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Kommentar zum Regelungsentwurf des § 33 E-StGB – Notwehrexzess und Putativnotwehrexzess

von Prof. Dr. Anna H. Albrecht 

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Abstract
Der Text analysiert den Gesetzesentwurf des Kriminalpolitischen Kreises zur Regelung des Notwehrexzesses und des Putativnotwehrexzesses, veröffentlicht unter Hoven/Mitsch in GA 2023, S. 241 ff., ausgehend vom aktuellen Diskussionsstand in Rechtsprechung und Literatur. Im Schwerpunkt widmet er sich dem Anwendungsbereich des Regelungsvorschlags, insbesondere der Reichweite des intensiven Notwehrexzesses, der Erfassung des extensiven Notwehrexzesses sowie den Voraussetzungen eines entschuldigenden Putativnotwehrexzesses. Er beruht auf einem Kommentar, den die Verfasserin im Juni 2023 auf dem Online-Workshop „Ein neues Konzept der Notwehr“ des kriminalpolitischen Kreises gehalten hat. Der Vortragsstil wurde beibehalten.

 Based on the current state of discussion in jurisprudence and literature, the text analyses the proposed regulation on “Notwehrexzess” (excess of self-defence) and “Putativnotwehrexzess” (excess of putative self-defence), as drafted by the Kriminalpolitischer Kreis and published under Hoven/Mitsch in GA 2023, p. 241 ff. It focuses on the scope of application of the proposed regulation, in particular the breadth of the intensive “Notwehrexzess”, the inclusion of the extensive “Notwehrexzess” as well as the preconditions of an excusable “Putativnotwehrexzess”. It is based on a commentary given by the author in June 2023 at the online workshop „A new concept of self-defence“ of the Kriminalpolitischer Kreis. The style of the presentation has been maintained.

I. Einleitung

Es ist zu begrüßen, dass der Entwurf erforderliche Klarstellungen leistet, indem er die wohl zentrale Streitfrage zur Reichweite des Notwehrexzesses – diejenige, ob auch der extensive Exzess erfasst ist – entscheidet und den Putativnotwehrexzess einer gesetzlichen Regelung zuführt. Einzelne Fragestellungen lässt der Entwurf m.E. aber noch offen.

Dabei muss ich darauf hinweisen, dass ich natürlich nicht sämtliche Diskussionszusammenhänge des Kriminalpolitischen Kreises kenne. Insoweit möchte ich mich dem Ganzen auf der Grundlage des von Hoven/Mitsch in GA 2023, S. 241 ff. veröffentlichten Entwurfs samt Begründung und aus der Perspektive des aktuellen allgemeinen Diskussionsstandes nähern.

II. Zu § 33 Abs. 1 E-StGB – Regelung des Notwehrexzesses

Hinsichtlich des Notwehrexzesses ist eine jegliche Klärung, die der Entwurf vornimmt, schon deswegen besonders wertvoll, weil die zusätzlichen Einschränkungen, die der Entwurf in § 32 Abs. 2 StGB dem Notwehrrecht setzt, den Anwendungsbereich des Notwehrexzesses breiter und dessen Regelung umso bedeutsamer werden lassen.

1. Zur Rechtsfolge

Nicht in Frage zu stellen ist insoweit die Klarstellung, dass bei Vorliegen eines Notwehrexzesses der/die Täter:in ohne Schuld handelt – das ist weitgehend konsentiert.[1] Der Entwurf wirft aber durchaus die Frage auf, wie dieses Nichtvorliegen von Schuld begründet ist. Darauf werde ich in anderem Zusammenhang zurückkommen.

2. Zum intensiven Notwehrexzess

In Bezug auf den auch bisher unstreitig erfassten intensiven Notwehrexzess schafft der Entwurf zu § 32 StGB Bedarf zu der Klarstellung, ob auch die zusätzlichen Beschränkungen aus seinem Absatz 2 Satz 2 zu den Grenzen des Notwehrrechts i.S.v. § 33 Abs. 1 StGB zu zählen sind. Denn ausweislich der Entwurfsbegründung sollen damit noch Voraussetzungen[2] und keine Einschränkungen des Notwehrrechts formuliert werden, die bisher als Grenzen i.S.d. geltenden § 33 StGB verstanden wurden. Mit dem groben Missverhältnis wird aber eine vormalige Fallgruppe der Gebotenheit im herkömmlichen Sinne aufgegriffen.

Auch vor dem Hintergrund des geltenden Gesetzes mag man zweifeln, ob die Fallgruppe des groben Missverhältnisses überhaupt taugliches Einfallstor für die Anwendbarkeit von § 33 StGB ist. Oft ist schlicht zu lesen, dass eine vollständig disproportionale Verteidigung, mag sie auch erforderlich sein, durch Notwehr nicht gerechtfertigt ist.[3] In der Regel wird man aber zu der Einschätzung gelangen, dass eine weniger sichere, aber dafür auch weniger einschneidende Verteidigung als Notwehr gerechtfertigt gewesen wäre und damit eine im Vergleich zu intensive Verteidigung vorgelegen hat.

Damit ließe das geltende Recht Raum für eine Anwendbarkeit des § 33 StGB, wenn der/die Täter:in eine erforderliche, aber grob unverhältnismäßige Verteidigung wählt. Sieht man dies aufgrund der abweichenden Kategorisierung des krassen Missverhältnisses in diesem Entwurf anders, so wäre dem /der Täter:in in solchen Kon-stellationen das Notwehrrecht schon deswegen versagt, weil es an seinen Voraussetzungen fehlt. Straffreiheit würde ihm nur dann gewährt, wenn seinem Verhalten eine Fehlvorstellung über das tatsächliche Vorliegen der Notwehrvoraussetzungen, also ein Erlaubnistatumstandsirrtum, zugrunde liegt, der auch in einem Verkennen der tatsächlichen Voraussetzungen des krassen Missverhältnisses liegen kann. Zu denken wäre an Fälle, in denen der/die Täter:in aufgrund einer Fehlvorstellung in tatsächlicher Hinsicht den Wert der verteidigten Rechtsgüter überschätzt oder denjenigen der Rechtsgüter, die sie mit ihrer Verteidigung schädigt, unterschätzt. So mag sie auf die Entfernung hin verkennen, dass das in ihre Richtung gerichtete Luftgewehr der angreifenden Person allenfalls ihren Zaun beschädigen, nicht aber ihr das Leben wird nehmen können, oder bei Abfeuern eines tödlichen Projektils mit einer Waffe davon ausgehen, dass lediglich Tränengas ausströmen und die Augen der angreifenden Person reizen wird. Berührt ist damit das Verhältnis zwischen Erlaubnistatbestandsirrtum und Notwehrexzess.[4] Jedenfalls in Fällen einer bewussten Überschreitung der Proportionalität wäre der/die Exzedent:in strafbar.

3. Zum extensiven Exzess

Den Streit um die Erfassung des extensiven Notwehrexzesses entscheidet der Entwurf zugunsten der weitesten Lösung, die nicht nur den nachzeitigen, sondern auch den vorzeitigen extensiven Exzess unter § 33 StGB fasst.[5]

Aufgeworfen ist damit allerdings die Frage, wie diese – in traditioneller Terminologie – Entschuldigung begründet wird. Herrschend ist die Begründung mit einer doppelten Schuldminderung: Die Notwehrlage verringere das Unrecht der Tat und damit auch deren Schuldgehalt; der in dem asthenischen Affekt begründete psychische Ausnahmezustand bewirke eine weitere Schuldminderung, die zusammen mit der vorgenannten das Maß der Schuld unter die Grenze des Strafwürdigen und -bedürftigen dränge.[6] Auf dieser Grundlage wird gegen das Entfallen der Schuld beim vorzeitigen Exzess eingewandt, dass es, solange noch kein Angriff vorliegt, an einer der beiden Säulen der Entschuldigung fehle.[7]

Diesem Fehlen eines Angriffs im Zeitpunkt der Exzesshandlung trägt der Entwurf nur sprachlich Rechnung. Die Entschuldigung wird dementsprechend wohl maßgeblich mit dem asthenischen Affekt begründet.[8] Daher droht ihm seitens u.a. des herrschenden Exzesskonzepts die kritische Frage, ob der asthenische Affekt das Entfallen der Schuld hinreichend zu begründen vermag, insbesondere ob dies konsistent ist etwa im Vergleich zu § 35 StGB, der nach herrschender Auffassung ebenfalls durch eine vergleichbare doppelte Schuldminderung begründet ist,[9] und zu § 20 StGB, der den Ausschluss der Schuld in psychischen Ausnahmesituationen unabhängig von einer Unrechtsminderung festhält.[10] Auch die Binnenstimmigkeit des § 33 Abs. 1 StGB wäre betroffen – wenn beim vorzeitigen Exzess kein Angriff vorliegen muss, wieso dann beim intensiven Notwehrexzess, und wieso muss er beim extensiven Exzess zumindest kurz bevorstehen oder gerade erst vorüber sein? Der Entwurf zieht ergänzend die Verantwortlichkeit des Angreifers oder der Angreiferin für das Geschehen zur Begründung heran. Diese mag aber im Vorfeld des Angriffs noch nicht so eindeutig sein.

Das leitet über zu einer weiteren Frage zum vorzeitigen Exzess: Erfassen soll dieser nach dem Entwurf die Zeitspanne „unmittelbar vor […] dem Angriff“.[11] Nun ist nach gängiger Definition ein Angriff bereits dann gegenwärtig, wenn die durch menschliches Verhalten drohende Beeinträchtigung rechtlich geschützter Interessen unmittelbar bevorsteht;[12] darunter wird etwa ein dem Versuchsbeginn unmittelbar vorgelagertes Verhalten gefasst.[13] Der Zeitrahmen des vorzeitigen extensiven Exzesses wäre also durch eine doppelte, wenn der Maßstab des Versuchsbeginns herangezogen wird, gar dreifache Unmittelbarkeit gekennzeichnet. Wie ist diese zu bestimmen? Und ist die Situation, ist die Verantwortlichkeit des (mutmaßlichen) Angreifers oder der Angreiferin dann stets so eindeutig, dass die Milde des § 33 StGB sachgerecht ist?

4. Zum bewussten Exzess

Schließlich legt der Entwurf nicht fest, ob nur der unbewusste oder – so die ganz h.A. – auch der bewusste Notwehrexzess entschuldigt ist.[14] Für die Praxis mag dies schon aus Beweisgründen kaum von Bedeutung sein; dogmatisch würde es eine Einordnung des Notwehrexzesses erleichtern.

III. Zu § 33 Abs. 2 E-StGB – Regelung des Putativnotwehrexzesses 

Die Regelung in § 33 Abs. 2 des Entwurfs zielt darauf ab, dem Streit, um die rechtliche Behandlung des Putativnotwehrexzesses ein Ende zu setzen. Sie erkennt auch diesen als Entschuldigungsgrund an, unterwirft ihn aber naturgemäß weiteren Voraussetzungen als den Notwehrexzess: der Unvermeidbarkeit der Fehlvorstellung über das tatsächliche Vorliegen einer Notwehrlage sowie der Verantwortlichkeit der verletzten Person für ebendiese Fehlvorstellung. 

Diese Differenzierung zwischen Notwehrexzess und Putativnotwehrexzess wird aus der Verantwortlichkeit des Opfers der Exzesstat abgeleitet, die beim Notwehrexzess in dem tatsächlich vorliegenden Angriff begründet ist, während es beim Putativnotwehrexzess an einer solchen Verantwortlichkeit fehlen kann.[15] An der Leitlinie der Verantwortlichkeit gestaltet der Entwurf dementsprechend auch die Einzelheiten der Entschuldigung aus, indem er eben die Verantwortlichkeit der verletzten Person für den Irrtum des/der Exzesstäter:in verlangt. Das Ergebnis ist eine Regelung, die strenger ist als die §§ 17, 35 Abs. 2 StGB und damit als die Mehrzahl der bisherigen Ansätze zur Behandlung des Putativnotwehrexzesses: Eine Anwendung sowohl von § 17 StGB[16] als auch § 35 Abs. 2 StGB analog[17] ließe allein die Unvermeidbarkeit der Fehlvorstellung genügen. Am ehesten findet die Konzeption des Entwurfs ihre Parallele in derjenigen u.a. von Roxin/Greco, denen zufolge § 33 StGB auf den Putativ-notwehrexzess jedenfalls dann analog angewendet werden soll, „wenn ausnahmsweise der Irrende schuldlos ist und das Opfer des Exzesses (….) die alleine Verantwortung für die Situation trägt“[18]  – nämlich dann, wenn man das Urteil der Schuldlosigkeit und alleinigen Verantwortung des Exzessopfers anhand desselben Maßstabs fällt wie dasjenige der Unvermeidbarkeit der Fehlvorstellung für den Exzedenten.

Der Anwendungsbereich des § 33 Abs. 2 des Entwurfs dürfte, überträgt man die herrschend restriktive Auslegung zu § 17 StGB, schmal sein. Zu hinterfragen ist zudem, ob dieser strengere Maßstab insbesondere gegenüber demjenigen des § 17 StGB angemessen ist und wie er sich in die Anforderungen sonstiger Verantwortungsausschlüsse einfügt. So ist dem/der Exzesstäter:in nach der Wertung des § 33 StGB – sowohl im geltendem Recht wie nach Absatz 1 des Entwurfs – angesichts seiner asthenischen Affekte besonderes Verständnis entgegenzubringen; straflos ist er nach § 33 Abs. 2 E-StGB aber nur bei kumulativem Vorliegen der Unvermeidbarkeit wie der Verantwortlichkeit seines Opfers. Demgegenüber ist der/die Verbotsirrende, der/die anders als der/die bewusste Exzedent:in eine fehlerhafte Vorstellung von Recht und Unrecht aufweist, schon bei bloßer Unvermeidbarkeit seines Irrtums auch jenseits von psychischen Ausnahmesituationen und unabhängig von der Verantwortlichkeit des Opfers straflos.

Und schließlich ist in rein sprachlicher Hinsicht zu überdenken, ob die Bezugnahme des § 33 Abs. 2 E-StGB auf ein Überschreiten der Grenzen des Notwehrrechts aus § 33 Abs. 1 E-StGB sinnvoll ist, wenn mangels Angriffs gar kein Notwehrrecht besteht.

 

[1]      Ausführlich dazu Zieschang, in: LK-StGB, 13. Aufl. (2020), § 33 Rn. 1 ff.; Albrecht, GA 2013, 369 (370 ff.), jeweils m.w.N.
[2]      Hoven/Mitsch, GA 2023, 241 (247).
[3]      Etwa Perron/Eisele, in: Schönke/Schröder, StGB, 30. Aufl. (2019), § 32 Rn. 50.
[4]      Siehe dazu Albrecht, GA 2013, 369 ff,
[5]      Hoven/Mitsch, GA 2023, 241 (261).
[6]      Statt vieler Erb, in: MüKo-StGB, 4. Aufl. (2020), § 33 Rn. 2; Rogall, in: SK-StGB, 9. Aufl. (2017), § 33 Rn. 2; Rudolphi, JuS 1969, 461 (462 f.); Perron/Eisele, in: Schönke/Schröder, StGB, § 33 Rn. 3 jeweils m.w.N.; für einen Überblick auch über weitere Begründungsmodelle siehe Albrecht, GA 2013, 369 (370 ff.).
[7]      Hoyer, in: SK-StGB, § 33 Rn. 12; Rosenau, in: SSW-StGB, 5. Aufl. (2021), § 33 Rn. 6; i.Erg. a. der BGH, etwa in NStZ 2002, 141.
[8]      Vgl. Hoven/Mitsch, GA 2023, 241 (261).
[9]      Rogall, in: SK-StGB, § 35 Rn. 2 f.; Perron, in: Schönke/Schröder, StGB, § 35 Rn. 2; Zieschang, in: LK-StGB, § 35 Rn. 5.
[10]    Vgl. Albrecht, GA 2013, 369 (371 f.) m.w.N.
[11]    Hoven/Mitsch, GA 2023, 241 (261).
[12]    Perron/Eisele, in: Schönke/Schröder, StGB, § 33 Rn. 3.
[13]    Perron/Eisele, in: Schönke/Schröder, StGB, § 33 Rn. 14.
[14]    Siehe dazu Theile, JuS 2006, 965 ff.; Zieschang, in LK-StGB, § 33 Rn. 23.
[15]    Herrschend wird auch hier mit der Unrechtsminderung argumentiert, die beim Notwehrexzess in der Notwehrlage begründet ist, beim Putativnotwehrexzess hingegen fehlt, etwa Erb, in MüKo-StGB, § 33 Rn. 18.
[16]    Wessels/Beulke/Satzger, AT, 52. Aufl. (2022), Rn. 704; BGH, NJW 1968, 1885.
[17]    Eisele, in: Baumann/Weber/Mitsch/Eisele, AT, 13. Aufl. (2021), § 18 Rn. 69; Hardtung, ZStW 108 (1996), 26, (56 ff.); Sauren, in: Jura 1988, 567 (572).
[18]    Roxin/Greco, AT I, 5. Aufl (2020), § 22 Rn. 96; siehe a. Hoyer, in: SK-StGB, § 33 Rn. 25 ff.; Kindhäuser, in: NK-StGB, 5. Aufl. (2017), § 33 Rn. 17.

 

 

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