Helge A. Wiechmann: Nonverbale Verhaltensweisen im Strafprozess

von Anke Arkenau 

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2022, Duncker & Humblot, ISBN: 978-3-428-18439-2, S. 306, Euro 89,90.

Unmittelbar vom Titel der Dissertation angesprochen widme ich mich als Rezensentin dem vorliegenden Werk, das in seiner Intention, sich dem „für den Strafprozess stets aktuellen Phänomen, welches bisweilen weder in der Judikatur noch Schrifttum hinreichende Beachtung erfahren hat, respektive im Schatten der Polygraphen-Diskussion verborgen blieb“ (S. 5) zu widmen, insbesondere auch aus Praxisperspektive überaus reizvoll klingt. Im Kontext des Anliegens des Autors, „die Frage nach der Verwertbarkeit jener ‚unwillkürlichen Reaktionen‘ im Gerichtssaal aus einem interdisziplinären Ansatz heraus näher zu beleuchten“ (S. 5), mit dem Ziel, „praxistaugliche Lösungen anzubieten“ (S. 5), wirkt man eingeladen, sich direkt der Schlussbemerkung zu widmen, würde sich im Falle dessen jedoch dem Genuss der Herleitung berauben, was sich jede*r Einzelne im Falle der Zuwiderhandlung selbst vorzuwerfen hätte.

Im ersten Kapitel „Nonverbale Verhaltensweisen“ nähert sich der Autor kommunikationswissenschaftlich bzw. verhaltens- und/oder ausdruckspsychologisch über Begriffsbestimmungen und die Darstellung der Bedeutung nonverbaler Verhaltensweisen im Kommunikationsprozess an (S. 23-37). Im zweiten Kapitel werden die untersuchungsspezifischen nonverbalen Verhaltensweisen vor dem Hintergrund formaler Anforderungen an die Beweiserhebung beleuchtet (S. 38-106). Dem potentiell schwergewichtigen Hemmschuh etwaiger einschlägiger Erhebungs- und Verwertbarkeitsschranken widmet Wiechmann sein drittes Kapitel (S. 107-224), um anschließend im vierten Kapitel nonverbale Verhaltensweisen im Kontext der freien Beweiswürdigung zu fokussieren (S. 225-282). Die Befassungen münden in einer sehr prägnanten Zusammenfassung (S. 283-284), die mit einem „Plädoyer und [einer] Mahnung“ (S. 284) abschließt.

„Man lügt wohl mit dem Munde, aber mit dem Maule, das man dabei macht, sagt man doch die Wahrheit.“ (Friedrich Nietzsche)

Mit diesem Zitat und neben anderem auch der Feststellung, dass „[…] realiter freilich weder ein gedankenlesendes Medium [unter zuvor ergangenem Hinweis auf die TV-Serie „The Mentalist“] noch die Nase des Pinocchio, welche einen Lügner zuverlässig zu entlarven geeignet wären [existieren]“ (S. 19), lädt Wiechmann thematisch sensibilisierend in seiner einleitenden Vorrede in sein
Werk ein, das Ziel des Strafverfahrens, „die prozessordnungsgemäße, Rechtsfrieden bewirkende, materiell richtige Entscheidung über die Strafbarkeit des Beschuldigten“ (S. 19) vorangestellt. Reflektierend auf Rechtsprechung des BGH, welche im Kontext der „Mitwirkung eines blinden Richters in einem als Tatgericht erkennenden Kollegialgericht“ (BGHSt 5, 354 [354]) ergangen ist und schon für sich stehend einen Einblick wert ist, wird konstatiert, dass „auch nonverbale Reaktionen in die tatgerichtliche Überzeugungsbildung ‚hineinwirken‘ und damit den Schuld- und Rechtsfolgenausspruch beeinflussen“ (S. 20). Dem entgegen habe das als „weit alltäglichere[s] Phänomen der (oft willkürlichen) Preisgabe (schon sensuell wahrnehmbarer) nonverbaler Reaktionen“ (S. 20) vor dem Hintergrund spezifischer (Rechts-)Problematiken – namentlich der ‚Selbstbelastungsfreiheit‘, des ‚uneindeutigen Beweiswertes‘, der ‚Justizförmigkeit‘, des ‚Täuschungsverbotes‘ und des ‚fairen Verfahrens‘ – in Judikatur und Schrifttum „interessanterweise kaum „angemessene Beachtung gefunden“ (S. 19/20). Dahingestellt kann bleiben, ob der Grund dafür darin zu sehen ist, ob die Judikatur keine Rechtsproblematiken erkennt oder das Schrifttum ein Schattendasein genügen lässt… Wiechmann räumt dem Thema in seiner Arbeit mit dem Fokus auf die Verwertbarkeit verschiedener denkbarer Facetten des Nonverbalen im Strafprozess und im Falle dessen praxisbezogen mit dem Ziel der Vermeidung von Fehldeutungen (vgl. S. 22) den Raum ein, den es offensichtlich verdient.

Unter prägnanter historischer Anleihe nimmt Wiechmann im ersten Kapitel die Leserschaft über eine angemessen kurz ausgefallene Begriffsbestimmung nonverbalen Verhaltens bis hin zu einer Mikroebene nebst „kursorische[r] Betrachtung von Funktion und (materieller) Bedeutung nonverbaler Verhaltensweisen“ (S. 23) mit (S. 23 ff.). Mit dem vom Autor entworfenen Begriffsverständnis, dass es sich bei nonverbalen Verhaltensweisen um „jegliches nicht wörtliches, daher nicht (unmittelbar) niederschriftsfähiges, menschliches (vokales wie auch nonvokales) Verhalten: Wie etwa ‚Erröten‘, ‚Blinzeln‘, ‚mimische Veränderungen‘, ‚Änderungen der Stimmhöhe‘, ‚gestische Ruhe‘ oder ‚beleidigende Gesten‘ sowie auch ‚Mikroexpressionen‘“ (S. 26) handelt, leitet Wiechmann in den Diskurs über Funktion und den materiellen Bedeutungsgehalt derselben im Kommunikationsprozess unter Rückgriff auf einschlägige Forschungsergebnisse, insbesondere auch aussagepsychologischer Ansätze, über (S. 26 ff.). Wiechmann lässt bereits einleitend anklingen, „dass die konkrete Bedeutung des ‚Nonverbalen‘ häufig weniger evident sein wird, als dies bei ‚klassisch‘-verbaler Kommunikation der Fall ist“ (S. 30). Zudem „[erhöhe] [e]ine ‚strukturelle Mehrdeutigkeit‘ einerseits sowie mögliche  kulturelle  Disparitäten  andererseits […] das Risiko von Fehldeutungen erheblich“ (S. 30). Diese allgemeinen Feststellungen werden sodann kritisch in den Kontext zur Mimik (S. 31 ff.), zum Blickverhalten (S. 33 f.), zur Gestik (S. 34 f.), zur Körperhaltung, Körperorientierung und zum Distanzverhalten (S. 35 f.) sowie zu nonverbalen vokalen Signalen (S. 36) gesetzt. Die Ausführungen des ersten Kapitels sind bei aller Bekanntheit von denkbaren Verzerrungsfaktoren dennoch das erfolgreiche Vorhaben, eine vermeintliche Inkohärenz abschnittsweise in eine offensichtliche, nachvollziehbare und materiell herausfordernde, aber tatsächliche Kohärenz zu überführen.

Mit prägnanten Beispielen (auszugsweise „ein ‚wild gestikulierender‘ Angeklagter“, „das ‚sichtliche Erröten‘“, das ‚Stottern“ oder auch dem ‚vorwurfsvollen Blick‘ [S. 38]), die jede*r Leser*in mit konkreten Bildern belegen können dürfte, leitet Wiechmann in sein zweites Kapitel geschickt in die grundlegende Frage der Beweisbedürftigkeit – Bedarf es einer förmlichen Beweiserhebung? – sowie die Frage nach der „Zuweisung zu den Instituten förmlicher Beweiserhebung“ (S. 38), respektive der Zuordnung zum Personal- oder Sachbeweis, ein (S. 38 ff.). Dass die spezifische Frage der strafprozessualen Zulässigkeit einschlägiger Konstellationen an anderer Stelle zu klären ist, wird von Wiechmann ausdrücklich festgestellt (S. 51). Hinsichtlich der Beweisbedürftigkeit kommt der Autor unter Betrachtung realitätsnaher Fallkonstellation nach einem angemessen umfassenden Diskurs (S. 39-52) zu der Auffassung, dass nonverbale Verhaltensweisen in der Hauptverhandlung ob der Unaufgesuchtheit „nur einschränkt tauglicher Gegenstand förmlicher Beweiserhebung sind“ (S. 52), als Bestandteil einer bereits durchgeführten Beweiserhebung verbiete sich sogar eine ‚erneute Erhebung‘. Experiment-Konstellationen seien treffsicher und eindeutig in jener zu verorten. „[Z]ufällig auftretende nonverbale Reaktionen“ im Zuschauerraum außerhalb von Experiment-Konstellationen seien final „kein tauglicher Gegenstand förmlicher Beweiserhebung“ (S. 52).

Wenngleich die Ausführungen um die Zuordnung zum Institut des Personal- oder Sachbeweises im Umfang ob der differenziert zu betrachtenden zuordnungsrelevanten Aspekte länger ausfällt (S. 53-106), ist selbige im Ergebnis nicht weniger eindeutig (S. 104-106). Vor dem Hintergrund, dass „Experiment-Konstellationen, zur Provokation nonverbaler Reaktionen, stets in Gestalt förmlicher Beweiserhebung stattzufinden haben“ (S. 53), sei die Frage der Zuordnung zu einem förmlichen Beweisinstitut „keineswegs entschieden“ (S. 53). Soweit es dem Gericht zustehe, „jede Beweiserhebung durchzuführen, welche es für die Sachaufklärung für geboten erachtet“ (S. 54), was Experiment-Konstellationen einschließe, müsse „[i]ndes […] ein jeder förmliche […] Beweiserhebungsakt des Tatgerichts einem von der Strafprozessordnung vorgesehenen Beweisinstitut zuweisungsfähig sein, also in den Katalog der fünf förmlichen Beweisinstitute eingeordnet werden können“ (S. 54 f.). Die Erfindung neuer Beweisinstitute sei ausgeschlossen, der Diskurs um die Einordnung entsprechender Experiment-Konstellationen schließe sich ob des „rechtliche[n] Gebot[s] der Harmonie zwischen dem materiell-rechtlich zugewiesenen Beweisinstitut[s] einerseits und dem seitens des Gerichts formal zu verwendenden Beweisinstituts andererseits“ (S. 55) sowie „für die Annahme etwaiger Erhebungs- und Verwertbarkeitsschranken – etwas § 136a StPO […]“ (S. 56) folgerichtig an (S. 55 f.).

So findet zunächst das Institut des Zeugenbeweises die Betrachtung durch Wiechmann (S. 57-83). Soweit eine grammatische Auslegung eher auf Mündlichkeit bzw. eine verbale Redeeinheit hindeute (S. 59), seien im Kontext einer systematischen Auslegung auch Aspekte, so auch die persönliche Anwesenheit des Zeugen sowie Informationen, die – so im Sinne der Normierung der Vernehmung in Bild und Ton – über die Mündlichkeit im Wortsinn hinausgingen, zu konstatieren (S. 60/61). Auch bei historisch-genetischer Auslegung kam Wiechmann zunächst zu einer konträren Entwicklung, im Ergebnis aber dennoch zu der Annahme, dass auch danach „nonverbale Reaktionen im Rahmen des Zeugenbeweises ‚weiterhin‘ von Bedeutung sein können“ (S. 65). Auch objektiv-teleologisch sei Nonverbales, soweit „der Zweck des Zeugenbeweises auf ‚maximalen Informationsgewinn‘ [zur Ermittlung der materiellen Wahrheit] ausgerichtet ist“ (S. 66), einschlägig auszulegen (S. 65 ff.).

Bis dato sei jedoch „noch nicht geklärt, ‚wann‘ eine Experiment-Konstellation – gerichtet auf die Wahrnehmung (‚erhoffter‘) nonverbaler Reaktionen – materiell-rechtlich dem Institut des Zeugenbeweises zugewiesen ist“ (S. 67), namentlich wann eine ‚Aussagequalität‘ (S. 67) aufgewiesen werde. Dazu stellt Wiechmann zunächst begründet fest, dass „[d]as bloße Faktum der Nonverbalität einer Äußerung […] die Einordnung jener als Aussage nicht zu konterkarieren [vermag]“ (S. 68), wenngleich die Herleitung über das Beispiel der Gebärdensprache mit dem Substitut der Übersetzung des Gedankeninhalts in Nonverbales über einen Sprachmittler nicht zwingend einschlägig erscheint.

Nach einer vielschichtigen Diskussion um eine potenzielle Einstufung von Nonverbalem als Aussage (S. 68-82) gelangt Wiechmann zu der überzeugenden Auffassung, dass „[der] Primärzweck in das Zentrum der […] Abgrenzungsentscheidung zu stellen“ (S. 77) sei, welcher den „Erhalt des Wissens des Zeugen vom Verfahrensgegenstand“ (S. 77) umfasse. Soweit nach Abwägung „der in Rede stehende Beweiserhebungsakt […] auf den Zugriff des Wissens einer Person [mit Ausnahme des Angeklagten] gerichtet [ist], so [ist] – entsprechend [der] Lehre vom Zugriffsgegenstand – diese ‚Erhebung‘ dem Institut des Zeugenbeweises [zugewiesen]“ (S. 79). Aufgrund vielfältiger Deutungsmöglichkeiten solch Nonverbalem sei zwingend zu entscheiden, ob „auf ‚Wissen‘ oder ‚etwas anderes‘ [beispielsweise einen pathologischen Zustand] zugegriffen wird“ (S. 80/81), um im Ergebnis festzustellen, dass „[e]ine ‚derartige‘ Experiment-Konstellation […] also in Gestalt des Instituts des Zeugenbeweises erfolgen [müsste]“ (S. 81). Dabei sei sowohl Wissen im unmittelbaren Sinne, als auch Wissen im mittelbaren Sinne, beispielsweise spontanes Erröten als Form von Lügensymptomen, einschlägig, um trotz Nonverbalität als Aussage im Rechtssinne qualifiziert zu werden (S. 82).

Die Gültigkeit dieser Erkenntnisse überträgt Wiechmann in gebotener Kürze sogleich auf das Institut der Angeklagtenvernehmung, um diese folgerichtig in der förmlichen Angeklagtenvernehmung in der Hauptverhandlung zu verorten (S. 83/84).

Denkbare Schwierigkeiten aufgrund von „Wahrnehmungs- und Deutungsprobleme[n]“ (S. 84) anerkennend, widmet sich der Autor im Anschluss (S. 85-91) der Frage, „‚bei welchen‘ Beweiserhebungsakten (Experiment-Konstellationen) eine Zuweisung zum Institut des Sachverständigenbeweises in Betracht kommt“ (S. 85). Soweit der Regelungsgehalt in weiten Teilen im Sinne einer geforderten Sachkunde als einschlägig auszulegen sei (S. 85-87), unternimmt Wiechmann die Betrachtung verschiedener Fallkonstellationen, um abschließend zumindest für entscheidungsrelevante pathologische Zustände, die sich einschlägig nonverbal äußern, die Zuweisung zum Sachverständigenbeweis zu bejahen (S. 89-91).

Um die Ausgangsfrage umfassend beantworten zu können, widmet sich der Verfasser im Folgekapitel (S. 91-104) in gleichgelagerter Manier der Frage, „in welchen Fällen eine Experiment-Konstellation, gerichtet auf Provokation und Wahrnehmung nonverbaler Reaktionen, Gegenstand des Sachbeweises ist“ (S. 91). 

Den umfassenderen Diskurs führt Wiechmann im Hinblick auf die Einschlägigkeit des Instituts des Augenscheinsbeweises (S. 91-104). Obgleich „die Strafprozessordnung einer gesetzlichen Definition dessen schuldig bleibt“ (S. 91/92), „wäre die optisch-visuelle oder auch auditive Wahrnehmung nonverbaler Reaktionen in der Hauptverhandlung – wie etwa die des ‚spontanen Errötens‘ – [nach tradiertem Verständnis] per definitionem bereits per se als Augenscheinseinnahme zu begreifen“ (S. 92). Die obige Zuweisung über den Wissenszugriff würde diesen Ansatz jedoch konterkarieren, so dass auch hier zunächst die auslegungsspezifische Annäherung der einschlägigen Rechtsnormen erfolgt, aus der sich weitestgehend Zuweisungsansätze ergeben (S. 92 ff.). Die materiell-rechtliche Zuweisung sei auch an dieser Stelle keinen allgemeingültigen Zuweisungsmodalitäten zum Personal- oder Sachbeweis zugänglich, es müsse am Einzelfall entschieden werden (S. 96). Im Rahmen einer umfassenden kritisch-diskursiven Auseinandersetzung und argumentativen Abwägung mündet Wiechmann unter Rückgriff auf die Lehre vom Zugriffsgegenstand in der Auffassung, dass eine nonverbale Reaktion „dann dem Institut des Augenscheinsbeweises zugewiesen [ist], ‚sobald‘ sich mit jenem ein Zustandszugriff [nicht Wissenszugriff] realisiert“ (S. 103), wie es sich in dargelegten Beispielen darstelle. Der erforderlichen ex ante-Bestimmbarkeit würden Experiment-Konstellationen zweifelhaft gerecht (S. 103). Soweit der Zustandsbegriff im Fokus der Beweiserhebung stehe, habe „das Tatgericht den Beweiserhebungsakt einer Experiment-Konstellation […] sodann in Gestalt des Instituts des Augenscheinsbeweises zu vollziehen“ (S. 104). Das kapitelbezogene Resümee (S. 104-106) des Autors fällt entsprechend treffsicher unter Anleihe an dem Diskurs um den Wissenszugriff versus den Zustandszugriff aus.

Im Hinblick auf das gefühlte Kernstück der Arbeit, der Betrachtung etwaiger Erhebungs- und Verwertungsschranken (S. 107-224) stellt Wiechmannzu Beginn erneut die „[bislang fehlende] Präzision noch einen finalen Meinungsstand“ (S. 107) fest, wenngleich der BGH „die grundsätzliche Verwertbarkeit jener […] en passant konstatiert hat“ (S. 107), um sich im Folgenden einem multiperspektivischen Prüfungsmaßstab – je nach zu befassendem Aspekt – mehr oder weniger intensiv zu widmen.

Wenngleich das Schrifttum auch gegenteilige Auffassungen hervorbringe, spricht der Verfasser sich gegen das Fehlen der quasi übergeordneten Justizförmigkeit einschlägiger Experiment-Konstellationen aus (S. 108-111), um auf dieser Grundlage in die Prüfung „eines Verstoßes gegen spezifische Vorschriften oder ungeschriebene Prinzipien des Strafprozess- oder Verfassungsrechts“ überzuleiten (S. 111 ff.).

Ein primäres Augenmerk der potenziellen Zulässigkeit der Erhebung und Verwertung nonverbaler Verhaltensweisen gilt der Vorschrift des § 136a StPO (S. 111-139) – namentlich und eingängig der „Vorschrift der Würde“ (S. 111). Unter Rückgriff auf die vorherigen Ergebnisse verbiete der § 136a StPO lediglich „den Einsatz der katalogisierten Mittel nur zur Erreichung von Aussagen, nicht aber von Sachbeweisen“ (S. 113), so dass folglich eine Nichtverwertbarkeit nur zu begründen sein könnte, „wenn die jeweilige Beweiserhebung dem Institut der Angeklagtenvernehmung beziehungsweise jenem der Zeugenvernehmung zuzuweisen ist“ (S. 113), wobei für die Einschlägigkeit zudem ein Wissenszugriff zu fordern sei (S. 113). Nonverbale Verhaltensweisen, die zufällig, damit nicht provoziert auftreten, würden in Ermangelung des ‚bewussten Einsatz[es]‘ (S. 114) indes nicht unter § 136a StPO zu subsumieren sein.

Eine Experiment-Konstellation als Fundament für eine etwaige Einschlägigkeit vorausgesetzt, sei dieses Vorgehen am Katalog gem. § 136a Abs. 1 StPO zu bemessen (S. 114). Ausgehend von einem zu fordernden restriktiven Begriffsverständnis einer Täuschung (S. 113 f.) sei lediglich in Fällen von Experiment-Konstellationen, in denen „die Beweiserhebung – ihrem Schwerpunkte (der Vorwerfbarkeit) nach – der Beobachtung nonverbaler Verhaltensweisen dient“ (S. 114), der ‚bewusste[n] Einsatz‘ (S. 114) indiziert.

Daran anknüpfend erfolgt die Betrachtung der teils übergeordneten Katalogkategorien körperlicher Eingriff (S. 115), Täuschung (S. 115-127) sowie Zwang (S. 127-137), wobei Erstgenannte Konstellation in Ermangelung einer zu fordernden Invasivität in realitätsnah denkbaren Konstellationen sogleich wieder ausgeschlossen wurde (S. 115).

Der Katalogwert der Täuschung findet eine passend umfangreiche Betrachtung (S. 115-127). Ausgehend von einem restriktiven Täuschungsverständnis (S. 115/116) könne nicht „jeder Irrtum des Betroffenen über jene Absichten gleichsam generell die Unzulässigkeit der jeweiligen Ermittlungsmaßnahme nach § 136a StPO nach sich [ziehen]“ (S. 117). Die zulässigen Grenzen der kriminalistischen List seien – mit Ausnahme des „Hinzutretens weiterer rechtlich missbilligter Mittel“ (S. 120) – dem Grunde nach nicht überschritten (S. 117-120). Wenngleich sich Einzelaspekte einer potenziellen Täuschung begründen ließen (S. 120-125), fehle es final „an einer irrtumsbedingten Preisgabeentscheidung“ (S. 126) und folglich an der zu fordernden Selbstschädigung (S. 125-127).

Sodann leitet Wiechmann in die sich aufgrund des Ausgeliefertseins bei einer in Rede stehenden Experiment-Konstellation logisch anschließende Zwangsprüfung über (S. 127 ff.). Den situationsbedingten Offenbarungs- bzw. Aussagezwang für den Angeklagten oder Zeugen bejahend (S. 127/128), gelangt der Verfasser nach Negativabgrenzung nicht einschlägiger Normen zu der Überzeugung, dass solche Experiment-Konstellationen als ‚Vernehmung‘ (S. 132) gelten, so dass folglich und im ersten Schritt die einschlägigen Vorschriften der StPO als taugliche Rechtsgrundlagen heranzuziehen seien (S. 132/133), wenngleich nicht jeder Zwang darüber legitimiert sei (S. 134). Soweit eine Vernehmung dem Wortsinn nach „ein kommunikatives Element“ (S. 134) beinhalte und „sich die Übermittlung von Gedankeninhalten im Wege einer menschlichen Vis à vis-Kommunikation ereignet“ (S. 134), sei die (Vernehmungs-)Grenze dort zu verorten, „wo die Experiment-Konstellation von einer ‚Vernehmung‘ zu einem ‚technischen Experiment‘ mutiert“ (S. 134). Wiechmann resümiert, dass die fraglichen Konstellationen im Rahmen der Vorschriften zur Vernehmung soweit erlaubt seien, „als mit jenen die Beobachtung oder andersartige Wahrnehmung ‚allgemein üblicher‘ – ‚offen hervortretender‘ – nonverbaler Verhaltensweisen intendiert [sei]“ (S. 135), um im Anschluss daran sogleich namentlich technische Experimente (z. B. den Polygraphen), die Videovernehmung zum Zwecke der „‚Sichtbarmachung‘ von provozierten Mikroexpressionen“ (S. 136) negativ und den Einsatz von Sachverständigen positiv abzugrenzen (S. 136/137). Der § 136a StPO stehe solchen Experiment-Konstellationen im Ergebnis nicht entgegen (S. 139).

Auch aus der Betrachtung etwaiger formaler Erhebungsschranken, die sich aus den bereits betrachteten förmlichen Beweiserhebungsinstituten ergeben, ließe sich keine formell-rechtliche Grenze herleiten (S. 139-142).

Der Prüfung etwaiger Aspekte des Grundsatzes des ‚nemo tenetur se ipsum accusare’ (S. 142), die „der Erhebung und Verwertung nonverbaler Verhaltensweise [aus Experiment-Konstellationen] in der Hauptverhandlung entgegenstehen könnte“ (S. 142), widmet der Autor einen quantitativ, in Relation zur Bedeutung angemessen großen Raum in seinem Werk (S. 142-193). Der „Gedanke an unfreiwillige Selbstbelastungen“ (S. 142) liege nahe, so dass darin ggf. eine Begrenzung der bislang festgestellten Möglichkeiten gesucht und gefunden werden könne.

Nach einem eher im Kontext der vorliegenden Arbeit strukturfremden, aber dennoch überaus erhellenden Ausflug in die spezifische Historie, führt der Autor die Leserschaft in die rechtliche Gegenwart (S. 143 ff.). Diese zunächst als Exkurs anmutenden Ausführungen finden ihre Existenzberechtigung sogleich in der von Wiechmann argumentativ hergeleiteten positiv-rechtlichen Neuverortung (S. 148 ff.) zwecks „Reichweitenbestimmung der Schutzbereichsgewährleistungen des nemo tenetur-Grundsatzes“ (S. 148) als „Verfassungsgewohnheitsrecht“ (S. 151) mittels Untersuchung der „Schutzgewährleistungen relevanter Verfassungsnormen […], als jene den Gedanken einer Selbstbelastungsfreiheit beinhalten könnten – und mithin die (heutige) Rechtsgrundlage für einen nemo tenetur-Grundsatz darstellten“ (S. 151).

Mit Artikel 1 GG sei der „Maßstab […] des nemo tenetur-Grundsatzes gelegt“ (S. 152), so dass folglich „die Suche nach dem ‚Unwürdigkeits-Element‘ in einer zwangsweisen Selbstbelastung“ (S. 152) zu betreiben sei. Im Zuge und als Ergebnis der Abwägung unterschiedlicher einschlägiger judikativer Plädoyers bzw. solcher des Schrifttums (S. 152-163) deklariert Wiechmann den nemo tenetur-Grundsatz als Ausfluss der Menschenwürdegarantie und verleiht diesem damit gleichsam als „Rechtssatz von Verfassungsrang“ (S. 159) den „materiell-rechtlich[en] […] Charakter eines subjektiv-öffentlichen Abwehrrechts“ (S. 159), verbunden mit dem restriktiven aber Rechtsklarheit schaffenden Plädoyer, „dass unter dem Topos des ‚nemo tenetur se ipsum accusare‘ eben nur jene Aspekte der Selbstbelastungsfreiheit als firmierend angesehen werden, welche unmittelbar aus den Schutzgewährleistungen des Art. 1 Abs. 1 Satz 1 GG resultieren“ (S. 162).

Bei nun folgender einschlägiger Betrachtung fraglicher Experiment-Konstellationen zunächst im Kontext der Aussagefreiheit (S. 165-183) schließt sich Wiechmann zunächst der herrschenden Auffassung an und verortet in der Aussagefreiheit keine Schutzgewährleistung, „welche die Erhebung oder Verwertung nonverbaler Verhaltensweisen generell (also unabhängig von der Ausübung des Schweigerechts), um ihrer Unbewusstheit oder fehlenden physischen Steuerbarkeit wegen, untersagten“ (S. 170/171). Im Zuge einer detaillierten Betrachtung unterschiedlichster, teils widersprüchlicher Ansichten gelangt der Autor zu einem „(zugegeben) streitige[n] Ergebnis“ (S. 180), soweit er als gezeigt erkennt, „dass die Aussagefreiheit wohl nur insoweit uneinschränkbaren Schutz entfaltet, als dass es sich um eine bewusste Aussage handelt“, was bei unbewussten oder physisch nicht steuerbaren nonverbalen Verhaltensweisen gerade nicht einschlägig sei, da der ausgeübte „Zwang […] keine Gestaltung der Selbstentfaltung bewirkt“ (S. 180). 

Auch im Zuge der Fokussierung etwaig einschlägiger Mitwirkungspflichten (S. 183-192) resümiert Wiechmann die „mithin […] konstatierte[r] Verwertbarkeit“ (S. 192), um sogleich festzustellen, „dass Erhebung und Verwertung potenziell selbstbelastender nonverbaler Verhaltensweisen von Angeklagten oder Zeugen vor dem Hintergrund des nemo tenetur-Grundsatzes zulässig sind und dies auch, wenn der Angeklagte […] eine Aussage zur Sache verweigert“ (S. 193). Wenngleich durchaus „ein Zwang zur Selbstbelastung“ (S. 193) indiziert sei, erfordere der Schutzbereich des Art. 1 Abs. 1 Satz 1 GG eine „Gestaltung der Selbstentfaltung“ (S. 193), was hier – unabhängig davon, ob es sich um zufällig auftretende nonverbale Verhaltensweisen oder solche aus Experiment-Konstellationen handele – gerade nicht zur Disposition stehe, da eine „bewusste ‚Wendung gegen sich selbst‘“ (S. 193) indes nicht ersichtlich sei (S. 193).

In vorschriftsspezifisch gleichgelagerter Untersuchungsstruktur widmet sich der Verfasser nunmehr im Schwerpunkt der Erörterung denkbarer Erhebungs- bzw. Verwertungsschranken im Kontext eines Zeugnisverweigerungsrechtes von Angehörigen des Angeklagten (S. 194-204), um auch hier im Ergebnis durchaus diskursiv, aber dennoch klar positioniert „keine – relevanten – Schranken betreffend die Erhebung und Verwertung nonverbaler Verhaltensweisen beim Zeugen“ (S. 203) festzustellen.

Die fokussierte Betrachtung potenzieller Erhebungs- oder Verwertbarkeitsschranken über das Allgemeine Persönlichkeitsrecht gem. Art. 2 Abs. 1, 1 Abs 1 GG (S. 204-220), womit „nunmehr der Fokus auf die ‚Information‘ selbst gerichtet sei“ (S. 204), mündet nach Erörterung teils entgegenstehender Ansichten, insbesondere im Hinblick auf die Gedanken- und Gefühlswelt als thematische Ausprägung der Intimsphäre (S. 208 ff.), durchaus in der Eröffnung des einschlägigen Schutzbereiches, verortet diese aber sogleich in den legitimierenden und verhältnismäßigen Instituten der förmlichen Beweisaufnahme sowie dem Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung (S. 219/220).

Zuletzt findet der Fair trial-Grundsatz seine prägnante Befassung (S. 220-224), folgerichtig fokussiert „die gezielte Provokation nonverbaler Verhaltensweisen innerhalb von Experiment-Konstellationen“ (S. 220). Schon die Experiment-Konstellation an sich indiziere eine „gewisse ‚Instrumentalisierung‘ des Einzelnen“ (S. 221), so dass „betreffend die Subjektstellung Bedenken bereite[t] [werden] könnte[n].“ (S. 221), die speziell wie generell vom Autor ausgeräumt werden, so dass auch hieraus keine Schranken bezüglich der Erhebung und Verwertung abzuleiten seien (S. 224).

Im vierten Kapitel (S. 225-282) widmet sich Wiechmann auf Basis nicht existierender bzw. festzustellender Schranken einerseits der Frage, „unter welchen Voraussetzungen nonverbale Entäußerungen im Gerichtssaal überhaupt zum Bestandteil der Entscheidungsgrundlage werden“ (S. 226) und andererseits dem Problem der potenziellen Mehrdeutigkeit nonverbaler Verhaltensweisen.

Vor dem Hintergrund, dass dem § 261 StPO entlehnt „[d]as Gericht […] über das Ergebnis der Beweisaufnahme nach seiner freien, aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpften Überzeugung zu entscheiden [habe]“ (S. 228), sei „[n]ur folgerichtig […], die Hauptverhandlung als die einzig maßgebliche Erkenntnisquelle anzusehen“ (S. 228). „Die Durchführung der Hauptverhandlung [sei] quasi die Realisierung jenes Gebotes der Selbstwahrnehmung […]“ (S. 229). Zudem „darf also bereits qua Verfassung nur das Gegenstand der Entscheidungsfindung sein, bezüglich dessen die Verfahrensbeteiligten de facto auch Gelegenheit zur Stellungnahme hatten“ (S. 231), wodurch die mündliche Verhandlung das Verfassungsgebot gem. § 103 Abs. 1 GG erst verwirkliche (S. 231). In diesem Zusammenhang schließt sich Wiechmann grundsätzlich der Auffassung an, „[…] betreffend nonverbale Verhaltensweisen – respektive Mimik und Gestik – im Grundsatze eine Zugehörigkeit zum Inbegriff an[zu]nehmen“ (S. 233). Unstreitig sei die Einbeziehung in die Entscheidung, soweit diese zufällig im Rahmen der förmlichen Beweiserhebung auftreten (S. 234). Experiment-Konstellationen seien zwingend im richtigen Beweisinstitut zu erheben, um einer Verwertung zugänglich zu sein (S. 235/236). Den Diskurs um die Einbeziehung von zufälligen nonverbalen Verhaltensweisen – Experiment-Konstellationen sind hier nicht zutreffend – lässt der Autor „[i]n Fällen einer antizipierbaren Entscheidungsrelevanz“ (S. 240) in einem strikten Gebot eines richterlichen Hinweises ob der Wahrnehmung münden. Insbesondere Gebote der Förmlichkeit würden dabei etwaigen ‚Deutungsunklarheiten‘ (S. 241) Abhilfe leisten können, was wiederum solchen Gebarens im Zuschauerraum der Hauptverhandlung nicht genügen könne und mit dem Ziel der Verwertung mittels der zunächst abzulehnenden „Einbeziehung jener in den Inbegriff der mündlichen Verhandlung“ (S. 243) zu erreichen sei.

Bei Betrachtung der Aspekte im Kontext der freien Beweiswürdigung (S. 245-282) geht der Verfasser zunächst von der Einigkeit zwischen Judikatur und Schrifttum aus, „dass nonverbalen Verhaltensweisen in der Hauptverhandlung – respektive solchen des Angeklagten – eine nicht unwesentliche Bedeutung im Rahmen der Entscheidungsfindung zuzusprechen ist“ (S. 245/246), um en detail „[den] Fokus sodann auf denkbare Schwierigkeiten bei der Verwertung im Einzelfall […], respektive auf solche betreffend die Problemkreise der ‚Plausibilität‘ und ‚Methodik‘ […]“ (S. 246) zu richten. Unter Darstellung vielfältiger Verzerrungsfaktoren im Überzeugungsbildungsprozess (S. 247-249) mit der Folge, potenziell abweichender Deutungsoptionen stellt Wiechmann am Ende übereinstimmend fest, dass unter Berücksichtigung der noch zu erörternden objektive Grenzen jener subjektiven Überzeugungsbildung „[…] jene […] geprägt von ‚Subjektivität‘ und einer ‚erheblichen Unbewusstheit‘, in welche sich die Deutung nonverbaler Verhaltensweisen konsequent einfügt, [bleibt]“ (S. 249). Dem Gericht obliege nicht nur eine Würdigungspflicht (S. 250-252), sondern gleichsam auch das Gebot der Gewährleistung einer Wahrnehmungsmöglichkeit, was sich darin verkörpere, dass „eine […] sensuelle […]Wahrnehmung – etwaiger nonverbaler Verhaltensweisen – im Sinne einer ‚maximalen Unmittelbarkeit‘ – […] für die mündliche Verhandlung vor einer Tatsacheninstanz grundsätzlich gewährleistet sein [muss]“ (S. 252/253). Diese Diskursentscheide deklariert Wiechmann ob der Unmöglichkeit, „vorherzusehen, welche Schlussfolgerungen welcher Tatrichter aus welcher nonverbalen Verhaltensweise zieht“ (S. 255) final „naturgemäß als Frage des Einzelfalls“ (S. 255).

Vor dem Hintergrund, dass „[d]ie Überzeugungsbildung […] auf einer tragfähigen, verstandesmäßig einsehbaren Tatsachengrundlage beruhen [muss]“ (S. 256), offenbart sich folgerichtig die anschließend vorgenommene Beleuchtung potenzieller Mehrdeutigkeiten (S. 256-263) sowie sonstiger Fehlertypen (S. 263-281).

Da nonverbalen Verhaltensweisen im Rahmen der Plausibilitätsprüfung ob alternativer Deutungsannahmen und der Herausforderung „des Auffindens der richtigen Deutungsannahme“ (S. 257) „schlicht ein wesentlich erhöhtes Risiko von Fehldeutungen“ (S. 257) innewohne, sei die Auflösung weniger in dem Erfordernis einer ‚Eindeutigkeit‘ und ‚Erheblichkeit‘ zu finden, da diese realtypisch nicht vorkämen (S. 258). Es sei gerade nicht zu fordern, dass eine absolute Gewissheit bestehe, „sondern vielmehr, dass das Tatgericht anderen Erklärungsmöglichkeiten […] im Sinne einer relativen (subjektiven) Gewissheit – ‚keinerlei praktische Bedeutung mehr beimisst‘“ (S. 258/259), so dass diese sich im Ergebnis „als die (einzig) plausible – daher: ‚eindeutige‘ – Schlussziehung dar[stellt]“ (S. 259), welche zudem in den Urteilsgründen schriftlich darzulegen sei (S. 260 f.).

Mit einem Konglomerat denkbarer ‚Fehlertypen‘ im Rahmen der Würdigung nonverbaler Verhaltensweisen (S. 263-281) beweist Wiechmannnochmals seine allumfassende, interdisziplinäre Annäherung an das noch zusammenzufassende Untersuchungsergebnis. Der tatrichterlichen Überzeugungsbildung seien durch geltende Denkgesetze (S. 263 f.) sowie wissenschaftlich gesicherte Erfahrungs- und Naturgesetze (S. 264 f.) methodische Grenzen gesetzt. Der fundierte Exkurs in den Bereich der ‚Glaubhaftigkeitsdiagnostik‘ (S. 266-279) ergibt den Schluss, „dass (derzeit) keine wissenschaftlich gesicherte Erkenntnis besteht, wonach eine Korrelation zwischen nonverbalen Verhaltensweisen und ‚Lügen‘ stets zwingend ausgeschlossen wäre“ (S. 278), so dass „die potenzielle tatgerichtliche Deutung […] als Indiz mangelnder Glaubhaftigkeit nicht stets a priori unzulässig [ist]“ (S. 278), lediglich eine zwingende Deutungsannahme scheide aus. Allgemeine Erfahrungssätze (‚Alltagserfahrung‘) seien bereits über das Primat der freien Beweiswürdigung im Sinne einer ‚Lebenserfahrung‘ indiziert (S. 279), wobei anzustreben sei, diese „gegebenenfalls unter Heranziehung weiterer (nonverbaler) Indizien, zur Gewissheit zu erstarken […]“ (S. 279). Die Gefahr einer ‚Überverallgemeinerung‘ (S. 280)  durch  die Tatgerichte, soweit sich selbige „über die eingeschränkte Gültigkeit jenes Erfahrungssatzes [gerade nicht] bewusst ist“ (S. 280), gelte als „‚größte[s] Problem‘ betreffend die Deutung nonverbaler Verhaltensweisen“ (S. 280). Diese Ausführungen lässt Wiechmann in einer Zusammenfassung münden (S. 281/282), in der er nochmals darauf hinweist, dass „[d]ie Deutung nonverbaler Verhaltensweisen seitens des Tatgerichts […] sich also denknotwendig als eine Einzelfallentscheidung [geriert], bei welcher der Deutungsannahme nur eine Wahrscheinlichkeitsaussage unterlegt sein kann und bei welcher das Tatgericht zudem ‚größte Vorsicht‘ – in Gestalt erhöhter Selbstreflexion – walten zu lassen hat“ (S. 282).

All diese Ausführungen resümiert Wiechmann in einer zweiseitigen Schlussbemerkung (S. 283/284), in der die obigen Ergebnisse prägnant zusammengefasst, gleichsam auch ein Plädoyer bzw. eine Mahnung zur ‚Vorsicht und Selbstreflexion‘ (S. 284) ausgesprochen wird, denn das Tatgericht solle bei aller rechtlichen Legitimation „nicht in Stereotype […] verfallen, wenn es die ‚Wahrheit‘ in jenen nonverbalen Reaktionen zu finden glaubt“ (S. 284).

Dem Autor der vorliegenden Dissertation gelingt es, die juristisch wie thematisch geneigte Leserschaft mit auf eine teils kurios – im ausschließlich positiven Sinne gemeint – anmutende Reise durch ein rechtliches Thema mit ausgeprägtem Praxisbezug zu nehmen, welche an fundierten Ableitungen bzw. Entscheidungen nichts vermissen lässt. Die interdisziplinäre Herangehensweise ist geeignet, gedankliche Horizonte zu erweitern. Der rhetorisch sehr ansprechende Schreibstil weckt beim Lesen eines Kapitels die Neugier auf das Folgekapitel. Die wiederkehrende Bezugnahme auf greifbare Praxisbeispiele, insbesondere im Zuge der Darstellung instanzübergreifender Rechtsprechung, schafft in den Köpfen der Lesenden ob allseits vorhandener (Lebens-)Erfahrungen konkrete Bilder, die bei allem fachlichen Anspruch eine fortlaufende Praxis- und Realitätsnähe indiziert. Durch wiederholte Rückgriffe auf Fallkasuistiken werden den Ausführungen greifbare Konturen verliehen, wenngleich das Dogma der Einzelfallentscheidung diese wieder aufzulösen vermag. Die Les- und Nachvollziehbarkeit der Ausführungen wird durch gut platzierte und dabei sehr prägnante Zusammenfassungen unterstützt, Querverweise, Rückblicke und Ausblicke innerhalb der Befassung verdeutlichen einen sich konsequent durchziehenden roten Faden. Wer den Ausführungen die verdiente Aufmerksamkeit widmet, ist vom Ergebnis wenig überrascht, wenngleich die Eindeutigkeit desselben gleichwohl zu überraschen geeignet ist. Mit dem hier rezensierten Werk hat Wiechmann nachweislich die Ära des zu Beginn konstatierten Schattendaseins der behandelten Thematik treffsicher und verdient beendet.

 

 

 

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