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KriPoZ-RR, Beitrag 32/2021

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Beschl. v. 24.03.2021 – 4 StR 416/20: Garantenstellung aus Ingerenz als bes. pers. Merkmal

Amtliche Leitsätze:

1a. Die Garantenstellung aus Ingerenz ist ein besonderes persönliches Merkmal im Sinne von § 28 Abs. 1 StGB.

 b. Fehlen mehrere besondere persönliche Merkmale, welche die Strafbarkeit des Täters begründen, beim Teilnehmer, so ist dessen Strafe nach § 28 Abs. 1 StGB i.V.m. § 49 Abs. 1 StGB nur einmal zu mildern (insoweit nicht tragend).

2. Die Regelvermutung des § 69 Abs. 2 StGB gilt nur für den Täter.

Sachverhalt:

Das LG Aachen hat den Angeklagten wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis in zwei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Beihilfe zum versuchten Mord und zum unerlaubten Entfernen vom Unfallort verurteilt. Daneben hat es eine Fahrerlaubnissperre von fünf Jahren angeordnet.

Nach den tatgerichtlichen Feststellungen hatten der Angeklagte und der Mitangeklagte in einer Gaststätte Alkohol konsumiert und waren danach jeweils in ihren Autos ohne Fahrerlaubnis und mit überhöhter Geschwindigkeit nach Hause gefahren. Dabei hatte der Mitangeklagte einen vorfahrtsberechtigten Radfahrer übersehen und diesen tödlich verletzt. Er hatte angehalten und es für möglich gehalten, dass das Opfer noch gelebt hatte und durch seine Hilfe hätte gerettet werden können. Dennoch hatte er sich zur Weiterfahrt entschieden. Währenddessen war der Angeklagte nach Hause gefahren. Dem Mitangeklagten war die Weiterfahrt nicht gelungen, sodass er den Angeklagten angerufen und um Hilfe gebeten hatte. Dieser war der Bitte nachgekommen und hatte den Mitangeklagten daraufhin abgeschleppt. Auch er war im Zeitpunkt des Abschleppens davon ausgegangen, dass das Opfer noch gelebt hatte und hätte gerettet werden können.

Entscheidung des BGH:

Der BGH bestätigte den Schuldspruch und hob das Urteil im Strafausspruch aus, da das LG eine Strafmilderung gem. § 28 Abs. 1 i.V.m. § 49 Abs. 1 StGB nicht bedacht habe.

Indem der Mitangeklagte davon ausging, dem Opfer noch das Leben retten zu können und dennoch die Unfallstelle verließ, um seine Trunkenheitsfahrt zu verschleiern, habe sich dieser wegen versuchten Mordes durch Unterlassen strafbar gemacht. Im Abschleppen des Angeklagten sei daher eine Beihilfehandlung zu dieser Tat zu sehen. Da dieser den Unfall jedoch nicht verursacht hätte, fehle bei ihm die Garantenstellung aus Ingerenz.

Weil diese allerdings ein besonderes persönliches Merkmal nach § 28 Abs. 1 StGB darstelle, hätte das LG eine Strafmilderung i.V.m. § 49 Abs. 1 StGB in Erwägung ziehen müssen, so der BGH.

Zwar werde in der Literatur konstatiert, dass Garantenstellungen generell nicht dem § 28 Abs. 1 StGB unterfielen, da diese lediglich die Funktion hätten, positives Tun und Unterlassen bei der Zurechnung des Erfolgs gleichzustellen. Nach dieser Ansicht sei es ungerecht, dem nicht garantenpflichtigen Teilnehmer eines unechten Unterlassungsdelikts eine Strafmilderung zuzugestehen, welche der Teilnehmer an einem durch aktives Tun verwirklichten Delikt nicht erhalte, wenn dem Haupttäter beide Tatvarianten zur Verfügung gestanden hätten.

Eine andere Meinung ginge davon aus, dass jedenfalls die Garantenstellung aus Ingerenz bzw. Überwachungsgaratenstellungen generell keine besonderen persönlichen Merkmale seien, das diese an situative, also tatbezogene, Umstände vor der Tat anknüpfe.

Nach Ansicht des BGH, charakterisiere eine Garantenstellung aus Ingerenz jedoch den Täter und seine persönliche Verpflichtung zur Erfolgsabwendung. Die Erfolgsabwendungspflicht sei eine Verpflichtung mit starkem persönlichen Einschlag, da sie ausschließlich in der Person des Täters verankert sei, was auch ihren maßgeblicheen Unterschied zur unterlassenen Hilfeleistung nach § 323c Abs. 1 StGB darstelle.

Daneben gab der BGH noch den Hinweis, dass bei fehlender Verdeckungsabsicht des Angeklagten die Strafmilderung nach § 28 Abs. 1 StGB dennoch nur einmal in Betracht komme.

Außerdem äußerte er sich zur Maßregelanordnung nach § 69a Abs. 1 S. 3 StGB, die ebenfalls nicht bestehen bleiben könne, da das LG die Regelvermutung des § 69 Abs. 2 StGB angewendet hätte, diese jedoch nur für Täter und nicht für Gehilfen gelte. Dies ergebe sich schon aus dem Wortlaut der Norm und auch aus den Gesetzesmaterialien. Auch beeinflusse der Tatbeitrag eines Gehilfen die Sicherheit des Straßenverkehrs meist weniger stark, als der des Täters, weshalb auch nach dem Telos der Norm, eine Vermutungswirkung nur für den Täter der Katalogtaten anzunehmen sei.

 

Anmerkung der Redaktion:

Da die Garantenstellung bei unechten Unterlassensdelikten immer ein strafbegründendes Merkmal ist und das LG sich hier nicht von einer eignen Verdeckungsabsicht des Angeklagten hatte überzeugen können, kam es hier auf die Streitfrage des Verhältnisses von Mord und Totschlag nicht an. Zu diesem Problem siehe: BGH, Beschl. v. 10.01.2006 – 5 StR 341/05

 

 

 

 

1 Gedanke zu „KriPoZ-RR, Beitrag 32/2021“

  1. Der Mitangeklagte hat entgegen der Ansicht des BGH das Mordmerkmal „Verdeckungsabsicht“ nicht erfüllt. Unrichtig ist auch die Qualifikation der Garantenstellung als „besonderes persönliches Merkmal“ iSd Paragraph 28 StGB. Hätte der Haupttäter den Tatbestand durch aktives Tun erfüllt, würde sich bei ihm die Frage nach der Garantenstellung gar nicht stellen. Bei dem Gehilfen stellt sie sich schon deswegen nicht, weil die Hilfeleistung durch aktives Tun bewirkt wurde. Wieso also soll ein aktiver Teilnehmer eine Strafmilderung bekommen, weil er keine Garantenstellung hat? Dafür gibt es überhaupt keinen Grund. Was der BGH hier praktiziert, nennt man „Begriffsjurisprudenz“.

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