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Autonomie durch Verfahren – Mittel zum Lebensschutz (?) Zur Neuregelung der Suizidbeihilfe nach dem „Castellucci-Entwurf“

von Benedict Pietsch, M.A., M.Iur. 

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Abstract
Der am 10.3.2022 in den Bundestag eingebrachte „Castellucci-Entwurf“ stellt den ersten Versuch in der 20. Legislaturperiode dar, zwei Jahre nach dem Urteil des BVerfG zur Verfassungswidrigkeit des § 217 StGB a.F. eine Neuregelung der Suizidbeihilfe herbeizuführen. Ausgehend von den verfassungsgerichtlichen Anforderungen zum Schutz der Rechtsgüter von Leben und Autonomie Suizidwilliger sowie dritter Personen stellt der vorliegende Beitrag wesentliche Inhalte des Castellucci-Entwurfs dar und unterzieht diese einer kritisch-konstruktiven Bewertung. Hierbei finden auch andere kursierende (vor- oder nachparlamentarische) Regelungsentwürfe zur Suizidbeihilfe Berücksichtigung. Das prozedural ausgestaltete Sicherungskonzept (§ 217 Abs. 2 StGB-E) ist danach grundsätzlich geeignet, dem „Grundrecht auf selbstbestimmtes Sterben“ zu praktischer Wirksamkeit zu verhelfen, bedarf allerdings einiger klarstellender Nachbesserungen. Dies vorausgesetzt, ist die konzeptionelle Orientierung des „Castellucci-Entwurfs“ an § 217 StGB a.F. verfassungsrechtlich unbedenklich und überdies (kriminal-)politisch nachvollziehbar. Selbiges gilt für das in § 217a StGB-E enthaltene „Werbeverbot“ für die Hilfe zur Selbsttötung, das den generalpräventiven Ansatz des Sicherungskonzepts vervollständigt.   

The „Castellucci Draft“ introduced into the Bundestag on March 10, 2022 represents the first attempt in the 20th legislative period to bring about a new regulation of assisted suicide two years after the BVerfG sentence on the unconstitutionality of § 217 StGB a. F. Based on the constitutional requirements for the protection of the legal interests of life and autonomy of those willing to commit suicide as well as third persons, this article presents the essential contents of the Castellucci Draft and subjects them to a critical-constructive evaluation. Other (pre- or post-parliamentary) concepts on assisted suicide are also taken into account. The procedurally designed security concept (§ 217 Abs. 2 StGB-E) is in principle suitable to help the „right to self-determined dying“ to practical effectiveness, but requires some clarifying improvements. Provided that this is the case, the conceptual orientation of the Castellucci Draft on § 217 StGB a.F. is constitutionally unobjectionable and, moreover, understandable in terms of (criminal) politics. The same applies to the „advertising ban“ for assisted suicide contained in § 217a StGB-E, which completes the general preventive approach of the security concept. 

I. Einleitung

Für Camus gibt es mit dem „Selbstmord“[1] nur ein wirklich ernstes Problem.[2] Ausgerechnet hierfür eine unzulängliche Lösung gefunden zu haben, wurde dem Gesetzgeber unlängst durch das BVerfG bescheinigt:

Am 6.11.2015 hatte der Bundestag das „Gesetz zur Strafbarkeit der gesetzmäßigen Förderung der Selbsttötung“ beschlossen.[3] Durch das Gesetz[4] wurde § 217 a.F. in das StGB eingefügt, der erstmals seit der Einführung einer einheitlichen Strafrechtsordnung in Deutschland[5] die Teilnahme an der Selbsttötung einer eigenverantwortlich handelnden Person pönalisierte.[6]

Nach § 217 Abs. 1 StGB a.F. wurde mit Freiheitsstrafe mit bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft,

[w]er in der Absicht, die Selbsttötung eines anderen zu fördern, diesem hierzu geschäftsmäßig die Gelegenheit gewährt, verschafft oder vermittelt (…).

Nach § 217 Abs. 2 StGB a.F. blieb als Teilnehmer straffrei, wer selbst nicht geschäftsmäßig handelte und entweder Angehöriger des Suizidwilligen war oder diesem nahestand.

Ausweislich der Gesetzesbegründung[7] diente § 217 StGB a.F. einem doppelten Zweck.[8] Die Vorschrift sollte zum einen einer „gesellschaftlichen Normalisierung“[9] des (assistierten) Suizids wehren. Zweitens sollte der Gefahr „fremdbestimmter Einflussnahme in Situationen prekärer Selbstbestimmung“,[10] vornehmlich bei alten und kranken Personen,[11] vorgebeugt werden.

In der (Straf-)Rechtwissenschaft wurde § 217 StGB a.F. von Beginn an weitgehend[12] als verfassungswidrig abgelehnt.[13] Beanstandet wurden insbesondere „dogmatische und kriminalpolitische Bruchstellen“[14] der Vorschrift, sowie ein unverhältnismäßiger Eingriff in das „Grundrecht auf selbstbestimmtes Sterben“.[15] Darüber hinaus blieb auch der Gesetzgeber von harscher Kritik nicht verschont.[16]

2020 wurde die Vorschrift durch das BVerfG[17] als mit dem Grundgesetz unvereinbar und nichtig erklärt.[18] Seitdem ist die Suizidbeihilfe nicht nur straflos, sondern ungeregelt möglich.[19] Das Anliegen des (Straf-)Gesetzgebers, die Suizidbeihilfe als ein die Gegenwart prägendes, zunehmend problematisches Phänomen in einer nachhaltigen Weise zu regeln,[20] ist damit (bis heute) nicht erreicht worden.[21] Die mittlerweile seit über zwei Jahren bestehende Rechtslage steht überdies in offenem Widerspruch[22] zum verfassungsrechtlichen Regelungsauftrag[23] des einfachen Gesetzgebers, die Rechtsgüter des Einzelnen bei der Entscheidung über die Beendigung seines eigenen Lebens umfassend und effektiv zu schützen.

Am 19.4.2021 wurde erneut ein überfraktioneller Gesetzentwurf zur Regelung der Suizidbeihilfe in den Bundestag eingebracht.[24] Nachdem das Anhörungsbegehren im zuständigen Fachausschuss abgelehnt wurde,[25] fiel der Entwurf allerdings dem Diskontinuitätsgrundsatz zum Opfer.[26]

Nach der Wahl zum 20. Deutschen Bundestag ist die Suizidbeihilfe-Thematik zum expliziten Gegenstand der Koalitionsverhandlungen zwischen SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP gemacht worden.[27] Im bestehenden Koalitionsvertrag der Ampel-Koalition wird es begrüßt, „wenn durch zeitnahe fraktionsübergreifende Anträge das Thema Sterbehilfe einer Entscheidung zugeführt wird.“[28]

Am 10.3.2022 hat nunmehr eine Gruppe von 85 Abgeordneten aller Fraktionen – mit Ausnahme der AfD – einen neuen Anlauf zur Neuregelung der Suizidbeihilfe unternommen.[29] Dieser Entwurf firmiert unter dem Namen des Hauptinitiators als „Castellucci-Entwurf“[30]. Daneben kursieren eine von zwei Abgeordneten entworfene „Diskussionsgrundlage“[31] sowie ein „Diskussionsentwurf“[32] aus dem Bundesgesundheitsministerium.

Wiewohl angesichts verschiedener Regelungsbestrebungen dem Handlungsauftrag für ein legislatorisches Schutzkonzept alsbald (erneut) Rechnung getragen werden dürfte,[33] geht die Debatte über dessen inhaltliche Ausgestaltung, insbesondere über die Zulässigkeit von Einschränkungen bei der assistierten Selbsttötung in die nächste Runde. Dabei startet der Gesetzgeber allerdings nicht „bei null“.[34] Den Ausgangspunkt bilden vielmehr die (Grenz-)Vorgaben[35] des BVerfG zu § 217 StGB a.F., deren Beachtung die Voraussetzung einer validen kriminalpolitischen Option darstellt.[36]

II. Die Suizidbeihilfe in verfassungsrechtlicher Perspektive

1. Urteil des BVerfG vom 26.2.2020

Dem Urteil des BVerfG vom 26.2.2020 lagen 19 Verfassungsbeschwerden zugrunde, die unmittelbar gegen § 217 StGB a.F. und somit gegen das absolute Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung gerichtet waren. Soweit zulässig,[37] waren die Beschwerden in der Sache erfolgreich.[38] Wegen festgestellter Verfassungsverstöße erklärte das Gericht § 217 StGB a.F. für nichtig (§ 95 Abs. 1 S. 1 BVerfGG).

Das Urteil steht in einer Reihe anderer Entscheidungen, in denen das BVerfG grundrechtsschöpferisch tätig geworden ist. Wie bei dem Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung[39] und dem Grundrecht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme[40] wird das allgemeine Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) als „Rahmenrecht“[41] in Stellung gebracht, um neuartigen Bedrohungslagen durch die Ausformung weiterer, gefährdungsspezifischer Ausprägungen zu begegnen.[42]

Als Hauptargument für die Verfassungswidrigkeit von § 217 StGB a.F. fungiert insoweit das aus dem Persönlichkeitsrecht abgeleitete „Recht auf selbstbestimmtes Sterben“. Als Ausdruck persönlicher Autonomie ist es von Staat und Gesellschaft[43] umfassend zu respektieren.[44] Hilfs- und Unterstützungsangebote Dritter darf die (Straf-)Rechtsordnung danach nur soweit beschränken, als dies zum Grundrechtsschutz des Suizidwilligen bzw. dritter Personen erforderlich ist.[45]

Seine Argumentation entfaltet das BVerfG in drei Schritten. In einem ersten Schritt wird dargelegt, dass und weshalb die Entscheidung, sein Leben bewusst und gewollt zu beenden und dabei auf die Hilfe Dritter zurückzugreifen, vom Gewährleistungsgehalt des allgemeinen Persönlichkeitsrechts umfasst ist. Im Anschluss an allgemein gehaltene Ausführungen zur Stellung der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG) als grundlegendes Verfassungsprinzip[46] sowie zum allgemeinen Persönlichkeitsrecht als „unbenanntem“[47] Freiheitsrecht (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) stellt das Gericht zunächst dar, wie die persönlichkeitsrechtlichen Gehalte „den in der Menschenwürde wurzelnden“[48] Gedanken autonomer Selbstbestimmung konkretisieren. Die rechtlich verfasste Gemeinschaft findet in Achtung und Schutz des Menschen als Person ihre letzte Rechtfertigung.[49] Das Persönlichkeitsrecht ist ein notwendiges Mittel, um den personalen Eigenschaften der Selbstbestimmungs- und Eigenverantwortungsfähigkeit praktische Wirksamkeit zu verleihen: „Es sichert die Grundbedingungen dafür, dass der Einzelne seine Identität und Individualität selbstbestimmt  finden, entwickeln und wahren kann.“[50] Dabei richtet sich der klassisch mit dem Grundrecht verbundene Abwehranspruch nicht nur darauf, dass der Mensch nicht zum bloßen Objekt staatlichen Handelns gemacht werden darf. Vielmehr setzt die eigenständige Wahrung der Persönlichkeit voraus, über sich nach eigenen Maßstäben zu verfügen und nicht in Lebensformen gedrängt zu werden, die in unauflösbaren Widerspruch zum eigenen Selbstbild und Selbstverständnis stehen.[51] Der durch das allgemeine Persönlichkeitsrecht gewährte Schutz wird dabei umso intensiver – und der Handlungsspielraum des Individuums umso größer – je „würdespezifischer“ sich die Regelungsmaterie darstellt,[52] d.h. je bedeutsamer sie für die Persönlichkeitsentfaltung ist. Als „höchstpersönliche“[53] betrifft die Entscheidung, das eigene Leben zu beenden, wie keine andere die Identität und Individualität des Menschen.[54] Gehört die Selbstbestimmung über das eigene Lebensende zum „ureigensten Bereich der Personalität“,[55] stellt das Recht auf selbstbestimmtes Sterben sicher, dass der Einzelne über sich autonom verfügen und somit seine Persönlichkeit wahren könne.

Aus dieser Feststellung leitet das BVerfG zwei weitere Punkte ab. Erstens ist das Recht auf selbstbestimmtes Sterben nicht auf „fremddefinierte Situationen“[56] wie schwere oder unheilbare Krankheitsverläufe beschränkt. Die Verankerung des Selbsttötungsrechts in Art. 1 Abs. 1 GG impliziert gerade, „dass die eigenverantwortliche Entscheidung über das eigene Lebensende keiner weiteren Begründung oder Rechtfertigung bedarf.“[57] Demgegenüber allein maßgeblich soll der „Wille des Grundrechtsträgers“[58] sein, der sich insbesondere auch Überlegungen objektiver Vernünftigkeit“[59] entziehe. Hiergegen greift zweitens eine Argumentation, nach der eine Person infolge ihres Suizids zugleich ihrer Würde verlustig wird,[60] nicht durch: Die selbstbestimmte Verfügung über das eigene Leben sei, so das Gericht, vielmehr selbst unmittelbarer Ausdruck der der Menschenwürde immanenten Idee autonomer Persönlichkeitsentfaltung: „sie ist, wenngleich letzter, Ausdruck von Würde“.[61]

In einem zweiten Schritt konkretisiert das BVerfG den Umfang des Rechts auf selbstbestimmtes Sterben. Danach ist von dem Recht auf Selbsttötung auch erfasst, hierzu bei Dritten Hilfe zu suchen und in Anspruch zu nehmen, da die Ausbildung einer fundierten Entscheidungsgrundlage und die zumutbaren Umsetzungen eines Suizidentschlusses nur durch das Hinzuziehen kompetenter und bereitwilliger Dritter möglich sei. Die Verwirklichung selbstbestimmten Sterbens hängt danach wesentlich von der Einbeziehung Dritter, die dem Suizidenten Unterstützung anbieten, ab. Das Grundrecht auf Selbsttötung schütze, so das Gericht, deshalb vor einem hierauf zielenden, strafrechtlichen Verbot.[62]

In einem dritten Schritt erläutert das Gericht, weshalb § 217 StGB in nicht gerechtfertigter Weise in Art. 2 Abs. 1. i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG eingreift. Es stellt zunächst klar, dass der Gesetzgeber im Bereich der Suizidbeihilfe zum Erlass staatlicher Schutzmaßnahmen berechtigt ist, um die erheblichen Missbrauchsgefahren und Gefährdungen für die Verfassungsgüter Leben (Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG) und autonome Selbstbestimmung einzudämmen. Wegen der engen Verknüpfung mit der Menschenwürde misst das Gericht darauf zielende Maßnahmen allerdings „am Maßstab strikter Verhältnismäßigkeit“.[63] 

Diesen Anforderungen hielt § 217 StGB a.F. nicht stand, weil die verbleibenden Optionen zur Selbsttötung nicht „nur eine theoretische, nicht aber die tatsächliche Aussicht auf Selbstbestimmung“[64] bieten muss. Der Suizidwillige muss sich danach weder auf eine straffrei bleibende Suizidhilfe im Einzelfall,[65] noch auf palliativmedizinische Behandlungen[66] oder Suizidhilfeangebote im Ausland[67] verweisen lassen.[68] Stattdessen muss jede regulatorische Einschränkung der Suizidbeihilfe sicherstellen, dass sie dem verfassungsrechtlich geschützten Recht des Einzelnen, aufgrund freier Entscheidung mit Unterstützung Dritter aus dem Leben zu scheiden, faktisch hinreichenden Raum zur Entfaltung und Umsetzung belässt. Nur eine solche Regelung wird nach Auffassung des BVerfG der „Vorstellung des Menschen als eines in Freiheit zu Selbstbestimmung und Selbstentfaltung fähigen Wesens“[69] gerecht.

2. Bewertung des Suizidbeihilfe-Urteils im Hinblick auf eine Neuregelung der Suizidbeihilfe

Inhaltlich bedeutete das Urteil des BVerfG zur Suizidhilfe das Gegenteil dessen, was der (demokratisch legitimierte[70]) Gesetzgeber mit § 217 StGB a.F. wollte.[71] Gewollt war, den Status des assistierten Suizids als rechtliche und gesellschaftliche Randkategorie festzuschreiben. Dem setzt das Gericht ein umfassendes Grundrecht auf selbstbestimmtes Sterben entgegen.

Für das Grundrecht auf selbstbestimmtes Sterben bestimmt das BVerfG den Begriff der Menschenwürde nicht nur i.S.d. „Objektformel“[72] Dürigsnegativ, sondern positiv. Danach umfasst die Garantie der Menschenwürde vor allem die Wahrung personaler Individualität, Identität und Integrität.[73] Person sein bedeutet für das Gericht, selbstbestimmt (=autonom), d.h. nach Gründen[74] zu handeln. Diese Gründe müssen allerdings keine vernünftigen Gründe sein, sondern lediglich Gründe, die von der Person als Gründe für ihr Handeln angesehen werden.[75]

Das Recht auf selbstbestimmtes Sterben ist für das Gericht notwendig, um die personale Autonomie in der Entscheidung über die Beendigung des eigenen Lebens sicherzustellen. Da die Entscheidung über das eigene Leben von existentieller Bedeutung ist, gebietet die Würde der Person, sie durchgängig nach ihren Gründen handeln zu lassen, es sei denn, der Schutz einer autonomen Entscheidung selbst gebietet etwas anderes.

Bei Würde und Persönlichkeit handelt es sich grundsätzlich um zwei Begriffe,[76] deren Bedeutung und Verhältnis zueinander im rechts-[77] sowie moralphilosophischen Diskurs[78] umstritten sind. Deshalb lässt sich die Frage, welches Verständnis von Autonomie den Gehalt des Art. 1 Abs. 1 GG (mit-)zubestimmen geeignet ist, jedenfalls nicht ohne Weiteres beantworten. Neben der subjektivistisch-voluntaristischen Komponente hätten die Entscheidungen, aus denen sich das BVerfG umfangreich selbst zitiert, auch die Betonung anderer Facetten menschlicher Würde zugelassen.[79]

Da das BVerfG jedoch absehbar keinen Kurswechsel vornehmen wird,[80] bleibt es dabei: Vorschriften mit „autonomiefeindliche[r] Wirkung“[81] sind mit der existentiellen Bedeutung des Grundrechts auf selbstbestimmtes Sterben unvereinbar. Aus verfassungsrechtlicher Perspektive ist für eine Neuregelung der Suizidbeihilfe auf vier sich aus dem verfassungsgerichtlichen Judikat ergebende Punkte hinzuweisen:

Erstens hat das BVerfG die Grundaussage seines Beschlusses aus 2015 bestätigt,[82] wonach dem Gesetzgeber bei Ausgestaltung eines Schutzkonzepts ein großer Einschätzungsspielraum zukommt.[83] Die Schutzpflicht des Staates bezieht sich mit dem Lebens- und Autonomieschutz auf im Rang gleichstehende verfassungsrechtliche Rechtsgüter; insbesondere bei fehlenden wissenschaftlichen Erkenntnissen reicht es dem Gericht daher aus, wenn sich der Gesetzgeber an einer sachgerechten und vertretbaren Beurteilung der ihm verfügbaren Informationen und Erkenntnismöglichkeiten orientiert.[84]

Zweitens legitimiert der verfassungsrechtliche Rang der Rechtsgüter Autonomie und Leben den Einsatz des Strafrechts auch und gerade in Form abstrakter Gefährdungsdelikte. Durch die Vorverlagerung des strafrechtlichen Schutzes werden zwar auch solche Verhaltensweisen pönalisiert, die im konkreten Einzelfall zwar nicht zu einer Gefährdung führen. Dem Gesetzgeber ist es nach Auffassung des BVerfG aber anheimgestellt, Handlungen, die lediglich generell geeignet sind, Rechtsgüter zu gefährden, schon in einem frühen Stadium zu unterbinden.[85] Bei der konkreten Ausgestaltung der (Straf-)Tatbestände genießt der Gesetzgeber sehr weitgehende Freiheiten;[86] auf genuin strafrechtswissenschaftliche Argumente zu § 217 StGB a.F. ist das BVerfG naturgemäß nicht eingegangen.

Drittens ist mit dem Recht auf selbstbestimmtes Sterben zwar unvereinbar, die Zulässigkeit suizidaler Beihilfehandlungen inhaltlichen Kriterien zu unterwerfen. Gleichwohl steht es dem Gesetzgeber frei, ein prozedurales Sicherungskonzept zu entwickeln.[87] Für ein solches Konzept bedarf das „Bewertungsverbot“ des Gerichts – freilich auf Basis seiner eigenen Prämissen – einer weitergehenden Präzisierung. So gibt es durchaus eine Person, die befugt ist, die Motive des Suizidwilligen rational zu bewerten und ggf. einer Korrektur zu unterziehen: seine eigene. Margalit hat überzeugend dargelegt, dass die autonomiebasierte Lesart der Menschenwürde ebenso die Möglichkeit umfassen muss, Entscheidungen selbstbestimmt zu fällen wie sie radikal wieder in Frage zu stellen.[88] Dieser Gedanke korrespondiert dem Umstand, dass Entscheidungen einer Person niemals souverän sind; sie sind ist der Fallibilität menschlicher Urteilskraft ebenso unterworfen wie epistemischen Begrenzungen und Erweiterungen, d.h. sie können zum Zeitpunkt t1 mit dem Kenntnisstand K1 so, zum Zeitpunkt t2 mit dem Kenntnisstand K2 auf eine ganz andere Weise ausfallen. Besonders kritische Entscheidungen bleiben im Übrigen nicht abstrakt, sondern wirken sich konkret auf die Persönlichkeit des Entscheiders aus.[89] Sie fordern dazu heraus, sich mit ihnen zu identifizieren oder innerlich von ihnen abzurücken.

Es liegt daher auf Grundlage der vom BVerfG zugrunde gelegten, autonomiebasierten Interpretation der Menschenwürde[90] nahe, die grundrechtlich abgesicherte Entscheidung über die Beendigung des eigenen Lebens nicht als statischen Zustand zu betrachten. Sie ist vielmehr gerade wegen der Funktionsbedingungen personaler Autonomie dynamisch, im Kontext ständig neuer Freiheitshandlungen zu berücksichtigen.[91]

Sofern also der Gesetzgeber ein prozedurales Schutzkonzept verabschiedet, sollte dieses jedenfalls die Voraussetzungen für die Entscheidung ob der Suizidwillige in Anbetracht seiner Entscheidung weiterhin (oder eben doch) eine Person sein will, die sich für oder gegen die die Beendigung ihres eigenen Lebens entschieden hat.[92] Sie sollte weiterhin eine Substantiierung des Entschlusses institutionell gewährleisten, d.h. im Verfahren hinreichende epistemische und wertebezogene Impulse (insbesondere: psychosoziale und fachmedizinische Aufklärung und Beratung) bereitstellen. Ein informierter, durch rechtliche Rahmenbedingungen formalisierter Dialog kommt dabei nicht nur der Idee objektiver Rationalität am nächsten. Indem er davon ausgeht, dass Personen zu jeder Zeit ihrem Leben eine völlig neue Deutung geben und in diesem Sinne „den Rest ihres Lebens auf würdige Weise verbringen können“,[93] nimmt er die im Grundrecht auf selbstbestimmtes Sterben verankerte Autonomie und die ihr innewohnende Dramatik ernst.

Viertens darf der hohe Stellenwert suizidpräventiver Maßnahmen nicht verkannt werden.[94] Die Passagen zu deren Zulässigkeit bilden neben jenen zum Grundrecht zur Selbsttötung einen zweiten inhaltlichen Schwerpunkt des Urteils. Individuelle Selbstbestimmung bedingt staatlichen Schutz der Möglichkeit ihrer Realisierung: Zwar liegt nach Auffassung des BVerfG die Zulässigkeit der Selbsttötung ausschließlich im aufgeklärten individuellen Willen des Suizidwilligen begründet. Aber selbst die bestmöglich informierte Person entscheidet in gesellschaftlichen Zusammenhängen,[95] in denen sie sich bei der Entscheidung über Leben und Tod nicht nur mit selbstbestimmungskonformen, sondern auch mit Nützlichkeitserwägungen und Erwartungsdruck konfrontiert sieht:

„Wo das Gesetz es erlaubt und die Sitte es billigt, sich zu töten oder sich töten zu lassen, da hat plötzlich der Alte, der Kranke, da hat der Pflegebedürftige alle Mühen, Kosten und Entbehrungen zu verantworten, die seine Angehörigen, Pfleger und Mitbürger für ihn aufbringen müssen. Nicht Schicksal, Sitte und selbstverständliche Solidarität sind es mehr, die ihnen dieses Opfer abverlangen, sondern der Pflegebedürftige selbst ist es, der sie ihnen auferlegt, da er sie ja leicht davon befreien könnte. Er läßt andere dafür zahlen, daß er zu egoistisch und zu feige ist, den Platz zu räumen.“[96]

 Angesichts des vom Gericht attestierten steigenden Kostendrucks in den Pflege- und Gesundheitssystemen[97] darf der Gesetzgeber nicht nur, er muss[98] gesellschaftlichen Entwicklungen entgegenwirken, die geeignet sind, autonomiegefährdende soziale Pressionen auszuüben und das Ausschlagen von Suizidangeboten rechtfertigungsbedürftig erscheinen lassen.[99] Er muss insbesondere Vorkehrungen treffen, dass Personen in schweren Lebenssituationen sich mit solchen Angeboten weder beschäftigen noch hierzu verhalten müssen.[100] Wenn der selbstbestimmte, assistierte Suizid letztlich keinen (staatlichen) Bewertungskriterien mehr zugänglich sein soll, so kann der Gesetzgeber wenigstens Sorge dafür tragen, dass er sich nicht als normale Form der Lebensbeendigung durchsetzt.[101]

III. Zur Neuregelung der Suizidbeihilfe nach dem  Castellucci-Entwurf

1. Wesentliche Inhalte des Entwurfs

Vom ersten Satz an prägt das Judikat des BVerfG den  Castellucci-Entwurf in doppelter Weise. Es bildet einerseits den Ausgangspunkt der Problemanalyse, wonach nunmehr Suizidbeihilfe „grundsätzlich wieder straffrei und ohne Regelungen zum Schutz der Freiverantwortlichkeit möglich“ sei. Ist es vor diesem Hintergrund erklärtes Ziel des Entwurfs, „zur Ausfüllung der staatlichen Schutzpflicht, die Selbstbestimmung und das Leben zu schützen und sicherzustellen, dass die zur Selbsttötung entschlossene Person, ihren Entschluss aufgrund einer und selbstbestimmten Entscheidung getroffen hat“[102], wirkt das Urteil andererseits handlungsleitend, als die Erfüllung der staatlichen Schutzpflicht die „Wahrung dieser Rechtsprechung“[103] voraussetzt.

Soweit jedoch die Schutzpflicht einer Ausgestaltung und Konkretisierung bedarf, ist es Aufgabe des Gesetzgebers, ein konsistentes Regelungskonzept zur Suizidbeihilfe zu entwickeln.[104] Demokratische und rechtsstaatliche Rationalität greifen nach der Vorstellung der Entwurfsverfasser bei der Neuregelung der Suizidbeihilfe gleichberechtigt ineinander.[105]

Kern des Entwurfs bildet ein „abgestuftes und ausgewogenes Schutzkonzept“[106], das die bei der Neuregelung der Suizidbeihilfe betroffenen verfassungsrechtlichen Rechtsgüter wahren soll. Es soll zum Schutz der Autonomie und des Lebens notwendige Einschränkungen enthalten und zugleich die Ausübung des Rechts der oder des Einzelnen, darüber zu entscheiden, wann und wie sie oder er sein Leben beenden möchte, sicherstellen.[107]

Für das Konzept setzen die Entwurfsverfasser nicht neu an. Angeknüpft wird an § 217 StGB a.F., der nunmehr als § 217 Abs. 1 StGB-E (erneut) die konzeptionelle Grundlage bildet, dabei allerdings um § 217 Abs. 2 StGB-E ergänzt wird. Während § 217 Abs. 1 StGB-E die geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung grundsätzlich unter Strafe stellt, sieht die Vorschrift in Abs. 2 „in den klaren Grenzen eines konkreten Schutzkonzepts“[108] Ausnahmenregelungen vor. Insoweit etabliert der Entwurf eine Art normative Arbeitsteilung: Während § 217 Abs. 1 StGB-E die kategorial-leitende (nach dem Urteil des BVerfG gleichwohl problematische) Grundaussage des Verbots der geschäftsmäßigen Suizidbeihilfe transportiert, soll § 217 Abs. 2 StGB-E den vom Gericht geforderten verhältnismäßigen Ausgleich konfligierender Rechtsgüter sicherstellen. Detailliert wird daher aufgezeigt,[109] weshalb diese Ausnahmevorschrift dem Suizidwilligen hinreichend Raum für ein selbstbestimmtes Sterben unter Zuhilfenahme Dritter belässt. 

In Satz 1 enthält § 217 Abs. 2 StGB-E einen Katalog mit vier Voraussetzungen (Nummer 1 bis 4), die zur Rechtfertigung[110] einer Förderungshandlung „kumulativ und iterativ“[111] vorliegen müssen. Vorgesehen ist zunächst, dass die suizidwillige Person einwilligungsfähig und volljährig ist (Nr. 1).[112] Die bereichsspezifischen Anforderungen an die „Einsichts-, Steuerungs- und Kommunikationsfähigkeit“[113] einer Person werden im Hinblick auf § 8 Abs. 1 Nr. 1 lit. a TPG und §§ 106 ff. BGB mit der Einheit der Rechtsordnung ebenso begründet wie mit den demgegenüber gesteigerten, irreversiblen Konsequenzen einer Selbsttötung. Gegen die Einbeziehung Minderjähriger wird nicht nur auf Schwierigkeiten bei der Feststellung der „Entscheidungsreife“, sondern auch auf die Problematik der in Gestalt einer Entscheidung des Familiengerichts erfolgende „staatliche Beteiligung an der Selbsttötung“[114] hingewiesen.

Um zu entscheiden, ob der Suizidwillige seinen Willen frei und unbeeinflusst von einer akuten psychischen Störung zu bilden und danach handeln imstande ist, ist sodann eine Untersuchung durch einen nicht an der Selbsttötung beteiligten Psychiater vorgesehen (Nr. 2). Damit der empirisch feststellbaren Volatilität von Suizidentschlüssen begegnet wird,[115] sollen dabei „in der Regel“ mindestens zwei Untersuchungstermine in einem Abstand von drei Monaten stattfinden. Ist die Durchführung von zwei Terminen für die Person „nicht zumutbar“ und nach der fachlichen Überzeugung des untersuchenden Facharztes von einer weiteren Untersuchung „offensichtlich keine weitere Erkenntnis zum Sterbeverlangens zu erwarten“, kann die Feststellung bereits nach einem Untersuchungstermin erfolgen (§ 217 Abs. 2 S. 2 StGB-E). Nach der (ersten) psychiatrischen Untersuchung hat mindestens ein individuell angepasstes, umfassendes und ergebnisoffenes Beratungsgespräch nach Maßgabe des untersuchenden Facharztes stattzufinden (Nr. 3). Dieses Gespräch soll den Suizidwilligen in die Lage versetzen, „eine realitätsbezogene, rationale Einschätzung der eigenen Situation vorzunehmen.“[116] Um die Unabhängigkeit der Beratung sicherzustellen, muss dieses Gespräch bei einem anderen Arzt oder Psychiater oder einer spezifischen Beratungsstelle (beispielsweise einer Sucht- oder Schuldnerberatungsstelle) erfolgen.[117] Die Regelung in Nr. 4 enthält abschließend zwei Fristenregelungen. Danach darf die Selbsttötung erst zwei Wochen nach der letzten psychiatrischen Untersuchung und nur binnen eines Zeitraums von zwei Monaten erfolgen. Während die erste Frist verhindern soll, dass vorgehende Verfahrensschritte „auf Vorrat“[118] durchlaufen werden (sog. Cooling Off-Period), soll die zweite die Aktualität des Suizidwillens gewährleisten.

Der anschließende § 217 Abs. 3 StGB-E entspricht wortgleich § 217 Abs. 2 StGB a.F., die einen persönlichen Strafausschließungsgrund für Angehörige und andere nahestehende Personen darstellt.

Darüber hinaus wird § 217 StGB-E in § 217a StGB-E durch ein strafbewehrtes Verbot der Werbung zu Selbsttötung flankiert.[119] Die Ausgestaltung des § 217a StGB-E erfolgt nach dem bewährten Schema des § 219a StGB.[120] Abs. 1 verbietet das öffentliche Anbieten, Ankündigen, Anpreisen oder Bekanntgeben von eigener oder fremder Hilfe zur Selbsttötung (Nr. 1) oder von zur Selbsttötung geeigneter Mittel, Gegenstände oder Verfahren (Nr. 2) „wegen eines Vermögensvorteils oder in grob anstößiger Weise“. Die Absätze 2 bis 4 sehen hiervon Ausnahmen vor. Nach § 217a Abs. 2 StGB-E greift das Verbot nach Abs. 1 Nr. 1 nicht im Falle einer Unterrichtung durch Ärzte oder Beratungsstellen darüber, welche Ärzte, Krankenhäuser oder Einrichtungen zur Suizidbeihilfe bereit sind. § 217a Abs. 3 StGB-E sieht eine Ausnahme von  Abs. 1 Nr. 2 bei Personen vor, die zum Handeln mit den dort erwähnten Mitteln oder Gegenständen befugt sind oder die Tat durch eine Veröffentlichung in Fachzeitschriften erfolgt. Abs. 4 ermöglicht Ärzten sowie Krankenhäusern und Einrichtungen, die Hilfe zur Selbsttötung nach § 217 Abs. 2 StGB-E anbieten, darauf hinzuweisen, dass sie Hilfe zur Selbsttötung leisten. Zulässig ist hierbei nur die öffentliche Information über „Tatsachen“. Werbende Handlungen sind verboten.

Abschließend sieht der Entwurf eine regulierte Möglichkeit des Zugangs zu Betäubungsmitteln zur Lebensbeendigung vor. Eine Änderung des § 13 Abs. 1 BtMG ermöglicht es Ärzten zukünftig, eine tödlich wirksame Dosis eines Betäubungsmittels zu verschreiben. Danach ist die Anwendung des Betäubungsmittels „begründet“ und darf verschrieben werden, wenn die rechtfertigenden Voraussetzungen des § 217 Abs. 2 StGB-E vorliegen.[121]

2. Bewertung des Entwurfs

Das neues Regelungsregime zur Suizidbeihilfe hat das Spannungsverhältnis zwischen Selbstbestimmung und Lebensschutz unter Beachtung des verfassungsgerichtlichen Rahmens aufzulösen. Diesem Anspruch wird der Castellucci-Entwurf grosso modo gerecht. Er nimmt in § 217 StGB-E insbesondere den Schutz Suizidwilliger ernst, indem er die autonome Entscheidung über die Beendigung des eigenen Lebens aus einem gestuften Untersuchungs- und Beratungsprozess hervorgehen lässt.   Auch die Ausgestaltung eines flankierenden „Werbeverbots“ in § 217a StGB-E überzeugt (a). Bei der Ausgestaltung der prozeduralen Sicherungsmechanismen in § 217 Abs. 2 StGB-E bedarf es allerdings einiger klarstellender, „autonomiebegünstigender“ Modifikationen (b). Empfehlenswert ist ferner, das in den §§ 217, 217a StGB etablierte strafrechtliche Gerüst alsbald durch weitere gesetzliche Vorgaben i.S.e. Suizidhilfeberatungsgesetzes zu ergänzen (c).

a) Im Hinblick auf die Vereinbarkeit mit den Vorgaben des BVerfG verdienen vier Grundkonstituenten des Castellucci-Entwurfs besondere Beachtung.

Erstens erscheint das Anliegen, materiell-rechtlich wie konzeptionell eine Kontinuitätslinie zwischen § 217 StGB a.F. und den §§ 217, 217a StGB-E zu ziehen, verfassungsrechtlich grundsätzlich unbedenklich. Sauber ist zwischen den verschiedenen Argumentationsebenen zu differenzieren: Das Hauptdefizit des § 217 StGB a.F. bestand nach der Auffassung des BVerfG darin, dass die Vorschrift eine lediglich theoretische Aussicht auf selbstbestimmtes Sterben bietet. Die Prüfung am Maßstab des Übermaßverbots führte dazu, dass der in legitimer Weise angestrebte Schutz zurückstehen musste, weil das eingesetzte Mittel der Rechte des Suizidwilligen unangemessen benachteiligte. Der Entwurf zielt nun darauf ab die dem § 217 a.F. StGB attestierten Mängeln – punktgenau – abzustellen, sodass die vom BVerfG geforderte praktische Wirksamkeit des Rechts auf selbstbestimmtes Sterben nunmehr gewährleistet ist.[122] Die Verfasser des Castellucci-Entwurfs als renitent[123] oder fantasielos zu bezeichnen, greift mithin zu kurz.

Wird gegen § 217 Abs. 1 StGB-E eingewandt, es sollten statt auf die Geschäftsmäßigkeit bezogene spezifisch auf den Schutz individueller Selbstbestimmung zugeschnittene Regelungen erlassen werden,[124] so ist dies ein wohldurchdachter kriminalpolitischer Vorschlag. Verfassungsrechtlich zwingend ist er nicht. So hat das BVerfG die Gefahr, die durch die Einbeziehung geschäftsmäßig handelnder Suizidhelfer für die freie Willensbildung und die Entscheidungsfindung nicht nur als plausibel eingeschätzt, sondern auch dabei die Eignung strafrechtlicher Sanktionierung zur Wahrung der Selbstbestimmungsfreiheit explizit hervorgehoben.[125] Dass diese „besonders gefahrträchtige Erscheinungsform“[126] der Suizidbeihilfe mit § 217 Abs. 1 StGB-E besonders herausgestellt wird, ist vom verfassungsgerichtlich bestätigten Einschätzungsspielraum des Gesetzgebers ebenso gedeckt[127] wie die Entscheidung, hierfür das Instrument des abstrakten Gefährdungsdelikts zu implementieren.[128]

Die Vorgehensweise der Entwurfsverfasser ist überdies aus politischen Gründen nachvollziehbar. Für den Gesetzgeber war das Urteil des BVerfGschmerzhaft, nicht zuletzt wegen des inhaltlich und verfahrenstechnisch gehaltvollen „inneren“ Gesetzgebungsverfahrens.[129] Indem an den vorgängigen Diskurs zu § 217 StGB a.F. angeknüpft wird, werden politische Kosten minimiert und Redundanz in den Debatten vermieden. Der Diskussionsentwurf des Bundesgesundheitsministeriums verdeutlicht im Übrigen, dass neu nicht immer besser sein muss: Indem dieser nicht nur gewerbsmäßige, sondern sämtliche Formen der Suizidbeihilfe verbietet,[130] schießt der Entwurf deutlich über § 217 StGB a.F. hinaus. Soweit die verfassungsgerichtlichen Grenzen beachtet werden, greift im Übrigen der Paternalismusvorwurf[131] nicht durch: Der freiheitlich-demokratische Verfassungsstaat lebt von der Idee, dass die Bürger die allgemeinen Gesetze respektieren, weil sie sich diese selbst gegeben haben.[132] Dies gilt auch für (potenziell) suizidwillige Personen.

Zweitens sind die in § 217 Abs. 2 S. 1 StGB-E festgeschriebenen prozeduralen Sicherungsmechanismen in Gestalt gesetzlich festgeschriebener Untersuchungs-, Aufklärungs- und Wartepflichten zulässig. Dass diese für den Suizidwilligen aufwendig und belastend ausfallen können, ist im Hinblick auf die staatliche Schutzpflicht und angesichts der Unumkehrbarkeit des Entschlusses grundsätzlich gerechtfertigt.[133]

Die konkreten Vorzüge der Regelung erschließen sich insbesondere auch vor dem Hintergrund alternativ kursierender Regelungsvorschläge. Im Entwurf HellingPlahr ist die Verschreibung eines Arzneimittels für Selbsttötung lediglich an die Durchführung eines Beratungsgesprächs geknüpft (§ 6 Abs. 1, Abs. 3 SHG-E).[134] Die Beratungsstelle soll nach Abschluss der Beratung eine Bescheinigung darüber ausstellen, dass eine Beratung stattgefunden hat (§ 4 Abs. 7 SHG-E); diese Bescheinigung ist sodann einem Arzt vorgelegt werden, der den Suizidwillen nur noch über die wesentlichen medizinischen Umstände aufklären musste (§ 6 Abs 2 SHG-E). Der Verzicht auf weitere Verfahrensschritte führt indes nicht nur dazu, dass am Suizidwillen zweifelnde Stellen unter erheblichen Rechtfertigungsdruck geraten.[135] Es besteht auch die Gefahr, dass das Verfahren vom Suizidwilligen eher als singulär platziertes Hindernis denn als begleitender Prozess aufgefasst wird, aus dem die Entscheidung kritisch-konstruktiv hervorgehen soll (siehe oben II.2). Die Diskussionsgrundlage nach Künast/Keul setzt hingegen voraus, dass Ursache, Dauerhaftigkeit, Freisein der Erklärenden von Druck und Zwang sowie die Frage, warum staatliche oder private Hilfsangebote nicht geeignet sind, den Sterbewunsch zu beseitigen, in schriftlicher Form „schlüssig erörtert“ werden (§ 4 Abs. 2 a.E. SelbstG-E).[136] Gerade die vorgesehene Prüfung der Schlüssigkeit steht aber in einem erheblichen Spannungsverhältnis zu Aussagen des BVerfG, wonach gerade keine inhaltliche Prüfung stattzufinden hat.

Obgleich der Staat nicht zur Bewertung von Suizidentschlüssen berechtigt ist, kann er sicherstellen, dass das Für und Wider einen Selbsttötungsentschlusses nicht übereilt, in Vollbesitz geistiger Kräfte und „in Kenntnis aller relevante[n] Umstände“[137] abgewogen wird. Dazu aber erscheint ein mehrstufiges Prüfverfahren i.S.d. § 217 Abs. 2 S. 1 StGB-E unumgänglich: Es will nicht vorschreiben, sondern die suizidwillige Person in den Stand versetzen, wohlverständiger Richter in eigener Sache zu sein.[138] 

Die Härtefallklausel in § 217 Abs. 2 S. 2 StGB-E weist zwei positive Aspekte auf. Erstens ist die Klausel lediglich als Ausnahme zum Verfahren nach § 217 Abs. 1 S. 1 StGB-E ausgestaltet; anders als im Entwurf Künast/Keul wird kein eigenständiges Härtefallverfahren etabliert, welches in bestimmten Konstellationen in Konkurrenz zu einem „allgemeinen Verfahren“ (vgl. § 4 SelbstG-E) tritt.[139] Zur Vermeidung einer „Zwei-Klassen-Suizidhilfe“, bei der es für den Suizidwilligen vor allem auf eine anfänglich vorteilhafte Einstufung ankommt, ist ein integriertes Verfahren erforderlich, das bei schweren, unheilbaren Krankheitszuständen prozedurale „Erleichterungen“ vorsieht. Zweitens ist der Begriff der „Zumutbarkeit“ gegenüber dem einer „medizinischen Notlage“ vorzugwürdig. Er macht eher deutlich, dass es nicht allein um die objektive Beschaffenheit des Organismus geht, sondern die Bewertung im Einzelfall nicht von der Psyche des Suizidwilligen gelöst werden kann. Das Regelbeispiel einer „nicht heilbaren, fortschreitenden und weit fortgeschrittenen Erkrankung“ ist dabei offensichtlich an die Formulierung des BVerfG angelehnt.[140]

Drittens ist es überzeugend, dass der Entwurf mit seinen Regelungsvorschlägen insgesamt behutsam vorgeht, eine „kopernikanischen Wende“ mithin ausbliebt.[141] Dies gilt nicht nur im Hinblick auf die Forderung einer umfassenden Normalisierung suizidaler (Beihilfe-)Handlungen.[142] Überdies wird gut daran getan, die sensible Debatte über die Suizidbeihilfe nicht vorschnell mit dem Tatbestand des § 216 StGB zu verquicken, der wegen des engen und dogmatisch nicht unproblematischen Konnex zu §§ 212, 211 StGB[143] eine zusätzliche Problemebene eingezogen hätte.

Inhaltlich führt nach dem BVerfG-Urteil allerdings kein Weg an der Klärung der Frage vorbei, inwieweit die aktive Sterbehilfe („Euthanasie“) kategorisch oder graduell von der Suizidbeihilfe abweicht,[144] und welche Erwägungen die Vorschrift des § 216 StGB noch zu rechtfertigen vermögen.[145] Die Anknüpfung an das rein äußerliche Merkmal der Tatherrschaft kann jedenfalls für sich eine unterschiedliche Bewertung des Verhaltensunrechts (Suizidbeihilfe straflos, Tötung des Suizidwilligen auf dessen Verlangen strafbewehrt) normativ nicht erklären.[146]

Viertens ist die Regelung des § 217a StGB-E aus mehreren Gründen konsequent. Soweit die geschäftsmäßige Bereitstellung der Suizidbeihilfe unter bestimmten Voraussetzungen zulässig ist, muss eine sachliche Informierung über angebotene Leistungen zulässig sein. Gleichzeitig ist der Gesetzgeber verpflichtet, die vom BVerfG skizzierten, autonomiegefährdenden Phänomene durch geeignete Maßnahmen einzudämmen. Indem nicht jede geschäftsmäßige, sondern nur auf einen Vermögensvorteil bedachte oder grob anstößige Werbung untersagt ist, wird einerseits der werbende „Besuch“ im Alters- oder Pflegeheim unmöglich. Andererseits ist mit § 217a StGB-E Abs. 2 bis 4 ein hinreichender, durch fachliche Expertise kanalisierter Informationsfluss sichergestellt.[147] Die Verfassungsmäßigkeit des § 217a StGB-E ergibt sich weiter aus dem engen konzeptionellen Konnex zu § 219a StGB.

Beide Vorschriften stellen spezifische strafrechtliche Ausprägungen der verfassungsrechtlichen Schutzpflicht für das Leben dar. Wenn Einschränkungen in der Werbetätigkeit im Hinblick auf das vorläufig nur potenziell vorhandene Selbstbestimmungsrecht des Nasciturus nicht nur zulässig, sondern erforderlich sind, muss dies erst recht für die Autonomie des Suizidwilligen in actu gelten.

Umgekehrt trägt das Anliegen des § 217a StGB-E, besonders vulnerable Personengruppen vor anstößiger Einflussnahme zu schützen, auch zur Plausibilisierung und Stabilisierung des § 219a StGB bei (beispielsweise beim Schutz von minderjährigen Schwangeren oder Schwangeren aus ökonomisch schwachen Verhältnissen). Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass sich die Frage, inwieweit gesellschaftliche Bedingungen und Einflüsse unterhalb der Schwelle von Zwang, Täuschung und Drohung auf eine Suizidentscheidung handlungsleitend wirken können, bislang wissenschaftlicher und empirischer Erfassung entzieht.[148]

b) Einwänden begegnet im Castellucci-Entwurf zunächst die konkrete Ausgestaltung der Verfahrensschritte in § 217 Abs. 2 S. 1 StGB-E.

Der Versuch, in Kompensation zu einer materiellen Prüfung „legitimer“ Suizidanliegen ein Höchstmaß an Verfahrensschritten in die Vorschrift aufzunehmen, geht zunächst zulasten der Übersichtlichkeit des § 217 Abs. 2 S. 1 StGB-E.[149] Unglücklich wirkt überdies, die psychische Untersuchung des Suizidwilligen (Nr. 2) vor dem Beratungsgespräch (Nr. 3) vorzusehen.[150] Es entsteht unwillkürlich der Eindruck, dass derjenige, der um Suizidbeihilfe ersucht, ob seines Anliegens auf bestehende Geisteskrankheiten untersucht werden soll. Dies wird dem Umstand nicht gerecht, dass Menschen, die mit dem Gedanken spielen, ihr Leben zu beenden, besonders verletzlich sind.[151] Es ist konzeptionell durchaus damit vereinbar, die Gefährlichkeit geschäftsmäßiger Suizidbeihilfe auf der einen Seite anzuerkennen, auf der anderen Seite aber den aus dem Persönlichkeitskern fließenden, individuellen Suizidwunsch einer Person „im Ausgangspunkt“[152] ernst zu nehmen. Das bedeutet auch, ihre Zurechnungsfähigkeit grundsätzlich nicht in Abrede zu stellen.

Ferner wird nicht hinreichend deutlich, wie sich die in den Voraussetzungen des § 217 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 bis 4 StGB-E normierten Tatbestandsmerkmale der „Einsichtsfähigkeit“, der „autonomen Entscheidungsfindung“ sowie der „Freiwilligkeit“ und „Ernsthaftigkeit“ zueinander verhalten. Der Entwurf weist darauf hin, von einem freien Willen sei nur dann auszugehen, wenn der Entschluss, aus dem Leben zu scheiden, von Dauerhaftigkeit und innerer Festigkeit getragen sei.[153] Zugleich wird der freie Wille aber auch als bloße Abwesenheit von akuten psychischen Störungen verstanden.[154] Das Kriterium der Dauerhaftigkeit ist den Entwurfsverfassern zufolge geeignet, die Ernsthaftigkeit des Entschlusses nachzuvollziehen.[155] Ob, und wenn ja, welchen eigenständigen Gehalt dem Ernsthaftigkeitskriterium überhaupt zukommen soll, bleibt unklar. Der Hinweis, eine gemeinsame Prüfung sämtlicher Kriterien im Rahmen der Prüfung nach Nr. 2 erscheine „verfahrensökonomisch und expertisebezogen sinnvoll“[156] schadet dabei mehr als er nützt. Wegen des strafrechtlichen Bestimmtheitsgebots (Art. 103 Abs. 2 GG) sollte an diesen Stellen unbedingt nachjustiert werden.

Einwänden sieht sich auch die Härtefallklausel in § 217 Abs. 2 S. 2 StGB-E ausgesetzt. Die sprachliche Fassung der Vorschrift ist grenzwertig. Sie enthält allein 94 Worte, der hypotaktische Satzbau ist unübersichtlich, und die enthaltenen Verweise erschweren die Normarbeit zusätzlich. Inhaltlich schwierig ist die Regelung, in Härtefällen auf eine zweite psychiatrische Untersuchung zu verzichten, gleichwohl an dem Erfordernis eines Beratungsgesprächs und der zweiwöchigen Frist zur Umsetzung des Suizidbegehrens festzuhalten.

Die Regelung erscheint bei der – doch gerade vom Entwurf anvisierten – Gruppe von Suizidwilligen in der Terminalphase unverhältnismäßig. Wo die Entscheidung über ein selbstbestimmtes Lebensende ein Wettlauf gegen die Zeit wird, darf der Gesetzgeber im Hinblick auf die verfassungsrechtlich gebotene faktische Realisierbarkeit des Grundrechts auf selbstbestimmtes Sterben nicht darauf hoffen, dass rechtzeitig „Erledigung“ eintritt.[157] Um die Autonomie des Betroffenen zu effektuieren, wäre es sinnvoll, in § 217 Abs. 2 S. 2 StGB-E zwar weiterhin ein Beratungsgespräch vorzusehen, die Frist hingegen ganz erheblich zu verkürzen oder gänzlich zu streichen. 

c) Abschließend ist zu empfehlen, die Suizidbeihilfe im Anschluss an den Castellucci-Entwurf weitergehend gesetzlich auszugestalten.[158] Ein solches Suizidberatungsgesetz sollte insbesondere Aussagen zu folgenden drei Punkten treffen.

Erstens sollte eine Konkretisierung des in § 217 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 StGB-E enthaltenen multiprofessionellen und interdisziplinären Ansatzes erfolgen. Indem Richtlinien für fachärztliche Untersuchungen und psychosoziale Beratungen definiert werden, wird nicht nur die Rechtssicherheit für die Beratenden gestärkt, sondern zugleich der Vorwurf wohlklingender, aber inhaltsleererer Begrifflichkeiten ausgeräumt.[159] Festgeschrieben werden sollten auch Kriterien, nach denen ein Facharzt gemäß § 217 Abs. 2 S. 2 StGB-E in Härtefällen von einem zweiten Untersuchungstermin absehen kann.

Ein zweiter Regelungsgegenstand betrifft die Ausgestaltung des Beratungsgebots. Erforderlich ist, dass sich eine hinreichende Anzahl an Stellen finden wird, die sowohl sachlich als auch personell in der Lage sind, die anspruchsvollen Beratungsleistungen zu erbringen.[160] In der Schwangerenkonfliktberatung werden Beratungsstellen sowohl von öffentlichen als auch von freien Trägern unterhalten, darüber hinaus in manchen Kommunen von örtlichen Gesundheitsämtern sowie verschiedenen Ärzten (vgl. § 8 SchKG). Jedenfalls sollte auch in der Suizidberatung ein ausreichendes plurales und wohnortnahes Angebot gewährleistet sein.

Drittens sollte i.S.e. weitergehenden Vorfeldprävention der Markt der Sterbehilfeorganisationen reguliert werden. Einer unkontrollierten Ausbreitung steht der Staat nicht hilflos gegenüber. Er kann und sollte strenge Anforderungen formulieren, die geschäftsmäßig organisierte Sterbehilfevereine zu erfüllen haben (vgl. § 9 SchKG).[161] Vorzugswürdig wäre insgesamt ein dem SchKG (sechs Abschnitte, 36 Einzelvorschriften) entsprechend ausdifferenziertes, klares und sorgfältig ausgearbeitetes Gesetzeswerk. Nicht erforderlich ist indes, ein derartiges „Suizidberatungsgesetz“ zeitgleich mit den im Castellucci-Entwurf vorgesehenen Änderungen des StGB und BtMG auf den Weg zu bringen.

In der Schweiz, einem Staat mit einer die Suizidbeihilfe betreffend liberaler Regelungslage,[162] gibt es bis heute keine bundesrechtlichen Vorgaben, die die Durchführung einer organisierten Sterbehilfe durch eine Vereinigung, den sorgfältigen Umgang mit lebensgefährlichen Wirkstoffen oder die medizinische Überprüfung suizidwilliger Personen einheitlich regeln.[163] Grundlage für die gängige Suizidhilfepraxis ist nach wie vor § 115 schwStGB (der die Strafbarkeit der Beihilfe zur Selbsttötung regelt), eine Entscheidung des Schweizerischen Bundesgerichts aus 2006[164] sowie spezifisches ärztliches Berufs- und Standesrecht. Erfolgten im Anschluss an die Änderungen in StGB und BtMG (gehaltvolle) Anpassungen in der    MBO-Ä und würden diese in den Landesberufsordnungen übernommen, bestünde zusammen mit dem Urteil des BVerfG danach ein jedenfalls vorerst ausreichendes Rechtsregime zur Suizidbeihilfe.

IV. Fazit

Der Castellucci-Entwurf ist grundsätzlich geeignet, die gegenwärtig ungeregelte Suizidbeihilfe in verfassungskonformer Weise auf eine neue gesetzliche Grundlage zu stellen – so die Grundaussage des vorliegenden Beitrags.

Für dieses Ergebnis ist entscheidend, dass die im Entwurf vorgesehenen §§ 217, 217a StGB-E dem Einzelnen in diesem Bereich der Selbstbestimmung faktischen Raum zur Wahrnehmung seiner verfassungsrechtlichen Freiheit belassen. Eben dies hatte das BVerfG bei § 217 StGB a.F. moniert und die Vorschrift deshalb als verfassungswidrig verworfen: Mit den Zielen des Autonomie- und des Lebensschutzes Suizidwilliger und dritter Personen diente das Verbot des § 217 StGB a.F. zwar der Erfüllung einer im Grundgesetz begründeten staatlichen Schutzpflicht und damit einem legitimen Zweck.

Die Strafvorschrift griff jedoch in unangemessener Weise in das Grundrecht auf selbstbestimmtes Sterben aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG ein. Die für die Herleitung des Grundrechts erforderliche positive Bestimmung der Menschenwürdegarantie aus Art. 1 Abs. 1 GG stützte das Gericht dabei auf einer spezifischen Lesart vorgängiger verfassungsrichterlicher Judikate.

Aus dem Urteil des BVerfG aus 2020 ließen sich für die Neugestaltung eines Schutzkonzepts vier Punkte ableiten: Der grundsätzlich weite Einschätzungs- und Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers; die damit einhergehende Befugnis, zum Schutz von Leben und Autonomie gleichwertiger Rechtsgüter als Mittel des Strafrechts, insbesondere abstrakter Gefährdungsdelikte vorzusehen; die prinzipielle Unzulässigkeit, die Entscheidung Suizidwilliger materiellen Kriterien zu unterwerfen sowie damit einhergehend die grundsätzliche Zulässigkeit eines prozeduralen Schutzkonzepts sowie die Pflicht zu suizidpräventiven Maßnahmen. Ein prozedurales Schutzkonzept sollte dabei der Möglichkeit autonomer Personen, ihre Entscheidungen zu jedem Zeitpunkt grundlegend zu revidieren, Rechnung tragen. Für den Castellucci-Entwurf ist das Urteil des BVerfG Ausgangspunkt und Handlungsprogramm gleichermaßen:

Die Neuregelung der Suizidhilfe kann der verfassungsgerichtlichen Pflicht zum Schutz hochrangiger Rechtsgüter nur genügen und damit der gegenwärtig problematischen Regelungslage abhelfen, wenn die verfassungsgerichtlichen Vorgaben gewahrt werden. Für ein ausgewogenes und angemessenes Schutzkonzept knüpft der Entwurf an § 217 StGB a.F. an. § 217 Abs. 1 StGB-E pönalisiert die geschäftsmäßige Suizidhilfe (erneut) grundsätzlich.

Daran anschließend enthält Abs. 2 ein prozedurales Schutzkonzept. Indem diese Autonomie und Leben des Suizidwilligen sowie dritter Personen schützt, zugleich aber dem Grundrecht auf Selbsttötung nicht nur theoretischen Raum belässt, soll insgesamt die Verfassungskonformität des § 217 StGB-E sichergestellt werden. In § 217a StGB-E wird nach dem Vorbild des § 219a StGB ein „Werbeverbot“ zur Förderung der Suizidbeihilfe verankert: Während es die anstößige Absatzförderung unter Strafe stellt, soll die Informierung über Tatsachen weiter möglich sein. Es zeigte sich, dass der Entwurf den dargelegten Vorgaben des BVerfG grundsätzlich gerecht wird. Soweit die verfassungsrechtlichen, insbesondere sich aus dem Grundrecht auf selbstbestimmtes Sterben ergebenen Anforderungen gewahrt bleiben, spricht nichts dagegen, zur Neuregelung der Suizidbeihilfe (auch) an § 217 StGB a.F. anzuknüpfen.

Die in § 217 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 bis 4 StGB-E gesetzlich festgeschriebenen Untersuchungs-, Aufklärungs- und Wartepflichten sind als prozedurale Sicherungsmittel nach der Rechtsprechung des BVerfG grundsätzlich zulässig.

Insbesondere wegen der Irreversibilität des Suizidentschlusses dürfen diese aufwendig ausgestaltet werden; die Mehrstufigkeit des Verfahrens stellt sicher, dass der Suizidwillige hinreichend fachmedizinisch untersucht und im Rahmen einer multidisziplinären und multiprofessionellen Beratung begleitet werden. Auch wird dem Suizidwilligen an verschiedenen Stellen des Verfahrens die Möglichkeit gegeben, seine Autonomie in kritisch-konstruktiver Weise auszuüben.

Die Regelungen in § 217 Abs. 2 S. 1 StGB-E bedürfen allerdings im Hinblick auf das strafrechtlich Gebot der Normenklarheit und -bestimmtheit (Art. 103 Abs. 2 GG) einer Überarbeitung. Ebenfalls sollte die Härtefallklausel in § 217 Abs. 2 S. 2 StGB-E in formaler Hinsicht praktisch handhabbarer, inhaltlich die Konstellationen von Suizidwilligen in der Terminalphase stärker berücksichtigen.

Die Vorschrift zum „Werbeverbot“ für die Hilfe zur Selbsttötung begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. § 217a StGB-E wird – auch im Hinblick auf den verfassungsrechtlich ebenfalls nicht zu beanstandenden § 219a StGB – dem Auftrag des BVerfG zum Schutz insbesondere vulnerabler Personengruppen in überzeugender Weise gerecht.

Schlussendlich ist dem Gesetzgeber anzuraten, den strafrechtlichen Rahmen zur Suizidbeihilfe durch weitergehend rechtsgestaltende Regelungen zu ergänzen, dies insbesondere im Hinblick auf drei wesentliche Punkte: eine Konkretisierung des multiprofessionellen und interdisziplinären Ansatzes bei der Beratung suizidwilliger Personen, die Einrichtung flächendeckender Beratungsangebote sowie die organisationsrechtliche Regelung professioneller Sterbehilfevereinigungen. Eine zeitgleiche Einführung eines „Suizidberatungsgesetzes“ mit Änderungen im StGB und BtMG ist dabei allerdings nicht erforderlich.

 

[1]      Im Folgenden wird wegen der pejorativen Konnotation, die üblicherweise mit dem Selbstmordbegriff verbunden wird, der Begriff „Selbsttötung“ verwendet. Die Begriffe „assistierter Suizid“ und „Suizidbeihilfe“ werden synonym gebraucht.
[2]      Camus, Der Mythos des Sisyphos, 15. Aufl. (2013), S. 15.
[3]      Siehe BT-Plenarprot. 18/134, S. 13101. Siehe ferner die erste Analyse von Hilgendorf auf: https://www.lto.de/recht/hintergruende/h/gesetzgebung-sterbehilfe-tatbestandsmerkmale-analyse/ (zuletzt abgerufen am 3.5.2022).
[4]      Gesetz zur Strafbarkeit der gesetzmäßigen Förderung der Selbsttötung v. 3.12.2015 (BGBl. I, S. 2177), in Kraft getreten am 10.12.2015. 
[5]      RStGB, verkündet am 15.5.1871 (RGBl. 1871 S. 127), in Kraft getreten am 1.1.1872.
[6]      Vgl. BVerfGE 153, 182 (196).
[7]      Der Gesetzgeber macht sich im Moment des Beschlusses die im Entwurf enthaltene Begründung zu eigen, so auch Redeker/Karpenstein, NJW 2001, 2825 (2826); vgl. auch BVerfGE 153, 182 (269); vorsichtiger Spitzlei, JuS 2022, 315 (316).
[8]      Ebenso BVerfGE 153, 182 (269 f.).
[9]      BT-Drs. 18/5373, S. 2, 11, 13, 15, 17.
[10]    BT-Drs. 18/5373, S. 11.
[11]    Siehe BT-Drs. 18/5373, S. 2, 8 f., 16 f., 18 ff.
[12]    Anders etwa Kubiciel, ZIS 2016, 396 (396, 402 f.: Grundgesetzkonformität infolge teleologischer Reduktion des Tatbestands); Augsberg, Stellungnahme zur öffentlichen Anhörung zu dem Antrag der FPD-Fraktion „Rechtssicherheit für schwer und unheilbar Erkrankte in einer extremen Notlage schaffen“ (BT-Drs. 19/4834) am 20.2.2019, Ausschuss-Drs. 19(14)0062(12), S. 9. Die verfassungsrechtliche Gebotenheit eines Verbots geschäftsmäßiger Suizidbeihilfe betonen Hillgruber, ZfL 2013, 70 (78); Lüttig, ZRP 2008, 57.
[13]    Siehe etwa Hillenkamp, KriPoZ 2016, 3 (9); Roxin, NStZ 2016, 185 (188 f.); Hoven, ZIS 2016, 1 (1). Ebenso schon Schreiber, NStZ 2006, 473 (478). Weitere Nachweise bei Brunhöber, in: MüKo-StGB, 4. Aufl. (2021), § 217 Rn. 52.
[14]    So Hillenkamp, KriPoZ 2016, 3 (5); ähnlich Hoven/Weigend, ZIS 2016, 681 (691).
[15]    Saliger, in: NK-StGB, 5. Aufl. (2017), § 217 Rn. 6; Roxin, NStZ 2016, 185 (188 f.).
[16]    Siehe nur Hillenkamp, KriPoZ 2016, 3 (4: „reaktiv-aktionistische[r] und in der Begründung populistische[r] Vorschlag“); Weigend/Hoven, ZIS 2016, 681 (689: „unehrliche“ und „kriminalpolitisch verfehlte“ Regelung).
[17]    BVerfGE 153, 182. Siehe dazu insgesamt die Besprechung bei Siems, KriPoZ 2020, 131.
[18]    BVerfGE 153, 182 (184, 308). Die Voraussetzungen einer bloßen Unvereinbarkeitserklärung mit befristeter Weitergeltung bis zu einer Neuregelung (vgl. dazu BVerfGE 121, 282 (321 f.; 61, 319 [356]) lagen nicht vor.
[19]    Sehr kritisch dazu Bubrowski, DRiZ 2022, 188.
[20]    Vgl. BT-Drs. 18/5373, S. 10, 2 f.
[21]    Dies anerkennend BT-Drs. 20/904, S. 11.
[22]    Vgl. Hillgruber, ZfL 2013, 70 (79).
[23]    Vgl. BVerfGE 153, 182 (308): „Er [der Gesetzgeber, B.P.] hat aus den ihm obliegenden Schutzpflichten für die Autonomie bei der Entscheidung über die Beendigung des eigenen Lebens in verfassungsrechtlich nicht zu beanstandender Weise einen Handlungsauftrag abgeleitet.“ Skeptisch Rostalski, GA 2022, 209 (227), bejahend Brunhöber, in: MüKo-StGB, § 217 Rn. 52.
[24]    BT-Drs. 19/28691. Der Entwurf, der vor allem mit dem Namen der Abgeordneten HellingPlahr verbunden ist, wurde auch vom derzeitigen Bundesgesundheitsminister Lauterbach unterstützt. 
[25]    Siehe dazu auf: https://www.helling-plahr.de/mitteilung/ausschuss-f%C3%BCr-gesundheit-verhindert-neuregelung-der-sterbehilfe-f%C3%BCr-diese-legislaturperiode (zuletzt abgerufen am 3.5.2022).
[26]    Zum Diskontinuitätsgrundsatz siehe Klein, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, 95. EL Juli (2021), Art. 39 Rn. 48.
[27]    Vgl. dazu auf: https://www.focus.de/politik/deutschland/bundestagswahl/analyse-von-ulrich-reitz-ehe-abtreibung-sterbehilfe-warum-uns-ampel-jetzt-die-grosse-freiheit-bringt_id_24335992.html (zuletzt abgerufen am 5.5.2022).
[28]    Siehe den Koalitionsvertrag „Mehr Fortschritt wagen. Bündnis für Freiheit, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit“ zwischen SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP vom 24.11.2021, S. 90, online abrufbar unter: https://www.spd.de/fileadmin/Dokumente/Koalitionsvertrag/Koalitionsvertrag_2021-2025.pdf (zuletzt abgerufen am 5.5.2022).
[29]    BT-Drs. 20/904. Dazu siehe insgesamt Strasser, DRiZ 2022, 165. Zur Fraktionszugehörigkeit der den Entwurf unterstützenden Abgeordneten: 31 Abgeordnete CDU/CSU-Faktion, 20 Abgeordnete SPD-Fraktion, 12 Abgeordnete Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, 20 Abgeordnete FDP-Fraktion, 2 Abgeordnete Fraktion Die Linke. BT-Drs. 20/904 ist ein Entwurf zur Stärkung der Suizidprävention zur Seite gestellt (BT-Drs. 20/1121).
[30]    Vgl. Gaede, ZRP 2022, 73; Rostalski, GA 2022, 209 (217).
[31]    Der „Entwurf eines Gesetzes zum Schutz des Rechts auf selbstbestimmtes Sterben“ für die die Abgeordneten Künast und Keul verantwortlich zeichnen, ist online abrufbar unter: https://www.renate-kuenast.de/images/Gesetzentwurf_Sterbehilfe_Stand_28.01.2021_
final_002.pdf (zuletzt abgerufen am 3.5.2022).
[32]    Der „Entwurf eines Gesetzes zur Neufassung der Strafbarkeit der Hilfe zur Selbsttötung und zur Sicherstellung der freiverantwortlichen Selbsttötungsentscheidung“ des Bundesgesundheitsministeriums ist online abrufbar unter: https://www.bundesgesundheitsministerium.de/fileadmin/Dateien/3_Downloads/Gesetze_und_Verordnungen/GuV/S/Diskussionsentwurf_Suizidhilfe_Gesetz.pdf (zuletzt abgerufen am 3.5.2022).
[33]    Vgl. Bubrowski, DRiZ 2022, 188.
[34]    Anders Rostalski, GA 2022, 209 (209): Die Debatte sei „auf Anfang gestellt“.
[35]    Kritisch zur verfassungsrechtlich zulässigen Grenze als Orientierungsmaßstab Gaede, ZRP 2022, 73 (74).
[36]    Gaede, ZRP 2022, 73 (74).
[37]    Zwei Beschwerdeführer waren zwischenzeitlich verstorben, weswegen sich die Verfassungsbeschwerden erledigt hatten. Die Verfassungsbeschwerde eines schweizerischen Sterbehilfevereins wurde als unzulässig verworfen (BVerfGE 153, 182 [253]).
[38]    BVerfGE 153, 182 (184).
[39]    BVerfGE 65, 1.
[40]    BVerfGE 120, 274.
[41]    Siehe dazu erstmals BGHZ 13, 334; verfassungsgerichtlich (explizit) gebilligt in BVerfGE 34, 269.
[42]    Vgl. Rostalski, GA 2022, 209 (209 f.).
[43]    Der Sinn der Aussage, der Suizid sei als Akt autonomer Selbstbestimmung nicht nur vom Staat, sondern auch von „der Gesellschaft“ zu respektieren, erschließt sich indes nicht: Entscheidungen des BVerfG binden nur die Verfassungsorgane des Bundes und der Länder sowie alle Gerichte und Behörden (vgl. § 31 Abs. 1 BVerfGG). Hat die Aussage lediglich Appellcharakter, fragt sich, weshalb das Gericht, das den ethischen Standard der Verfassung nicht im Bestand bestimmter Prinzipien, sondern in der Offenheit gegenüber dem Pluralismus weltanschaulich-religiöser Anschauungen verortet (BVerfGE 41, 29 [50]), derart Einfluss auf den gesellschaftlichen Diskurs nimmt.
[44]    Vgl. BVerfGE 153, 182 (263, 286).
[45]    Vgl. BVerfGE 153, 182 (267).
[46]    Vgl. BVerfGE 153, 182. Ebenso BVerfGE 32, 98 (106: „oberster Wert“); 138, 296 (339).
[47]    BVerfGE 153, 182 (260).
[48]    So BVerfGE 153, 182 (261 f.).
[49]    Herdegen, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, 95. EL (7/2021), Art. 1 Abs. 1 Rn. 1.
[50]    BVerfGE 153, 182 (261).
[51]    BVerfGE 153, 182 (261 f., 288).
[52]    Vgl. BVerfGE 153, 182 (260). Siehe auch BVerfGE 153, 182 (267): „Dabei reichen die Garantien [des Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG] besonders weit, je mehr sich der Einzelne innerhalb seiner engsten Privatsphäre bewegt, und schwächen sich mit zunehmendem sozialem Kontakt nach außen ab (…).“
[53]    Siehe BVerfGE 153, 182 (236).
[54]    BVerfGE 153, 182 (262).
[55]    BVerfGE 153, 182 (263).
[56]    BVerfGE 153, 182 (262).
[57]    BVerfGE 153, 182 (263).
[58]    BVerfGE 153, 182 (263).
[59]    BVerfGE 153, 182 (263).
[60]    So aber Kant, Metaphysik der Sitten, 17. Aufl. (2014), S. 555: „Das Subjekt der Sittlichkeit in seiner eigenen Person zernichten, ist ebenso viel, als die Sittlichkeit selbst ihrer Existenz nach, so viel an ihm ist, aus der Welt vertilgen, welche doch Zweck an sich selbst ist; mithin über sich als bloßes Mittel zu ihm beliebigen Zweck zu disponieren, heißt die Menschheit in seiner Person (…) abwürdigen, der doch der Mensch (…) zur Erhaltung anvertrauet war.“
[61]    BVerfGE 153, 182 (264).
[62]    BVerfGE 153, 182 (265).
[63]    BVerfGE 153, 182 (268).
[64]    BVerfGE 153, 182 (288). Ebenso BVerfGE 153, 182 (266 [„Ausübung des Grundrechts durch die Norm jedenfalls erheblich erschwert“], 290, 292, 294). Diese Aussage steht in einer gewissen Spannung zur Feststellung des Gerichts im Beschl. v. 21.12.2015 – 2 BvR 2347/15, Rn. 16, wonach die Selbstbestimmung über das eigene Sterben durch § 217 StGB a.F. „nicht vollständig verhindert, sondern lediglich hinsichtlich des als Unterstützer in Betracht kommenden Personenkreises beschränkt wird.“
[65]    Ausführlich BVerfGE 153, 182 (288-296). Ebenso Hoven, ZIS 2016, 1 (3).
[66]    BVerfGE 153, 182 (295).
[67]    BVerfGE 153, 182 (296).
[68]    BVerfGE 153, 182 (288 f.) Anders hingegen BT-Drs. 18/5373, S. 2, 13 f.
[69]    BVerfGE 153, 182 (288).
[70]    Vgl. Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG.
[71]    So auch BoehmeNeßler, NVwZ 2020, 1012 (1012).
[72]    Vgl. dazu BVerfGE 9, 89 (95); 27, 1 (6); 28, 386 (391); 45, 187 (228); 50, 166 (175); 87, 209 (228).
[73]    BVerfGE 153, 182 (261).
[74]    Siehe Herman, The Practice of Moral Jugdement, 1993, S. 228: “[T]he capacity to act for reasons all the way down is defining rational agency. Kant calls it autonomy.”
[75]    Vgl. Schaber, Instrumentalisierung und Würde, 2010, S. 44 f.
[76]    Vgl. BVerfGE 45, 187 (227).
[77]    Vgl. BVerfGE 153, 182 (263 f.).
[78]    Siehe überblickartig Horn, InfPhil 2011, 30; Pollmann, DZPhil 2005, 611.
[79]    Im sog. KPD-Urteil ist der mit Würde ausgestattete Mensch eine mit der Fähigkeit zu eigenverantwortlicher Lebensgestaltung begabte Persönlichkeit (BVerfGE 5, 85 [204]). Wenn das Suizidbeihilfe-Urteil ferner betont, ein legislatives Schutzkonzept habe sich an Vorstellung vom Menschen als einem „geistig-sittlichen Wesen auszurichten, das darauf angelegt ist, sich in Freiheit selbst zu bestimmen und zu entfalten“ (BVerfGE 153, 182 [308]) fehlt der etwa im Urteil zur lebenslangen Freiheitsstrafe enthaltene Hinweis, das Grundgesetz verstehe diese Freiheit „nicht als diejenige eines isolierten und selbstherrlichen, sondern als die eines gemeinschaftsbezogenen und gemeinschaftsgebundenen Individuums“ die im Hinblick auf diese Gemeinschaftsgebundenheit „nicht prinzipiell unbegrenzt“ sei (BVerfGE 45, 187 [227]). Ohnehin gehören viele der vom BVerfG verwandte Begriffe (geistig-sittlich, Autonomie, vernünftig, personale Freiheit, etc.) zum Vokabular einer Denkrichtung, die traditionell im Leben eine Aufgabe sieht, die sich Personen nicht selbst gestellt haben und der sie sich nicht eigenmächtig entziehen dürfen,  so Spaemann, AuK 2006, 80 (82); vgl. auch Kant, Metaphysik der Sitten, 17. Aufl. (2014), S. 555, ferner die Stellungnahme des Kommissariats der deutschen Bischöfe, S. 1 ff., online abrufbar unter: https://www.bundesgesundheitsministerium.de/fileadmin/Dateien/3_Downloads/Gesetze_und_Verordnungen/Stellungnahmen_WP19/Suizidassistenz/Kommissariat_der_Dt._Bischoefe_bf.pdf (zuletzt abgerufen am 10.5.2022).
[80]    Vgl. Gaede, ZRP 2022, 73 (74).
[81]    BVerfGE 153, 182 (288).
[82]    Vgl. BVerfG, Beschl. v. 21.12.2015 – 2 BvR 2347/15, Rn. 18.
[83]    Vgl. BVerfGE 153, 182 (268). Ebenso BVerfGE 96, 56 (64); 121, 317 (356); 133, 59 (76).
[84]    BVerfGE 153, 182 (273).
[85]    So insgesamt BVerfGE 153, 182 (285).
[86]    Vgl. die Ausführungen des Generalbundesanwalts zu § 217 StGB a.F. bei BVerfGE 153, 182 (236 ff.).
[87]    BVerfGE 153, 182 (309).
[88]    Margalit, Politik der Würde, 1997, S. 79 ff.
[89]    Vgl. Habermas, Begriff der Krise, in: ders., Legitimationsprobleme, 1973, S. 9 f.
[90]    Hierzu insgesamt sehr kritisch Hillgruber, ZfL 2015, 86.
[91]    Beispielhaft können Ehepartner an der Aufgabe, die lebenslange personale Gemeinschaft (§ 1353 I BGB) zu verwirklichen, durch schicksalhafte oder auch zu verantwortende Ursachen scheitern. Daher gehört es zum verfassungsrechtlichen Bild der Ehe, dass die Ehegatten unter den vom Gesetz normierten Voraussetzungen geschieden werden können und damit ihre „Eheschließungsfreiheit wiedererlangen“, BVerfG, NJW 1980, 689 (689).
[92]    Vgl. auch Siems, KriPoZ 2020, 131 (134).
[93]    Margalit, Politik der Würde, S. 79. 
[94]    Vgl. auch insgesamt BT-Drs. 20/1121.
[95]    Siehe die Stellungnahme Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin zu einer möglichen Neuregulierung der Suizidassistenz und Stärkung der Suizidprävention, S. 1, online abrufbar unter: https://www.bundesgesundheitsministerium.de/fileadmin/Dateien/
3_Downloads/Gesetze_und_Verordnungen/Stellungnahmen_WP19/Suizidassistenz/Deutsche_Gesellschaft_fuer_Palliativmedizin_e.V._bf.pdf (zuletzt abgerufen am 10.5.2022).
[96]    So überspitzt Spaemann, AuK 2006, 80 (82). Vgl. auch Schliemann, ZRP 2006, 193 (194); Strasser, DRiZ 2022, 165.
[97]    BVerfGE 153, 182 (279) weist darauf hin, dass im US-Bundesstaat Oregon bereits ein Wirtschaftlichkeitsgebot greift, wonach bei terminalen Erkrankungen die Kostenübernahme für bestimmte medizinische Therapien ausgeschlossen, die Kostenübernahme für einen assistierten Suizid hingegen vorgesehen ist.
[98]    BVerfGE 153, 182 (286 f.).
[99]    BVerfGE 153, 182 (271 f.).
[100]   BVerfGE 153, 182 (272).
[101]   Dezidiert BVerfGE  153, 182 (271).
[102]   BT-Drs. 20/904, S. 9.
[103]   BT-Drs. 20/904, S. 11.
[104]   BT-Drs. 20/904, S. 2.
[105]   Vgl. Strasser, DRiZ 2022, 165.
[106]   BT-Drs. 20/904, S. 2.
[107]   BT-Drs. 20/904, S. 11.
[108]   BT-Drs. 20/904, S. 2.
[109]   Siehe dazu im Folgenden insgesamt BT-Drs. 20/904, S. 13-17. In der Begründung zu § 217 Abs. 1 StGB-E werden lediglich wesentliche Passagen des Suizidhilfe-Urteils paraphrasiert.
[110]   BT-Drs. 20/904, S. 13. Dass der Unrechtsgehalt der Handlung entfällt, ist konsequent, da Förderungshandlungen nach BVerfGE 153, 182 (271) nicht „missbilligt“ werden dürfen, sofern sie nicht gegen staatliche Schutzmechanismen verstoßen (=die Autonomie des Suizidwilligen wahren).
[111]   BT-Drs. 20/904, S. 14.
[112]   Anders der Entwurf nach HellingPlahr (BT-Drs. 19/28691, S. 5), der keine Beschränkung auf Volljährige vorsieht. Grundsätzlich hat jeder, der aus autonom gebildetem, freiem Willen sein Leben beenden möchte, hat das Recht, hierzu Hilfe in Anspruch zu nehmen (vgl. §§ 1 Abs. 1; 3 Abs. 1 S. 2 SHG-E). Uneinheitlich dagegen der Entwurf nach KünastKeul (S. 3, 6), wonach gem. § 2 Abs. 1 SelbstG-E unter „Sterbewilligen“ i.S.d. Gesetzes nur volljährige Personen verstanden werden, nach § 7 Abs. 1 S. 2 SelbstG-E Minderjährige hiervon abweichend gleichwohl wirksame Erklärungen abgegeben können sollen. Der Entwurf des BMG sieht in seinem § 217 Abs. 2 Nr. 1 lit. a StGB-E neben der Volljährigkeit auch die Möglichkeit der Genehmigung durch das Familiengericht vor.
[113]   BT-Drs. 20/904, S. 13.
[114]   BT-Drs. 20/904, S. 14.
[115]   Vgl. BVerfGE 153, 182 (274).
[116]   BT-Drs. 20/904, S. 16.
[117]   BT-Drs. 20/904, S. 16.
[118]   BT-Drs. 20/904, S. 16.
[119]   Ebenso § 217a StGB-E im Entwurf des BMG (Fn. 32), S. 19 f.
[120]   Dazu siehe Pietsch, KriPoZ 2022, 74 (77 f.) m.w.N.
[121]   BT-Drs. 20/904, S. 6, 10, 17.
[122]   Vgl. Strasser, DRiZ 2022, 165.
[123]   Gut ein Drittel der 85 Abgeordneten (vgl. Fn. 28) waren bereits an der Erstellung von BT-Drs. 18/5373 beteiligt. Vgl. dazu auch Bubrowski, DRiZ 2022, 188.
[124]   So Rostalski, GA 2022, 209 (218).
[125]   So auch Strasser, DRiZ 2022, 165.
[126]   BVerfGE 153, 182 (309); vgl. dazu auch Strasser, DRiZ 2022, 165.
[127]   BVerfGE 153, 182 (309). Kritisch Gaede ZRP 2022, 73 (74), der aber gleichwohl den Regelungsvorschlag des § 217 Abs. 1 StGB-E als „einstweilen als Option in Betracht“ zieht.
[128]   Gaede, ZRP 2022, 73 (74).
[129]   Zum „inneren Gesetzgebungsverfahrens“ siehe Karpen, JuS 2016, 577 (579 f.); Meßerschmidt, ZJS 2008, 224 (225 f.). Die hohe Qualität des Verfahrens wurde nicht zuletzt an vier konkurrierenden Gesetzesentwürfen, der gehaltvollen Gesetzesbegründung sowie der Aufhebung des sog. Fraktionszwangs deutlich, siehe: https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/sterbehilfe-529962 (zuletzt abgerufen am 12.5.2022).
[130]  Entwurf des BMG (Fn. 32), S. 16 f.
[131]   Vgl. Rostalski, GA 2022, 209 (218, 220, 223).
[132]   Vgl. Rousseau, Vom Gesellschaftsvertrag, 2011, S. 23.
[133]   So dezidiert auch Gaede, ZRP 2022, 73 (74 f.).
[134]   BT-Drs. 19/28691, S. 16 f.
[135]   Vgl. auch Rostalski, GA 2022, 209 (210 f.).
[136]   So der Entwurf Künast/Keul (Fn. 31), S. 13.
[137]   BT-Drs. 20/904, S. 16.
[138]   Vgl. Strasser, DRiZ 2022, 165. Hierzu scheinen im Übrigen auch die Fristenregelungen in § 217 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 StGB-E angemessen. Zum Vergleich: Der Entwurf HellingPlahr (Fn. 31) sieht in § 6 Abs. 4 SHG-E als Voraussetzung zur Verschreibung von zur Selbsttötung geeigneten Arzneimitteln die Wahrung einer Frist von zehn Tagen nach der Beratung vor; umgekehrt hat der verschreibende Arzt sich durch Vorlage der Beratungsbescheinigung nachweisen zu lassen, dass sich die suizidwillige Person höchstens 8 Wochen zuvor in einer Beratungsstelle hat beraten lassen (§ 6 Abs. 3 SHG-E). Der Entwurf Künast/Keul (Fn. 31) sieht vor, dass Sterbewillige innerhalb eines Zeitraums von mindestens einem Jahr sich mindesten zwei Mal beraten lassen (§ 4 Abs. 3 S. 1 SelbstG-E). Die daraufhin erstellte Bescheinigung verliert ihre Gültigkeit ein Jahr nach der Ausstellung.
[139]   Vgl. den Entwurf Künast/Keul (Fn. 31), S. 12 f.
[140]   Vgl. oben den Nachweis unter Fn. 56.
[141]   Vgl. Bubrowski, DRiZ 2022, 188.
[142]   Programmatisch BT-Drs. 20/904, S. 2: „Im Übrigen soll einer gesellschaftlichen Normalisierung der Selbsttötung entgegengewirkt werden.“
[143]   Vgl. dazu Rengier, Strafrecht BT II, 21. Aufl. (2020), § 6 Rn. 3.
[144]   Einen nur graduellen Unterschied bejahen Rostalski, GA 2022, 209 (228); Schreiber, NStZ 2006, 473 (474).
[145]   Siehe dazu ausführlich Schneider, in: MüKo-StGB, 4. Aufl. (2021) § 216 Rn. 2. Krit. zu einer Rechtfertigungsmöglichkeit schon Hoven, ZIS 2016, 1 (3). Dagegen Lorenz, JZ 2009 57 (64 ff.).
[146]   So zu Recht Hoven, ZIS 2016, 1 (3). Ebenso Rostalski, GA 2022, 209 (228).
[147]   So auch Gaede, ZRP 2022, 73 (75). Für § 219a StGB Pietsch, KriPoZ 2022, 74 (79 f.).
[148]   BVerfGE 153, 182 (281).
[149]   Ebenso Gaede, ZRP 2022, 73 (74).
[150]   Ebenso Rostalski, GA 2022, 209 (219).
[151]   Vgl. den Entwurf nach HellingPlahr, BT-Drs. 19/28691, S. 1 f., 10.
[152]   BVerfGE 153, 182 (263).
[153]   BT-Drs. 20/904, S. 14.
[154]   BT-Drs. 20/904, S. 14.
[155]   BT-Drs. 20/904, S. 14 f.
[156]   BT-Drs. 20/904, S. 14.
[157]   Vgl. Rostalski, GA 2022, 209 (220).
[158]   Von den anderen in der Diskussion befindlichen Entwürfen (siehe oben Fn. 31 und 32) sticht der „Diskussionsentwurf“ des BMG zu einem „Selbsttötungshilfegesetz“ (StHG) heraus. Es finden sich – auf die im Entwurf ebenfalls vorgeschlagenen strafrechtlichen Vorschriften abgestimmte – Regelungen zur Feststellung der Freiverantwortlichkeit, zu Beratung und deren Inhalt, zu Wertefristen und Informationsmaterial, die aber insgesamt noch zu lückenhaft oder rein deklaratorisch ausfällt (vgl. etwa § 5 Abs. 1 StHG). Auch die Regelung von Sterbehilfeorganisationen fällt dürftig aus; verlangt wird lediglich, dass diese als gemeinnützig im Sinne des § 52 AO anerkannt worden sind (§ 13 StHG).
[159]   So tendenziell Gaede, ZRP 2022, 73 (74).
[160]   Vgl. Gaede, ZRP 2022, 73 (74). Dies kann eine angemessene öffentliche Förderung der Personal- und Sachkosten voraussetzen, vgl. § 4 Abs. 3 SchKG.
[161]   Ebenso Gaede, ZRP 2022, 73 (74).
[162]   Vgl. BVerfGE 135, 182 (200 f.).
[163]   Vgl. dazu auch Wissenschaftliche Dienste Deutscher Bundestag, Dokumentation – Organisierte Sterbehilfe und ärztlich assistierter Suizid in der Schweiz, den Niederlanden und in Belgien, WD 9 – 3000 – 017/20 (2020), S. 5 ff., online abrufbar unter: https://www.bundestag.de/resource/blob/691830/0e3ec70fa880c590513aa9ac5e5d7d3f/WD-9-017-20-pdf-data.pdf (zuletzt abgerufen am 12.5.2022).
[164]   BGE 133 I 58, bestätigt durch EGMR, Urt. v. 20.1.2011 (Nr. 31322/07).

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