von Univ.-Prof. Dr. iur. Erwin Bernat
Abstract
In Österreich war die Mitwirkung am Suizid (Verleitung und Beihilfe zur Selbsttötung) bis zum Ende des Kalenderjahres 2021 auch dann strafbar, wenn sich der Sterbewillige aus freien Stücken das Leben nahm (§ 78 StGB i.d. Stammfassung). Dieser Regelung wurde allerdings durch eine Entscheidung des VfGH (VfSlg. 20.433), die in weiten Teilen ein Spiegelbild des Urteils des BVerfG zu § 217 dStGB (BVerfGE 153, 182) ist, der Boden entzogen. In Reaktion auf VfSlg. 20.433 gewährleistet das mit 1.1.2022 in Kraft getretene Sterbeverfügungsgesetz (BGBl I 2021/242) ein Recht auf Suizid und Suizidbeihilfe, verankert aber gleichzeitig einschneidende administrativ-prozedurale Regeln, die der Sterbewillige beachten muss, um das todbringende Präparat legal zu erwerben. Schließlich kann die Leistung von Suizidbeihilfe für den Suizidbeihelfer strafrechtliche Folgen nach sich ziehen, wenn er gewisse Regeln des Sterbeverfügungsgesetzes missachtet (§ 78 StGB i.d.F. von Art. 3 des Sterbeverfügungsgesetzes).
Sec. 78 of the Austrian Penal Code prohibited aiding and abetting in suicide without exception. Following a judgment of the Austrian Constitutional Court (VfSlg. 20.433) that mirrors the German Constitutional Court’s judgment relating to sec. 217 of the German Penal Code (BVerfGE 153, 182) the Austrian legislature revised sec. 78 of its Penal Code in December 2021. At the same time the “Sterbeverfügungsgesetz” was enacted (Official Gazette I 2021/242) that came into force by 1 January 2022. This statute contains administrative-procedural rules that the person who is willing to kill himself has to obey in order to gain access to the drug that ends his life.
I. Die Regelung der Mitwirkung am Suizid – Rechtsentwicklung und Gesetzgebung
1. Deutschland
Während die Sanktionierung der (versuchten) Selbsttötung in den meisten Rechtsordnungen seit Mitte des 19. Jh. der Vergangenheit angehört,[1] ist die Entwicklung hinsichtlich der strafbaren Mitwirkung Dritter am Suizid ganz anders verlaufen. Für viele Strafgesetzgeber stand das Preußische ALR (1794) Pate, das in Teil II Titel 20 § 834 sowohl die Mitwirkung Dritter am Selbstmord als auch die Tötung auf Verlangen unter Strafe stellt.[2] Als Begründung für die Strafwürdigkeit der Mitwirkung am Suizid (Verleitung oder Beihilfe) wird regelmäßig angeführt, dass sich die Handlung des Mitwirkenden gegen ein fremdes Rechtsgut – das Leben des Sterbewilligen – richtet, so dass es gerechtfertigt erscheine, die „Teilnahme an einer straflosen Haupttat“ selbständig unter Strafe zu stellen.[3] Dieser Auffassung folgen auch heute noch u.a. die Gesetzgeber Englands und Wales’,[4] Italiens,[5] Portugals,[6] Spaniens[7] und einer Reihe von Gliedstaaten der USA.[8] Unterschiedlich wird in vielen Rechtsordnungen, die die Mitwirkung an der Selbsttötung unter Strafe stellen, indes beurteilt, ob dieses Delikt dogmatisch als Tötungsdelikt[9] oder als Delikt sui generis[10] eingeordnet werden soll.
In teilweiser Abkehr von Teil II Titel 20 § 834 des Preußischen ALR (1794)[11] verzichtete der deutsche Gesetzgeber nach der Reichsgründung (1871) auf eine ausdrückliche Regelung der Mitwirkung am Suizid, was – jedenfalls nach h.L. und Rspr. – zu deren Entkriminalisierung führte.[12] An diesem Rechtszustand hat sich in Deutschland, sieht man von der nicht einmal fünfjährigen Geltung des § 217 dStGB einmal ab,[13] seit nunmehr 150 Jahren nichts geändert.[14] Auch de lege ferenda spricht man sich in Deutschland – mehr oder weniger geschlossen – gegen die Strafbarkeit (jedenfalls) der Beihilfe zur Selbsttötung aus,[15] wie u.a. eine 2015 veröffentlichte Stellungnahme von 147 deutschen Strafrechtslehrerinnen und Strafrechtslehrern[16] deutlich unter Beweis stellt. In dieser Stellungnahme heißt es u.a.:[17]
„Aus der Straflosigkeit des Suizids ergibt sich nach bewährten strafrechtsdogmatischen Regeln, dass auch die Beihilfe zum Suizid nicht strafbar ist.[18] Dies zu ändern würde zu einem Systembruch führen, dessen Auswirkungen nicht absehbar sind.
Das Recht auf Selbstbestimmung jedes Menschen, verfassungsrechtlich durch Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 2 Abs. 1 GG garantiert, umfasst auch das eigene Sterben. Mit dem Patientenverfügungsgesetz aus dem Jahre 2009[19] hat der Gesetzgeber dies ausdrücklich anerkannt. Eine Strafbarkeit der Suizidbeihilfe greift in das Selbstbestimmungsrecht unverhältnismäßig ein. Der Grundsatz, dass Strafrecht ultima ratio sein muss, wird nicht beachtet.
[…] Die Einführung einer Strafbarkeit von Ärzten wegen Beihilfe zum Suizid ist […] entschieden abzulehnen. Deren Grundrecht der Gewissensfreiheit, Art. 4 Abs. 1 GG, umfasst auch das Verhältnis zwischen dem Arzt und dessen Patienten, so dass eine strafrechtliche Neuregelung schon aus verfassungsrechtlichen Gründen abzulehnen ist.“
2. Österreich
In deutlichem Kontrast zum deutschen Recht, das die Strafbarkeit der Mitwirkung am Suizid von einsichts- und urteilsfähigen Personen nach wie vor verneint,[20] wurde in Österreich im Jahre 1934 neben der Tötung auf Verlangen (§ 139a StG 1945)[21] auch die „Mitwirkung am Selbstmord“ (so die Überschrift zu § 139b StG 1945) als eigenständiges Delikt verankert.[22] – Noch wenige Jahre zuvor wollte der Gesetzgeber nur die Verleitung, nicht aber die Beihilfe zum Suizid bei Strafe verbieten (§ 248 E 1927).
Der StGB-Entwurf aus dem Jahr 1927,[23] der das Ziel verfolgte, das österreichische Strafrecht dem deutschen anzugleichen,[24] wurde freilich niemals Gesetz.
Der Gesetzgeber der großen österreichischen Strafrechtsreform, die erst 30 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges abgeschlossen werden konnte, hat die Tatbilder der § 139a und § 139b StG 1945 in § 77 („Tötung auf Verlangen“) und § 78 StGB 1974 („Mitwirkung am Selbstmord“) fast wortgleich rezipiert. Diese Bestimmungen haben folgenden Wortlaut:
„Tötung auf Verlangen
§ 77. Wer einen anderen auf dessen ernstliches und eindringliches Verlangen tötet, ist mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren zu bestrafen.
Mitwirkung am Selbstmord
§ 78. Wer einen anderen dazu verleitet, sich selbst zu töten, oder ihm dazu Hilfe leistet, ist mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren zu bestrafen.“
In den amtlichen Erläuterungen zur Regierungsvorlage (ErläutRV) (1971) des mit 1.1.1975 in Kraft getretenen StGB[25] finden sich zur Frage der rechtsethischen Legitimität und strafrechtsdogmatischen Rechtfertigung der §§ 77 f. StGB lediglich zwei knappe Sätze:
„Das Rechtsgut des menschlichen Lebens ist […] um Interessen der Gesamtheit willen grundsätzlich unabhängig vom Willen des unmittelbaren Trägers dieses Rechtsguts geschützt […] Die Fassung des § 139b StG entspricht durchaus der sozialethischen Beurteilung einer Mitwirkung am Selbstmord und den kriminalpolitischen Bedürfnissen.“[26]
II. Deutsches BVerfG und österreichischer VfGH anerkennen ein Recht auf Suizid und Suizidbeihilfe
1. Das BVerfG erklärt das Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung (§ 217 dStGB) für nichtig
Der deutsche Gesetzgeber verabschiedete im Jahr 2015 ein „Gesetz zur Strafbarkeit der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung“.[27] Durch dieses Gesetz wurde ein § 217 in das deutsche Strafgesetzbuch eingefügt. Die Bestimmung hat folgenden Wortlaut:
„(1) Wer in der Absicht, die Selbsttötung eines anderen zu fördern, diesem hierzu geschäftsmäßig die Gelegenheit gewährt, verschafft oder vermittelt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
(2) Als Teilnehmer bleibt straffrei, wer selbst nicht geschäftsmäßig handelt und entweder Angehöriger des in Absatz 1 genannten anderen ist oder diesem nahesteht.“
§ 217 dStGB will die Straflosigkeit der Mitwirkung am freiverantwortlich begangenen Suizid zwar nicht – wie § 78 des österreichischen StGB i.d. Stammfassung – ausnahmslos infrage stellen, verfolgt aber das Ziel, „geschäftsmäßige Angebote der Suizidbeihilfe [nicht] als normale Behandlungsoption erscheinen [zu] lassen“.[28] Die Bestimmung war durch die Ausbreitung von öffentlich gemachten Anboten zur Suizidbeihilfe ausgelöst worden.[29] Der deutsche Gesetzgeber befürchtete – ausweislich der Gesetzesmaterialien –, dass Menschen durch solche Angebote verleitet werden könnten, sich unbedacht das Leben zu nehmen.[30]
§ 217 dStGB schränkt den Freiheitsraum sterbewilliger Personen drastisch ein, weshalb diese Bestimmung auch auf fundamentale Kritik des deutschen Schrifttums gestoßen ist. Im Kern geht diese Kritik vom formalen Akzessorietätsargument aus, dem zufolge die Mitwirkung am Suizid bekanntlich nicht strafbar sein dürfe, weil ja auch der Suizid keine rechtswidrige Tat sei. Mitunter wird sogar ins Treffen geführt, dass der Suizident, der freiverantwortlich handelt, gar kein Rechtsgut verletze, „weil eine freiverantwortliche Selbstverletzung keine Rechtsgutsrelevanz“[31] habe. Das Hauptproblem des § 217 dStGB liege folglich darin, dass die von dieser Bestimmung „pönalisierten Verhaltensweisen keinen inneren Zusammenhang zum Schutzzweck (Autonomie- und damit einhergehend Lebensschutz) erkennen lassen.“[32] Worin, so fragt etwa Duttge pointiert, soll denn „eigentlich das strafwürdige Unrecht der ‚geschäftsmäßigen Suizidbeihilfe‘ liegen“? Da die Förderung von unfrei begangenen Suiziden „schon de lege lata als Tötung in mittelbarer Täterschaft strafbar“ sei, fielen nur Suizide, die frei begangen werden, in den Anwendungsbereich des § 217 dStGB. Insoweit führe die ausnahmslose Strafandrohung des § 217 dStGB aber zu einer „überschießenden Kriminalisierung und die Bestrafung jeder Förderungstat im Sinne des Gesetzes [zur] Verhängung und Vollstreckung einer Verdachtsstrafe.“[33]
Da § 217 dStGB zu einer massiven Einschränkung der Freiheit sterbewilliger Personen, Suizidbeihilfe in Anspruch zu nehmen, geführt hat, kam das Urteil des BVerfG v. 26.2.2020, mit dem diese Bestimmung wegen Unvereinbarkeit mit diversen Grundrechten des Bonner GG für nichtig erklärt worden ist,[34] nicht ganz unerwartet.
Nach Auffassung des BVerfG lasse sich aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG ein Recht auf selbstbestimmtes Sterben ableiten, das nicht nur die Freiheit des Einzelnen einschließt, „sein Leben eigenhändig zu beenden“,[35] sondern auch die Freiheit, „hierfür bei Dritten Hilfe zu suchen und Hilfe, soweit sie angeboten wird, in Anspruch zu nehmen.“[36] Diese Freiheit lässt es nach Auffassung des BVerfG nicht zu, „die Zulässigkeit einer Hilfe zur Selbsttötung materiellen Kriterien zu unterwerfen, sie etwa vom Vorliegen einer unheilbaren oder tödlich verlaufenden Krankheit abhängig zu machen.“[37] Dies bedeute freilich nicht, dass es dem Gesetzgeber verboten sei, Regeln für den „Nachweis der Ernsthaftigkeit und Dauerhaftigkeit eines Selbsttötungswillens“ aufzustellen. Deshalb stehe es dem Gesetzgeber auch frei, ein „prozedurales Sicherungskonzept“ zu entwickeln.[38] Da aber das in § 217 dStGB verankerte Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung die Möglichkeit einer assistierten Selbsttötung derart einenge, dass dem Sterbewilligen faktisch kein Raum zur Wahrnehmung seines Rechts auf Suizidbeihilfe verbleibe, sei der durch § 217 Abs. 1 dStGB hervorgerufene Eingriff in dieses Recht nicht mehr verhältnismäßig.[39] Wolle der Gesetzgeber bestimmte für die Autonomie des Suizidwilligen gefährliche Formen der Suizidbeihilfe unter Strafe stellen, dann müsse er auch „sicherstellen, dass trotz des Verbots im Einzelfall ein Zugang zu freiwillig bereitgestellter Suizidbeihilfe real eröffnet bleibt.“[40]
Die Nichtigerklärung des § 217 dStGB führte zu zahlreichen Vorschlägen zur Regulierung der Suizidbeihilfe.[41] Der deutsche Gesetzgeber ist bislang (Rechtsstand September 2022) aber noch nicht tätig geworden.
2. Der VfGH hebt das Verbot der Beihilfe zum Selbstmord (§ 78 Fall 2 StGB i.d. Stammfassung) auf
Auch der österreichische VfGH musste im Jahre 2020 aufgrund von Individualanträgen österreichischer Staatsbür-ger klären, ob es ein von der Verfassung geschütztes Recht auf Suizid und Suizidbeihilfe gibt. Das Erkenntnis des VfGH, das Ende 2020 ausgefertigt worden ist,[42] ist in weiten Teilen ein Spiegelbild des Urteils des BVerfG
v. 26.2.2020.[43]
Nach Auffassung des VfGH zählt zu dem von der Verfassung gewährleisteten Recht auf freie Selbstbestimmung nicht nur das Recht, das eigene „Leben in Würde zu beenden“,[44] sondern auch auf Inanspruchnahme der Hilfe eines Dritten, der bereit ist, an der Selbsttötung mitzuwirken.[45] Daher habe der Gesetzgeber bei der Klärung der Frage, ob das Recht auf Suizidbeihilfe eingeschränkt werden dürfe, keinen weiten rechtspolitischen Gestaltungsspielraum.[46] „Steht unzweifelhaft fest, dass der Entschluss der Selbsttötung auf einer freien Selbstbestimmung gründet, hat der Gesetzgeber dies zu respektieren.“[47] In einem solchen Fall sei er also verpflichtet, „die Hilfe eines Dritten bei der Selbsttötung zuzulassen.“[48] Dabei habe der Gesetzgeber dafür Sorge zu tragen, „dass der helfende Dritte eine hinreichende Grundlage dafür hat, dass der Suizidwillige“ seinen Entschluss, sich selbst zu töten, frei und selbstbestimmt gefasst hat.[49]
Der VfGH betont des Weiteren unmissverständlich, dass es aus grundrechtlicher Perspektive keinen Unterschied mache, ob der selbstbestimmungsfähige Patient eine lebenserhaltende oder -verlängernde (Weiter)Behandlung (im Wege einer Patientenverfügung) verweigert oder ob er sich mit der Hilfe eines Dritten selbst tötet, „um ein Sterben in der [von ihm] angestrebten Würde zu ermöglichen.“[50]
Das ausnahmslose Verbot der Beihilfe zur Selbsttötung (§ 78 Fall 2 StGB) stehe daher nicht im Einklang mit der österreichischen Verfassung.[51] § 78 Fall 2 StGB sei auch nicht deshalb verfassungskonform, weil das Strafrecht ein außerordentliches Milderungsrecht kenne (§ 41 StGB). Denn die Befugnis eines Strafgerichts, die Strafe – der geringen Schuld des Täters entsprechend – erheblich zu mildern, könne „den objektiven Unrechtsvorwurf, den § 78 Fall 2 StGB pauschal und ohne jede Differenzierung allen denkbaren Hilfestellungen zur Selbsttötung beimisst, [nicht] beseitigen.“[52]
Den Antrag auf Aufhebung des § 77 StGB (Tötung auf Verlangen) hat der VfGH aus formalen Gründen[53] zurückgewiesen,[54] aber betont, dass die Aufhebung des § 78 Fall 2 StGB nicht ohne weiteres zu dem Schluss verleiten dürfe, dass auch § 77 StGB verfassungswidrig sei.[55] Denn diese Bestimmung unterscheide sich „in wesentlichen Belangen von § 78 Fall 2 StGB“.[56] Ähnliches gelte für § 78 Fall 1 StGB (Verleitung zum Selbstmord): Da der Suizidwillige den Schutz der Verfassung nur dann in Anspruch nehmen könne, wenn sein Entschluss, sich eigenhändig zu töten, frei und unbeeinflusst zustande gekommen ist, und diese Voraussetzung bei einer Verleitung zur Selbsttötung „von vornherein nicht erfüllt“ werde, verstoße § 78 Fall 1 StGB gegen kein von der Verfassung gewährleistetes Recht.[57]
Das Sterbehilfe-Erkenntnis des VfGH ist in der zahlreichen Literatur, die es ausgelöst hat, überwiegend begrüßt worden.[58] Uneinheitlich wurde lediglich beurteilt, welche Rolle dem Arzt im Rahmen einer Neuregelung der Suizidbeihilfe zugedacht werden sollte, ob die Suizidbeihilfe auch von objektiven Kriterien (bspw. einer schweren Erkrankung des Suizidwilligen) abhängig gemacht werden dürfe, und welche prozeduralen Regeln am ehesten geeignet erscheinen, sicherzustellen, dass nur entscheidungsfähige Menschen Suizidbeihilfe in Anspruch nehmen.
III. Die Rückkehr zur Strafbarkeit: § 78 StGB i.d.F. von Art. 3 des Sterbeverfügungsgesetzes (StVfG)
In Deutschland hat die Nichtigerklärung des § 217 dStGB durch Urteil des BVerfG v. 26.2.2020[59] bislang (Rechtsstand September 2022) nur zur Streichung des berufsrechtlichen Verbots der ärztlichen Suizidbeihilfe geführt.[60] Demgegenüber hat der österreichische Gesetzge-ber die Suizidbeihilfe noch kurz vor Jahresende 2021 in einem Sterbeverfügungsgesetz (StVfG)[61] mehr als umfassend geregelt, gleichzeitig aber auch § 78 StGB neu gefasst. Offenbar fühlte sich der Gesetzgeber vom VfGH, der das Verbot der Suizidbeihilfe mit Ablauf des 31.12.2021 aufgehoben hatte,[62] unter Druck gesetzt: Durch das rasche Verabschieden des StVfG sollte vermieden werden, dass Beihilfe zum freiverantwortlich begangenen Suizid – wie zurzeit in Deutschland (Rechtsstand September 2022) – ab 1.1.2022 schrankenlos erlaubt ist.[63]
1. Eckpunkte des StVfG
Das StVfG verankert ein Gesamtkonzept staatlicher Regelung der Suizidbeihilfe, das den Rahmen des Zulässigen sehr eng fasst. Im Zuge der Entstehung des Gesetzes wurde von Seiten der politisch Verantwortlichen auch betont, dass dem Suizid in jedem Fall etwas Tragisches anhafte, so dass es – ungeachtet des Sterbehilfe-Erkenntnisses des VfGH v. 11.12.2020[64] – legitim sei, restriktive Regeln zu schaffen, die es Suizidwilligen nicht gerade erleichtern, ihren Selbsttötungsentschluss in die Tat umzusetzen.[65] Aus diesem Grund wurde der in der rechtspolitischen Diskussion sehr häufig gemachte Vorschlag, die Suizidbeihilfe ausschließlich in die Hände der Ärzte zu legen (Arztvorbehalt),[66] vom Gesetzgeber entschieden abgelehnt: Ein Arztvorbehalt würde die gesellschaftliche Akzeptanz von Suizidbeihilfe stärken, was allerdings, so befürchtete die Bundesregierung, zu einer Unterminierung der „selbstbestimmte[n] Steuerung des Sterbeprozesses“ führen könne.[67] Auch die Ärzteschaft beurteilte die Verankerung eines Arztvorbehalts überwiegend kritisch und sprach sich unmissverständlich dagegen aus, den Ärzten bei der Suizidbeihilfe eine Schlüsselrolle zukommen zu lassen.[68]
a) Der Suizidwillige muss sich von zwei Ärzten aufklären lassen
Das StVfG will sicherstellen, dass der Suizidwillige seine Entscheidung, sich zu töten, in „freier Selbstbestimmung“[69] gefällt hat. Zu diesem Zweck müssen zwei Ärzte, von denen einer eine palliativmedizinische Qualifikation haben muss, unabhängig voneinander bestätigen, dass der Suizidwillige entscheidungsfähig (§ 24 Abs. 2 ABGB[70]) ist und dass er seinen Entschluss, Suizid zu begehen, frei und selbstbestimmt, also ohne „Beeinflussung durch Dritte“ (§ 6 Abs. 2 StVfG) gefasst hat (§ 7 Abs. 1 StVfG). Im Falle des Verdachts auf das Vorliegen eines Suizidentschlusses, der durch eine „krankheitswertige psychische Störung“ hervorgerufen worden sein könnte, ist ein Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapeutische Medizin oder ein klinischer Psychologe hinzuzuziehen, der diesem Verdacht nachzugehen und die beiden in § 7 Abs. 1 StVfG namhaft gemachten Ärzte fachlich zu beraten hat
(§ 7 Abs. 4 StVfG). Diese Ärzte unterliegen gegenüber dem Suizidwilligen umfangreichen Aufklärungspflichten, deren Mindestumfang (arg. „zumindest“) in § 7 Abs. 2 StVfG sehr detailliert beschrieben wird. Über die Ergebnisse des Aufklärungsgesprächs hat jeder der beiden Ärzte ein Dokument zu errichten, zu unterschreiben (§ 7 Abs. 3) und dem Suizidwilligen auszuhändigen.[71]
Ein Recht auf Suizidbeihilfe wird dem Suizidwilligen allerdings nur eingeräumt, wenn (zumindest) der Arzt, der palliativmedizinisch ausgebildet ist, bestätigt, dass der Suizidwillige an einer „unheilbaren, zum Tod führenden Krankheit (§ 120 Ziff. 1 ASVG) [§ 6 Abs. 3 Ziff. 1 StVfG] oder an einer schweren, dauerhaften Krankheit (§ 120 Ziff. 1 ASVG) mit anhaltenden Symptomen leidet, deren Folgen [ihn] in [seiner] gesamten Lebensführung dauerhaft beeinträchtigen [§ 6 Abs. 3 Ziff. 2 StVfG]“ (§ 7 Abs. 3 StVfG).
b) Der Suizidwillige muss eine Sterbeverfügung errichten
Ohne die beiden Dokumente, von denen in § 7 Abs. 2 StVfG die Rede ist, kann keine Sterbeverfügung errichtet werden (§ 8 StVfG). Und ohne Sterbeverfügung ist der Suizidwillige nicht berechtigt, das todbringende Präparat (§ 3 Ziff. 9 StVfG) in einer öffentlichen Apotheke zu beziehen (§ 11 StVfG).
In Anlehnung an das Patientenverfügungsgesetz (PatVG)[72] kann der Suizidwillige seine Sterbeverfügung nur vor einem Notar oder vor einem rechtskundigen Mitarbeiter der nach Landesrecht eingerichteten Patientenvertretungen (§ 11e KAKuG) errichten. Leidet er an einer Krankheit i.S.d. § 6 Abs. 3 Ziff. 1 StVfG und ist die terminale Phase (§ 3 Ziff. 8 StVfG) bereits eingetreten, muss zwischen der (ersten) ärztlichen Aufklärung und der Errichtung der Sterbeverfügung ein Zeitraum von mindestens zwei Wochen verstrichen sein. Ist die terminale Phase noch nicht eingetreten oder leidet er an einer Krankheit i.S.d. § 6 Abs. 3 Ziff. 2 StVfG, beträgt die Frist zwölf Wochen. Die „cooling off“-Periode soll dazu beitragen, dass der Suizidwillige seinen Entschluss, sich zu töten, überdenkt, also nicht vorschnell in die Tat umsetzt.
Der Notar bzw. der rechtskundige Mitarbeiter der Patientenvertretung hat auf der Sterbeverfügung zu bestätigen, dass der Suizidwillige österreichischer Staatsbürger ist oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Österreich hat;[73] weiter, dass er volljährig, entscheidungsfähig (§ 6 Abs. 1 StVfG) und nach Maßgabe des § 7 StVfG sachgerecht aufgeklärt worden ist. Bei Zweifeln an der Entscheidungsfähigkeit des Suizidwilligen „ist die Dokumentation der Errichtung abzulehnen“ (§ 8 Abs. 3 StVfG). Rechtsschutz gegen diese „Entscheidung“ hat der Suizidwillige keinen.
Das Original der Sterbeverfügung verbleibt beim Suizidwilligen. Der Notar bzw. der rechtskundige Mitarbeiter der Patientenvertretung ist aber verpflichtet, das Sterbeverfügungsregister[74] von der Errichtung der Sterbeverfügung, die ein Jahr wirksam ist (§ 10 Abs. 2 StVfG), in Kenntnis zu setzen (§ 9 Abs. 3 StVfG).
c) Der Suizidwillige muss sich das todbringende Präparat in einer öffentlichen Apotheke besorgen bzw. besorgen lassen
Die Sterbeverfügung berechtigt den Suizidwilligen, sich das todbringende Präparat (§ 3 Ziff. 9 StVfG[75]) in einer öffentlichen Apotheke selbst zu besorgen oder von einer Person, die er in seiner Sterbeverfügung namhaft gemacht hat, besorgen zu lassen (§ 11 Abs. 1 StVfG). Das ist der eigentliche Zweck der Sterbeverfügung: Sie dient dem Suizidwilligen gewissermaßen als Ersatz für ein ärztliches Rezept.
Beihilfe zur Selbsttötung ist entsprechend der Legaldefinition des § 3 Ziff. 4 StVfG (nur) die „physische Unterstützung“ des Suizidwilligen bei der Begehung des Suizids dar, also v.a. die Überlassung des Tatmittels.[76] Den beiden Ärzten, die gem. § 7 StVfG aufgeklärt haben, sowie dem Notar (bzw. dem rechtskundigen Mitarbeiter der Patientenvertretung), der gem. § 8 StVfG an der Errichtung der Sterbeverfügung mitgewirkt hat, wurde die Beihilfe zur Selbsttötung (§ 3 Ziff. 4 StVfG) ausdrücklich verboten (§ 6 Abs. 4 StVfG). Mit diesem Verbot will der Gesetzgeber der Gefahr entgegenwirken, dass der Suizid „nicht vollständig autonom“ erfolgt.[77] – Will der Suizidwillige also bspw., dass ihm ein Arzt das todbringende Präparat in der Apotheke besorgt und (oder) eine Venenkanüle legt, wodurch er in die Lage versetzt wird, die Zuleitung dieses Präparats selbst in Gang zu setzen,[78] dann muss er sich auf die Suche nach einem weiteren – also einem dritten – Arzt begeben.
d) Freiwilligkeit der Unterstützung und Benachteiligungsverbot
Für die Professionisten, denen das StVfG bestimmte Aufgaben zugewiesen hat (ärztliche Aufklärung, Mitwirkung an der Errichtung der Sterbeverfügung, Abgabe des todbringenden Präparats), gilt in Anlehnung an das Recht des Schwangerschaftsabbruchs und der Fortpflanzungsmedizin[79] das Prinzip der Freiwilligkeit. Ärzte, Notare (bzw. rechtskundige Mitarbeiter der Patientenvertretung) sowie Betreiber öffentlicher Apotheken sind zur Unterstützung von Suizidwilligen also nicht verpflichtet, dürfen aber auch nicht benachteiligt werden, wenn sie entsprechende Unterstützungsleistungen anbieten oder nicht anbieten (§ 2 StVfG).
Das StVfG zeigt Suizidwilligen zwar den Weg auf, den sie einschlagen müssen, um in den Besitz des todbringenden Präparats zu gelangen, allerdings wird es für sie regelmäßig schwierig sein, herauszufinden, welche Ärzte und Notare (bzw. Patientenvertretungen) bereit sind, sie bei der Vorbereitung des Suizids durch Aufklärung (§ 7 StVfG) bzw. Dokumentation der Sterbeverfügung (§ 8 StVfG) zu unterstützen. Ist es dem Suizidwilligen trotz aller vom Gesetzgeber aufgestellten Hürden gelungen, eine Sterbeverfügung zu errichten, dann hat der Notar (bzw. die Patientenvertretung) aber die Möglichkeit, ihm mitzuteilen, welche in der Nähe seines Wohnsitzes gelegene öffentliche Apotheke bereit ist, das todbringende Präparat abzugeben: Notare bzw. Patientenvertretungen bekommen auf Anfrage von der Österreichischen Apothekerkammer entsprechend Bescheid (§ 12 Abs. 7 S. 1 StVfG).[80]
Nachdem der Suizidwillige das todbringende Präparat erhalten hat, kann er sein von der Verfassung gewährleistetes Recht, freiwillig aus dem Leben zu scheiden, nicht nur „im privaten Rahmen“[81] – also zuhause oder in einem Alten- bzw. Pflegeheim[82] – ausüben. Denn es steht nirgends geschrieben, dass dieses Recht für Personen, die in einem (öffentlichen) Spital behandelt werden, keine Geltung hat.[83]
e) Werbe- und Kommerzialisierungsverbot
Das Sterbeverfügungsgesetz sanktioniert lediglich die Verletzung der in § 12 Abs. 1 und Abs. 3 StVfG verankerten Verbote: Wer Werbung für die im StVfG regulierte Beihilfe zur Selbsttötung macht (§ 12 Abs. 1 StVfG), begeht eine Verwaltungsübertretung und ist mit einer Geldstrafe bis zu 30.000 EUR, im Wiederholungsfall bis zu 60.000 EUR zu bestrafen (§ 13 StVfG).[84] Ebenso ist zu bestrafen, wer Suizidwilligen gegen Entgelt Beihilfe zur Selbsttötung anbietet oder leistet, sofern das Entgelt über den Ersatz von Aufwendungen hinausgeht (§ 12 Abs. 3 StVfG). Im Fall des Verbotes gem. § 12 Abs. 1, nicht hingegen im Fall des Verbotes gem. § 12 Abs. 3 StVfG ist auch der Versuch strafbar (§ 13 StVfG).
2. Die in § 78 StGB verankerten Straftatbestände
Neben der Verletzung des Werbe- und Kommerzialisierungsverbotes (§ 13 StVfG) kann auch die Verletzung der in § 6 Abs. 3 und § 7 StVfG verankerten Regeln zu Sanktionen führen. Diese Sanktionen sind allerdings nicht im Verwaltungs-, sondern im Justizstrafrecht angesiedelt: Durch eine Neufassung des § 78 StGB (Art. 3 StVfG) hielt die Strafbarkeit der Suizidbeihilfe erneut Einzug ins österreichische Recht. Das ist auf den ersten Blick erstaunlich, hatte doch der VfGH in seinem Sterbehilfe-Erkenntnis ein Recht auf Suizid[85] und Suizidbeihilfe[86] in Anknüpfung an das Urteil des deutschen BVerfG v. 26.2.2020[87] sehr deutlich anerkannt.
§ 78 StGB i.d.F. von Art. 3 StVfG besteht aus fünf Tatbeständen: Verleitung zum Suizid (Abs. 1); Beihilfe zum Suizid eines Minderjährigen (Abs. 2 Ziff. 1); Beihilfe zum Suizid aus verwerflichem Beweggrund (Abs. 2 Ziff. 2); Beihilfe zum Suizid einer Person, die nicht krank i.S.d. § 6 Abs. 3 StVfG ist (Abs. 2 Ziff. 3 Fall 1); sowie Beihilfe zum Suizid einer Person, die nicht gem. § 7 StVfG aufgeklärt worden ist (Abs. 2 Ziff. 3 Fall 2). Wer eines dieser Delikte begeht, ist mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren zu bestrafen.
Suizidbeihilfe gem. § 78 Abs. 2 StGB ist – im Einklang mit § 3 Ziff. 4 StVfG – nur die physische (nicht also auch die psychische) Unterstützung bei der Selbsttötung. Dadurch sollte klargestellt werden, dass sich ein sozialadäquat handelnder Täter a priori nicht strafbar machen kann.[88] Nicht strafbar ist auch die Beihilfe zu einem Suizid, den der Sterbewillige ohne Errichtung einer Sterbeverfügung (§ 8 StVfG) begeht.[89]
Ist der Suizident im Tatzeitpunkt gar nicht entscheidungsfähig, oder geht er irrigerweise von Tatsachen aus, die ihn zum Suizid bewegen (bspw. vom Vorliegen einer schweren Krankheit i.S.d. § 6 Abs. 3 StVfG), dann kann sich der Mitwirkende an dieser selbstschädigenden Tat – je nach Schuldform – entweder nach § 75 (Mord) oder nach § 80 StGB (fahrlässige Tötung) strafbar machen. § 78 StGB kommt folglich nur dann zur Anwendung, wenn der Suizident entscheidungsfähig gewesen ist und an keiner die Tathandlung auslösenden Störung in der Willensbildung gelitten hat.[90] Dabei ist in Anknüpfung an § 4 Abs. 1 JGG davon auszugehen, dass Unmündige (§ 74 Ziff. 1 StGB) a priori gar nicht fähig sind, sich freiverantwortlich zu töten.[91]
Da entscheidungsfähige Personen sogar ein von der Verfassung geschütztes Recht, sich eigenhändig zu töten,[92] haben, ist es – strafrechtssystematisch betrachtet – nicht gut möglich, die Mitwirkung am Suizid als akzessorisches Unrecht einzuordnen.[93] Anders gewendet: Wenn es dem Suizidwilligen – sogar von Verfassungs wegen – erlaubt ist, Hand an sich zu legen, dann kann dem Mitwirkenden am Suizid die (Mit-)Verursachung des Todes nicht als selbständige Tötungshandlung zugerechnet werden. Die in der österreichischen Strafrechtslehre mitunter vertretene Auffassung, dass die Mitwirkung am Suizid als Erfolgsverursachungsdelikt zu beurteilen sei,[94] kann also auf der Grundlage des VfGH-Erkenntnisses v. 11.12.2020[95] nicht mehr ernsthaft vertreten werden. Welche Schlussfolgerungen daraus abgeleitet werden sollten, wird in den nachfolgenden Abschnitten dieser Arbeit noch deutlich aufgezeigt.
a) Verleitung zum Suizid (§ 78 Abs. 1)
Das Verbot der Verleitung zum Suizid (§ 78 Abs. 1 StGB) deckt sich in vollem Umfang mit § 78 Fall 1 StGB i.d. Stammfassung. Verleiten bedeutet nichts anderes als anstiften (bestimmen) i.S.v. § 12 Fall 2 StGB. – A stiftet B zur Selbsttötung also an, wenn A den Entschluss des B, Suizid zu begehen, erst erregt.[96]
Da die Anwendung aller Tatbestände des § 78 StGB die Entscheidungsfähigkeit des Suizidenten voraussetzt, und Suizidwillige, die entscheidungsfähig sind, qua Verfassung das Recht haben, sich zu töten und Suizidassistenz in Anspruch zu nehmen, kann auch die Verleitung zur Selbsttötung – wie die Suizidbeihilfe (§ 78 Abs. 2 StGB) – nicht als akzessorisches Unrecht eingeordnet werden. Allerdings kommt es durch § 78 Abs. 1 StGB von vornherein nicht zu einem Eingriff in das qua Verfassung geschützte Recht auf Suizidbeihilfe. Dieses Recht setzt ja wohl voraus, dass der Suizidwillige seinen Selbsttötungsentschluss bereits eigenständig – ohne „Hilfe“ eines Dritten – gebildet hat.[97]
§ 78 Abs. 1 StGB will nicht den Suizid entscheidungsfähiger Menschen verhindern, sondern lediglich der Gefahr begegnen, dass Suizide unfrei begangen werden. Das Delikt der Verleitung zum Suizid sollte daher als abstraktes Gefährdungsdelikt eingeordnet werden.[98] Aus diesem Grund findet § 78 Abs. 1 StGB keine Anwendung, wenn A den Entschluss des B zur Begehung des Suizids zwar erweckt, B sich aber erst nach Beachtung aller Regeln, die das StVfG für die Straffreiheit der Suizidbeihilfe aufgestellt hat (Vorliegen einer Krankheit i.S.d. § 6 Abs. 3 sowie Aufklärung gem. § 7 StVfG), eigenhändig das Leben nimmt. In einem solchen Fall besteht für eine Strafbarkeit des A überhaupt kein hinreichendes Strafbedürfnis. Täter des § 78 Abs. 1 StGB kann also nur sein, wer eine Person zum Suizid, der außerhalb des vom StVfG gesetzten Rahmens begangen werden soll, verleitet.
b) Suizidbeihilfe und Minderjährigenschutz (§ 78 Abs. 2 Ziff. 1)
§ 78 Abs. 2 Ziff. 1 StGB enthält (ebenso wie § 6 Abs. 1 StVfG) allen Minderjährigen das Recht auf Suizidbeihilfe vor. Die Einschränkung dieses Rechts auf Volljährige erweist sich indes als fragwürdig. Denn im Kontext der medizinischen Behandlung sind nicht bloß Volljährige, sondern auch Minderjährige ab Vollendung des 14. Lebensjahres in aller Regel selbstbestimmungsfähig. Haben normal entwickelte Minderjährige diese Altersstufe erreicht und leiden sie an keiner die Entscheidungsfähigkeit beeinträchtigenden geistigen Behinderung oder psychischen Krankheit, dann können sie einer Heilbehandlung zustimmen oder eine Heilbehandlung ablehnen. Sie sind ab Vollendung des 14. Lebensjahres also nicht nur einwilligungs-, sondern auch „vetomündig“ (§ 173 Abs. 1 ABGB). Deshalb haben sie ab Erreichung dieser Altersstufe sogar die Freiheit, die Einwilligung in einen medizinischen Eingriff, der vital indiziert ist, zu verweigern.[99]
Wenn normal entwickelte mündige Minderjährige, die weder geistig beeinträchtigt noch psychisch krank sind, die Freiheit haben, in einen vital indizierten medizinischen Eingriff nicht einzuwilligen, dann sollten sie auch generell berechtigt sein, Suizidbeihilfe in Anspruch zu nehmen. Dem Grunde nach läuft ja beides „auf das Gleiche hinaus“. Sowohl die Ablehnung einer vital indizierten, aber unerwünschten medizinischen Behandlung als auch die Inanspruchnahme von Suizidbeihilfe sind ursächlich für die Verkürzung der Lebenszeit des Sterbewilligen. Gleichzeitig ermöglichen diese beiden Maßnahmen aber „ein Sterben in der vom Patienten angestrebten Würde“.[100] Das in § 78 Abs. 2 Ziff. 1 StGB und § 6 Abs. 1 StVfG verankerte Verbot, das es mündigen Minderjährigen ausnahmslos verunmöglicht, Hilfe zur Selbsttötung (legal) in Anspruch zu nehmen, lässt sich mit dem verfassungsrechtlich abgesicherten Gleichbehandlungsgrundsatz (Art. 7 B-VG) nicht gut in Einklang bringen.[101] Der Gesetzgeber hätte daher auf § 78 Abs. 2 Ziff. 1 StGB ganz verzichten sollen.
c) Suizidbeihilfe aus verwerflichem Beweggrund (§ 78 Abs. 2 Ziff. 2)
Der Suizidbeihelfer ist gem. § 78 Abs. 2 Ziff. 2 StGB strafbar, wenn er Suizidbeihilfe aus einem verwerflichen Beweggrund leistet. Für diese Strafvorschrift dürfte Art. 115 des Schweizer StGB, der die Mitwirkung am „Selbstmord“ aus „selbstsüchtigen Gründen“ verbietet, Pate gestanden haben. Verwerflich zu handeln bedeutet nicht bloß, die Tat ohne achtenswerten Beweggrund zu begehen. Vielmehr muss sich der Täter, soll sein Tatmotiv als „verwerflich“ gelten, von der Tatbegehung einen persönlichen Vorteil versprechen. Das ist nach den ErläutRV StVfG jedenfalls dann der Fall, wenn er den Suizidwilligen bei der Selbsttötung nur deshalb unterstützt, weil er sich erhofft, sein Erbe zu werden.[102] Diese Auslegung deckt sich mit der Auffassung der Literatur und Rspr. zu Art. 115 des Schweizer StGB.[103] Die Rezeption von Art. 115 des Schweizer StGB in das österreichische Strafrecht ist allerdings vor dem Hintergrund des StVfG nicht gut verständlich. Im Gegensatz zum österreichischen Recht verknüpft das Schweizer Recht die Erlaubnis zur Mitwirkung am „Selbstmord“ nicht mit dem Vorliegen objektiver Kriterien (siehe nochmals § 6 Abs. 3 StVfG). Wenn aber der Suizidwillige an einer schweren Krankheit (§ 6 Abs. 3 StVfG) leidet und vor Begehung des Suizids entsprechend § 7 StVfG aufgeklärt worden ist, dann rückt das Tatmotiv des Suizidbeihelfers, den Suizidwilligen möglichst schnell zu beerben, wohl in den Hintergrund. Es verliert angesichts des vom VfGH und vom Gesetzgeber an sich positiv bewerteten Interesses des Suizidwilligen, bei der Selbsttötung unterstützt zu werden, eindeutig an Gewicht.[104] Abgesehen davon gerät der Tatbestand des § 78 Abs. 2 Ziff. 2 StGB mit dem Prinzip des Tatstrafrechts in ein deutliches Spannungsverhältnis. – Das alles spricht wohl nicht für, sondern deutlich gegen die Angemessenheit von § 78 Abs. 2 Ziff. 2 StGB.
d) Suizidbeihilfe und der Schutz von Personen, die nicht an einer Krankheit i.S.d. § 6 Abs. 3 StVfG leiden (§ 78 Abs. 2 Ziff. 3 Fall 1)
Die Frage, ob es die Verfassung erlaubt, die Zulässigkeit einer Hilfe zur Selbsttötung „vom Vorliegen einer unheilbaren oder tödlich verlaufenden Krankheit abhängig zu machen,“[105] wurde im österreichischen Schrifttum nach Verkündung des Sterbehilfe-Erkenntnisses[106] sehr kontrovers diskutiert. Der VfGH hat zu dieser Frage nicht so klar Stellung bezogen wie das BVerfG. Tatsächlich gibt es aber gute Gründe, das Recht auf Suizidbeihilfe nicht schrankenlos zuzugestehen.[107]
Die Schranken, die § 6 Abs. 3 StVfG errichtet und deren Verletzung von § 78 Abs. 2 Ziff. 3 Fall 1 StGB unter Strafe gestellt wird, lassen sich im Hinblick auf Art. 8 Abs. 2 EMRK (Schutz der „Moral“ sowie der „Rechte und Freiheiten anderer“) durchaus rechtfertigen: Tötet sich ein entscheidungsfähiger Mensch aus einem Grund, der entsprechend dem common sense alles andere als schwerwiegend ist, dann vereitelt er unwiderruflich seine wohlverstandenen Interessen an einem möglichst langen und unbeeinträchtigten Leben und fügt auch seinen Angehörigen einen (zumindest ideellen) Schaden zu.[108] Die Strafbarkeit der Suizidbeihilfe zugunsten einer Person, die gar nicht krank i.S.d. § 6 Abs. 3 StVfG ist, lässt sich also wesentlich stärker rechtfertigen als die in § 78 Abs. 2 Ziff. 1 und 2 StGB verankerten Strafvorschriften, deren Legitimität mehr als fragwürdig erscheint. Im Gegensatz zu § 78 Abs. 2 Ziff. 3 Fall 2 will § 78 Abs. 2 Ziff. 3 Fall 1 StGB aber nicht – oder zumindest nicht überwiegend – der Gefahr entgegenwirken, dass Suizide unfrei begangen werden könnten. § 6 Abs. 3 StVfG und § 78 Abs. 2 Ziff. 3 Fall 1 StGB liegt wohl eher die Vorstellung von paternalistisch motivierter Verhaltenssteuerung[109] zugrunde, wie sie in vielen anderen Bereichen der Rechtsordnung[110] anerkannt ist: Der Suizidwillige soll sich nicht leichtfertig um Lebenschancen bringen, die ihm nicht mehr offenstehen, wenn er bei der Begehung eines Suizids unterstützt wird.[111] Die Selbsttötung kann der Gesetzgeber Personen, die dazu entschlossen sind, sich ohne Unterstützung eines Suizidbeihelfers das Leben zu nehmen, ohnedies nicht mit sanktionsbewehrten Mitteln untersagen.
e) Suizidbeihilfe und der Schutz von Personen, die nicht gem. § 7 StVfG aufgeklärt worden sind (§ 78 Abs. 2 Ziff. 3 Fall 2)
§ 7 StVfG verpflichtet die zwei von dieser Bestimmung namhaft gemachten Ärzte, von denen einer über eine palliativmedizinische Qualifikation verfügen muss, zu extrem umfangreicher Aufklärung des Sterbewilligen. So müssen sie ihn etwa auch „auf konkrete Angebote für ein psychotherapeutisches Gespräch sowie für suizidpräventive Beratung“ hinweisen (§ 7 Abs. 2 Ziff. 4 StVfG) und ihn über die Dosierung des todbringenden Präparats sowie die Art seiner Einnahme informieren (§ 7 Abs. 2 Ziff. 2 und 3 StVfG). Ja, sie sind sogar verpflichtet, den Suizidwilligen darüber aufzuklären, dass er das Recht hat, eine Patientenverfügung zu errichten, um sicherzustellen, dass niemand versucht, ihn nach versuchter Tat „ins Leben zurückzuholen“ (§ 7 Abs. 2 Ziff. 3 StVfG). Der „wesentliche Inhalt“ (§ 7 Abs. 3 StVfG) des Aufklärungsgesprächs ist sodann in einem Dokument, das der Suizidwillige erhält, festzuhalten, um ihn in die Lage zu versetzen, eine Sterbeverfügung (§ 8 StVfG) zu errichten und sie den Anforderungen des Gesetzes entsprechend dokumentieren zu lassen.
Die ratio legis des § 78 Abs. 2 Ziff. 3 Fall 2 StGB entspricht jener des Verbots der Verleitung zur Selbsttötung (§ 78 Abs. 1 StGB) und der Beihilfe zum Suizid von Minderjährigen (§ 78 Abs. 2 Ziff. 1 StGB). In all diesen Fällen will der Gesetzgeber der abstrakten Gefahr entgegenwirken, dass Suizide unfrei begangen werden könnten. (Auch) § 78 Abs. 2 Ziff. 3 Fall 2 StGB verankert also ein abstraktes Gefährdungsdelikt.
Hat sich der Suizident – für den Suizidbeihelfer erkennbar – gar nicht freiverantwortlich getötet, dann kommt § 78 Abs. 2 Ziff. 3 Fall 2 StGB erst gar nicht zur Anwendung. In einem solchen Fall wird die Verantwortung für die Selbsttötung alleine dem „Beihelfer“ zugerechnet. Anders gewendet: „Was vom technischen Ablauf der unmittelbaren Verursachung her Selbsttötung ist, […] wird [mangels freien Willens des Suizidenten] zur Fremdtötung,“[112] so dass sich der „Suizidbeihelfer“ nicht nach § 78 Abs. 2 Ziff. 3 Fall 2 StGB, sondern – bei Tötungsvorsatz – als „verdeckter unmittelbarer Täter“[113] (§ 12 Fall 1 StGB) nach § 75 StGB (Mord) schuldig macht.[114] – In diesem Punkt passt also zwischen das österreichische und das deutsche Strafrecht „kein Blatt Papier“.[115]
Die Regeln des § 7 StVfG sind „hyperprozedural“[116] und muten teilweise sogar schikanös an, weil sie vom Suizidwilligen mehr verlangen, als unbedingt notwendig ist, um seinen Autonomie- und damit einhergehend Lebensschutz zu gewährleisten.[117] Noch viel weniger angemessen ist allerdings die völlig unverhältnismäßige Sanktion, die jedermann droht, der zum freiverantwortlich begangenen Suizid einer nicht gem. § 7 StVfG aufgeklärten Person beigetragen hat. Das zeigt schon ein Blick auf § 89 StGB mehr als deutlich: Wer – etwa als Teilnehmer im Straßenverkehr – durch ein besonders gefährliches Verhalten das Leben eines anderen gefährdet, ist mit Freiheitsstrafe bis zu drei Monaten oder mit Geldstrafe bis zu 180 Tagessätzen zu bestrafen. Wer hingegen einem todkranken Suizidwilligen (§ 6 Abs. 3 StVfG), der frei entschieden hat, sich zu töten, vor Begehung des Suizids „aber nicht gemäß § 7 StVfG ärztlich aufgeklärt wurde“ (so wörtlich § 78 Abs. 2 Ziff. 3 Fall 2 StGB), auf dessen Bitte hin ein todbringendes Präparat überlässt, der muss mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren rechnen.
Betrachten wir folgenden Fall: B ist Onkologe und leidet an Bauchspeicheldrüsenkrebs, einer Krankheit, die nach heutigem Stand der medizinischen Wissenschaft und Erfahrung in der ganz überwiegenden Zahl aller Fälle tödlich verläuft.[118] Daher bittet B seinen Berufskollegen A, der Palliativmediziner ist, ihm ein todbringendes Präparat zu überlassen. A entspricht der Bitte des B, woraufhin B seinem Leben ein Ende setzt. – A und B waren sich über die Schwere der Erkrankung des B völlig im Klaren. A hatte auch keinen Grund daran zu zweifeln, dass B entscheidungsfähig gewesen ist. Und schließlich hätte B ebenso Hand an sich gelegt, wenn er entsprechend § 7 StVfG aufgeklärt worden wäre.[119] Die Tatsache, dass B ohnedies voll aufgeklärt war – und deshalb einer Aufklärung gem. § 7 StVfG gar nicht bedurfte, um frei entscheiden zu können –, ändert an der Strafbarkeit des A (offenbar) nichts. – Der Verkehrsrowdy, der sich der „Gefährdung der körperlichen Sicherheit“ (§ 89 StGB) schuldig gemacht hat, muss nur mit einer Freiheitsstrafe bis zu drei Monaten oder gar nur mit Geldstrafe bis zu 180 Tagessätzen rechnen. Hingegen macht § 78 Abs. 2 Ziff. 3 Fall 2 StGB aus dem Arzt, der seinem todkranken und entscheidungsfähigen Berufskollegen auf dessen Bitte hin Suizidbeihilfe leistet, schon dann einen Verbrecher, wenn dieser Berufskollege vor Aushändigung des Tatmittels nicht gem. § 7 StVfG aufgeklärt war. Obwohl der Arzt vis à vis seinem Berufskollegen im Lichte des Sterbehilfe-Erkenntnisses des VfGH[120] zweifelsohne ein barmherziger Samariter ist, muss er mit einer Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren rechnen.
Die Unverhältnismäßigkeit der Sanktion, die § 78 Abs. 2 Ziff. 3 Fall 2 StGB an die Missachtung der in § 7 StVfG verankerten Regeln knüpft, wird auch durch die Tatsache, dass das Unrecht dieses Tatbestandes mit dem Unrecht des Tatbestandes des § 78 Abs. 2 Ziff. 3 Fall 1 StGB auf eine Stufe gestellt worden ist, mehr als deutlich: Für den Arzt, der einem an Bauchspeicheldrüsenkrebs leidenden Patienten auf dessen Bitte hin ein todbringendes Präparat überlässt, aber missachtet, dass dieser Patient nicht gem. § 7 StVfG aufgeklärt worden ist, gilt der gleiche Strafrahmen wie für eine Person, die einem entscheidungsfähigen 18-Jährigen, der an Liebeskummer leidet, Suizidbeihilfe leistet.[121]
Aus dem Rechtsstaatsprinzip folgt auch für das Strafrecht, dass die angedrohte Sanktion „in einem gerechten Verhältnis zur Schwere der Tat und zu dem Verschulden des Täters stehen muß […] Sie darf nach Art und Maß der unter Strafe gestellten Handlungen nicht schlechthin unangemessen […] sein.“[122] Der VfGH steht dieser Auffassung des BVerfG dem Grunde nach sehr nahe. In seinem Sterbehilfe-Erkenntnis heißt es ja unmissverständlich, dass ein im Gesetz verankerter, aber mit Grundsätzen des liberalen Rechtsstaates nicht vereinbarer Unrechtsvorwurf durch die Befugnis eines Strafgerichts, die Strafe – der geringen Schuld des Täters entsprechend – zu mildern, nicht beseitigt werden könne.[123]
IV. Abschließende Bewertung
Das – sprachlich zum Teil stark verunglückte[124] – StVfG ist Folge eines Erkenntnisses des VfGH, das den Gesetzgeber dazu zwang, das Recht auf Suizidbeihilfe im einfachen Gesetzesrecht anzuerkennen. Dieses Recht hat der Gesetzgeber freilich durch objektive Kriterien (§ 6 Abs. 3 StVfG) sowie durch Verankerung einschneidender administrativ-prozeduraler Regeln (§§ 7 f. StVfG) stark eingeschränkt, was sich auf den Vollzug des StVfG deutlich auswirkt: Im ersten Quartal des Jahres 2022 haben laut einer parlamentarischen Anfragebeantwortung des österreichischen Gesundheitsministers lediglich zwei Personen eine Sterbeverfügung errichtet.[125]
Die Einschränkungen, die das Recht, Suizidbeihilfe in Anspruch zu nehmen, durch § 7 StVfG erfährt, muten teilweise schikanös an und sind daher in manchen Punkten mehr als fragwürdig. Auch § 8 StVfG, der den Sterbewilligen zwingt, eine Sterbeverfügung zu errichten, um legal an das todbringende Präparat (§ 3 Ziff. 9 StVfG) heranzukommen, ist alles andere als legitim.[126] Denn durch Errichtung einer Sterbeverfügung gewinnt der schwerkranke Patient (§ 6 Abs 3 StVfG), der mehr als hinreichend gem. § 7 StVfG aufgeklärt worden ist, ja keinen zusätzlichen Autonomie- und damit einhergehend Lebensschutz. Wie es scheint, verdankt sich dieses neue Rechtsinstitut überwiegend dem Wunsch der österreichischen Ärzteschaft, die in den Prozess der Suizidbeihilfe nur beratend (§ 7 StVfG), nicht aber durch Verschreibung des todbringenden Präparats einbezogen werden wollte.[127]
Mindestens ebenso fragwürdig wie §§ 7 f. StVfG ist die durch Art. 3 StVfG novellierte Fassung des § 78 StGB.
Von den fünf Tatbeständen dieses Paragraphen ist lediglich Abs. 2 Ziff. 3 Fall 1 (Verletzung von § 6 Abs. 3 StVfG) dem Grunde nach legitim. Allerdings verletzt die angedrohte Sanktion – Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren – wohl das Übermaßverbot. Angesichts der Tatsache, dass bei § 6 Abs. 3 StVfG der Gedanke einer paternalistisch motivierten Verhaltenssteuerung ganz im Vordergrund steht, wäre es wohl plausibler gewesen, die Verletzung dieser Bestimmung weniger streng zu sanktionieren.[128]
Eine kriminalstrafrechtliche Sanktionierung von Personen, die einem entscheidungsfähigen Sterbewilligen, der nur nicht gem. § 7 StVfG aufgeklärt worden ist, Suizidbeihilfe leisten (§ 78 Abs. 2 Ziff. 3 Fall 2 StGB), lässt sich indes gar nicht rechtfertigen. Was den Gesetzgeber dazu bewogen hat, die Missachtung bloßer Verfahrensregeln als Verbrechen zu qualifizieren (§ 17 Abs. 1 StGB), darüber kann man nur spekulieren. Möglicherweise hatte der Gesetzgeber unausgesprochene Zweifel an der These, dass Suizide, zu deren Durchführung der Suizident Unterstützung bekommt, freiverantwortlich begangen werden.
Diese Zweifel sind freilich völlig unberechtigt, weil schon § 139b StG 1945 und § 78 StGB i.d. Stammfassung die These vom freiverantwortlich begangenen Suizid zugrunde liegt: Ist die Selbsttötung gar nicht frei vollzogen worden, dann ist der „Suizidbeihelfer“ ja nicht nach § 78 Abs. 2 StGB, sondern – je nach Schuldform – wegen Mordes oder fahrlässiger Tötung zur Verantwortung zu ziehen.[129]
Der an den Täter des § 78 Abs. 2 Ziff. 3 Fall 2 StGB gerichtete Vorwurf – Leistung von Suizidbeihilfe zugunsten eines entscheidungsfähigen Sterbewilligen, der nur nicht gem. § 7 StVfG aufgeklärt worden ist – liegt unterhalb der Schwelle jener sozialen Missbilligung, die eine kriminalstrafrechtliche Sanktion erfordert. Daher lässt sich § 78 Abs. 2 Ziff. 3 Fall 2 StGB mit dem Rechtsstaatsprinzip nicht mehr in Einklang bringen. Es hätte nahegelegen, § 13 StVfG zu erweitern und die Beihilfe zum Suizid eines entscheidungsfähigen Sterbewilligen, der nur nicht gem. § 7 StVfG aufgeklärt worden ist, mit einer bloßen Verwaltungsstrafe zu sanktionieren.[130]
[1] Siehe für Österreich StG 1803 (JGS 1803/626) Teil II, §§ 90 bis 92. Die rechtliche Sanktionierung der Selbsttötung wurde durch Art. XVI des sog. Milderungspatentes v. 17.1.1850, RGBl. 1850/34, aufgehoben; dazu zuletzt Memmer, JSt. 8 (2021), 469 (474 ff.); ders., Imago Hominis 29 (2022), 121 (126 f.); rechtsvergleichend Simson/Geerds, Straftaten gegen die Person und Sittlichkeitsdelikte in rechtsvergleichender Sicht, 1969, S. 63 ff.; Rehbach, DRiZ 1986, 241 ff.; Wacke, ZRG (Rom. Abt.) 97 (1980), 26 ff.
[2] Die Bestimmung hat folgenden Wortlaut: „Wer einen Andern auf dessen Verlangen tödtet, oder ihm zum Selbstmorde behülflich ist, hat sechs- bis zehnjährige, und bey einem überwiegenden Verdachte, den Wunsch nach dem Tode bey dem Getödteten selbst veranlaßt zu haben, lebenswierige Festungs- oder Zuchthausstrafe verwirkt“ (Abdruck u.a. bei Heinrich, in: GedS Tröndle, 2019, S. 539 [542 Fn. 23]).
[3] Begründung zum Gesetzentwurf der Abgeordneten Sensburg, Dörflinger et al. v. 30.6.2015 über die Strafbarkeit der Teilnahme an der Selbsttötung, BT-Drs. 18/5376, S. 5; Heinrich, in: GedS Tröndle, 2019, S. 539 (542); Teising, in: Küchenhoff/Teising (Hrsg.), Sich selbst töten mit Hilfe Anderer, 2022, S. 13 (17 f.).
[4] Siehe McHale/Fox, Health Care Law, 2007, S. 998 ff.; G. Williams, The Sanctity of Life and the Criminal Law, 1958, S. 264 ff.
[5] Siehe Bosch, in: Eser/Koch (Hrsg.), Materialien zur Sterbehilfe. Eine internationale Dokumentation, 1991, S. 391 (395).
[6] Siehe Hünerfeld, in: Eser/Koch (Hrsg.), ebd. S. 581 (587).
[7] Siehe Madlener, in: Eser/Koch (Hrsg.), ebd. S. 651 (662).
[8] Siehe Commonwealth v. Hicks, 118 Ky. 637 = 82 S.W. 265 (1904); Silving, Univ. Pennsylvania L. Rev. 103 (1954), 350 (369 ff.); Baughman/Bruha, Notre Dame L. Rev. 48 (1973), 1202 ff.; Wright, North Carolina Central L. Rev. 7 (1975), 156 ff.; Engelhardt/
Malloy, Sw. L. J. 36 (1982), 1003 ff.; Shaffer, Columbia L. Rev. 86 (1986), 348 ff.; G.P. Smith, U. C. Davis L. Rev. 22 (1989), 275 ff.; ders., Final Choices. Autonomy in Health Care Decisions, 1989, S. 105 ff. – Eine gewisse „Mittellösung“ hat der Gesetzgeber in der Schweiz erzielt: Die Mitwirkung an der Selbsttötung ist nach Art. 115 des Schweizer StGB nur strafbar, wenn sie aus „selbstsüchtigen Beweggründen“ erfolgt; siehe dazu einlässlich Ch. Schwarzenegger, in: Petermann (Hrsg.), Sicherheitsfragen der Sterbehilfe, 2008, S. 82 ff.
[9] I.d.S. für § 78 österr. StGB i.d. Stammfassung Wach, ÖJZ 1978, 479 („… Sonderfall vorsätzlicher Tötung …“); Kneihs, Grundrechte und Sterbehilfe, 1998, S. 487 („… Fremdtötung …“); Nimmervoll, in: Leukauf/Steininger, StGB, 4. Aufl. (2016), § 78 Rn. 1 („… privilegierte[r] Fall der vorsätzlichen Tötung …“).
[10] So die wohl h.M. zu § 78 österr. StGB i.d. Stammfassung; siehe – stellvertretend – Moos, JBl. 2001, 196; Birklbauer, in: Wiener Komm. StGB, 2. Aufl. (Stand 1.3.2019, rdb.at), § 78 Rn. 8 („… kein privilegierter Fall des § 75 …“); ebenso die Rspr.: OGH 31.3.1950, 1 Os 651/49 SSt. 21/42 („… selbständiges Verbrechen, weil eben der Selbstmord [k]eine strafbare Tat ist …“).
[11] Siehe oben in Fn. 2.
[12] Siehe die Nachweise bei Heinrich, in: GedS Tröndle, 2019, S. 539 (544 f.).
[13] Dazu unter II.1.
[14] Siehe aus der Rspr. BGH, Urt. v. 12.2.1952 – 1 StR 59/50, BGHSt 2, 152 = NJW 1952, 552; BGH, Urt. v. 14.2.1984 – 1 StR 808/83, BGHSt 32, 262 = NStZ 1984, 410 m. Anm. v. Roxin = JZ 1984, 750 m. Anm. v. Kienapfel; BGH, Urt. v. 7.2.2001 – 5 StR 474/00, JZ 2002, 150 m. Anm. v. Sternberg-Lieben = NStZ 2001, 546 m. Anm. v. Duttge; aus der Literatur: Roxin, in: FS Dreher, 1977, S. 331 ff.; anders nur Schmidhäuser, in: FS Welzel, 1974, S. 801 ff.
[15] Für ausnahmslose Strafbarkeit der Mitwirkung am Suizid allerdings der Gesetzentwurf der Abgeordneten Sensburg, Dörflinger et al. v. 30.6.2015 über die Strafbarkeit der Teilnahme an der Selbsttötung, BT-Drs. 18/5376 sowie Vertreter aus der Ärzteschaft; vgl. Richter-Kuhlmann, Dtsch. Ärztebl. 109 (2012), A-1970.
[16] Achenbach et al., in: Saliger, Selbstbestimmung bis zuletzt. Rechtsgutachten zum strafrechtlichen Verbot organisierter Sterbehilfe, 2015, S. 216 ff.
[17] Achenbach et al., in: Saliger, ebd. S. 217.
[18] Dieses Argument wird auch als „formales Akzessorietätsargument“ (Prinzip der Eigenverantwortlichkeit des Suizidenten für sein Leben; vgl. nur Eser/Sternberg-Lieben,in: Schönke/Schröder, StGB, 30. Aufl. (2019), Vorbem. §§ 211 ff. Rn. 35) bezeichnet. – Pointiert schon Sanders v. State of Texas, 54 Tex. Crim. 101 (105) = 112 S.W. 68 (1908): „So far as our law is concerned, the suicide is innocent of any criminality. Therefore, the party who furnishes the means to the suicide is also innocent of violating the law. It may be a violation of morals and ethics and reprehensible that a party may furnish another poison or pistols or guns or any other means or agency for the purpose of the suicide to take his own life, yet our law has not seen proper to punish such persons or such acts.“
[19] Das Dritte Gesetz zur Änderung des Betreuungsrechts (sog. Patientenverfügungsgesetz), BGBl. I 2009, S. 2286, verwirklichte das Recht einwilligungsfähiger Personen, medizinische Eingriffe für den Fall des Verlusts der Einwilligungsfähigkeit im Wege einer Patientenverfügung zu untersagen (§ 1901a BGB); dazu u.a.
Olzen/Schneider, MedR 2010, 745 ff.; Spickhoff, FamRZ 2009, 1949 ff.; zum österr. Patientenverfügungsgesetz (PatVG, BGBl. I 2016/55) siehe Bernat, EF-Z 2006, 42 ff. und 74 ff.; ders./Gaberc, GesR 2007, 1 ff.; ders., in: Albers (Hrsg.), Patientenverfügungen, 2008, S. 97 ff.; ders., in: Körtner/Kopetzki/Kletečka-Pulker (Hrsg.), Das österreichische Patientenverfügungsgesetz. Ethische und rechtliche Aspekte, 2007, S. 43 ff.; Duttge, ZfL 2006, 81 ff.; Kathrein, ÖJZ 2006, 555 ff.; Kopetzki, in: Duttge (Hrsg.), Ärztliche Behandlung am Lebensende, 2008, S. 79 ff.; Körtner, ZEE 2006, 221 ff.; Memmer, RdM 2006, 163 ff.; Pogacar, Zak 2006, 223 ff.; Tolmein, FAZ v. 20.4.2006, S. 37.
[20] Siehe nochmals Eser/Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, StGB, Vorbem. §§ 211 ff. Rn. 35 sowie Hecker, JuS 2020, 82 ff. und Schneider, in: MüKo-StGB, 4. Aufl. (2021), Vorbem. § 211 Rn. 34.
[21] Das Strafgesetz (StG) v. 27.5.1852, RGBl. 1852/117, wurde nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges durch § 2 Abs. 1 des Gesetzes v. 12.6.1945, StGBl 1945/25, i.d.F. v. 13.3.1938 wiederverlautbart. Seit damals wurde bzw. wird es als StG 1945 bezeichnet.
[22] Siehe Art. II Ziff. 5 des BG v. 19.6.1934 über die Wiedereinführung der Todesstrafe im ordentlichen Verfahren und die Umgestaltung der Geschworenengerichte (Strafrechtsänderungsgesetz 1934), BGBl. II 1934/77.
[23] 49 Blg. Sten. Prot. NR 3. GP. § 248 E 1927 hat folgenden Wortlaut: „Wer einen anderen verleitet, sich selbst zu töten, wird, auch wenn der andere nur versucht hat, sich zu töten, mit Gefängnis bestraft. In besonders schweren Fällen ist die Strafe Zuchthaus bis zu zehn Jahren.“ Zu dieser Bestimmung heißt es in den amtlichen Erläuterungen (49 Blg. Sten. Prot. NR 3. GP, S. 196): „Der Entwurf lässt die Beihilfe straflos; wer einen anderen, der zum Selbstmord entschlossen ist, die Ausführung seines Entschlusses erleichtert, mag in hohem Grade sittlich verwerflich handeln, für eine strafrechtliche Ahndung dieses Tuns besteht kein ausreichendes Bedürfnis. Anders liegt es, wenn der Täter in dem anderen den Entschluß, sich selbst zu töten, erst erregt. Hier kann es sich […] um Willensbeugungen schlimmster Art handeln.“
[24] Dazu einlässlich Rittler, ZBl. 46 (1928), 1 ff.
[25] BG v. 23.1.1974 über die mit gerichtlicher Strafe bedrohten Handlungen (Strafgesetzbuch – StGB), BGBl. 1974/60.
[26] 30 Blg. Sten. Prot. NR 13. GP, S. 196.
[27] BGBl. I 2015, S. 2177.
[28] BT-Drs. 18/5373, S. 2. – „Geschäftsmäßig“ i.S.d. deutschen Strafrechts handelt der Täter schon dann, wenn er – nicht notwendigerweise in Gewinnerzielungsabsicht – etwas Dritten gegenüber nachhaltig betreibt oder anbietet (BT-Drs. 18/5373, S. 16). Die Entscheidung des Gesetzgebers, schon die „geschäftsmäßige“ und nicht erst die „gewerbsmäßige“ Förderung des Suizids unter Strafe zu stellen, hatte zur Folge, dass sich eine Person schon dann strafbar machte, wenn sie Suizidbeihilfe mit Wiederholungsabsicht anbot
(Brunhöber, in: MüKo-StGB, § 217 Rn. 11).
[29] Sachs, JuS 2020, 580.
[30] BT-Drs. 18/5373, S. 3.
[31] Neumann, in: FS Rengier, 2018, S. 572 (580).
[32] Grünewald, JZ 2016, 938 (947).
[33] Duttge, NJW 2016, 120 (123); kritisch auch Sowada, ZfL 2016, 34 ff.; Roxin, NStZ 2016, 185 (188 ff.); Nakamichi, ZIS 2017, 324 ff.
[34] BVerfG, Urt. v. 26.2.2020 – 2 BvR 2347/15, u.a. BVerfGE 153, 182 = MedR 2020, 563 m. Anm. v. Duttge und Kreß = NStZ 2020, 528 m. Anm. v. Brunhöber = JuS 2020, 580 m. Anm. v. Sachs; aus der zahlreichen Literatur, die schon vor Verkündung dieses Urteils die Entscheidung zum Suizid als elementares Persönlichkeitsrecht eingeordnet hatte, siehe bloß Bernat, ÖJZ 2002, 92 ff.; Bottke, GA 1982, 346 ff.; Lindner, ZRP 2017, 94 f.
[35] BVerfG, Urt. v. 26.2.2020 – 2 BvR 2347/15, u.a. BVerfGE 153, 182 (Rn. 209).
[36] BVerfG, Urt. v. 26.2.2020 – 2 BvR 2347/15, u.a. BVerfGE 153, 182 (Rn. 212).
[37] BVerfG, Urt. v. 26.2.2020 – 2 BvR 2347/15, u.a. BVerfGE 153, 182 (Rn. 210, 340).
[38] BVerfG, Urt. v. 26.2.2020 – 2 BvR 2347/15, u.a. BVerfGE 153, 182 (Rn. 340).
[39] BVerfG, Urt. v. 26.2.2020 – 2 BvR 2347/15, u.a. BVerfGE 153, 182 (Leitsatz 5).
[40] BVerfG, Urt. v. 26.2.2020 – 2 BvR 2347/15, u.a. BVerfGE 153, 182 (Rn. 284).
[41] Überblick dazu bei Ausschuss Medizinrecht im Deutschen Anwaltverein, MedR 2021, 536 f.; Eberbach, MedR 2022, 455 ff.; Gaede, ZRP 2022, 73 ff.; Pietsch, KriPoZ 2022, 148 ff. Rostalski, GA 2022, 209 ff.; Saliger, in: FS Merkel, 2020, S. 1063 ff.
[42] VfGH, Erk. v. 11.12.2020, G 139/2019-71 VfSlg. 20.433 = JBl. 2021, 164 = RdM 2021/174, 75 = MedR 2021, 538 m. Problemstellung v. Duttge = GesR 2021, 809.
[43] BVerfG, Urt. v. 26.2.2020 – 2 BvR 2347/15, u.a. BVerfGE 153, 182.
[44] VfGH, Erk. v. 11.12.2020, G 139/2019-71 VfSlg. 20.433 (Rn. 73).
[45] VfGH, Erk. v. 11.12.2020, G 139/2019-71 VfSlg. 20.433 (Rn. 74).
[46] VfGH, Erk. v. 11.12.2020, G 139/2019-71 VfSlg. 20.433 (Rn. 83).
[47] VfGH, Erk. v. 11.12.2020, G 139/2019-71 VfSlg. 20.433 (Rn. 84).
[48] VfGH, Erk. v. 11.12.2020, G 139/2019-71 VfSlg. 20.433 (Rn. 85).
[49] VfGH, Erk. v. 11.12.2020, G 139/2019-71 VfSlg. 20.433 (Rn. 85 a.E.).
[50] VfGH, Erk. v. 11.12.2020, G 139/2019-71 VfSlg. 20.433 (Rn. 92).
[51] VfGH, Erk. v. 11.12.2020, G 139/2019-71 VfSlg. 20.433 (Rn. 104).
[52] VfGH, Erk. v. 11.12.2020, G 139/2019-71 VfSlg. 20.433 (Rn. 105).
[53] Siehe VfGH, Erk. v. 11.12.2020, G 139/2019-71 VfSlg. 20.433 (Rn. 18); dazu kritisch Bernat, MedR 2021, 529 (531).
[54] VfGH, Erk. v. 11.12.2020, G 139/2019-71 VfSlg. 20.433 (Rn. 120).
[55] A.A. in der Tendenz im Hinblick auf den § 77 StGB entsprechenden § 216 dStGB nun aber BGH, Urt. v. 28.6.2022 – 6 StR 68/21, NJW 2022, 3021 m. Anm. v. Grünewald = GesR 2022, 604. Der sechste Strafsenat des BGH neigt in dieser Entscheidung der Auffassung zu, „dass die vom BVerfG zu § 217d Abs. 1 dStGB entwickelten Grundsätze […] auf § 216 dStGB übertragbar sind, weil diese Vorschrift in vergleichbarer Weise in das Grundrecht auf selbstbestimmtes Sterben eingreift“ (a.a.O. Rn. 23). In der Tendenz ebenso Jakobs, Tötung auf Verlangen, Euthanasie und Strafrechtssystem, 1998, S. 35: „Tötung auf Verlangen ist arbeitsteilig vollzogene Selbsttötung; denn der Verlangende, nicht der Ausführende,
bestimmt den Zweckzusammenhang.“ Siehe zu BGH, Urt. v. 28.6.2022 – 6 StR 68/21, NJW 2022, 3021 m. Anm. v. Grünewald auch Rixen, GesR 2022, 640 ff. und Duttge, GesR 2022, 642 f.
[56] VfGH, Erk. v. 11.12.2020, G 139/2019-71 VfSlg. 20.433 (Rn. 115).
[57] VfGH, Erk. v. 11.12.2020, G 139/2019-71 VfSlg. 20.433 (Rn. 108).
[58] Bernat, MedR 2021, 529 ff.; Birklbauer, JSt. 8 (2021) 10 ff.; Brade/Friedrich, RdM 2021/334, 225 ff.; Burda, ÖJZ 2021/28, 220 ff.; Fremuth, ZÖR 76 (2021), 841 ff.; Gamper, JBl. 2021, 137 ff.; Khakzadeh, RdM 2021/109, 48 ff.; Kneihs, NLMR 2020, 425 ff.; ders., in: Jahrbuch Öffentliches Recht 2021, S. 198 ff.;
Kopetzki, RdM 2021/108, 45; Lambauer, in: Urban (Hrsg.), Wissenschaft – Praxis – Studium (2021), 15 ff.; Margula, RZ 2021, 19 f.; Pöschl, EuGRZ 2021, 12 ff.; (sehr) kritisch lediglich Lewisch, ÖJZ 2021/124, 978 ff.
[59] BVerfG, Urt. v. 26.2.2020 – 2 BvR 2347/15 u.a. BVerfGE 153, 182.
[60] Bis 2021 hieß es in § 16 Satz 3 der deutschen (Muster-)Berufsordnung für die deutschen Ärztinnen und Ärzte (MBO-Ä): „Sie [Ärztinnen und Ärzte] dürfen keine Hilfe zur Selbsttötung leisten.“ Angesichts der Entscheidung des BVerfG v. 26.2.2021 – 2 BvR 2347/15, u.a. BVerfGE 153, 182, hat der 124. Deutsche Ärztetag (5.5.2021) diese Position aufgegeben. In § 16 Abs. 3 MBO-Ä i.d.F. des 124. Deutschen Ärztetages heißt es nunmehr: „Ärztinnen und Ärzte haben Sterbenden unter Wahrung ihrer Würde und unter Achtung ihres Willens beizustehen. Es ist ihnen verboten, Patientinnen und Patienten auf deren Verlangen zu töten.“ Siehe dazu einlässlich Bundesärztekammer, Dtsch. Ärztebl. 118 (2021), A-1428 ff.; Kraatz, NStZ-RR 2022, 33 (34); Krekeler, MedR 2022, 880 ff.
[61] BG, mit dem ein Sterbeverfügungsgesetz erlassen wird sowie das Suchtmittelgesetz und das Strafgesetzbuch geändert werden, BGBl. I 2021/242 (ausgegeben am 31.12.2021). – Der Ministerialentwurf wurde erst am 23.10.2021 zur Begutachtung versandt, die Begutachtungsfrist endete am 12.11.2021; siehe zur unangemessen kurzen Begutachtungsfrist die Kritik bei Bernat, Stellungnahme zum Ministerialentwurf eines StVfG, 115/SN-150/ME.
[62] BGBl. I 2020/154.
[63] Vgl. JAB StVfG 1255 Blg. Sten. Prot. NR 27. GP, S. 2.
[64] VfGH, Erk. v. 11.12.2020, G 139/2019-71 VfSlg. 20.433.
[65] So Edtstadler (Bundesministerin für EU und Verfassung) im Rahmen der Salzburger Bioethik-Dialoge; siehe Edtstadler, ORF.at v. 1.5.2021, online abrufbar unter: https://religion.orf.at/stories/3206294/ (zuletzt abgerufen am 30.8.2022). – Selbst der restriktive Kurs des StVfG schien der österreichischen Bischofskonferenz viel zu liberal; siehe dazu Neuwirth, Die Presse v. 13.11.2021, S. 11; Kolosz, Die Presse v. 29.10.2021, S. 30; Prüller, Die Presse v. 14.11.2021, S. 47.
[66] Statt vieler Bernat, MedR 2021, 529 (533); Birklbauer, RdM 2016/62, 84 (88); Burda, RdM 2020/283, 272 (275); aus der deutschen Diskussion Thöns et al., Schmerzmedizin 37/4 (2021), 12 ff.
[67] ErläutRV StVfG 1177 Blg. Sten. Prot. NR 27. GP, S. 5 f.
[68] Zur Diskussion in Deutschland Birnbacher, Ethik Med. 34 (2022), 161 ff.
[69] ErläutRV StVfG 1177 Blg. Sten. Prot. NR 27. GP, S. 2.
[70] Dazu einlässlich Bernat, in: Deixler-Hübner/Schauer (Hrsg.), Handbuch Erwachsenenschutzrecht, 2018, Rn. 8.4 ff.
[71] Nach Mokrejs-Weinhappel, in: Dokalik (Hrsg.), StVfG-Kurzkommentar (2022), § 7 Rn. 12 soll es – entgegen dem Wortlaut von § 7 Abs. 3 StVfG – genügen, dass die beiden Ärzte ein gemeinsames Dokument errichten.
[72] Siehe § 6 PatVG.
[73] Gem. § 1 Abs. 2 StVfG können nur österreichische Staatsbürger bzw. Personen, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Österreich haben, eine Sterbeverfügung errichten. Diese Einschränkung hat der Gesetzgeber ganz bewusst getroffen, um zu verhindern, „dass Personen mit fremder Staatsangehörigkeit nur zur Inanspruchnahme der Regelungen über den assistierten Suizid nach Österreich reisen“ (ErläutRV StVfG 1177 Blg. Sten. Prot. NR 27. GP, S. 7). – Indes könnte § 1 Abs. 2 StVfG europarechtliche Fragen der Dienstleistungsfreiheit (Art. 56 AEUV) aufwerfen, die der Gesetzgeber völlig ausgeblendet hat; siehe dazu in vergleichbarem Zusammenhang R v. Human Fertilisation and Embryology Authority, ex parte Blood [1997] 2 All ER 687 = [1997] 2 WLR 806 = [1999] Fam. 151;
Hervey, Oxford Journal of Legal Studies 18 (1998), 207 ff.; Bernat, Bioethische Entscheidungskonflikte im Spiegel der Judikatur, 2003, S. 136 ff.
[74] Dieses Register wird von dem für Gesundheitswesen zuständigen Bundesminister elektronisch geführt (§ 9 Abs. 2 StVfG).
[75] Nach § 3 Ziff. 9 StVfG und § 2 StVf-Präp-VO (BGBl. II 2022/16) gilt als Präparat i.S.d. StVfG Natrium-Pentobarbital.
[76] Nach den ErläutRV StVfG, 1177 Blg. Sten. Prot. NR 27. GP, S. 8, zählt zur „physischen Unterstützung“ auch die Bereitstellung einer Wohnung oder eines Zimmers, in der (dem) der Suizidwillige seinen Entschluss, sich eigenhändig zu töten, umsetzen kann.
[77] ErläutRV StVfG 1177 Blg. Sten. Prot. NR 27. GP, S. 11. – Verletzt ein Arzt bzw. Notar § 6 Abs. 4 StVfG, so zieht dies nur disziplinarrechtliche Folgen nach sich; siehe § 136 Abs. 1 Ziff. 2 ÄrzteG, § 155 Abs. 1 Ziff. 1 NO. Im StVfG wird die Verletzung des § 6 Abs. 4 StVfG durch Arzt, Notar oder rechtskundigen Mitarbeiter der
Patientenvertretung gar nicht sanktioniert.
[78] § 3 StVf-Präp-VO bestimmt ausdrücklich, dass das nach § 3 Ziff. 9 StVfG zulässige Präparat (Natrium-Pentobarbital) als magistrale Rezeptur sowohl oral zubereitet als auch „intravenös mit Infusion“ eingenommen werden kann. – Dass der zweite Fall „haarscharf“ an der Grenze zur Fremdtötung (§§ 75, 77 StGB) liegt, wird von den Legisten des Gesetzes mit keinem Wort erwähnt: Dokalik/Mokrejs-Weinhappel/Rom, ÖJZ 2022/23, 161; treffend schon Silving, Univ. Pennsylvania L. Rev. 103 (1954), 350 (369): „Clearly, the guilt of the physician who injects poison into a patient’s body hardly appears to be greater than that of his colleague who hands the injection needle to the patient and instructs him how to use it.“
[79] Siehe § 97 Abs. 3 StGB, § 6 FMedG i.d.F. BGBl. I 2015/35.
[80] Zu weiteren apothekenrechtlichen Fragen, die das StVfG aufwirft, einlässlich Schwamberger, RdM 2022/248, 164 ff.
[81] So die ErläutRV StVfG 1177 Blg. Sten. Prot. NR 27. GP, S. 5.
[82] Alten- bzw. Pflegeheime dürfen das Recht auf Inanspruchnahme von Suizidbeihilfe auch nicht – etwa durch ein im Heimaufnahmevertrag verankertes Verbot – unterminieren (ebenso Ganner, ÖZPR 2021, 180 [183]; a.A. Neumayr/Resch, in: Gmundner Komm. Gesundheitsrecht [2022], § 2 StVfG Rn. 3); zur diesbezüglichen Problematik siehe Weiser, Die Presse v. 28.2.2021, S. 8; dies, Die Presse v. 29.10.2021, S. 10.
[83] Siehe Druml, Die Presse v. 28.10.2021, S. 10.
[84] § 12 Abs. 1 StVfG knüpft an § 219a dStGB (Verbot von Werbung für den Schwangerschaftsabbruch) an. Diese Bestimmung ist freilich durch BG v. 11.7.2022, BGBl. I 2022, S. 1082, aufgehoben worden ist. Mit der Aufhebung des § 219a dStGB wollte der deutsche Gesetzgeber „erreichen, dass sich betroffene Frauen besser informieren können.“ Die Erlaubnis, für straflose Schwangerschaftsabbrüche zu werben, gerate auch „mit der grundgesetzlichen Schutzpflicht für das ungeborene Leben“ nicht in Konflikt (BT-Drs. 20/1635, S. 1).
[85] VfGH, Erk. v. 11.12.2020, G 139/2019-71 VfSlg. 20.433 (Rn. 73).
[86] VfGH, Erk. v. 11.12.2020, G 139/2019-71 VfSlg. 20.433 (Rn. 74).
[87] BVerfG, Urt. v. 26.2.2020, 2 BvR 2347/15, u.a. BVerfGE 153, 182.
[88] ErläutRV StVfG 1177 Blg. Sten. Prot. NR 27. GP, S. 17. – Nach § 78 Fall 2 StGB i.d. Stammfassung war auch psychische Beihilfe zur Selbsttötung, also ein Verhalten des Täters, das den Entschluss seines Opfers, sich zu töten, bloß bestärkt, strafbar (dazu einlässlich Schmoller, in: FS Kopetzki, 2019, S. 591 ff.). In einer Entscheidung v. 21.3.1972 (12 Os 239/71 EvBl. 1972/328) bewertete der OGH sogar die Worte: „Mach, was du willst!“ als psychische Beihilfe zum Suizid. – Bedauerlicherweise hat der Gesetzgeber auch in der Neufassung des § 78 StGB eine in der Literatur seit Langem umstrittene Frage nicht abschließend geklärt: Macht sich A wegen Beihilfe zur Selbsttötung in der Begehungsform des Versuchs strafbar, wenn er B das Tatmittel zwar zur Verfügung stellt, es aber nicht einmal zu einem Selbsttötungsversuch kommt, weil B beschließt, weiterzuleben? Nach dem Tatbild des § 290 StGB-Entwurf 1912 (90 Blg. Sten. Prot. HH 21. Sess 1) wurde der Täter erst dann wegen Suizidbeihilfe in der Begehungsform des Versuchs strafbar, wenn der Suizidwillige die Ausführung des Selbstmordes bereits „unternommen“ hatte; ähnlich Art. 115 des Schweizer StGB („… wenn der Selbstmord […] versucht wurde …“). Obwohl § 78 StGB i.d. Stammfassung eine solche Einschränkung gar nicht trifft, wird sie auf der Grundlage einer Analogie zu § 15 Abs. 2 StGB (Straflosigkeit des Beitrags zum Versuch einer Straftat, so lange der unmittelbare Täter das objektive Versuchsstadium noch nicht erreicht hat) von einem Teil der Lehre für angemessen gehalten; siehe bloß Kienapfel/Schroll, Strafrecht BT I, 4. Aufl. (2016), § 78 Rn. 24; Fuchs/Zerbes, Strafrecht AT, 11. Aufl. (2021), Kap. 28 Rn. 34; Fuchs/Reindl-Krauskopf, Strafrecht BT I, 7. Aufl. (2020), S. 19 f.; Schmölzer, in: FS Burgstaller, 2004, S. 157 (164 Fn. 54); a.A. Hoyer, RZ 1934, 129 (131) zu § 139b StG 1945; Schnek, JBl. 1934, 359 (364) zu § 139b StG 1945; Moos, in: Wiener Komm. StGB, 1. Aufl. (1984), § 78 Rn. 14; Wach, ÖJZ 1978, 479 (481); Lewisch, Strafrecht BT I, 2. Aufl. (1999), S. 12 f.; sowie ErläutRV StGB 1974, 30 Blg. Sten. Prot. NR 13. GP, S. 197: „Ob sich der Lebensmüde zu töten versucht […] hat, spielt [für die Strafbarkeit nach §§ 15, 78 StGB] keine Rolle.“
[89] Beispiel: Der schwerkranke (§ 6 Abs. 3 StVfG) und entsprechend § 7 StVfG aufgeklärte Suizidwillige errichtet keine Sterbeverfügung, weil er die „cooling off“-Periode (§ 8 Abs. 1 StVfG) nicht abwarten will. In einem solchen Fall kann er sich zwar nicht durch Einnahme von Natrium-Pentobarbital (i.e. das todbringende Präparat gem. § 3 Ziff. 9 StVfG und § 2 StVf-Präp-VO) das Leben nehmen, weil ihm der (legale) Erwerb dieses todbringenden Präparats ohne Sterbeverfügung gar nicht möglich ist. Allerdings kann er – unter Mitwirkung eines Suizidbeihelfers – auf andere Weise (bspw. durch Einnahme einer Überdosis von Schmerz-, Schlaf- oder Beruhigungsmitteln oder durch Erschießen, Erhängen etc.) Suizid begehen. Tut er dies, bleibt der Suizidbeihelfer straffrei, weil seine Mitwirkung an der Selbsttötung keinem der beiden Tatbestände des § 78 Abs. 2 Ziff. 3 StGB entspricht. – Scharfe Kritik an dieser Regelung bei Cornides, Imago Hominis 29 (2022), 113 ff.; siehe auch Neuwirth, Die Presse v. 13.11.2021, S. 11.
[90] Für § 78 StGB i.d. Stammfassung OGH, Beschl. v. 11.1.1999, 14 Os 180/98 SSt. 63/41= RdM 1999/19, 156 m. Anm. v. Bernat; OGH, Urt. v. 14.3.2000, 14 Os 158/99 SSt. 63/86 = EvBl. 2000/162 = JBl. 2001,194 m. Anm. v. Moos; Wach, ÖJZ 1978, 479 (480); Schmölzer, in: FS Burgstaller, 2004, S. 157 (163 f.); Birklbauer, in: Wiener Komm. StGB, 2. Aufl., § 78 Rn. 36 (Stand 1.3.2019, rdb.at); ebenso für § 78 StGB i.d.F. von Art. 3 StVfG ErläutRV StVfG 1177 Blg. Sten. Prot. NR 27. GP, S. 17.
[91] Moos, JBl. 2001, 196 im Anschluss an Bernat, RdM 1999/19, 157.
[92] VfGH, Erk. v. 11.12.2020, G 139/2019-71 VfSlg. 20.433 (Rn. 73).
[93] A.A. – aber keineswegs überzeugend – die Begründung zum Gesetzentwurf der Abgeordneten Sensburg, Dörflinger et al. v. 30.6.2015 über die Strafbarkeit der Teilnahme an der Selbsttötung, BT-Drs. 18/5376, S. 5.
[94] Wach, ÖJZ 1978, 479 („… Sonderfall vorsätzlicher Tötung …“); Kneihs, Grundrechte und Sterbehilfe, 1998, S. 487 („… Fremdtötung …“); Nimmervoll, in: Leukauf/Steininger, StGB-Komm., 4. Aufl. (2016), § 78 Rn. 1 („… privilegierte[r] Fall der vorsätzlichen Tötung …“).
[95] VfGH, Erk. v. 11.12.2020, G 139/2019-71 VfSlg. 20.433 (Rn. 73).
[96] Siehe schon die ErläutRV zum StGB-Entwurf 1927, 49 Blg. Sten. Prot. NR 3. GP, S. 196; ganz i.d.S. auch die ErläutRV StGB 1974, 30 Blg. Sten. Prot. NR 13. GP, S. 197 sowie ErläutRV StVfG 1177 Blg. Sten. Prot. NR 27. GP, S. 17 („… vorsätzliches Bewirken einer vorsätzlichen Tat …“).
[97] So im Ergebnis VfGH, Erk. v. 11.12.2020, G 139/2019-71 VfSlg. 20.433 (Rn. 108).
[98] So auch – mit Blick auf § 217 dStGB – BVerfG, Urt. v. 26.2.2020 – 2 BvR 2347/15, u.a. BVerfGE 153, 182 (Rn. 279); Duttge, NJW 2016, 120 (121); ähnlich Eser/Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, StGB, 30. Aufl. (2019), § 217 Rn. 1.
[99] Siehe dazu statt vieler Bernat, VersR 2002, 1467 ff.; ders., in: Wenzel (Hrsg.), Handbuch des Fachanwalts Medizinrecht, 2020, S. 2073 (2108 ff.), jeweils m.w.N.
[100] So ganz dezidiert VfGH, Erk. v. 11.12.2020, G 139/2019-71 VfSlg. 20.433 (Rn. 92).
[101] In diese Richtung argumentiert auch Fremuth, ZÖR 76 (2021), 841 (905): „Pauschal auf das Erreichen des 18. Lebensjahres zu verweisen, würde […] den Grundrechtsschutz für Minderjährige pauschal verschließen.“
[102] ErläutRV StVfG 1177 Blg. Sten. Prot. NR 27. GP, S. 17.
[103] Siehe die Nachweise bei Schwarzenegger, in: Petermann (Hrsg.), Sicherheitsfragen der Sterbehilfe, 2008, S. 81 (105 ff.).
[104] Im Ergebnis ebenso Birklbauer, NLMR 2022, 211 (214).
[105] Gegen die verfassungsrechtliche Zulässigkeit entsprechender Schranken dezidiert BVerfG, Urt. v. 26.2.2020 – 2 BvR 2347/15, u.a. BVerfGE 153, 182 (Rn. 210, 340).
[106] VfGH, Erk. v. 11.12.2020, G 139/2019-71 VfSlg. 20.433.
[107] I.d.S. auch Pöschl, EuGRZ 2021, 12 (16); Bernat, MedR 2021, 529 (533); ders., ÖJZ 2002, 92 (95); Schmoller, JBl. 2021, 147 (152 ff.); tendenziell a.A. Khakzadeh, RdM 2021/109, 48 (53) sowie Fremuth, ZÖR 76 (2021), 841 (881 ff.); vgl. für deutsches Recht Kienzerle, Paternalismus im Strafrecht der Sterbehilfe, 2021, S. 73 ff. (insb. 83 ff.).
[108] Für eine Einschränkung des Rechts auf Suizidbeihilfe treten auch zahlreiche deutsche Regelungsvorschläge ein; siehe etwa
Borasio/Jox/Taupitz/Wiesing, Selbstbestimmung im Sterben – Fürsorge zum Leben. Ein Gesetzesvorschlag zur Regelung des assistierten Suizids, 2014; Roxin, NStZ 2016, 185 (190 ff.); Gesetzentwurf der Abgeordneten zum Bundestag Hintze, Reimann, Lauterbach et al. v. 30.6.2015 zur Regelung der ärztlich begleiteten Lebensbeendigung, BT-Drs. 18/5374.
[109] Dazu einlässlich Duttge, in: Uhle/Wolf (Hrsg.), Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche 56 (2021), 87 ff.; Koller, in: Österreichische Juristenkommission (Hrsg.), Gesundheit und Recht – Recht auf Gesundheit, 2013, S. 363 ff.
[110] Siehe bspw. § 5 SMG (Verbot des Erwerbs und Besitzes von Suchtmitteln); § 106 Abs. 1 KFG (Gurtenanlegepflicht für die Insassen von Kraftfahrzeugen); § 106 Abs. 7 KFG (Tragepflicht von Sturzhelmen für Motorradfahrer und mitbeförderte Personen); § 90 Abs. 3 StGB (Verbot der „female genital mutilation“ trotz Einwilligung der Rechtsgutsträgerin); für deutsches Recht § 8 Abs. 1 S. 2 dTPG (Verbot der Lebendorganspende ohne enge verwandtschaftliche oder sonstige besonders enge Lebensbeziehung zwischen Organspender und -empfänger).
[111] I.d.S. schon Bernat, ÖJZ 2002, 92 (95); ders., MedR 2021, 529 (533); Hoerster, Sterbehilfe im säkularen Staat, 1998, S. 51 ff.; Roxin, NStZ 2016, 185 (187).
[112] Moos, JBl. 2001, 197.
[113] Begriffsbildung von Burgstaller, RZ 1975, 12 (16). – Der „verdeckte unmittelbare Täter“ entspricht dem mittelbaren Täter i.S.d. § 25 Abs. 1 dStGB („… durch einen anderen …“).
[114] A.A. OGH, Urt. v. 14.3.2000, 14 Os 158/99 SSt. 63/86 = EvBl. 2000/162 = JBl. 2001, 194 der auf Täterschaft durch sonstigen Beitrag (§ 12 Fall 3 StGB) abstellt; zu Recht kritisch Moos, JBl. 2001, 197: „Ein ‚Beitrag‘ zu etwas, das es juristisch als ein für sich zu verantwortendes Geschehen nicht gibt, ist ein ‚Beitrag zu nichts‘.“
[115] Siehe nochmals Duttge, NJW 2016, 120 (123).
[116] Saliger, in: FS Merkel, 2020, S. 1063 (1071); zur Prozeduralisierung im Medizinrecht allgemein ders., in: Bernat/Kröll (Hrsg.), Recht und Ethik der Arzneimittelforschung, 2003, S. 124 ff.; Neumann, in: NK-StGB, 5. Aufl. (2017), Vorbem. § 211 Rn. 142 ff.
[117] Vgl Rostalski, GA 2022, 209: „[U]mfangreiche Verfahrensvorschriften, die nicht nur ein Angebot enthalten, sondern Einschränkungen der Selbstbestimmungsfreiheit vorsehen, sind […] kritisch zu sehen.“
[118] Siehe bloß Berger et al., Dtsch. Ärztebl. 105 (2008), 255 ff. – Die Voraussetzungen des § 6 Abs. 3 StVfG sind also erfüllt.
[119] Ein ähnlich gelagerter Fall wurde im Frühjahr 2022 von einem Schöffensenat des LG für Strafsachen Wien entschieden; siehe dazu Seeh, Die Presse v. 7.4.2022, S. 10.
[120] VfGH, Erk. v. 11.12.2020, G 139/2019-71 VfSlg. 20.433.
[121] In dem zuletzt genannten Beispielsfall kommt es zu einer Idealkonkurrenz von Fall 1 und 2 des § 78 Abs. 2 Ziff. 3 StGB. Aufgrund des § 28 S. 2 StGB darf die konkrete Strafe freilich nicht außerhalb des Strafrahmens des § 78 Abs. 1, auf den § 78 Abs. 2 StGB verweist, liegen.
[122] So das BVerfG, Urt. v. 10.5.1957 – 1 BvR 550/52, BVerfGE 6, 389 (439) = NJW 1957, 865 (868); siehe dazu auch Weigend, in: FS H.-J. Hirsch, 1999, S. 917 ff.; siehe auch Art. 49 Abs. 3 der Europäischen Grundrechtscharta („Das Strafmaß darf gegenüber der Straftat nicht unverhältnismäßig sein.“) und dazu Jarass, NStZ 2012, 611 (615 f.).
[123] VfGH, Erk. v. 11.12.2020, G 139/2019-71 VfSlg. 20.433 (Rn. 105).
[124] Beispiele: Nach § 1 Abs. 2 StVfG kann eine „Sterbeverfügung […] nur wirksam errichtet werden, wenn die sterbewillige Person […] österreichische Staatsangehörige ist.“ Nimmt man diese Bestimmung beim Wort, dann können nur Personen weiblichen Geschlechts eine Sterbeverfügung errichten! Das StbG verwendet im Übrigen nicht den Begriff „österreichischer Staatsangehöriger“, sondern spricht vom „österreichischen Staatsbürger“; siehe die Legaldefinition in § 2 StbG. – Anstatt vom Arzt zu sprechen und in einer abschließenden Bestimmung darauf hinzuweisen, dass bei allen personenbezogenen Bezeichnungen die gewählte Form für beide Geschlechter gilt (siehe etwa § 16 PatVG), führt das StVfG den mehr als sonderbar anmutenden Begriff der „ärztlichen Person“ (§ 3 Ziff. 5 StVfG) ein. – Cornides, Imago Hominis 29 (2022), 113 (119), spricht zu Recht von einem „beklagenswerte[n] Niveau d[er] österreichische[n] Rechtskultur“.
[125] John, Der Standard v. 2.6.2022, S. 6.
[126] Ohne das todbringende Präparat ist der Sterbewillige häufig gar nicht dazu in der Lage, sich rasch, sicher und schmerzfrei zu töten, so dass er ohne dieses Präparat nicht selten darauf angewiesen sein wird, „Brutalselbstmord“ (Duttge, MedR 2021, 571) zu begehen.
[127] Vgl. John, Der Standard v. 24.1.2022, S. 8.
[128] Siehe schon Bernat, Wiener Zeitung v. 15.12.2020, S. 5.
[129] Siehe (schon zum StG 1945) Nowakowski, Das österreichische Strafrecht in seinen Grundzügen, 1955, S. 134: „Fehlt dem Sterbewillen die nach §§ 138a, 139b erforderliche Qualität, so sind diese Gesetzesstellen auf jeden, der darum weiß, nicht anwendbar (Haftung aus § 134) [= Mord].“ Dass die Rechtsordnung zwischen frei und unfrei begangenen Suiziden unterscheidet, ist also nicht erst seit OGH, Beschl. v. 11.1.1999, 14 Os 180/98 SSt. 63/41= RdM 1999/19, 156 m. Anm. v. Bernat und OGH, Urt. v. 14.3.2000, 14 Os 158/99 SSt. 63/86 = EvBl. 2000/162 = JBl. 2001, 194 m. Anm. v. Moos anerkannt; siehe auch § 169 VersVG: „Bei einer Versicherung für den Todesfall ist der Versicherer von der Verpflichtung zur Leistung frei, wenn derjenige, auf dessen Person die Versicherung genommen ist, Selbstmord begangen hat. Die Verpflichtung des Versicherers bleibt bestehen, wenn die Tat in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit begangen worden ist.“
[130] Für deutsches Recht ebenso in der Tendenz Dorneck et al., Gesetz zur Gewährleistung selbstbestimmten Sterbens und zur Suizidprävention. Augsburg-Münchner-Hallescher-Entwurf (AMHE-SterbehilfeG), 2021; zum AMHE-SterbehilfeG Bernat, RdM 2021, 88.