Abstract
Seit gut 20 Jahren können in Deutschland völkerrechtliche Verbrechen auf Grundlage des Völkerstrafgesetzbuches (VStGB) verfolgt werden. Die Aufklärung von systematischen Menschenrechtsverletzungen, die ggf. weit entfernt vom Gerichtsort begangen werden, stellt die nationale Justiz jedoch vor erhebliche Herausforderungen. Zunächst gilt es, den internationalen Wurzeln des VStGB und seiner Einbindung in das internationale Justizsystem gerecht zu werden. Insbesondere soll ein Gleichklang mit Recht und Praxis des Internationalen Strafgerichtshofs hergestellt werden. Zudem stellt sich die Frage, ob und inwieweit das nationale Verfahrensrecht der Komplexität und den besonderen Anforderungen interkultureller Großverfahren gewachsen ist. Das Bundesministerium der Justiz hat nach einer Dekade VStGB Bilanz gezogen und einen Referentenentwurf zur Fortentwicklung des deutschen Völkerstrafrechts vorgelegt. Angestrebt wird insbesondere, den völkerstrafrechtlichen Schutz der sexuellen und reproduktiven Selbstbestimmung zu verbessern, die prozessualen Rechte der Opfer zu stärken und die Breitenwirkung von VStGB-Verfahren zu erhöhen. Die Vorschläge zielen in die richtige Richtung, sind aber tendenziell zurückhaltend und fragmentarisch. Der Gesetzgeber sollte mehr Mut zeigen, Völkerstrafverfahren neu zu denken.
For more than 20 years, crimes under international law can be prosecuted in Germany on the basis of the Code of Crimes against International Criminal Law (Völkerstrafgesetzbuch, VStGB). However, the investigation of systematic human rights violations, which may be committed far away from the place of trial, poses considerable challenges for the national judiciary. First of all, it is necessary to respect the international roots of the VStGB and to further its integration into the global international justice system. In particular, the national law is to be harmonised with the law and practice of the International Criminal Court. In addition, the question arises as to whether and to what extent national procedural law is able to cope with the complexity and special requirements of large-scale intercultural proceedings. The Federal Ministry of Justice has taken stock after a decade of the VStGB and presented a draft bill on the further development of German international criminal law. Its main aims are to improve the protection of sexual and reproductive self-determination, to strengthen the procedural rights of victims and to increase the transnational impact of VStGB proceedings. The proposals aim in the right direction, but tend to be cautious and fragmentary. The legislator should show more courage to rethink international criminal proceedings.
I. Hintergrund – Reformüberlegungen anlässlich eines runden Geburtstages
Im letzten Sommer feierte das Völkerstrafgesetzbuch (VStGB) seinen 20. Geburtstag. Es ist am 30.6.2002 in Kraft getreten und erweitert die bis zu diesem Zeitpunkt eher beschränkten Möglichkeiten der deutschen Justiz,[1] internationale Verbrechen zu ahnden. Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen können in Deutschland seitdem auf Basis des Universalitätsprinzips (§ 1 S. 1 VStGB) und damit unabhängig vom Tatort und der Nationalität von Täter:in und Opfer verfolgt werden. Mit Wirkung zum 1.1.2017 wurde das VStGB zudem um das Verbrechen der Aggression (§ 13 VStGB) ergänzt, das allerdings nur dann dem Anwendungsbereich des deutschen Strafrechts unterfällt, wenn die Tat im Inland begangen wurde, der/die Täter:in die deutsche Staatsangehörigkeit hat oder sich die Taten gegen die Bundesrepublik Deutschland richtet (§ 1 S. 2 VStGB).
1. Das VStGB als Baustein eines globalen Strafjustizsystem
Ungeachtet seiner formalen Verankerung im Nationalen muss das VStGB als Baustein eines globalen internationalen Justizsystems gesehen und verstanden werden. Es ist – zumindest auch – die deutsche Antwort auf das am 1.7.2002 in Kraft getretene Statut des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH-Statut). Der IStGH ist nach dem in Art. 17 IStGH-Statut verankerten Komplementaritätsprinzip als „last resort“ gedacht. Er greift nur ein, wenn die fraglichen Verbrechen auf nationaler Ebene nicht ernsthaft verfolgt werden. Dabei wird in der Präambel des IStGH-Statuts davon ausgegangen, dass „es die Pflicht eines jeden Staates ist, seine Strafgerichtsbarkeit über die für internationale Verbrechen Verantwortlichen auszuüben“.[2] Mit dem IStGH-Statut soll damit ein mehrebiges System der internationalen Strafjustiz geschaffen werden, in dem die Hauptverantwortung für die effektive Durchsetzung des internationalen Strafrechts bei den Nationalstaaten liegt.[3] Deutschland hat den hierin enthaltenen Auftrag ernst genommen und mit dem VStGB die im IStGH-Statut genannten Verbrechen – wenn auch mit gewissen Modifikationen (siehe dazu auch II) – ins nationale Recht überführt. Hierdurch sollte auch sichergestellt werden, dass Deutschland i.S.d. Komplementaritätsprinzips stets in der Lage ist, völkerrechtliche Verbrechen selbst zu verfolgen und ggf. eine vorrangige Zuständigkeit gegenüber dem IStGH geltend machen kann.[4] Zugleich ist das VStGB – vor allem durch die Verankerung des Universalitätsprinzips[5] – ein starkes Signal Deutschlands, eine aktive Rolle im Kampf gegen die Straflosigkeit systematischer Menschenrechtsverletzungen übernehmen zu wollen.
2. Überblick über die Anwendungspraxis
Zu Beginn blieb die Anwendungspraxis allerdings hinter den Erwartungen zurück. Der Generalbundesanwalt (GBA) machte von seinen neugewonnenen Kompetenzen nur sehr zurückhaltend Gebrauch. Bestand der Verdacht, dass völkerrechtliche Verbrechen im Ausland begangen worden sind, wurden die Ermittlungen regelmäßig eingestellt.[6] Dies änderte sich im Zusammenhang mit dem Krieg in Syrien und der hierdurch ausgelösten Fluchtbewegung, die Täter:innen und Opfer völkerrechtlicher Verbrechen (auch) nach Deutschland führte.[7] Dies wurde gleichsam zu einer Initialzündung für das „deutsche“ Völkerstrafrecht, das mittlerweile einen festen Platz im Justizalltag hat:[8] Die in Deutschland nach dem Völkerstrafgesetzbuch geführten Prozesse erregen internationale Aufmerksamkeit. Die wohl prominentesten Beispiele sind das Koblenzer Verfahren zu Staatsfolter in Syrien[9] und die Verurteilung Taha Al-Js wegen Völkermordes an den Jesid:innen durch das OLG Frankfurt.[10] Diese Prozesse gelangten auf die Titelseiten der internationalen Presse,[11] wurden von den Vereinten Nationen positiv zur Kenntnis genommen[12] und von Nichtregierungsorganisationen umfänglich dokumentiert.[13]
3. Herausforderungen völkerstrafrechtlicher Verbrechen
Diese Erfolgsbilanz darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Verfolgung von systematischen Menschenrechtsverbrechen, die in einem anderen Land und ggf. in einem anderen Kulturkreis begangen werden, die deutsche Justiz vor erhebliche Herausforderungen stellt.[14] Es gilt, Geschehnisse zu rekonstruieren, die sich tausende Kilometer entfernt vom Gerichtsort abgespielt haben. Die Erhebung und Würdigung von Beweisen wird durch sprachliche und kulturelle Barrieren erschwert und nicht selten werden Zeug:innen von regimetreuen Kräften bedroht und unter Druck gesetzt. Sehr anschaulich zeigten sich die Schwierigkeiten, die mit der dezentralen Durchsetzung des Völkerstrafrechts verbunden sind, im Stuttgarter Verfahren gegen hochrangige Mitglieder der Forces Démocratiques de Libération du Rwanda (FDLR). Die Angeklagten wurden verdächtigt, als Vorgesetzte für zahlreiche Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit verantwortlich zu sein, die Mitglieder des bewaffneten Flügels der FDLR zwischen Januar 2008 und November 2009 in der Demokratischen Republik Kongo begangen haben sollen – darunter Massentötungen, Menschenhandel, Vergewaltigung, Geiselnahme und unmenschliche Behandlung. Die Beweisführung vor Gericht erweis sich aber als schwierig; bereits während des Verfahrens wurden zahlreiche Anklagepunkte aus Mangel an Beweisen zurückgezogen.[15] Schlussendlich wurden die Angeklagten lediglich zu vergleichsweise niedrigen Freiheitsstrafen wegen Beihilfe zu Kriegsverbrechen bzw. Rädelsführerschaft in einer terroristischen Vereinigung verurteilt;[16] in der Revision wurde der Schuldausspruch teilweise vom BGH aufgehoben.[17] Zu der angesetzten Neuverhandlung kam es wegen des Todes des Hauptangeklagten allerdings nicht mehr.[18] Anhand dieses Verfahrens wurde von kritischen Stimmen die Sinnhaftigkeit einer nationalen Verfolgung völkerrechtlicher Verbrechen insgesamt in Frage gestellt. In diesem Sinne leitete der vorsitzende Richter des FDLR-Verfahrens, Jürgen Hettich, die Urteilsverkündung mit den Worten ein: „So geht es nicht“.[19]
4. Eckpunkte des Referentenentwurfs des Bundesministeriums der Justiz
Mittlerweile hat die Praxis zwar gezeigt, dass nationale Völkerstrafverfahren sehr wohl möglich sind;[20] die Debatte um eventuelle Reformbedarfe ist aber nie vollständig verebbt.[21] Mit dem aktuellen Referentenentwurf greift das Bundesministerium der Justiz (BMJ) diese auf und legt – auch in der Erwartung, dass das VStGB vor dem Hintergrund des Ukraine-Konflikts weiter an Bedeutung gewinnen wird[22] – erste Vorschläge zur Weiterentwicklung des nationalen Völkerstraf(-prozess)rechts vor.[23] Diese betreffen drei große Bereiche:
- Ergänzung des materiellen Rechts, um einen Gleichklang zwischen VStGB und IStGH-Statut zu gewährleisten (dazu unter II.).
- Stärkung von Opferrechten in VStGB-Verfahren (dazu unter III.).
- Verbesserung der Breitenwirkung völkerstrafrechtlicher Prozesse durch Verfahrensdokumentation und gerichtlichen Outreach (dazu unter IV.).
II. Anpassung des materiellen Völkerstrafrechts
Im materiellen Völkerstrafrecht sieht das BMJ Handlungsbedarf bei Völkerstraftaten gegen die sexuelle und reproduktive Selbstbestimmung, dem Verbrechen des Verschwindenlassens sowie den Kriegsverbrechen des Einsatzes verbotener Mittel der Kriegsführung.
1. Schutz der sexuellen und reproduktiven Selbstbestimmung
Mit dem IStGH-Statut wurden erstmals umfangreich und ausdifferenziert Straftaten gegen die sexuelle und reproduktive Selbstbestimmung völkerrechtlich kodifiziert.[24] Vergewaltigung, sexuelle Sklaverei, Nötigung zur Prostitution, erzwungene Schwangerschaft, Zwangssterilisation und jede andere Form sexueller Gewalt vergleichbarer Schwere können seitdem auf internationaler Ebene als Verbrechen gegen die Menschlichkeit (Art. 7 Abs. 1 lit. g IStGH-Statut) oder Kriegsverbrechen (Art. 8 Abs. 2 lit. b xxii und lit. e vi IStGH-Statut) verfolgt werden. Bei der nationalen Implementierung dieser Vorschriften sah der deutsche Gesetzgeber zwei Schwierigkeiten: Die Auffangklausel „jede andere Form sexueller Gewalt“ würde zu Spannungen mit dem Bestimmtheitsgrundsatz führen; zudem sollte ein gewisser Gleichklang mit dem nationalen Sexualstrafrecht erreicht werden.[25] Die internationalen Vorschriften wurden daher nur in modifizierter Form übernommen. Die einschlägigen deutschen Tatbestände umfassen fünf Begehungsformen: sexuelle Nötigung, Vergewaltigung, Nötigung zur Prostitution, Beraubung der Fortpflanzungsfähigkeit und Gefangenhaltung einer unter Anwendung von Zwang geschwängerten Frau (§§ 7 Abs. 1 Nr. 6, 8 Abs. 1 Nr. 4 VStGB).
a) Ergänzung der sexuellen Nötigung durch den sexuellen Übergriff
Mit der Tatvariante der sexuellen Nötigung (die dem IStGH-Statut fremd ist) knüpfte der Gesetzgeber an das deutsche Sexualstrafrecht an. Sie bildete bei Inkrafttreten des VStGB den Grundtatbestand des § 177 StGB a.F., der auf dem Nötigungsmodell beruhte und voraussetzte, dass der/die Täter:in eine andere Person mit Gewalt, durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben oder unter Ausnutzung einer schutzlosen Lage zu sexuellen Handlungen nötigt. Mit Blick auf das IStGH-Statut soll die „sexuelle Nötigung“ insbesondere die Auffangklausel „jede andere Form sexueller Gewalt“ abdecken.[26] Ob dies vollständig gelingt, kann allerdings bezweifelt werden. Zwar scheint sich das völkerrechtliche Sexualstrafrecht am Nötigungsmodell zu orientieren,[27] es wird aber jedenfalls keine qualifizierte Nötigung nach dem Vorbild des § 177 StGB a.F. verlangt.[28] Zudem erscheint fraglich, ob nach dem deutschen Recht auch Formen sexueller Gewalt erfasst werden können, die – wie beispielsweise die erzwungene Nacktheit[29] – nicht mit körperlichen Kontakten zwischen Täter:in und Opfer einhergehen und auch nicht der Vorbereitung weiterer sexueller Handlungen dienen.[30]
Gravierender ist freilich, das mit der Sexualstrafrechtsreform von 2016 erhebliche Spannungen zwischen dem VStGB und dem deutschen Sexualstrafrecht entstanden sind. Im Einklang mit dem „Nein-ist-Nein“-Modell ist nunmehr der sexuelle Übergriff Grundtatbestand des § 177 StGB, der auf eine Nötigungskomponente verzichtet und ein Handeln gegen den Willen des Opfers genügen lässt. Die §§ 7 Abs. 1 Nr. 6, 8 Abs. 1 Nr. 4 VStGB haben damit ihren ursprünglichen nationalen Bezugspunkt verloren. Dies führt zu nicht unerheblichen Auslegungspro-blemen. Sollen die einschlägigen VStGB-Vorschriften weiterhin im Lichte des (abgeschafften) strengen Nötigungsmodells verstanden werden oder soll ein weiteres, autonomes Verständnis der „sexuellen Nötigung“ entwickelt werden, das sich stärker am IStGH-Statut und der internationalen Rechtsprechung orientiert?[31] Der Vorschlag des BMJ sieht nun vor, die §§ 7 Abs. 1 Nr. 6, 8 Abs. 1 Nr. 4 VStGB um die Tatvariante des sexuellen Übergriffs zu ergänzen. Damit würden die zwischen VStGB und StGB entstandenen Spannungen aufgelöst, Rechtsklarheit geschaffen und zudem die gegenüber dem IStGH-Statut bestehenden Strafbarkeitslücken abgebaut. Nicht verkannt werden darf aber, dass die Tatvariante des „sexuellen Übergriffs“ mit dem vollständigen Verzicht auf eine Nötigungskomponente wohl über IStGH-Statut und den aktuellen Stand des Völkergewohnheitsrechts hinausginge.[32] Dies ist dann nicht unproblematisch, wenn Straftaten auf Basis des Universalitätsprinzips ohne konkreten Inlandsbezug verfolgt werden. Insoweit wird sich auch nach der Reform die Frage stellen, inwieweit das VStGB völkerrechtsorientiert und unabhängig vom StGB ausgelegt werden sollte.[33]
b) Sexuelle Sklaverei
Der Gleichklang zwischen IStGH-Statut und VStGB soll zudem weiter dadurch verstärkt werden, dass nun explizit die Tatbestandsalternative der sexuellen Sklaverei in das VStGB aufgenommen wird. Echte Strafbarkeitslücken dürften insoweit allerdings nicht bestehen, da die fraglichen Handlungen stets den Tatbestand der sexuellen Nötigung erfüllen dürften. Sie aber ausdrücklich als „sexuelle Sklaverei“ einzuordnen, bringt im Sinne eines „fair labelling“ das Unrecht der Tat klarer zum Ausdruck. Die Opfer werden nicht nur durch singuläre Akte in ihrer sexuellen Selbstbestimmung verletzt. Die Taten erfolgen vielmehr in einem Gesamtkontext, in dem die Opfer einer anderen Person eigentumsähnlich zugeordnet und so zu einem bloßen Objekt degradiert werden.[34]
c) Erzwungener Schwangerschaftsabbruch
Ebenfalls primär expressive Bedeutung hat die vorgeschlagene Ergänzung der §§ 7 Abs. 1 Nr. 6, 8 Abs. 1 Nr. 4 VStGB um die Tatvariante des erzwungenen Schwangerschaftsabbruchs. Entsprechende Handlungen können derzeit (lediglich) als Folter und Zufügung schwerer körperlicher oder seelischer Schäden (§§ 7 Abs. 1 Nr. 5 und Nr. 8, 8 Abs. 1 Nr. 3 VStGB) verfolgt werden. Hierdurch wird aber nicht erfasst, dass die Opfer nicht nur in ihrer körperlichen Integrität, sondern auch und vor allem in ihrer Reproduktionsfreiheit verletzt werden.[35] Die internationale Rechtsprechung kann insoweit auf die Auffangklausel der „anderen Formen sexueller Gewalt“ zurückgreifen.[36]
Grundsätzlich sind die Bestrebungen des BMJ, Unterschiede zwischen VStGB und IStGH-Statut abzubauen und das den Opfern zugefügte Unrecht adäquat zu erfassen, uneingeschränkt zu begrüßen. Eine konsequente Umsetzung des rechtsgutsbezogenen Ansatzes würde es aber erfordern, klar zwischen Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung (sexueller Übergriff, sexuelle Nötigung, Nötigung zur Prostitution, sexuelle Sklaverei) und Straftaten gegen die Reproduktionsfreiheit (Beraubung der Fortpflanzungsfähigkeit, erzwungene Schwangerschaft, erzwungener Schwangerschaftsabbruch) zu unterscheiden und sie in den §§ 7, 8 VStGB unter getrennten Nummern aufzuführen.[37] Zudem wirkt das Vorgehen des BMJ kasuistisch. Der Verzicht auf eine Auffangklausel führt dazu, dass der deutsche Gesetzgeber die Entwicklung der internationalen Rechtsprechung beständig beobachten und bei Bedarf neue Tatbestände – wie nun eben den des erzwungenen Schwangerschaftsbruchs – schaffen muss. Mit einer Auffangklausel könnte die deutsche Rechtsprechung Entwicklungen und Rechtsfortbildungen auf internationaler Ebene dynamisch nachvollziehen.[38] Bestimmtheitsbedenken sind grundsätzlich gewichtig – sie hindern den deutschen Gesetzgeber aber ja auch im Übrigen nicht daran, stark ausfüllungs- und interpretationsbedürftige Auffangklauseln zu verwenden.[39]
d) Erzwungene Schwangerschaft
Der letzte Änderungsvorschlag für die §§ 7 Abs. 1 Nr. 6, 8 Abs. 1 Nr. 4 VStGB betrifft den Tatbestand der erzwungenen Schwangerschaft. Er wird im IStGH-Statut definiert als „die rechtswidrige Gefangenhaltung einer zwangsweise geschwängerten Frau in der Absicht, die ethnische Zusammensetzung einer Bevölkerung zu beeinflussen oder andere schwere Verstöße gegen das Völkerrecht zu begehen“. Im deutschen Recht ist das Absichtserfordernis nur zur Hälfte umgesetzt.[40] Erfasst werden allein Fälle, in denen der/die Täter:in ethnisch motiviert handelt. Hier soll nun nachgebessert werden. Allerdings hält das BMJ die im IStGH-Statut verwendete Formulierung „oder andere schwere Verstöße gegen das Völkerrecht“ für zu unbestimmt und will sie um einen konkreten Bezugspunkt ergänzen. Den Tatbestand soll zukünftig auch erfüllen, wer die geschützte Person gefangen hält, „um Taten nach den §§ 6 bis 13 VStGB zu begehen“. Es bleibt abzuwarten, ob der konkretisierende Verweis auf die völkerrechtlichen Kernverbrechen dazu führt, dass das deutsche Recht weiterhin hinter dem IStGH-Statut zurückbleibt. Richtungsweisend ist allerdings, dass das BMJ den Tatbestand geschlechtsneutral formulieren will. Taugliche Opfer sollen zukünftig nicht mehr allein Frauen, sondern generell schwangere Personen sein. Die damit verbundene Einbeziehung von Transpersonen in den Schutzbereich der Norm ist ein kleiner, aber symbolträchtiger Beitrag zur Entwicklung eines gendersensiblen und gendergerechten Völkerstrafrechts.
2. Zwangsweises Verschwindenlassen
Der nächste Änderungsvorschlag betrifft das Verbrechen gegen die Menschlichkeit des zwangsweisen Verschwindenlassens. Hierbei handelt es sich um ein zweiaktiges Delikt. Der erste Akt ist die Festnahme, die Freiheitsentziehung oder die Entführung einer Person im Auftrag oder mit Billigung eines Staates oder einer politischen Organisation. Der zweite Akt besteht darin, dass die verantwortliche Person es unterlässt, die Freiheitsentziehung anzuerkennen oder Auskunft über das Schicksal und den Verbleib des Opfers zu teilen.[41] Zur Begründung täterschaftlicher Verantwortlichkeit genügt die Begehung eines der beiden Teilakte (Freiheitsentziehung oder Auskunftsunterlassen), wobei der/die Täter:in in beiden Varianten in der Absicht handeln muss, das Opfer für längere Zeit dem Schutz des Gesetzes zu entziehen. Bei der Schaffung des VStGB hat der deutsche Gesetzgeber den Tatbestand auf Konstellationen beschränkt, in denen die verantwortliche Person „auf Nachfrage“ die Auskunft verweigert. Es wird also vorausgesetzt, dass sich jemand – zum Beispiel Angehörige des Opfers – aktiv nach dem Schicksal der festgenommenen Person erkundigt. Die bloße Nichterteilung einer Auskunft ohne vorherige Nachfrage erfüllt den Tatbestand nicht.[42] Dem IStGH-Statut ist ein solches Nachfrageerfordernis fremd; es erscheint auch nicht sinnvoll, da sich die Freiheitsentziehung nicht zwingend über einen längeren Zeitraum erstrecken muss und sich Angehörige in diktatorischen Regimen ggf. selbst in Gefahr bringen, wenn sie Nachforschungen über verschwundene Familienmitglieder anstellen.[43] Demensprechend wurde die deutsche Regelung international gerügt[44] und soll nun zu Recht durch Streichung des Nachfrageerfordernisses an menschenrechtliche Standards[45] angepasst werden.
3. Verbotene Mittel der Kampfführung
Schlussendlich soll das VStGB an die bereits 2017 beschlossene Ergänzung des Kriegsverbrechenkatalogs des IStGH-Statuts angepasst werden.[46] Betroffen ist § 12 VStGB, der u.a. durch die Pönalisierung bestimmter Mittel der Kriegsführung militärisch nicht erforderliche und damit überflüssige Schädigungen von Kombattant:innen verhindern will.[47] Im Einklang mit dem IStGH-Statut soll zukünftig auch die Verwendung von Waffen, deren Splitter nicht mit Röntgenstrahlen entdeckbar sind, sowie von dauerhaft blind machenden Laserwaffen völkerstrafrechtlich geahndet werden können.
III. Stärkung von Opferrechten
Ein zentrales Anliegen des Gesetzentwurfs ist die Stärkung der Rechte von Opfern völkerrechtlicher Verbrechen. Dies betrifft vor allem die Nebenklage, aber auch das Recht auf psychosoziale Prozessbegleitung.
1. Ausgangslage: Keine explizite Nebenklageberechtigung von Opfern völkerrechtlicher Verbrechen
Völkerrechtliche Verbrechen gehören derzeit nicht zu Straften, die nach § 395 Abs. 1 StPO zur Nebenklage berechtigen. Dies ist aus gesetzessystematischen Gründen verwunderlich, da sich der Katalog des § 395 Abs. 1 StPO grundsätzlich an der Schwere der Viktimisierung orientiert, die bei völkerrechtlichen Verbrechen, die zu schwersten physischen, psychischen, emotionalen und wirtschaftlichen Schäden bei den Opfer führen,[48] zweifelsohne gegeben ist.[49] Dies bedeutet zwar nicht, dass Völkerstraftatopfern eine aktive Beteiligung am Verfahren vollständig verwehrt wird. Vielmehr kann die Nebenklagebefugnis häufig über ein tateinheitlich verwirklichtes nebenklagefähiges Individualdelikt (z.B. versuchter Totschlag, Körperverletzung, Vergewaltigung) konstruiert werden.[50] Diese „Scheinlösung“ ist aber für alle Prozessbeteiligten mit erheblichen Rechtsunsicherheiten verbunden.[51] Zudem wird verschleiert, dass die Nebenklageberechtigung nicht (allein) aus einer isolierten Individualverletzung fließt, sondern sich auf eine Tat stützt, die Teil eines systemischen Gesamtunrechtszusammenhangs ist und deswegen eine besondere, kollektive Unrechtsdimension aufweist.[52]
2. Individualschützende Wirkung völkerrechtlicher Straftatbestände?
Die kollektive Komponente völkerrechtlicher Verbrechen, also die Tatsache, dass die einzelnen Taten Teil eines übergeordneten, gesamtgesellschaftlichen Konflikts sind (also z.B. im Zusammenhang mit einem systematischen oder ausgedehnten Angriff auf die Zivilbevölkerung oder einem internationalen bewaffneten Konflikt stehen) dürfte freilich der dogmatische Grund sein, warum sie sich derzeit nicht im Katalog der Nebenklagedelikte finden. Die völkerrechtlichen Kernverbrechen bedrohen „den Frieden, die Sicherheit und das Wohl der Welt“ (Präambel des IStGH-Statuts). Nach einem traditionellen Verständnis dient das Völkerstrafrecht damit dem Schutz von Kollektivrechtsgütern, die der internationalen Gemeinschaft (Weltfriede) oder bestimmten Gruppen (z.B. das Existenzrecht religiöser Gruppen) zustehen.[53] Hiernach wäre es durchaus konsequent, dass die VStGB-Taten nicht nebenklagefähig sind – es würde i.S.d. des § 373b StPO an einem individuellen Verletzten fehlen.[54]
Allerdings erscheint ein rein kollektivistisches Verständnis völkerrechtlicher Verbrechen im Lichte des in den letzten 30 Jahren immer mehr erstarkten Menschenrechtsdiskurses anachronistisch. Es verkennt, dass die kollektive Dimension der Taten aus der systematischen Verletzung individueller Menschenrechte heraus entsteht, wobei die einzelnen Rechtsverletzungen miteinander durch eine Gesamttat (Angriff auf die Zivilbevölkerung, bewaffneter Konflikt) verknüpft sind. Jedenfalls für Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen ist daher mittlerweile anerkannt, dass sie zumindest auch Individualrechtsgüter schützen.[55] Beim Völkermord scheint hingegen der Kollektivgedanke stärker im Vordergrund zu stehen, da der/die Täter:in in der Absicht handeln muss, eine geschützte Gruppe als solche ganz oder teilweise zu zerstören. Die Gruppe ist damit das eigentliche Angriffsziel.[56] Dies hat den BGH zu der Schlussfolgerung veranlasst, dass das Schutzgut des Verbrechens des Völkermordes nicht die Individualrechtsgüter der von den objektiven Tathandlungen betroffenen einzelnen Personen sei, sondern (allein) die Existenz der Gruppe als solche.[57] Eine solche Sichtweise verkennt jedoch, dass jede genozidale Handlung stets mit der Verletzung von fundamentalen Menschenrechten einzelner Gruppenmitglieder einhergeht. § 6 VStGB jedwede individualschützende Funktion abzusprechen, ist vor diesem Hintergrund wenig überzeugend.[58] Hinzu kommt, dass sich der Völkermord aus den Verbrechen gegen die Menschlichkeit heraus entwickelt hat, so dass es entstehungsgeschichtlich naheliegend ist, dass beide Tatbestände vergleichbare Schutzrichtungen aufweisen.[59] Dies wird auch dadurch bestätigt, dass der IStGH bei der Ausgestaltung der prozessualen Opferbeteiligung in internationalen Strafverfahren (siehe Art. 68 Abs. 3 IStGH-Statut) keine deliktsspezifischen Unterschiede macht.[60] Lediglich bei dem Verbrechen der Aggression lässt sich nach wie vor diskutieren, ob es (auch) dem Schutz von Individualinteressen dient. Der Schwerpunkt der Tat liegt auf der Verletzung des Gewaltverbotes der UN-Charta und damit (zumindest vordergründig)[61] auf der Verletzung staatlicher Souveränitätsinteressen und des Weltfriedens.[62] Vor diesem Hintergrund ist es zu begrüßen, dass das BMJ die Nebenklageberechtigung grundsätzlich auf die Opfer von Völkermord,[63] Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen ausweiten will.
3. Der Reformvorschlag: Nebenklageberechtigung mit Einschränkungen
Konkret sollen zukünftig auch Opfer von versuchten Tötungsdelikten nach dem VStGB als Nebenkläger:innen agieren können (§ 395 Abs. 1 Nr. 2a StPO-E). Hierdurch wird § 395 Abs. 1 Nr. 2 StPO (Nebenklageberechtigung von Opfern von versuchten Tötungsdelikten nach §§ 211, 212 StGB) stimmig ergänzt. Bei vollendeten Taten steht die Nebenklagebefugnis dann den Kindern, Eltern, Geschwistern, Ehe- oder Lebensparter:iinnen der getöteten Person zu (§ 395 Abs. 2 Nr. 2 StPO).
Zudem soll der Katalog des § 395 StPO um Taten nach §§ 6-8, 10-12 VStGB ergänzt werden (§ 395 Abs. 1 Nr. 4a StPO-E). Ausgespart werden damit Kriegsverbrechen gegen Eigentum und sonstige Rechte (§ 9 VStGB). Dies scheint auf den ersten Blick konsequent, da auch im Übrigen Eigentumsdelikte nicht per se (sondern nur unter den einschränkenden Voraussetzungen des § 395 Abs. 3 StPO) zur Nebenklage berechtigten.[64] Allerdings sind Eigentumsdelikte nach dem VStGB in Ausmaß und Wirkung nicht mit einem Diebstahl oder einer Sachbeschädigung i.S.d. nationalen Rechts vergleichbar. Vielmehr zerstören sie regelmäßig die wirtschaftliche und soziale Existenz der Opfer, entziehen ihnen die Lebensgrundlage und bedrohen sie in ihrer Identität. Es ist daher durchaus berechtigt, auch ihnen die Möglichkeit der Nebenklage zu eröffnen.[65] Dies würde auch dem Ansatz des IStGH entsprechen, der allen Opfern völkerrechtlicher Verbrechen, also auch denjenigen, die allein in materieller Hinsicht geschädigt wurden, ein Recht auf Verfahrensbeteiligung zuspricht.[66]
Im Übrigen macht der Referentenentwurf die Nebenklageberechtigung davon abhängig, dass die betroffene Person in ihren Rechten auf körperliche Unversehrtheit, Freiheit oder auf religiöse, sexuelle oder reproduktive Selbstbestimmung oder als Kind in dem Recht auf ungestörte körperliche und seelische Entwicklung verletzt wurde. Durch diesen Rückbezug auf bestimmte Individualrechtsgüter soll eine Vergleichbarkeit mit den anderen Katalogdelikten erreicht werden, „die ebenfalls in erster Linie die höchstpersönlichen Rechtsgüter Leben, körperliche Unversehrtheit, Freiheit und sexuelle Selbstbestimmung der dadurch verletzten Personen schützen und zudem mit Blick auf die Tatfolgen für die Opfer der Straftat eine besondere Schwere aufweisen.“[67] Dessen ungeachtet wirkt dieser Ansatz insoweit widersprüchlich, als es bei den anderen Nebenklagedelikte genügt, dass die betroffene Person durch die angeklagte rechtswidrige Tat verletzt wurde, also in ihren Rechtsgütern unmittelbar beeinträchtigt worden ist oder unmittelbar einen Schaden erlitten hat (§§ 395 i.V.m. 373b StPO). Bei den besonderes gravierenden Völkerstraftaten nun eine Art doppelte Verletzungsprüfung einzuführen, erscheint wenig überzeugend.[68] Zudem führt sie dazu, dass Opfern bestimmter Völkerrechtsverbrechen die Nebenklage auch zukünftig verwehrt wird. Augenfällig ist insbesondere, dass Verletzungen der Menschenwürde und der seelischen bzw. psychischen Unversehrtheit unberücksichtigt bleiben. Beispielsweise Opfer von psychischer Folter i.S.d. § 7 Abs. 1 Nr. 5 VStGB[69] bleiben daher von Nebenklage ausgeschlossen;[70] bei ihnen wird auch regelmäßig der „Umweg“ über mitverwirklichte nationale Deliktstatbestände versperrt sein. Gleiches dürfte für die Opfer von Zwangsehen gelten, die von der internationalen Rechtsprechung tendenziell nicht als Form sexueller Gewalt, sondern als Angriff auf die Würde des Opfers und Missachtung der Eheschließungsfreiheit eingestuft werden.[71] Der Vorschlag des BMJ beinhaltet damit eine schwer zu rechtfertigende Hierarchisierung von Opfern völkerrechtlicher Verbrechen. Er steht dadurch auch im Widerspruch zur internationalen Praxis, die bei der Opferbeteiligung – wie bereits gesehen – keine rechtsgutsbezogenen Differenzierungen vornimmt.
4. Rechtsbeistand und gemeinschaftliche Nebenklagevertretung
Den nebenklageberechtigten Opfern völkerstrafrechtlicher Verbrechen wird durch § 397a StPO-E ein Recht auf Beiordnung eines Rechtsbeistandes auf Staatskosten zugestanden. Dies ist aufgrund der hohen Komplexität völkerstrafrechtlicher Verfahren und der Tatsache, dass die Opfer regelmäßig aus einem fremden Rechts- und Kulturkreis stammen, sinnvoll und angemessen. Um die Prozesse aber nicht durch eine zu hohe Anzahl von Prozessbeteiligten faktisch lahmzulegen – allein im Koblenzer Folterverfahren wurden 4.027 Opfer identifiziert[72] – soll zudem das Institut der kollektiven Nebenklagevertretung erweitert werden. Gem. § 397b StPO kann das Gericht für mehrere Nebenkläger:innen einen gemeinschaftlichen Rechtsbeistand bestellen, wenn die Verletzten gleichgelagerte Interessen verfolgen. Dies soll zukünftig bei Völkerstraftaten regelmäßig dann der Fall sein, wenn den jeweiligen Taten der gleiche Lebenssachverhalt zugrunde liegt. Man kann der hiermit verbundenen Kollektivierung von Opfern kritisch gegenüberstehen;[73] sie ist in völkerstrafrechtlichen Verfahren aber eine prozessuale Notwendigkeit und entspricht der Praxis des IStGH.[74]
5. Anspruch auf psychosoziale Prozessbegleitung
Schlussendlich sieht § 406g StPO-E vor, dass den nebenklageberechtigten Opfern völkerrechtlicher Verbrechen auf Antrag ein:e psychosoziale:r Prozessbegleiter:in beigeordnet wird. Hierbei handelt es sich um eine besondere Form der nicht rechtlichen Begleitung im Strafverfahren für besonders schutzbedürftige Verletzte, die vor, während und nach der Hauptverhandlung stattfindet. Ziel ist es, durch Informationsvermittlung sowie die qualifizierte Betreuung und Unterstützung die individuelle Belastung der Verletzten zu reduzieren und die Gefahr einer Sekundärviktimisierung durch (Fehl-)Reaktionen der Strafverfolgungsbehörden zu reduzieren (siehe § 2 PsychPbG). Sie ist in völkerstrafrechtlichen Verfahren von zentraler Bedeutung, da die Opfer häufig stark traumatisiert sind, aus einem anderen kulturellen Umfeld stammen, daher mit den Abläufen des deutschen Strafverfahrens nicht vertraut und ggf. unsicher sind, wie sie sich zu verhalten haben und welche Erwartungen an sie gestellt werden. Dies kann zu belastenden interkulturellen Missverständnissen führen. Eine nicht unerhebliche Anzahl von Opferzeug:innen sieht sich zudem im Zusammenhang mit ihrer Aussage massiven Bedrohungen ausgesetzt. Sie in dieser Situation zu unterstützen ist daher nicht nur Ausdruck einer staatlichen Fürsorgepflicht,[75] sondern dient gleichzeitig dazu, die Qualität ihrer Aussage zu verbessern und damit der Wahrheitsfindung. Psychosoziale Prozessbegleitung sollte daher ein elementarer Bestandteil nationaler Völkerstrafprozesse sein.[76] Die vom BMJ vorgeschlagene Ergänzung des § 406g StPO ist ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Von zentraler Bedeutung wird aber die praktische Umsetzung sein. Insbesondere stellt sich die Frage, ob ausreichend geschulte Prozessbegleiter:innen zur Verfügung stehen, die sich mit den Opfern (die häufig der deutschen Sprache nicht mächtig sind) verständigen können und über die notwendigen psychotraumatologischen und interkulturellen Kompetenzen verfügen.
IV. Verbesserung von Dokumentation und Outreach
Der dritte Block der Änderungsvorschläge betrifft den weiten Bereich der (gerichtsexternen) Kommunikation. So will das BMJ die Möglichkeiten zur Aufzeichnung völkerstrafrechtlichen Verfahren erweitern und der internationalen Presse Zugriff auf gerichtliche Verfahrensdolmetschung gewähren.
1. Aufzeichnungen völkerstrafrechtlicher Verfahren
Ton- und Filmaufnahmen von deutschen Gerichtsverhandlungen sind bekanntermaßen gem. § 169 Abs. 1 S. 2 GVG unzulässig. Im Vergleich mit der Praxis der internationalen Strafgerichte ist dieser deutsche Ansatz sehr re-striktiv. So strebt beispielsweise der IStGH danach, die Verfahren allen interessierten Personen zugänglich zu machen. Dementsprechend werden grundsätzlich alle öffentlichen Verhandlungen vor dem IStGH audio-visuell aufgezeichnet und mit einer Verzögerung von 30 Minuten[77] im Internet gestreamt; später können die Aufzeichnungen dann u.a. über den Youtube-Kanal des Gerichtshofs abgerufen werden. In Deutschland bleibt hingegen grundsätzlich nur die Möglichkeit, die Verhandlung vor Ort im Gerichtssaal zu verfolgen oder sich mittelbar aus den Medien über das Verfahren zu informieren. Die Prozesse können daher kaum Breitenwirkung erzielen. Sie werden zudem nicht (oder nur mittelbar) konserviert und stehen dem gesellschaftlichen und wissenschaftlichen Diskurs über das verhandelte Geschehen allenfalls bedingt zur Verfügung. Dass dies jedenfalls bei Verfahren, die auf ein großes öffentliches Interesse stoßen, misslich ist, hat der Gesetzgeber im Kontext der NSU-Prozesse erkannt und 2018 das Verbot der Medienübertragung „moderat“ gelockert.[78] § 169 Abs. 2 GVG erlaubt es nunmehr, zu wissenschaftlichen und historischen Zwecken Tonaufnahmen (keine Filmaufnahmen) von „Verfahren von herausragender zeitgeschichtlicher Bedeutung für die Bundesrepublik Deutschland“ anzufertigen.
Versuche, diese Vorschrift in völkerstrafrechtlichen Verfahren fruchtbar zu machen, sind in der Vergangenheit regelmäßig gescheitert.[79] Anträge auf Audioaufzeichnung wurden von den Oberlandesgerichten u.a. deswegen abgelehnt, weil die Verfahren zwar möglicherweise für die Gesellschaft des Tatorts, nicht aber zwingend für die deutsche Gesellschaft von herausragender Bedeutung seien.[80] Dies greift bei der weltweiten Verfolgung von Völkerstraftaten zu kurz. Das Universalitätsprinzip – und die hierdurch ermöglichte Strafverfolgung ohne Inlandsbezug – zieht seine Legitimation daraus, dass die ihm unterstellten Taten – insbesondere die völkerrechtlichen Kernverbrechen – universell anerkannte Rechtsgüter in systematischer Weise verletzen und damit die gemeinsame Wertgrundlage der gesamten Staatengemeinschaft erschüttern.[81] Jedenfalls wenn – wie in Koblenz – erstmals über Staatsfolter in Syrien verhandelt wird oder wenn – wie in Frankfurt – sich erstmals ein ordentliches Gericht mit den Verbrechen an den Jesid:innen befasst, sind die Verfahren für die gesamte Staatengemeinschaft von grundlegender Bedeutung. Für den Staat, der als ihr Repräsentant in casu die Strafverfolgung übernimmt, kann nichts anders gelten.[82]
Unabhängig von solchen Auslegungsfragen will das BMJ dieser Deutschland-orientierten Argumentation den Boden entziehen. In § 169 Abs. 2 S. 1 GVG sollen die Wörter „für die Bundesrepublik Deutschland“ gestrichen werden. Damit wird klargestellt, dass eine Aufzeichnung von Verfahren auch dann in Betracht kommt, wenn weder die Verfahrensbeteiligten, noch die Opfer oder der Verfahrensgegenstand einen unimittelbaren räumlichen oder sachlichen Bezug zur Bundesrepublik aufweisen.[83] Entscheidend soll allein sein, ob das Verfahren für sich genommen von herausragender zeitgeschichtlicher Bedeutung ist. Zudem sollen neben der schlichten Audioaufzeichnung zukünftig auch Filmaufnahmen von Prozessen möglich sein. Dies ist deswegen sinnvoll, weil Filmaufnahmen einen unmittelbareren Eindruck in das Verfahren erlauben und es ermöglichen, den Verfahrenshergang in seiner Gesamtheit unter Berücksichtigung non-verbaler Kommunikation und Interaktionen nachzuvollziehen. Die praktische Handhabbarkeit der Vorschrift soll dadurch erleichtert werden, dass für die Zwecke des § 169 GVG nicht zwingend eine eigene Aufnahme hergestellt werden muss, sondern stattdessen auf die ggf. eh im Rahmen der digitalen Verfahrensdokumentation anzufertigenden Bild-Ton-Aufnahmen zurückgegriffen werden kann (§ 169 Abs. 2 S. 2 GVG-E).[84]
Dessen ungeachtet erscheint fraglich, ob die geplante Reform tatsächlich zu einer Änderung in der Rechtsprechung führen wird.[85] Die Oberlandesgerichte haben sich nämlich regelmäßig auch deswegen gegen Aufzeichnungen von völkerstrafrechtlichen Verfahren ausgesprochen, weil dies zu einer Gefährdung der Zeug:innen führen und sich zudem negativ auf deren Aussageverhalten auswirken könnte.[86] An diesem Argumentationsstrang dürften die Gerichte auch unter der Neufassung festhalten (wollen). Gänzlich überzeugend ist er nicht: Der Gesetzgeber hat die Möglichkeit einer Verfahrensaufzeichnung in Kenntnis der Tatsache geschaffen, dass sich diese in einem gewissen Umfang auf das Aussageverhalten auswirken kann. Seine Abwägungsentscheidung ist – und das ist für die Gerichte bindend – grundsätzlich zugunsten der Aufzeichnung ausgefallen. Wenn im konkreten Fall besondere Umstände vorliegen – eine besondere Schutzbedürfigkeit einer Zeugin oder gesteigerte Risiken einer Aussageverfälschung etc. – kann die Aufnahme teilweise untersagt werden. Eine pauschale Nichtaufzeichnung dürfte hingegen regelmäßig unverhältnismäßig sein. Dies gilt vor allem dann, wenn – wie in Koblenz – nicht einmal die Aufzeichnung der Plädoyers und der Urteilsverkündung zugelassen wird.[87] Der effektive Schutz von (Opfer-)Zeu-g:innen ist vor allem in völkerstrafrechtlichen Verfahren ein zentrales Thema. Hier wäre es sinnvoll gewesen, das Reformvorhaben nicht auf isolierte Aspekte zu beschränken, sondern die Verfahren als Ganzes zu betrachten. Konkret stellt sich die Frage, wie die nationalen Maßnahmen zum Zeug:innenschutz ausgestaltet und ggf. optimiert werden müssen, um die Risiken, die mit einer Verfahrensaufzeichnung verbunden sind, zu kompensieren. Dass dies (wohl) grundsätzlich möglich ist, indizieren die Erfahrungen der internationalen Gerichte[88] und anderer europäischer Staaten.[89]
Jedenfalls wird der Reformschlag nur bedingt die Breitenwirkung deutscher Völkerstrafprozesse erhöhen können. Es soll nämlich dabei bleiben, dass Aufzeichnungen nur zu wissenschaftlichen und historischen Zwecken hergestellt werden können. Nach Abschluss des Verfahrens werden sie zunächst in den zuständigen Bundes- oder Landesarchiven verwahrt und grundsätzlich erst nach Ablauf der einschlägigen Sperrfristen herausgegeben. Damit stehen sie der tatbetroffenen Gesellschaft nur eingeschränkt bzw. verzögert für Transitional Justice Prozesse[90] zur Verfügung.
2. Zugang zur gerichtlichen Übersetzung
Ebenfalls der Erhöhung der internationalen Sichtbarkeit deutscher Völkerstrafprozesse dient der § 185 Abs. 4 GVG-E. Dieser sieht vor, dass Medienvertreter:innen, die der deutschen Sprache nicht mächtig sind, sich in Gerichtsverhandlungen einer Verdolmetschung bedienen dürfen. Zudem soll das Gericht die Nutzung gerichtlich bereitgestellter Verdolmetschungen zulassen können.
Dieser Regelungsvorschlag reagiert auf eine erfolgreiche Verfassungsbeschwerde im Koblenzer Folterverfahren. Hier beantragten Vertreter:innen der syrischen Presse und syrischer Nicht-Regierungsorganisationen sowie Opfer des Assad-Regimes, die Übersetzungen des gerichtlich bestellten Dolmetschers, der das Prozessgeschehen für die Angeklagten ins Arabische übersetzte, in den Zuschauer:innenraum zu übertragen. Die Vorsitzende wies den Antrag mit der Begründung zurück, dass die Gerichtssprache gem. § 184 GVG Deutsch sei. Zudem erfordere der begehrte Zugang zu den Übersetzungen zusätzliche technische Ausrüstung, die angeschafft, gewartet und desinfiziert werden müsse.[91]
Dies verkennt, dass es § 184 GVG allein darum geht, einen reibungslosen Prozessverlauf zu gewährleisten, das Risiko von Missverständnissen zu verringern und damit die Wahrheitsfindung zu fördern. Geregelt wird also das „Wie“ der verfahrensinternen Kommunikation, nicht hingegen wer unter welchen Umständen hieran zu beteiligen ist.[92] Vorhandene gerichtliche Verdolmetschungen nicht zur Verfügung zu stellen, schließt ausländische Medienvertreter:innen faktisch vom Gerichtsgeschehen aus und lässt in völkerstrafrechtlichen Verfahren die berechtigten Informations- und Kommunikationsbedürfnisse der betroffenen Gesellschaft und der internationalen Gemeinschaft weitgehend außer Acht. Dies hat auch das BVerfG so gesehen, als es per einstweiliger Anordnung entschieden hat, dass es „akkreditierten Medienvertretern mit besonderem Bezug zum syrischen Konflikt“ ermöglicht werden müsse, das Prozessgeschehen auf Arabisch zu verfolgen.[93] In der Begründung verweist das Gericht insbesondere darauf, „dass es sich um ein Strafverfahren handelt, das – namentlich in den Bevölkerungskreisen, für die die Beschwerdeführer zu berichten bezwecken – eine ungewöhnlich große öffentliche Aufmerksamkeit auf sich zieht und damit naheliegend auch auf das Interesse von Medienvertretern stößt, die der deutschen Sprache nicht mächtig sind“. Dies gelte „umso mehr“ aufgrund der Anwendung des Universalitätsprinzips, die dem „besonderen, die internationale Gemeinschaft als Ganze berührenden Charakter der infrage stehenden Straftaten“ geschuldet sei.[94]
Im Lichte dieser Entscheidung stellt § 185 Abs. 4 S. 1 GVG-E zunächst klar, dass ausländische Medienvertreter:innen das Recht haben, sich mittels einer selbstorganisierten Verdolmetschung in die Lage zu versetzen, dem Gang des Verfahrens zu folgen. Insbesondere können sie auf eigene Kosten Flüsterdolmetscher:innen einsetzen.[95] Dies war im Koblenzer Verfahren aufgrund pandemiebedingter Abstands- und Zugangsregeln nicht möglich und setzt im Übrigen voraus, dass den Medienvertreter:innen hinreichende finanzielle Ressourcen zur Verfügung stehen. § 185 Abs. 4 S. 2 GVG-E bietet als naheliegende Lösung an, dass ihnen Zugriff auf die gerichtliche Verdolmetschung gewährt wird, gibt ihnen hierauf aber keinen Anspruch. Vielmehr wird es in das Ermessen des zuständigen Gerichts gelegt, ob die Verdolmetschung für die Presse geöffnet wird. Es ist daher noch nicht abzusehen, in welchem Umfang die Praxis von dieser Neuregelung Gebrauch machen würde – zumal die Übertragung der Verdolmetschung in den Zuschauerraum mit einem gewissen Ressourcenaufwand verbunden ist.[96] Dessen ungeachtet dürfte in völkerstrafrechtlichen Verfahren aber im Licht der genannten BVerfG-Entscheidung häufig in dem Sinne eine Ermessensreduzierung auf Null vorliegen, dass Medienvertreter:innen aus der Tatort- bzw. Opfergesellschaft Zugang zu der gerichtlichen Verdolmetschung zu gewähren ist, wenn sie sonst keine (zumutbare) Möglichkeit haben, den Prozess zu verfolgen.
Des Weiteren wird die praktische Bedeutung des Regelungsvorschlags von der Auslegung des Begriffs „Medienvertreter:in“ abhängen. Bedenklich wäre eine Beschränkung auf akkreditierte Mitglieder der Presse. Gerade in Konfliktregion wie Syrien ist die Presse häufig stark staatlich kontrolliert und reglementiert; die Aufgabe der unabhängigen und objektiven Berichterstattung wird hier häufig von NGOs wahrgenommen. Auch und gerade diesen sollte daher Zugang zur gerichtlichen Verdolmetschung gewährt werden. Zudem ist es misslich, dass der Gesetzentwurf – entgegen seines Grundtenors (dazu unter III.) – an dieser Stelle die Recht der Verbrechensopfer außer Acht lässt. Zwar führt die Erweiterung der Nebenklage automatisch zu einer Erweiterung des Rechts auf Dolmetschleistung (siehe § 187 Abs. 4 GVG).[97] Dieses besteht aber nur insoweit, wie es zur Ausübung der strafprozessualen Rechte notwendig ist. Ein nebenklageberechtigtes Opfer, das sich nicht aktiv in das Verfahren einbringen und keine Aktivrechte ausüben will, hat daher keinen zwingenden Anspruch auf Übersetzung. Diesbezüglich war auch das BVerfG zurückhaltend – es hat im Koblenzer Verfahren nur Medienvertreter:innen Zugang zur gerichtlichen Übersetzung gewährt. Personen, die – wie die Tatopfer – dem Verfahren nur aus privatem Interesse beiwohnen wollten, wurden darauf verwiesen sich „aus anderen Quellen über das Prozessgeschehen zu informieren“.[98] Dies mag verfassungsrechtlich so sein, hindert den Gesetzgeber aber nicht daran, hierüber hinauszugehen und die (ausländischen) Verbrechensopfer auf kommunikativer Ebene stärker in das Verfahren einzubeziehen. Ihnen die offizielle Verdolmetschung zugänglich zu machen, würde anerkennen, dass sie durch die angeklagten Taten unmittelbar betroffen sind und ihnen daher eine besondere Rolle im Prozess der Tataufarbeitung zusteht. Will man den Opfern im und durch das Strafverfahren Gerechtigkeit widerfahren lassen, setzt dies zumindest voraus, dass sie dem Prozessgeschehen in einer ihnen vertrauten Sprache folgen können. In diesem Sinne etabliert Art. 3 der Opferrechtsrichtlinie der Europäischen Union[99] ein generelles Recht der Opfer „zu verstehen und verstanden zu werden“.
Nicht geklärt wird im Gesetzentwurf zudem, wie die Informationsbedürfnisse der betroffenen Gesellschaft, der internationalen Gemeinschaft und der Opfer befriedigt werden können, wenn die angeklagte Person keines Dolmetschers bedarf.[100] Geregelt wird allein die Konstellation, dass eine eh anzufertigende Verdolmetschung weiteren Personen zur Verfügung gestellt werden kann. Fragen ließe sich aber auch, ob bei bestimmten Verfahren der Öffentlichkeit, ausländischen Medienvertreter:innen, den Opfern etc. nicht ein eigenständiger und von den Prozessbeteiligten unabhängiger Anspruch auf Übersetzung eingeräumt werden sollte.
V. Fazit
Im Referentenentwurf werden einige zentrale Punkte, in denen im deutschen Völkerstraf(prozess)recht Nachbesserungsbedarf besteht, erkannt. Die Reformvorschläge bleiben aber sehr zurückhaltend. Im Bereich des Sexualvölkerstrafrechts werden nur kleinere Anpassungen vorgenommen. Hier wäre eine klare Differenzierung zwischen sexueller und reproduktiver Gewalt wünschenswert. Zudem sollte die Übernahme des völkerrechtlichen Auffangtatbestandes ins VStGB erwogen werden. Die Ausdehnung der Nebenklage auf Opfer völkerrechtlicher Verbrechen ist dringend angezeigt. Sie wird im Referentenentwurf aber nur halbherzig, nämlich in Bezug auf ausgewählte Rechtsgutsbeeinträchtigungen vorgenommen. Die vorgesehenen Änderungen von §§ 169, 185 GVG dürften an der restriktiven Dokumentations- und Kommunikationspraxis der Oberlandesgerichte nur wenig ändern. Darüber hinaus gibt es weitere Bereiche, in denen möglicherweise gesetzgeberischer Handlungsbedarf besteht. Beispielhaft seien genannt die Überprüfung von Verfahrenseinstellungen in Völkerstrafverfahren,[101] der Umgang mit open source und digitalen Beweisen, der Opfer- und Zeug:innenschutz, die Integration von Sachverständigen aus den Bereichen Interkulturalität und Psychotraumatologie in Völkerstrafverfahren,[102] das Beweisantragsrecht auf Vernehmung von Auslandszeug:innen,[103] die Ausgestaltung von Dolmetschleistungen[104] oder die Übersetzung von Urteilen in Strafprozessen mit Auslandsbezügen.[105] Die Komplexität völkerstrafrechtlicher Verfahren verlangt nach einem ganzheitlichen, interdisziplinär abgesicherten Ansatz. Dies bedeutet ggf. auch, bestehende Bausteine des nationale Straf- und Strafverfahrensrechts noch weiter zu hinterfragen und Völkerstrafprozesse neu zu denken.
[1] Bis zum Erlass des VStGB stellte das deutsche Recht völkerrechtliche Verbrechen – mit Ausnahme des Völkermordes (§ 220a StGB a.F.) und bestimmten Akten der Aggression (§ 80 StGB a.F.) – nicht als solche unter Strafe. Entsprechende Taten konnten lediglich als „gewöhnliche“ nationale Straftaten (Totschlag, Körperverletzung, Sachbeschädigung etc.) geahndet werden, was aber der kollektiven Dimension völkerrechtlicher Verbrechen nicht gerecht wird; zur deutschen Verfolgungspraxis vor 2002 siehe Jeßberger, in: Jeßberger/Epik, Zwanzig Jahre Völkerstrafgesetzbuch: Anwendungspraxis und Reformbedarf, 2023, S. 25.
[2] Die Pflicht der Staaten zur Verfolgung völkerrechtlicher Verbrechen wird auch in der Rechtsprechung des IStGH betont: IStGH, Appeals Chamber, Prosecutor v. Katanga and Ngudjolo Chui, Judgment on the Appeal of Mr. Germain Katanga against the Oral Decision of Trial Chamber II of 12 June 2009 on the Admissibility of the Case, 25.9.2009, ICC-01/04-01/07-1234, Rn. 85; IStGH, Pre-Trial Chamber II, Prosecutor v. Ruto and Sang, Decision on the Application by the Government of Kenya Challenging the Admissibility of the Case Pursuant to Article 19(2)(b) of the Statute, 30.5.2011, ICC-01/09-01/11-101, Rn. 44.
[3] Bock, in: Jeßberger/Epik, Zwanzig Jahre Völkerstrafgesetzbuch: Anwendungspraxis und Reformbedarf, 2023, S. 43 m.w.N.
[4] Deutscher Bundestag, Gesetzentwurf der Bundesregierung. Entwurf eines Gesetzes zur Einführung des Völkerstrafgesetzbuches, BT-Drs. 14/8524, v. 13.3.2002, S. 12. Hierzu auch Jeßberger (Fn. 1), S. 29 sowie Satzger, NStZ 2002, 125 (126); Zimmermann, ZRP 2002, 97 (98).
[5] Klip, in: Jeßberger/Geneuss, Zehn Jahre Völkerstrafgesetzbuch. Bilanz und Perspektiven eines „deutschen Völkerstrafrechts“, 2013, S. 141 (143): „Meisterleistung“.
[6] Rechtlicher Hintergrund ist der zeitgleich mit dem VStGB in Kraft getretene § 153f StPO, der dem GBA ein weites Einstellungsermessen bei der Verfolgung völkerrechtlicher Verbrechen ohne Inlandsbezug einräumt, hierzu Bock (Fn. 3), S. 44 ff.
[7] Hierzu Bock (Fn. 3), S. 49.
[8] Siehe auch Safferling, ZRP 2023, 122.
[9] Der erste Angeklagte, Eyad A., wurde vom OLG Koblenz wegen Beihilfe zu Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu einer Freiheitsstrafe von viereinhalb Jahren verurteilt, OLG Koblenz, Urt. v. 24.2.2021 – 1 StE 3/21 bestätigt in BGH, Beschl. v. 20.4.2022 – 3 StR 367/21. Ungefähr ein Jahr später befand das Oberlandesgericht den Hauptangeklagten Anwar R. u.a. der Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Form der Tötung, Folter, Freiheitsberaubung, Vergewaltigung und sexueller Nötigung schuldig und verhängte eine lebenslange Freiheitsstrafe OLG Koblenz, Urt. v. 13.1.2022 – 1 StE 9/19 (noch nicht rechtskräftig).
[10] OLG Frankfurt, Urt. v. 30.11.2021 – 5-3 StE 1/20 – 4 – 1/20, bestätigt durch BGH, NJW 2023, 1138 mit Anm. Bock; siehe auch die Anm. von Dillen, KriPoZ 2023, 409 ff.
[11] Kampf, Im Dunkel der Foltergefängnisse, SZ.de v. 20.8.2020, abrufbar unter: https://www.sueddeutsche.de/politik/prozess-im-dunkel-der-foltergefaengnisse-1.5005247 (zuletzt abgerufen am 18.9.2023); Germany Takes Rare Step in Putting Syrian Officers on Trial in Torture Case, New York Times v. 23.4.2020, abrufbar unter: https://www.nytimes.com/2020/04/23/world/middleeast/syria-germany-war-crimes-trial.html (zuletzt abgerufen am 18.9.2023); German court: Syrian man guilty of crimes against humanity, ArabNews v. 13.1.2022, abrufbar unter: https://www.arabnews.com/node/2003571/world (zuletzt abgerufen am 18.9.2023).
[12] Siehe hierzu Statement of Germany in the UNGA sixth committee, The scope and application of the principle of universal jurisdiction, 12.10.2022, abrufbar unter: https://new-york-un.diplo.de/un-en/news-corner/-/2558190 (zuletzt abgerufen am 18.9.2023); UN panel welcomes landmark guilty verdict in Germany’s prosecution of former Syrian intelligence officer for crimes against humanity v. 13.1.2022, abrufbar unter: https://www.ohchr.org/en/2022/01/un-panel-welcomes-landmark-guilty-verdict-germanys-prosecution-former-syrian-intelligence (zuletzt abgerufen am 18.9.2023); IIIM-Syria welcomes German Court’s Crimes Against Humanity Verdict v. 14.1.2022, abrufbar unter: https://iiim.un.org/iiim-syria-welcomes-german-courts-crimes-against-humanity-verdict/ (zuletzt abgerufen am 18.9.2023).
[13] Siehe zum Beispiel die Dokumentation des Koblenzer Folterverfahrens durch das Syrian Justice and Accountability Centre and das Marburger International Research and Documentation Centre for War Crimes Trials, abrufbar unter: https://syriaaccountability.org/the-trial-of-anwar-raslan-and-eyad-al-gharib/ (zuletzt abgerufen am 18.9.2023).
[14] Siehe hierzu die interdisziplinären Beiträge in Bock/Wagner, Gerechtigkeit aus der Ferne? Herausforderungen der nationalen Verfolgung von Völkerrechtsverbrechen, 2023.
[15] Hierzu Ritscher, in: Safferling/Kirsch, Völkerstrafrechtspolitik. Praxis des Völkerstrafrechts, 2014, S. 223 (231 ff.).
[16] OLG Stuttgart, Urt. v. 28.8.2015 – 5-3 StE 6/10.
[17] BGHSt 64, 10.
[18] Hierzu Ritscher, ZIS 2019, 599 (600).
[19] Siehe Bentele, ZIS 2016, 803; Werle/Vormbaum, JZ 2017, 12 sowie Neumann, in: Bock/Wagner, Gerechtigkeit aus der Ferne? Herausforderungen der nationalen Verfolgung von Völkerrechtsverbrechen, 2023, S. 113.
[20] Siehe auch Epik, in: Jeßberger/Epik, Zwanzig Jahre Völkerstrafgesetzbuch: Anwendungspraxis und Reformbedarf, 2023, S. 255 (256, 258).
[21] Siehe exemplarisch Bentele, ZIS 2016, 803; Werle/Vormbaum, JZ 2017, 12
[22] BMJ, Referentenentwurf: Entwurf eines Gesetzes zur Fortentwicklung des Völkerstrafrechts v. 17.7.2023, S. 9.
[23] BMJ (Fn. 22).
[24] IStGH, Office of the Prosecutor, Policy Paper on Sexual and Gender-Based Crimes, Juni 2014, Rn. 1. Siehe auch Altunjan/Steinl, Rechtswissenschaft 2021, 335 (337).
[25] Siehe Deutscher Bundestag (Fn. 4), S. 20, 21; auch BMJ (Fn. 22). S. 10.
[26] Altunjan/Steinl, in: Jeßberger/Epik, Zwanzig Jahre Völkerstrafgesetzbuch: Anwendungspraxis und Reformbedarf, 2023, S. 179-198 (181).
[27] Vgl. Art. 7 (1) (g)-6 Nr. 1 der Verbrechenselemente zum IStGH-Statut: “The perpetrator committed an act of a sexual nature against one or more persons or caused such person or persons to engage in an act of a sexual nature by force, or by threat of force or coercion.” Die Details sind allerdings sehr umstritten. Überblick über die Diskussion bei Altunjan/Steinl, Rechtswissenschaft 2021, 335 (342 f.); Schwarz, Das völkerrechtliche Sexualstrafrecht. Sexualisierte und geschlechtsbezogene Gewalt vor dem Internationalen Strafgerichtshof, 2019, S. 207 ff.
[28] Siehe zu Strafbarkeitslücken unter der aktuellen Regelung auch BMJ (Fn. 22), S. 24 sowie ECCHR, Betroffenenrechte stärken – Strafbarkeitslücken schließen. Stellungnahme zum Reformbedarf des deutschen Völkerstrafrechts im Hinblick auf sexualisierte, reproduktive und geschlechtsbezogene Gewalt sowie prozessuale Rechte, Oktober 2021, S. 3.
[29] Hierzu aus völkerstrafrechtlicher Sicht Schwarz (Fn. 27), S. 338 sowie IStGH, Office of the Prosecutor (Fn. 24), S. 13.
[30] Werle/Jeßberger, in: MüKo-StGB, Bd. 9., 4. Aufl. (2022), § 7 VStGB Rn. 82; Altunjan/Steinl, Rechtswissenschaft 2021, 335 (353); siehe auch Deutscher Juristinnenbund, Stellungnahme zum Referent:innenentwurf des Bundesministeriums der Justiz zur Fortentwicklung des Völkerstrafrechts v. 25.8.2023, S. 1. Zum erzwungenen Schwangerschaftsabbruch sogleich unter II.1.c).
[31] Hierzu Werle/Jeßberger, in: MüKo-StGB, § 7 VStGB Rn. 82; Altunjan/Steinl, Rechtswissenschaft 2021, 335 (339 ff.); Altunjan/Steinl (Fn. 26), S. 181 ff.; auch ECCHR (Fn. 28), S. 3.
[32] Altunjan/Steinl, Rechtswissenschaft 2021, 335 (342); Altunjan/Steinl (Fn. 26), S. 185.
[33] In diesem Sinne spricht sich das BMJ für eine völkerstrafrechtsfreundliche und kontextsensible Auslegung des Merkmals des Sexualbezuges in §§ 7 Abs. 1 Nr. 6, 8 Abs. 1 Nr. 4 VStGB aus, BMJ (Fn. 22), S. 25.
[34] Altunjan/Steinl, Rechtswissenschaft 2021, 335 (351 f.); Altunjan/Steinl (Fn. 26), S. 194; ECCHR (Fn. 28), S. 2; auch BMJ (Fn. 22), S. 26; Safferling, ZRP 2023, 122 (122 f.) sowie Deutscher Juristinnenbund (Fn. 30), S. 2 unter Verweis auf die praktische Bedeutung des Tatbestandes der sexuellen Sklaverei. Eine andere (hier nicht zu vertiefende) Frage ist allerdings, ob der Tatbestand der sexuellen Sklaverei eine eigenständige Bedeutung gegenüber der „normalen“ Sklaverei hat bzw. haben sollte, hierzu Adams, Criminal Law Forum 2018, 279. Das BMJ geht von einem gesteigerten Unrechtsgehalt gegenüber der „einfachen“ Versklavung aus, BMJ (Fn. 22), S. 26, was aber möglicherweise unberücksichtigt lässt, dass Versklavungen typischerweise auch eine sexuelle Dimension haben.
[35] Altunjan/Steinl, Rechtswissenschaft 2021, 335 (354).
[36] Hierzu Altunjan, Reproductive Violence and International Criminal Law, 2020, S. 278 ff.; auch BMJ (Fn. 22), S. 27; Deutscher Juristinnenbund (Fn. 30), S. 2.
[37] Deutscher Juristinnenbund (Fn. 30), S. 2-3; siehe auch bereits Altunjan/Steinl (Fn. 26), S. 180. Grundlegend zur Unterscheidung zwischen sexueller Selbstbestimmung und Reproduktionsfreiheit Altunjan (Fn. 36), S. 21 ff.
[38] Siehe auch die Forderung in ECCHR (Fn. 28), S. 6.
[39] Siehe insbesondere § 238 Abs. 1 Nr. 8 StGB: „eine mit den Nummern 1 bis 7 vergleichbare Handlung“.
[40] Siehe auch die Kritik in ECCHR (Fn. 28), S. 3
[41] Art. 7 Abs. 2 lit. i IStGH-Statut, § 7 Abs. 1 Nr. 7 VStGB; siehe auch Ambos, Internationales Strafrecht. Strafanwendungsrecht – Völkerstrafrecht – Europäisches Strafrecht – Rechtshilfe, 5. Aufl. (2018), § 7 Rn. 216.
[42] Deutscher Bundestag (Fn. 4), S. 22; Werle/Jeßberger, in: MüKo-StGB, § 7 VStGB Rn. 95.
[43] Committee on Enforced Disappearances, Concluding observations on the additional information submitted by Germany under article 29 (4) of the Convention, CED/C/DEU/OAI/1 v. 14.4.2023, Rn. 7; übernommen in BMJ (Fn. 22), S. 28.
[44] Committee on Enforced Disappearances (Fn. 43), Rn. 7 f.
[45] Siehe neben dem IStGH-Statut auch Art. 2 des Internationalen Übereinkommens vom 20.12.2006 zum Schutz aller Personen vor dem Verschwindenlassen. Deutschland hat das Übereinkommen mit Gesetz vom 30.7.2009 ratifiziert (BGBl. II 2009, S. 932).
[46] Resolution on amendments to Article 8 of the Rome Statute of the International Criminal Court, Resolution ICC-ASP/16/Res. 4 v. 14.12.2017. Deutschland hat diese Vertragsänderung durch Gesetz vom 8.12.2022, BGBl. II 2002, S. 635, ratifiziert, aber die Ratifizierungsurkunde noch nicht hinterlegt. Änderungen des IStGH-Statuts treten für jeden Staat individuell ein Jahr nach Hinterlegung der Ratifikationsurkunde in Kraft (Art. 121 Abs. 5 IStGH-Statut).
[47] Kreß, in: MüKo-StGB, Bd. 9, 4. Aufl. (2022), § 8 VStGB Rn. 1.
[48] Hierzu Bock, Das Opfer vor dem Internationalen Strafgerichtshof, 2010, S. 52 ff.
[49] Werkmeister, in: Bock/Wagner, Gerechtigkeit aus der Ferne? Herausforderungen der nationalen Verfolgung von Völkerrechtsverbrechen, 2023, S. 119 (120); auch ECCHR (Fn. 28), S. 7.
[50] Werle/Vormbaum, JZ 2017, 12 (15); Werkmeister (Fn. 49), S. 121.
[51] Hierzu Werkmeister (Fn. 49), S. 123 f.; zu praktischen Problemen Epik (Fn. 20), S. 262.
[52] Kritisch auch Safferling, ZRP 2023, 122 (123), der den Umweg über die nationalen Tatbestände für unangemessen hält.
[53] Triffterer, ZStW 2002, 321 (341).
[54] Siehe Werkmeister (Fn. 49), S. 131.
[55] Hierzu Ambos, Treatise on International Criminal Law – Volume I: Foundations and General Part, 2. Aufl. (2021) S. 113 ff.; Bock (Fn. 48), S. 97 ff., 105 ff.; Werkmeister(Fn. 49), S. 131 f.; auch BGH, NJW 2023, 1138 Rn. 56 sowie BMJ (Fn. 22), S. 33.
[56] Hierzu m.w.N. Bock (Fn. 48), S. 90 ff. Überblick über die Diskussion bei Kreß, in: MüKo-StGB, § 6 VStGB Rn. 1 ff.
[57] BGHSt 45, 64 (80); in BGH, NJW 2023, 1138 Rn. 56 wurde die Frage nach dem individualschützenden Charakter des Völkermordes ausdrücklich offen gelassen.
[58] Ausführlicher und m.w.N. Bock (Fn. 48), S. 92; Ambos, Treatise on International Criminal Law – Volume II: The Crimes and Sentencing, 2. Aufl. (2022), S. 4; auch Epik(Fn. 20), S. 261.
[59] Ambos (Fn. 58), S. 4.
[60] Safferling, ZRP 2023, 122 (123).
[61] Zwingend ist diese Sichtweise nicht. Man kann das Kernunrecht des Aggressionsverbrechens auch darin sehen, dass durch die Tat eine Situation geschaffen wird, in der Menschen in großem Ausmaß getötet und verletzt werden und dass diese Individualrechtsverletzungen ggf. sogar vom Humanitären Völkerrecht gedeckt und damit rechtmäßig sind, Dannenbaum, in: Bock/Conze, Rethinking the Crime of Aggression – International and Interdisciplinary Perspectives, 2022, S. 225 (240 ff.).
[62] Siehe Ambos (Fn. 58), S. 221 sowie Bock (Fn. 48), S. 117 m.w.N. In diesem Sinne auch BMJ (Fn. 22), S. 37.
[63] Im Eckpunktepapier war noch vorgesehen, nur Opfern von Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen die Nebenklagebefugnis einzuräumen, BMJ, Eckpunkte des Bundesministeriums der Justiz zur Fortentwicklung des Völkerstrafrechts v. 23.2.2023, S. 2. Im Referentenentwurf werden nun zu Recht auch Opfer von Völkermord in die Nebenklage einbezogen, wobei das BMJ zur Begründung primär auf die Schwere des aus der Tat sprechenden menschenverachtenden Charakters abstellt, BMJ (Fn. 22), S. 34.
[64] BMJ (Fn. 22), S. 37.
[65] Deutscher Juristinnenbund (Fn. 30), S. 9 f.
[66] Art. 68 Abs. 3 IStGH-Statut i.V.m. Regel 85 der Verfahrens- und Beweisregeln des IStGH. Siehe beispielhaft zur weiten Auslegung des Opferbegriffs unter gleichberechtigter Einbeziehung von physischen, materiellen, psychischen und emotionalen Schäden IStGH, Trial Chamber I, Prosecutor v. Lubanga, Judgment pursuant to Article 74 of the Statute v. 14.3.2012, ICC-01/04-01/06-2842, Rn. 14 ii).‘
[67] BMJ (Fn. 22), S. 37.
[68] Siehe auch die Kritik in Deutscher Juristinnenbund (Fn. 30), S. 8.
[69] Zur Tatbestandsmäßigkeit des Zufügens seelischer Schmerzen und Leiden Werle/Jeßberger, in: MüKo-StGB, § 7 VStGB Rn. 72; international Ambos (Fn. 41), § 7 Rn. 207.
[70] Zu Recht kritisch daher Deutscher Juristinnenbund (Fn. 30), S. 7.
[71] Siehe z.B. IStGH, Trial Chamber IX, Prosecutor v. Ongwen, Trial Judgement v. 4.2.2021, ICC-02-04/01/15-1762-Red, Rn. 2748.
[72] Hierzu Werkmeister (Fn. 49), S. 121.
[73] Vgl. Bock (Fn. 48), S. 487 f.
[74] Siehe hierzu auch Werkmeister (Fn. 49), S. 122 m.w.N.; i.E. ebenso Safferling, ZRP 2023, 122 (124); Epik (Fn. 20), S. 263.
[75] Siehe hierzu Bock, in: FS Eisenberg, 2019, S. 363 (365).
[76] Hierzu auch Rothkegel, in: Bock/Wagner, Gerechtigkeit aus der Ferne? Herausforderungen der nationalen Verfolgung von Völkerrechtsverbrechen, 2023, S. 149.
[77] Die Verzögerung von 30 Minuten gibt dem Gericht die Möglichkeit, die Aufzeichnungen vor Veröffentlichung zu redigieren, falls dies notwendig sein sollte, um die Preisgabe vertrauliche Informationen (z.B. Namen von geschützten Zeuge:innen) zu verhindern.
[78] Deutscher Bundestag, Gesetzentwurf der Bundesregierung: Entwurf eines Gesetzes zur Erweiterung der Medienöffentlichkeit in Gerichtsverfahren und zur Verbesserung der Kommunikationshilfen für Menschen mit Sprach- und Hörbehinderungen (Gesetz über die Erweiterung der Medienöffentlichkeit in Gerichtsverfahren – EMöGG), BT-Drs. 18/10144 v. 26.10.2016, S. 11, 19.
[79] Siehe zum Beispiel https://www.ecchr.eu/pressemitteilung/syrien-verfahren-koblenz-wissenschaftler-fordern-ton-aufzeichnung/ (zuletzt abgerufen am 18.9.2023).
[80] Ausführliche kritische Analyse bei Burghardt/Thurn, KJ 2022, 109; siehe hierzu auch Bock (Fn. 3), S. 61.
[81] Vertiefend Ambos, Treatise on International Criminal Law – Volume III: International Criminal Procedure, 2016, S. 268 ff.; auch Bock/Wagner, NJW 2020, 3146 (3146-3147).
[82] Siehe auch die Ausführungen in BMJ (Fn. 22), S. 40 sowie Epik (Fn. 20), S. 266; Safferling, ZRP 2023, 122 (124).
[83] BMJ (Fn. 22), S. 40.
[84] Hierzu BMJ (Fn. 22), S. 41. Bezug genommen wird insoweit auf die geplante Neureglung des § 271 StPO. Hiernach sollen grundsätzlich alle Hauptverhandlungen, die erstinstanzlich vor dem Landgericht oder dem Oberlandesgericht stattfinden, digital dokumentiert werden. Die zu diesem Zwecke erstellten Aufnahmen sind aber grundsätzlich – sofern sie nicht i.S.d. § 169 GVG archiviert werden – zu löschen, wenn das Verfahren rechtskräftig abgeschlossen oder sonst beendet ist, siehe Bundesregierung, Gesetzentwurf der Bundesregierung: Entwurf eines Gesetzes zur digitalen Dokumentation der strafgerichtlichen Hauptverhandlung (Hauptverhandlungsdokumentationsgesetz – DokHVG) v. 10.5.2023.
[85] Ebenso Gmel, in: Jeßberger/Epik, Zwanzig Jahre Völkerstrafgesetzbuch: Anwendungspraxis und Reformbedarf, 2023, S. 271, 273.
[86] Hierzu Gmel (Fn. 85), S. 273 ff.
[87] Bock (Fn. 3), S. 61 f.
[88] Hierzu auch Schmitt, NStZ 2019, 1.
[89] Siehe auch Epik (Fn. 20), S. 267.
[90] Mit dem Oberbegriff der „Transitional Justice“ werden Übergangsprozesse bezeichnet, mit deren Hilfe die betroffene Gesellschaft nach systematischen Gewaltakten versucht, die Vergangenheit zu bewältigen und neue, friedliche (demokratische) Strukturen aufzubauen. Hierzu zählen die unabhängige und systematische Aufklärung der Geschehnisse, die Identifizierung der Verantwortlichen und (gegebenenfalls) ihre Sanktionierung, die Rehabilitation der Opfer und – soweit möglich – die Kompensation der erlittenen Schäden. Strafrechtliche Verfahren – auch wenn sie im Ausland auf Basis des Universalitätsprinzips geführt werden – können hierzu einen Beitrag leisten, hierzu m.w.N. Bock/Wagner, NJW 2020, 3146 (3147). Zur Bedeutung von Verfahrensaufzeichnungen für Transitional Justice Prozesse auch Epik (Fn. 20), S. 265 f.
[91] OLG Koblenz, Beschl. v. 9.7.2020 – 1 StE 9 /19, Rn. 7, 14, 15.
[92] Siehe auch Gmel (Fn. 85), S. 277, die darauf hinweist, dass die Entscheidung, den Medien oder der breiten Öffentlichkeit einen Dolmetscher zur Verfügung zu stellen, im sitzungspolizeilichen Ermessen des Gerichts liegt.
[93] BVerfG, NJW 2020, 3166; zustimmend Gmel (Fn. 85), S. 278.
[94] BVerfG, NJW 2020, 3166 (3167 Rn. 11).
[95] BMJ (Fn. 22), S. 41.
[96] Hierzu Gmel (Fn. 85), S. 278.
[97] Hierzu auch BMJ (Fn. 22), S. 19.
[98] BVerfG, Entscheidung v. 18.8.2020 – 1 BvR 1919/20.
[99] Richtlinie 2012/29/EU des Europäischen Parlaments und des Rates v. 25.10.2012 über Mindeststandards für die Rechte, die Unterstützung und den Schutz von Opfern von Straftaten sowie zur Ersetzung des Rahmenbeschlusses 2001/220/JI, ABl. EU 2012 L 315.
[100] Die ist beispielsweise im Frankfurter Verfahren gegen den ehemaligen syrischen Militärarzt Alaa M. der Fall. Der Angeklagte beherrscht die deutsche Sprache so sicher, dass über weite Teile des Verfahrens auf eine Verdolmetschung verzichtet wird.
[101] Werle/Vormbaum, JZ 2017, 12 (13).
[102] Zu den Herausforderungen interkultureller Zeug:innenvernehmungen Helfrich, in: Bock/Wagner, Gerechtigkeit aus der Ferne? Herausforderungen der nationalen Verfolgung von Völkerrechtsverbrechen, 2023, S. 159.
[103] Werle/Vormbaum, JZ 2017, 12 (13).
[104] Ausführlich Oğlakcıoğlu, in: Bock/Wagner, Gerechtigkeit aus der Ferne? Herausforderungen der nationalen Verfolgung von Völkerrechtsverbrechen, 2023, S. 171.
[105] Ausführlich Boe, ZStW 2022, 926.