnis der Strafverfolgungsbehörden von der Tat an, erfinde man ein Kriterium, welches im Gesetz überhaupt nicht angelegt sei und zudem erhebliche Nachweisschwierigkeiten bereite. Auch der Gesetzgeber habe bei Änderung der Norm allein die Perspektive der Opfer vor Augen gehabt, die genug Zeit haben sollten, um die Tat zu verarbeiten und Anzeige zu erstatten. Die schon vorher vorhandene Kritik der Literatur habe der Gesetzgeber bewusst nicht aufgenommen.

 

Anmerkung der Redaktion:

Informationen zur Änderung des § 78b StGB finden Sie hier.

 

 

Nach der Reform ist vor der Reform – Zum Abschlussbericht der Reformkommission zum Sexualstrafrecht

von Prof. Dr. Joachim Renzikowski und Dr. Anja Schmidt

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Abstract
Wenige Bereiche des Besonderen Teils sind vom Gesetzgeber schon so häufig geändert worden wie der 13. Abschnitt über die Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung. Kritiker monieren seit der Entkriminalisierung durch die große Strafrechtsreform einen moralisierenden „roll back“. Davon abgesehen führen zumeist punktuelle Änderungen auf längere Sicht immer zu Verwerfungen. Umso erfreulicher ist es, dass sich in den letzten Jahren eine Expertenkommission im Auftrag des BMJV um eine kritische systematische Bestandsaufnahme bemüht hat.

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Die erkennbare Willensbarriere gem. § 177 Abs. 1 StGB

von Prof. Dr. Wolfgang Mitsch 

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Abstract
Mit der Implementierung der kryptischen „Nein heißt Nein“-Formel[1] im neuen § 177 Abs. 1 StGB hat die Gesetzgebung die Strafbarkeit aufgedrängter Sexualität erweitert. In die Rolle des tatbestandsmäßig angegriffenen Opfers gedrängt zu werden setzt keine Nötigung mehr voraus.[2] Strafbar ist bereits jeder sexuelle Übergriff gegen den erkennbaren Willen der betroffenen Person. Dieser neue Maßstab für die Bewertung unerwünschter Sexualhandlungen als Straftat bewahrt den fachlich Interessierten nicht vor Verständnis- und Auslegungsproblemen. Wer – wie der Verfasser – das Interesse theoretisierend in der behaglichen Atmosphäre des universitären Dienstzimmers oder der heimischen Gelehrtenstube ausleben kann, dem hat der Gesetzgeber damit eine Freude bereitet. Praktiker, die an der Front der Strafrechtsanwendung mit der Festlegung des subsumtionsrelevanten Norminhalts und der prozessrechtskonformen Feststellung der zu subsumierenden Tatsachen betraut sind, werden weniger begeistert sein.[3] Enttäuschung bereitet das Gesetz möglicherweise sogar denjenigen, die sich eine spürbare Ausdehnung des Strafrechts und einen korrespondierenden Zuwachs an Schutz des sexuellen Selbstbestimmungsrechts[4] erhofft haben.[5] Die folgenden Ausführungen werden zeigen, dass nach Ansicht des Verfassers die neue Strafbarkeitsregelung Ungereimtheiten enthält, deren Effekt auf die Reichweite des Strafrechtsschutzes gegen sexuelle Übergriffe ein strafbarkeitseinschränkender ist.

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Taten nach § 177 StGB in der Polizeilichen Kriminalstatistik – Zusammenhänge mit Zuwanderung

von Prof. Dr. Tatjana Hörnle

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Abstract
Die Frage, ob es in den letzten Jahren mehr Vergewaltigungen und sexuelle Nötigungen gab, und ob dies ggf. auf Taten von Zuwanderern zurückzuführen ist, ist Gegenstand öffentlicher Debatten. Es lohnt sich, die Daten in der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) auszuwerten, auch wenn diese nur begrenzt Rückschlüsse auf die tatsächlich begangenen Taten zulassen. Die dort erfassten Fallzahlen zeigen keinen dramatischen Anstieg, aber einige Auffälligkeiten. Unter den polizeilich ermittelten Tatverdächtigen findet sich ein überproportional hoher Anteil an Zuwanderern, und zwar auch dann, wenn man Faktoren wie Alters- und Geschlechtsverteilung kontrolliert und unterschiedliche Anzeigenhäufigkeit auf Opferseite berücksichtigt.

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Zur Strafbarkeit von Täuschungen im Sexualstrafrecht

von J.-Prof. PD Dr. Elisa Hoven und Prof. Dr. Thomas Weigend

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Abstract
Im Zuge der Reform des Sexualstrafrechts im Jahr 2016 wurde der Schutz der sexuellen Selbstbestimmung deutlich erweitert. Nicht geregelt hat der Gesetzgeber allerdings Fälle, in denen eine Person durch Täuschung – etwa das Verschweigen ansteckender Krankheiten oder die Vorspiegelung bestimmter persönlicher Eigenschaften – zur Gestattung sexueller Handlungen veranlasst wird. § 177 StGB erfasst solche Konstellationen derzeit nicht. Die Autoren schlagen de lege ferenda eine vorsichtige Erweiterung von § 177 Abs. 2 StGB auf Fälle vor, in denen der Täter über den sexuellen Charakter einer Handlung oder über seine Identität täuscht.

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Das neue Sexualstrafrecht – Der Prozess einer Reform

von J.-Prof. PD Dr. Elisa Hoven

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I. Die Rolle der Medien für die Strafrechtspolitik

Die Bedeutung der Medien für die Gestaltung der Strafrechtspolitik ist kaum zu überschätzen. Immer häufiger werden mehr oder weniger spektakuläre Einzelfälle zum Anlass für mediale Kampagnen gegen das geltende Recht. Die Berichterstattung suggeriert dringenden staatlichen Handlungsbedarf und schafft eine gesellschaftliche Stimmung, die von politischen Parteien oft bereitwillig aufgegriffen wird. Eine Reform des Strafrechts bietet dem Gesetzgeber eine entschlossen wirkende und zugleich kostengünstige Lösung, um auf die öffentlichen Forderungen zu reagieren und seine Handlungsfähigkeit zu demonstrieren.[1] Dieser Form der spontanen, aktionistischen Symbolpolitik hat das StGB die unklare und ausufernde „Lex Edathy“[2] ebenso zu verdanken wie die übereilte Abschaffung des § 103 StGB.

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