„Nein heißt Nein“ oder „Ja heißt Ja“? Der Tatbestand der Vergewaltigung in der Richtlinie zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt

von Prof. Dr. Jörg Eisele

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Abstract
Artikel 5 der Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt legt Mindestvorschriften für den Straftatbestand der Vergewaltigung fest. Zusätzlich zu der Frage, ob die EU überhaupt die Gesetzgebungskompetenz für einen solchen Straftatbestand besitzt, stellt sich die Frage, ob in diesem Artikel die sogenannte „Ja heißt Ja“-Lösung verankert ist und welche Bedeutung diese Lösung im Verhältnis zu der in § 177 Abs. 1 StGB geregelten „Nein heißt Nein“-Lösung hat.

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KriPoZ-RR, Beitrag 69/2020

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Beschl. v. 10.07.2020 – 1 StR 221/20: Fehlende sexuelle Selbstbestimmung des Opfers bei § 182 Abs. 3 Nr. 1 StGB muss durch Gesamtbetrachtung der Umstände festgestellt werden

Leitsatz der Redaktion:

Auf die fehlende Fähigkeit zur sexuellen Selbstbestimmung des Opfers darf das Tatgericht nicht schon allein aufgrund des Alters des Opfers unter 16 Jahren oder des Altersunterschieds zum Täter schließen. Erforderlich ist eine Gesamtbetrachtung der Umstände im jeweiligen Einzelfall.

Sachverhalt:

Das LG Heidelberg hat den Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs von Jugendlichen in vier Fällen verurteilt.

Nach den tatgerichtlichen Feststellungen hatte der Angeklagte sich als 18-Jähriger ausgegeben und unter einem Pseudonym im Internet sowie später per Chatnachrichten Kontakt zu der 15-jährigen Nebenklägerin gesucht. Sie hatten sich angefreundet. Daraufhin hatte der Angeklagte den Kontakt zu einem vermeintlichen Freund von ihm hergestellt, der nach seiner Aussage, sehr nett sei und viel Geld habe. In Wirklichkeit war dies der Angeklagte selbst nur unter einem anderen Pseudonym gewesen. Die Nebenklägerin hatte sich daraufhin mehrmals mit dem Angeklagten getroffen, den sie für den Freund ihres Chatpartners gehalten hatte. Bei manchen dieser Treffen war es auch zu Geschlechtsverkehr zwischen beiden gekommen. Zu diesem Geschlechtsverkehr hatte der Angeklagte die Nebenklägerin unter dem ersten Pseudonym ermutigt.

Das LG hat eine altersbedingte Unreife der Nebenklägerin angenommen, da sie psychisch labil gewesen sei und bisher keine sexuellen Erfahrungen gemacht habe. Daher habe sie sich dem Angeklagten nicht wiedersetzen können und sie haben ihn und ihren vermeintlichen Chatpartner auch nicht enttäuschen und dadurch verlieren wollen.

Entscheidung des BGH:

Der BGH hob das Urteil auf, da das LG sich nicht ausreichend mit der Beziehung zwischen dem Angeklagten und der Nebenklägerin auseinandergesetzt habe.

Zur Beurteilung des Fehlens der Fähigkeit zur sexuellen Selbstbestimmung könne nicht allein auf das Alter des Opfers unter 16 abgestellt werden. Bei Jugendlichen sei solch ein Fehlen der Fähigkeit zur sexuellen Selbstbestimmung zwar möglich, jedoch deshalb nicht pauschal in jedem Fall vorhanden. Dazu seien konkrete Feststellungen des Tatgerichts erforderlich. Maßgeblich sei, ob der Jugendliche nach seiner geistigen und seelischen Entwicklung reif genug gewesen sei, die Bedeutung und Tragweite der konkreten sexuellen Handlung angemessen zu erfassen oder ob die Beziehung auf sexuelle Beherrschung des jugendlichen Opfers angelegt gewesen sei oder der Täter unlautere Mittel der Willensbeeinflussung genutzt habe.

Ein Indiz für eine solche Beherrschung könne ein großer Altersunterschied zwischen den beiden Beteiligten sein, was aber auch für sich genommen nicht ausreiche. Prägendes Merkmal des Tatbestandes sei zudem das Ausnutzen der Unreife des Opfers. Der Täter müsse sich also die Unreife bewusst zur Nutze gemacht haben. Daher seien auch Liebesbeziehungen, die zwar von Unreife aber auch von echter gegenseitiger Zuneigung geprägt seien, nicht vom Tatbestand erfasst.

Das Urteil des LG lasse nach diesen Grundsätzen wesentliche Feststellungen zur konkreten Art der Beziehung zwischen dem Angeklagten und der Nebenklägerin vermissen, zumal es bei einigen Treffen der beiden nicht um Geschlechtsverkehr ging, sodass eine tiefere Bindung zwischen beiden zumindest nicht ausgeschlossen sei.

 

Anmerkung der Redaktion:

So hatte auch schon der 2. Strafsenat am 17. Juni 2020 entschieden (2 StR 57/20).

 

 

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