von Prof. Dr. Elisa Hoven und Prof. Dr. Wolfgang Mitsch
Abstract
Der in diesem Beitrag vorgestellte Entwurf eines neu formulierten Notwehrrechts war Gegenstand und Grundlage einer lebhaften Diskussion, die im Rahmen einer Online-Tagung stattgefunden hat. Neben den Mitgliedern des Kriminalpolitischen Kreises, die zum Teil an der Erstellung des Gesetzesentwurfes mitgearbeitet hatten, waren weitere Experten und Interessierte beteiligt. Daraus resultierten wertvolle kritische Anmerkungen, die von der Arbeitsgruppe dankbar aufgenommen und umgesetzt wurden.
This article presents a draft for a revised law of self-defense law which has been the subject and basis of a lively discussion that took place as part of an online conference. In addition to the members of the “Kriminalpolitischer Kreis”, who were involved in the drafting of the proposal, other experts also took part in the debate. This resulted in valuable critical comments, which were gratefully received and implemented by the working group.
Im Fokus der Überlegungen der Arbeitsgruppe zur Neufassung des Notwehrrechts standen zwei Aspekte: Zum einen wurde die Frage aufgeworfen, ob die weitreichenden Notwehrbefugnisse für die Verteidigung bestimmter Rechtsgüter, etwa von Eigentums- und Vermögenswerten, angemessen sind. Zum anderen wurde kritisch gesehen, dass die Einschränkung durch die „Gebotenheit“ in § 32 StGB bisher keine gesetzliche Konturierung erfahren hat. Eine Regelung sollte die Einschränkungen des Notwehrrechts festschreiben, auch um dem Bestimmtheitsgebot zu genügen.[1]
Der Regelungsvorschlag, der im Folgenden näher begründet werden soll, lautet:
§ 32 StGB Notwehr (1) Die Verwirklichung eines Straftatbestandes ist gerechtfertigt, wenn sie durch Notwehr geboten ist. Notwehr ist die Verteidigung gegen einen Angreifer, die erforderlich ist, um dessen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff auf ein eigenes oder fremdes Individualrechtsgut abzuwenden. (2) Eine erforderliche Verteidigungshandlung ist in der Regel durch Notwehr geboten, wenn sie sich gegen einen nicht unerheblichen Angriff auf das Leben, die körperliche Unversehrtheit oder die sexuelle Selbstbestimmung oder gegen einen schwerwiegenden Angriff auf die Freiheit der Person richtet. In anderen Fällen ist eine Verteidigungshandlung trotz Vorliegens der Voraussetzungen nach Absatz 1 Satz 2 nicht geboten, wenn ihre schweren Folgen in einem groben Missverhältnis zu der von dem Angriff drohenden Rechtsgutsbeeinträchtigung stünden, insbesondere wenn zu erwarten ist, dass sie den Tod oder eine schwere Gesundheitsschädigung des Angreifers herbeiführen würde. (3) Das Notwehrrecht ist eingeschränkt, wenn die Notwehr übende Person nicht zur Verteidigung der Rechtsordnung gegenüber dem Angreifer berufen ist. Dies gilt insbesondere in folgenden Fällen: a) Der Angreifer handelt ohne Schuld; b) der Angreifer handelt nicht vorsätzlich; c) die Notwehr übende Person ist gegenüber dem Angreifer rechtlich zu besonderer Rücksichtnahme verpflichtet, ohne dass den Angreifer eine gleichwertige Rechtspflicht gegenüber dieser Person trifft; oder d) der Angegriffene hat den Angriff durch rechtlich vorwerfbares Verhalten in zurechenbarer Weise ausgelöst. Ist das Notwehrrecht eingeschränkt, so ist die Tatbestandsverwirklichung in der Regel nur dann durch Notwehr gerechtfertigt, wenn sich der Angegriffene dem Angriff nicht entziehen kann und wenn sich die Verteidigung auf solche Handlungen beschränkt, die unter möglichster Schonung des Angreifers zur Abwendung des Angriffs geeignet sind, auch wenn die Notwehr übende Person dabei zumutbare Beeinträchtigungen ihrer Rechtsgüter hinnehmen muss. (4) Jedermann ist zu erforderlichen Verteidigungshandlungen zugunsten einer rechtswidrig angegriffenen Person (Notwehrhilfe) gemäß Abs. 2 und 3 berechtigt, es sei denn, der Angegriffene hat auf den Schutz des betroffenen Rechtsguts wirksam verzichtet. § 33 StGB Überschreitung der Notwehr (1) Überschreitet der Täter bei der Verteidigung gegen einen rechtswidrigen Angriff die Grenzen des Notwehrrechts aus Verwirrung, Furcht oder Schrecken, handelt er ohne Schuld. Dies gilt auch, wenn der Täter aus denselben Gründen in engem zeitlichen Zusammenhang mit dem gegenwärtigen Angriff handelt. (2) Nimmt der Täter bei Begehung einer Handlung im Sinne von Abs. 1 irrig einen rechtswidrigen Angriff im Sinne des § 32 Abs. 1 an, so handelt er ohne Schuld, wenn er den Irrtum nicht vermeiden konnte und der Verletzte für diesen Irrtum verantwortlich ist. § 34a StGB (Subjektives Rechtfertigungselement) Nach §§ 32 und 34 ist nur gerechtfertigt, wer die Umstände kennt, die die Rechtfertigung begründen. Kennt er diese Umstände nicht, so kommt eine Strafbarkeit wegen Versuchs in Betracht. |
II. Grundlegende Überlegungen zur Ratio des Notwehrrechts
Konzeption und Details eines Gesetzesentwurfs zur Notwehr entspringen neben systematischen – z.B. dem Vergleich mit und der Abgrenzung zum rechtfertigenden Notstand gewidmeten − Erwägungen den Überzeugungen der Verfasser zu Sinn und Zweck dieses Rechtfertigungsgrundes. Da der Arbeitskreis nicht angetreten ist, das Rad neu zu erfinden, standen die Begriffe „Selbstschutz“ und „Rechtsbewährung“ unangefochten permanent im Raum und lenkten wie eine unsichtbare Hand den Fluss der ausgetauschten Gedanken.[2] Das Bedürfnis nach Schutz des angegriffenen Guts und das Interesse an der Bewährung der Rechtsordnung wurden als die tragenden Pfeiler allgemein anerkannt, ohne dass darüber eine Grundsatzdiskussion geführt werden musste. Welche der beiden Säulen die bedeutendere ist, weiß ohnehin niemand genau und konnte deshalb nicht in Form einer „allgemeinen Marschroute“ den Beratungen über Einzelheiten vorangestellt werden. Daher wurde auch keine Notwendigkeit gesehen, eine entsprechende Deklaration in den Gesetzestext aufzunehmen, die ohnehin lediglich symbolischen Charakter hätte. Die beiden Prinzipien werden ihre praktische Bedeutung also bei der Anwendung der Vorschrift, sollte der Entwurf jemals geltendes Recht werden, hauptsächlich als Orientierungsmarken zur Ausfüllung der zahlreichen Auslegungsspielräume und als Schranken – auch als „Schranken-Schranken“ − zur Vermeidung unerträglicher (Extrem-)Ergebnisse entfalten. Letzteres wird sichtbar in der Einleitungsformel des Absatzes 3 des Entwurfs, wo mit „Verteidigung der Rechtsordnung“ ein Zeichen für eine Rücknahme der in der Logik des Selbstschutzinteresses angelegten, jedoch der Rechtsbewährung nicht konvenierenden Schärfe des Notwehrrechts gesetzt wird. Schon die Restriktionen in Absatz 2 Satz 2 sind als Ausfluss einer Grundhaltung zu verstehen, die bei allem Verständnis für die Bedürfnisse des angegriffenen Opfers einen Freibrief zu grenzenloser Gewalt als gemeinwohlschädlich erachten. Einen deutlichen Fußabdruck hat in dem Entwurf auch der spätestens seit der Hochphase der „Viktimodogmatik“ in den 1980ern aus der Notwehrdiskussion nicht mehr wegzudenkende Gedanke der Selbstverantwortung des Angreifers hinterlassen.[3] Dies ist gewissermaßen die Verlagerung des Selbstschutzprinzips auf die Seite des Notwehropfers, was der Angreifer infolge der ihm durch die Verteidigung zugefügten Verletzung ist. Als „Schranken-Schranke“ gewährleistet der viktimodogmatische Akzent, dass die grundsätzlich gebotenen Einschränkungen des Notwehrrechts zu Lasten des Angegriffenen nicht zu weit gehen. Insgesamt kann man wohl sagen, dass der Entwurf sich um eine Balance der mitunter konfligierenden Notwehrgrundgedanken bemüht.
III. Notwehrlage
Der Entwurf setzt für die Ausübung des Notwehrrechts einen „gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff auf ein eigenes oder fremdes Individualrechtsgut“ voraus. Damit wird an den aus § 32 StGB bekannten Begriffen der Gegenwärtigkeit und der Rechtswidrigkeit des Angriffs festgehalten. Diskutiert wurde dabei insbesondere, ob auf das Merkmal der Gegenwärtigkeit verzichtet werden kann. Das weitreichende Notwehrrecht legitimiert sich maßgeblich durch die Verantwortlichkeit des Angreifers, während § 34 StGB auf einer Solidarität des Eingriffsopfers mit dem von der Rettungshandlung Begünstigten beruht.[4] Nach diesem Legitimationsverständnis könnten Verteidigungen gegen Angriffe auch vor deren „Gegenwärtigkeit“ von § 32 StGB erfasst werden. Letztlich wurde jedoch an dem Merkmal der Gegenwärtigkeit festgehalten, um nicht zu unkontrollierten „Präventivschlägen“ zu ermutigen; eine Lösung dieses Problems über die Erforderlichkeit wurde überwiegend nicht für ausreichend erachtet.[5]
Ergänzt wird der bisherige Wortlaut von § 32 StGB um die Klarstellung, dass das Notwehrrecht auf Angriffe gegen – eigene oder fremde – Individualrechtsgüter beschränkt ist. Die Entscheidung war nicht unumstritten, denn nach der oben skizzierten Begründung der Notwehr durch das Prinzip der Verantwortlichkeit des Angreifers wäre eine Verteidigung auch gegen Angriffe auf Allgemeinrechtsgüter durchaus denkbar. In den letzten Jahren wurde ein Notwehrrecht für den Schutz von Allgemeinrechtsgütern insbesondere für den Bereich des Tierwohls diskutiert, in der Rechtsprechung offen gelassen[6] und im Schrifttum vereinzelt bejaht.[7] Eine solche Ausdehnung des Notwehrrechts hätte allerdings zur Folge, dass § 32 StGB zu einer „polizeilichen Generalklausel für jedermann“ umfunktioniert würde, ohne dabei den im Polizeirecht geltenden Einschränkungen – insbesondere der Verhältnismäßigkeit – zu unterliegen.[8] Gewaltsame Auseinandersetzungen der Bürger untereinander zur Durchsetzung normkonformen Verhaltens – etwa im Bereich des Straßenverkehrs oder auch mit dem Ziel des Schutzes der Volksgesundheit[9] – können nicht wünschenswert sein.
IV. Notwehrhandlung
1. Notwehrhandlung nach § 32 StGB
Notwehrmerkmale, mit denen in § 32 Abs. 2 StGB[10] die rechtfertigungstaugliche Notwehrhandlung beschrieben und begrenzt wird, sind die „Verteidigung“ und die „Erforderlichkeit“. Häufig wird als Teil der Notwehrhandlung auch noch das subjektive Element – manchmal als „Verteidigungswille“ bezeichnet – genannt.[11] Im Gesetzestext ist dieses nicht klar abgebildet, weshalb es in strafrechtswissenschaftlichen Texten immer noch der Erklärung bedarf, dass „nach richtiger Auffassung“ eine vollständige Rechtfertigung der Tat ohne die Erfüllung subjektiver Anforderungen nicht möglich ist.[12] Für die Bewertung eines Vorschlags zur Neukodifizierung des Notwehrrechts ist das zweifellos ein relevanter Aspekt, auf den unten (VII.) einzugehen sein wird. Die Möglichkeit einer „Teilrechtfertigung“, bei der die Verteidigungshandlung einen Tatbestand verwirklicht, der – wie z.B. § 315b StGB − ein überindividuelles Rechtsgut und ein Individualgut des Angreifers schützt,[13] ist weder in der geltenden gesetzlichen Regelung vorgezeichnet noch in der Strafrechtslehre communis opinio. Das zeigt sich darin, dass von vielen in derartigen Fällen auf § 34 StGB ausgewichen wird.[14] Für den Täter ist dies vor allem bei affektbedingter Überschreitung der Erforderlichkeitsgrenze nachteilig, weil das Strafrecht keinen „entschuldigenden Notstandsexzess“ kennt.[15]
Dass „Verteidigung“ nur die Beeinträchtigung von Rechtsgütern des Angreifers sein kann, wird derzeit nicht explizit im Gesetzestext hervorgehoben. Es ergibt sich aber schon aus dem natürlichen Verständnis des Wortsinnes von „Verteidigung“, sowie systematisch aus der Notwendigkeit einer klaren Abgrenzung der Notwehr zum rechtfertigenden Notstand. Der den Täter begünstigende Wegfall der notstandstypischen Schranken „Ausweichmöglichkeit“[16] („nicht anders abwendbaren“) und „Verhältnismäßigkeit“[17] („wesentlich überwiegt“) ist nur zum Nachteil eines Opfers vertretbar, das durch seinen rechtswidrigen Angriff die Reaktion des Notwehrübenden ausgelöst hat.[18]
Keine ausdrückliche Erwähnung in § 32 StGB erfährt die „Geeignetheit“, die jedoch allgemein anerkanntermaßen eine Bedingung rechtmäßiger Notwehrhandlung ist.[19] Überwiegend wird sie als Bestandteil der „Erforderlichkeit“ angesehen.[20] Nur ein Streit um Worte ist es, wenn stattdessen die „Verteidigung“ als sprachlicher Anknüpfungspunkt der Geeignetheit favorisiert wird.[21] In der Sache selbst ist ungeklärt, wie „völlig aussichtslose“ Aktionen, mit denen der Täter die durch den Angriff geschaffene Lage erkennbar nicht beeinflussen kann, zu bewerten sind. Der Gesetzestext gibt dafür keinerlei Anleitungen, in der wissenschaftlichen Literatur findet das Thema relativ wenig Beachtung.[22]
Erforderlich ist eine tatbestandsmäßige Handlung, wenn der Angriff nicht durch eine nicht-tatbestandsmäßige[23] oder weniger schädliche tatbestandsmäßige Handlung (z.B. Faustschlag statt Messerstich oder Pistolenschuss) abgewendet werden kann.[24] Möglichkeiten des Selbstschutzes durch Ausweichen oder Fliehen sind dabei nicht zu berücksichtigen, schließen also die Erforderlichkeit einer aktiven Gegenwehr nicht aus, da Ausweichen oder Flüchten keine „Verteidigungshandlungen“ sind.[25] Allenfalls im Rahmen der „sozialethischen Einschränkungen“ des Notwehrrechts kann dies erheblich werden. Dann – wenn z.B. der Angegriffene wegen einer absichtlichen Provokation des Angriffs auf Flucht verwiesen wird[26] − ist aber die Erforderlichkeit der Verteidigung schon geprüft und positiv festgestellt worden. Eine aktive Verteidigung ist also nicht deswegen „nicht erforderlich“, weil der Angegriffene auf Grund einer vorangegangenen Provokation des Angriffs gehalten war, sich dem Angriff durch Weglaufen zu entziehen. Zu den Kriterien, die im Einzelfall die Beurteilung der Erforderlichkeit leiten, verhält der Gesetzestext sich nicht. In der Praxis der Strafgerichte hat dies die unerfreuliche Konsequenz, dass dem Angegriffenen mitunter unrealistische Fähigkeiten zu wirkungsvoller Verteidigung mit angreiferschonenden Mitteln unterstellt werden und demzufolge unzumutbare Verzichtsleistungen auf den Einsatz „scharfer“ Abwehrmaßnahmen abverlangt werden.[27]
2. Notwehrhandlung nach dem Entwurf
a) Allgemeines
Die Bestandteile der Notwehrhandlung sind in dem Normentwurf in den Absätzen 1 und 2 verankert. Die Notwehrdefinition in Absatz 1 Satz 2 zeigt keine Unterschiede zu der geltenden Regelung in § 32 Abs. 2 StGB. Der Entwurfstext verwendet die Begriffe „Verteidigung“ und „erforderlich“. Wie in § 32 Abs. 2 StGB wird die „Geeignetheit“ nicht explizit erwähnt. Auch zum subjektiven Rechtfertigungselement findet sich in § 32 des Entwurfs kein Anknüpfungspunkt (näher dazu unten VII.). Eine tiefgreifende Ergänzung gegenüber der geltenden Vorschrift erfährt die Normierung jedoch in Absatz 2 des Entwurfes. Hier wird zunächst in Satz 1 eine die Notwehrlage betreffende Erheblichkeitsschwelle errichtet, deren Bedeutung für die Notwehrhandlung in der Freistellung von jeglichen Verhältnismäßigkeitserwägungen besteht. Wenn der Angriff die hier beschriebene Qualität und Intensität hat, ist auch die härteste Verteidigung − also die absichtliche Tötung des Angreifers – gerechtfertigt. Das entspricht der geltenden Rechtslage.[28] Eine Einschränkung der zulässigen Verteidigungshandlung normiert sodann Absatz 2 Satz 2. Wenn die Verteidigung erkennbar schwere Folgen hat, die zu den Angriffswirkungen in grobem Missverhältnis stehen, ist die Verteidigungshandlung nicht geboten. Strukturell gehört dies – trotz Verwendung des Wortes „geboten“ − noch zu den gesetzlichen Notwehrvoraussetzungen und nicht – wie nach geltendem Recht – zu den „Einschränkungen“. Diese kommen erst in Absatz 3 zum Tragen und greifen ein, wenn alle Voraussetzungen eines „Notwehrrechts“ gemäß Absatz 1 und Absatz 2 erfüllt sind.
b) Verteidigungshandlung
Während im Text des § 32 Abs. 2 StGB sowie in Absatz 1 des Entwurfs das Wort „Verteidigung“ verwendet wird, heißt es in Absatz 2 des Entwurfs zweimal „Verteidigungshandlung“. Sachliche Änderungen gegenüber dem geltenden Recht werden mit dieser Wortwahl nicht bezweckt. Dass – was praktisch selten sein wird – auch ein tatbestandsmäßiges Unterlassen (§ 13 StGB) Verteidigungsqualität haben kann[29], wird nicht in Abrede gestellt. Denn in Absatz 1 wird als Grundlage der Notwehrprüfung die „Verwirklichung eines Straftatbestandes“ genannt, was selbstverständlich auch unechte Unterlassungsdelikte (§ 13 StGB) umfasst. Die Ausdrucksform „Verteidigungshandlung“ hat einen klarstellenden Effekt, indem sie darauf aufmerksam macht, dass es auch einen Verteidigungserfolg gibt und bei der Prüfung bestimmter Notwehrmerkmale eventuell geklärt werden muss, ob es auf die Verteidigungshandlung oder auf den Verteidigungserfolg ankommt. Die Erörterung der „Erforderlichkeit“ wird Anlass geben darauf zurückzukommen. Eine weitere Klarstellung enthält Absatz 1 Satz 2 des Entwurfs, indem er dem Wort „Verteidigung“ den Hinweis auf die Verteidigungsrichtung hinzufügt, nämlich „gegen einen Angreifer“. Tatbestandsmäßige Folgen der gegen den Angreifer gerichteten Verteidigung, die einen Nichtangreifer treffen, liegen also außerhalb des Notwehrrechts. Die Auffassung, dass es schon gar keine „Verteidigung“ ist, wenn die Tat allein einen Nichtangreifer verletzt,[30] steht dazu nicht in Widerspruch. Denn die Klarstellung räumt etwaige Zweifel hinsichtlich der rechtlichen Beurteilung von „Kollateralschäden“ einer gegen den Angreifer gerichteten Abwehr aus. Zudem ermöglicht diese Textfassung die wortlautkonforme Anwendung der Notwehr auf Taten, die den Tatbestand einer Strafvorschrift erfüllen, die ein überindividuelles Rechtsgut – z.B. die Verkehrssicherheit (§ 315b StGB) – und ein Individualgut schützen, wenn der einzige in den Fall auf der „Opferseite“ involvierte Individualgutsträger den Täter rechtswidrig angegriffen hat.[31] Die Verwirklichung des Straftatbestandes § 315b StGB ist dann durch Notwehr gerechtfertigt, weil die Tat „Verteidigung gegen einen Angreifer“ ist. Dass die „Allgemeinheit“ als Trägerin des verletzten überindividuellen Rechtsgutes „Verkehrssicherheit“ nicht „Angreifer“ ist, steht diesem Ergebnis nicht entgegen.
c) Erforderlichkeit
Schon in Absatz 1 Satz 2 ist die Erforderlichkeit als Notwehrgrenze in die Definition der Notwehr integriert. Absatz 2 Satz 1 wird mit „erforderliche Verteidigungshandlung“ eingeleitet. Die Hervorhebung der Verteidigungskomponente „Handlung“ stellt die Unerheblichkeit des Verteidigungserfolgs bei der Bestimmung der Erforderlichkeit klar. Eine Verteidigung kann daher erforderlich sein, obwohl am Ende – ex post festgestellt – der angestrebte Verteidigungsfolg ausbleibt (Beispiel: Der von einem Pistolenschuss getroffene und leicht verletzte Angreifer setzt seinen Angriff ungehindert fort).[32] Umgekehrt entfällt die Erforderlichkeit der Verteidigung nicht, wenn sich ex post herausstellt, dass auch eine Abwehrhandlung mit weniger verletzender Wirkung ausgereicht hätte. Erforderlichkeit ist ein ex ante gewonnenes Prognoseergebnis. Der sich in die Lage des Verteidigers versetzende Rechtsanwender setzt alle objektiv zur Verfügung stehenden hinreichend abwehrtauglichen Handlungsoptionen zu der erwarteten Angreiferschädigung in Beziehung und erklärt sodann die Variante mit dem geringsten prognostizierten Schaden zum „mildesten Mittel“. Wie nach geltendem Recht wird auch in dem Entwurf den Ausweich- und Fluchtmöglichkeiten des Angegriffenen keine Bedeutung bei der Bestimmung der Erforderlichkeit zuerkannt. Anders als § 32 StGB, wo das Thema überhaupt keine Erwähnung findet, bekräftigt der Entwurf die Unbeachtlichkeit des möglichen Ausweichens, indem er in Absatz 3 Satz 2 den Angegriffenen ausdrücklich in den Fällen eingeschränkten Notwehrrechts darauf verweist, sich dem Angriff zu „entziehen“, sofern das möglich ist.
d) Verteidigung gegen schwerwiegende Angriffe
Nach Absatz 2 Satz 1 ist die erforderliche Verteidigung in der Regel geboten, wenn der Angriff gegen eines der genannten persönlichen Rechtsgüter gerichtet ist. Der gesamte Absatz 2 kodifiziert das Thema „Güterproportionalität“, das nach geltendem Recht nur als Fallgruppe der „sozialethischen Einschränkungen“ mit dem Gesetzestext im Wort „geboten“ (§ 32 Abs. 1 StGB) sehr locker verbunden seine Bedeutung für die Notwehrrechtfertigung zur Geltung bringen darf. Der Entwurf hebt die Verhältnismäßigkeit in der Hierarchie der Notwehrvoraussetzungen auf die Ebene der Merkmale, die eine Notwehrhandlung kennzeichnen. Zu Bedenken aus Art. 103 Abs. 2 GG, die gegen die existierende Notwehrvorschrift und ihre Verwässerung durch Einschränkungen ohne ausreichende gesetzessprachliche Konturierung zu Recht erhoben werden,[33] gibt diese Normierung keinen Anlass. Unter den Voraussetzungen des Absatzes 2 Satz 1 ist auch die absichtliche Tötung des Angreifers – in der Regel − geboten. Zu dem umstrittenen Verhältnis der strafrechtlichen Notwehrregelung zu Art. 2 Abs. 2 MRK[34] wird damit nicht abschließend Stellung bezogen. Denn auf der nachgelagerten Stufe der „Einschränkungen“ (Absatz 3) begegnet die Notwehrhandlung weiteren rechtlichen Hürden, die letztlich eine Rechtfertigung der Tat verhindern können. Schon in Absatz 2 Satz 1 selbst kann die Rechtfertigung an der Klausel „in der Regel“ scheitern. Für außergewöhnliche Fälle existiert hier eine „Hintertür“, durch die der Weg zu einer unerträglich empfundenen Rechtfertigungsentscheidung verlassen werden kann. Zu denken ist an Tötungen zur Abwehr von – insbesondere unvorsätzlichen − Angriffen, die hart an der Grenze zur „Unerheblichkeit“ oder „Leichtgewichtigkeit“ liegen.
e) Verteidigung mit schweren Folgen und grobem Missverhältnis
Verteidigungshandlungen, die schwere Folgen und ein grobes Missverhältnis zu den drohenden Angriffsfolgen herbeizuführen drohen, sind nach Absatz 2 Satz 2 keine gebotene Notwehr. Klassische Lehrbuchfälle, wie der des jugendlichen Kirschendiebs, dessen Diebstahl der betroffene Eigentümer durch einen tödlichen Gewehrschuss zu verhindern versucht,[35] finden hier ihre Erledigung. „Einschränkungen“ nach Absatz 3 sind kein Thema mehr. Die Tötung ist keine gebotene Notwehrhandlung, die Notwehrrestriktion ist keine „übergesetzliche“. Der Vergleich mit Satz 1 zeigt, dass auch die Abwehr von Angriffen auf Leib, Leben oder Freiheit an dieser Rechtfertigungshürde scheitern kann, wenn die Angriffsfolgen unerheblich oder nicht schwerwiegend, die Verteidigungsfolgen hingegen erheblich und schwerwiegend, ja grob disproportional sind. Insgesamt ist die Norm sehr flexibel, da die Merkmale „schwere Folgen“ und „grobes Missverhältnis“ beachtliche Auslegungsspielräume eröffnen.
f) Fehlvorstellungen
Die Notwehrgrenzen des Absatzes 2 sind objektive – negative – Notwehrvoraussetzungen, die in der Vorstellung des Täters von der Tat ihre subjektive Entsprechung haben müssen. Diesbezügliche Fehlvorstellungen in beiden Richtungen unterfallen daher den dogmatischen Grundsätzen, die sich dazu seit langem etabliert haben. Stellt sich der Notwehrübende irrtümlich Tatsachen vor, die den Angriff auf die Freiheit „schwerwiegend“ erscheinen lassen, befindet er sich in einem Erlaubnistatbestandsirrtum, der nach h. M. entsprechend § 16 Abs. 1 StGB behandelt wird.[36] Eine fehlerhafte Wertung des Gewichts bei zutreffender Wahrnehmung der – nicht schwerwiegenden – Tatsachen fällt demgegenüber in die Kategorie des Erlaubnisirrtums gemäß § 17 StGB.[37] Die umgekehrte Irrtumskonstellation – Unkenntnis der die Erheblichkeit des Angriffs begründenden Tatsachen – hat nach h. M. die Behandlung der Tat als untauglichen Versuch zur Folge.[38] Fehlerhafte Wertung in der Gegenrichtung – der Täter hält das objektiv nicht grobe Missverhältnis für „grob“ – belastet nicht, sondern wird vielmehr dem „Wahndelikt“ gleichgestellt.[39]
V. Einschränkungen des Notwehrrechts
1. Notwehreinschränkungen nach § 32 StGB
Die übergesetzlichen sozialethischen Einschränkungen des geltenden Notwehrrechts werden formal dem Merkmal „geboten“ in § 32 Abs. 1 StGB zugeordnet[40] und materiell mit unzureichendem Selbstschutz- oder/und Rechtsbewährungsinteresse legitimiert.[41] Neben den vier den Kern bildenden Fallgruppen – schuldlose Angriffe, provozierte Angriffe, Gütermissverhältnis und Angriffe von nahestehenden Personen[42] − werden seit einiger Zeit auch weitere Konstellationen – z.B. Rettungsfolter, Abwehrprovokation, Chantage[43]– hier eingeordnet. Der ganze Bereich steht im Zwielicht unzureichender Bestimmtheit und Begrenzung durch den Gesetzgeber und sieht sich zu Recht auf Art. 103 Abs. 2 GG gestützter Kritik ausgesetzt.[44] Auf der anderen Seite herrscht weitgehender Konsens dahingehend, dass es extreme Fälle gibt, in denen der Täter zwar alle Notwehrmerkmale des § 32 Abs. 2 StGB erfüllt, gleichwohl durch eine Rechtfertigung unerträglich privilegiert würde. Da diese Wertung aus dem Wortlaut des § 32 StGB nicht hergeleitet werden kann, dient die Ratio der Notwehr als Quelle, wobei die Argumentation mit den beiden „Säulen“, Selbstschutzinteresse und Rechtsbewährungsinteresse je nach Fall unterschiedliche Schwerpunkte setzt.[45] Es kann nicht bestritten werden, dass das Erscheinungsbild des geltenden § 32 StGB in Bezug auf diese Notwehreinschränkungen äußerst unbefriedigend ist. Die aktuelle Häufung von Entscheidungen, in deren Mittelpunkt immer neue Nuancen der „Provokation“ des Angriffs stehen, macht die große Rechtsunsicherheit, die hier besteht, deutlich sichtbar.[46] Die auch bei anderen Themen – z.B. § 13 StGB – gern gebrauchte Exkulpation der Politik, mit einer präzisen und zugleich Fragmentarität vermeidenden Kodifizierung sei der Gesetzgeber (noch) überfordert, die Zeit sei dafür noch nicht reif, war schon immer fragwürdig und ist inzwischen völlig inakzeptabel geworden. Zudem ist es ein Missverständnis, in langjähriger Rechtsprechungspraxis einen vollwertigen Ersatz für fehlende Gesetzgebung zu sehen.
2. Notwehreinschränkungen nach dem Entwurf
a) Allgemeines
Wie oben bereits dargestellt wurde, ist eine der Kern-Fallgruppen in den Kreis der notwehrbegründenden Merkmale einbezogen worden. Über das „grobe Missverhältnis“ zwischen Angriffs- und Verteidigungsfolgen[47] ist an dieser Stelle nicht mehr zu diskutieren. Praktische Relevanz hat diese Verlagerung in der Normstruktur mit Blick auf die Rechtsfolgen einer Notwehreinschränkung: Gemäß Absatz 3 Satz 3 entfällt das Notwehrrecht, wenn und soweit der Angegriffene dem Angriff ausweichen oder sich unter Hinnahme zumutbarer Beeinträchtigungen seiner Rechtsgüter mit möglichst angreiferschonenden Maßnahmen verteidigen kann. In Fällen eines „groben Missverhältnisses“ hat der Angegriffene dagegen auch dann kein Notwehrrecht, wenn er sich dem Angriff nicht entziehen kann und die Beeinträchtigungen, die er bei einer möglichst angreiferschonenden Abwehr hinnehmen müsste, nicht zumutbar wären.[48]
Leitgedanke für die Beurteilung sämtlicher Fallgruppen und Fälle ist das mangelnde Interesse an der „Verteidigung der Rechtsordnung“ durch den Notwehrübenden, Absatz 3 Satz 1. Unmittelbar entscheidungsleitend wird diese Klausel, wenn der konkrete Fall keiner der im Folgenden katalogisierten Fallgruppen zugeordnet werden kann. Für diese Öffnung der Norm sorgt das Wort „insbesondere“. Der Bestimmtheitsgrad des Gesetzestextes wird dadurch natürlich geschwächt. Es wird niemanden überraschen, dass darüber im Kreis der Entwurfsverfasser besonders intensiv gestritten wurde und ein Rest Unbehagen nicht völlig beseitigt werden konnte. Gleichwohl dürfte es nicht vermessen sein, Absatz 3 des Entwurfs in Relation zur lex lata als einen großen Fortschritt zu preisen.
b) Schuldlose Angriffe
Leitbild dieser Fallgruppe ist der von einem Kind begangene Angriff, zu dessen Abwehr eine mehr oder weniger schwere Verletzung erforderlich ist, § 19 StGB.[49] Um die Komplexität der Notwehrprüfung halbwegs in Grenzen zu halten, sollte der Verantwortlichkeitsmangel nicht zu den Faktoren gezählt werden, die gemäß Absatz 2 Satz 2 das „grobe Missverhältnis“ begründen. Das verhindern auch die dortigen Merkmale, denn sowohl auf die Schwere der „Folgen“ als auch auf die Schwere der „drohenden Rechtsgutsbeeinträchtigung“ hat es keinen Einfluss, ob der Angreifer schuldhaft oder schuldlos handelt. Das Kriterium „ohne Schuld“ erstreckt die Notwehreinschränkung auf erwachsene Angreifer, deren Schuldfähigkeit nach Maßgabe des § 20 StGB ausgeschlossen ist. Inwieweit dies auch für Angriffe gelten soll, die der Angreifer als „actio libera in causa“ organisiert, wird vor dem Hintergrund des Entwurfstextes, der dazu nicht dezidiert Stellung nimmt, kontrovers diskutiert werden. Zwar trifft die Wertung „ohne Schuld“ auf einen solchen Angriff unter Umständen nicht zu.[50] Jedoch geht es bei der actio libera in causa direkt um das Thema der Strafbarkeitsvoraussetzung Schuldfähigkeit, während der hiesige rechtliche Zusammenhang – Ausschluss der Notwehrrechtfertigung − ein anderer ist. Allerdings zeigt schon die Fallgruppe der „Angriffsprovokation“, dass der Notwehrdogmatik die Berücksichtigung von manipulativem Vorverhalten nicht fremd ist. Wenn dies auf der Seite des Notwehrübenden einen rechtlichen Nachteil zu begründen vermag, ist nicht einzusehen, wieso es auf der Seite des Angreifers anders sein sollte. Man kann also vertreten, dass zumindest bei vorsätzlicher[51] actio libera in causa der Einschränkungsgrund „ohne Schuld“ nicht greift. Eine Angriffstat, die lediglich die Qualität einer Rauschtat des Vollrauschs (§ 323 a StGB) hat, wird indessen einschränkungstauglich sein. Denn schuldhaft handelt der Angreifer in diesem Fall zwar in Bezug auf die Herbeiführung des Rauschzustandes, nicht aber bezüglich der eigentlichen Angriffstat. Im Zustand verminderter Schuldfähigkeit (§ 21 StGB) begangene Angriffe unterfallen dem Text zwar nicht, können aber durch das Tor „insbesondere“ Einlass in das Gebiet der Einschränkungsgründe bekommen. Weitere Fälle schuldloser Angriffe, denen dem Wortlaut nach nur mit eingeschränktem Notwehrrecht begegnet werden darf, sind diverse Irrtümer – Verbotsirrtum (§ 17 StGB), Entschuldigungsirrtum (§ 35 Abs. 2 StGB), Erlaubnistatbestandsirrtum[52] – und die Entschuldigungsgründe Notwehrexzess (§ 33 StGB) und Notstand (§ 35 Abs. 1 StGB). Ausgangspunkt der Prüfung ist jeweils die Feststellung, dass der Angreifer „ohne Schuld“ gehandelt“ hat. Legt man den aktuellen Diskussionsstand zugrunde, ergeben sich aber im Detail zahlreiche Zweifelsfragen, auf die am Ende eventuell die Antwort gegeben wird, dass das Notwehrrecht nicht eingeschränkt sei. Auch auf der Grundlage des Entwurfs wird über Vieles gestritten werden können: Kommt es bei den Irrtümern der §§ 17, 35 Abs. 2 StGB im hiesigen Kontext auf die Unvermeidbarkeit an?[53] Gehört der Erlaubnistatbestandsirrtum überhaupt in die Kategorie „ohne Schuld“ oder besser zu „nicht vorsätzlich“ oder ist er vielleicht sogar überhaupt nicht als Notwehreinschränkungsgrund anzuerkennen? Der Entwurfstext gibt Diskussionen dazu und unterschiedlichen Ergebnissen Raum. Denn die Konsequenz der Feststellung eines Falls eingeschränkten Notwehrrechts ist gemäß Satz 3 lediglich „in der Regel“ die Aufweichung der Verteidigungsbefugnis durch die Obliegenheit zum Ausweichen oder Hinnehmen zumutbarer leichter Beeinträchtigungen. Im Einzelfall ist also die Entscheidung möglich, dem Angegriffenen das volle Verteidigungsrecht trotz gegebener Ausweichmöglichkeit zuzugestehen, beispielsweise weil der Angreifer in grober Verkennung der Rechtslage geglaubt hat, zu dem Angriff berechtigt zu sein.
c) Unvorsätzliche Angriffe
Bei der Anwendung dieses Einschränkungsgrundes wird zu beachten sein, dass jedenfalls Teilbereiche der Unvorsätzlichkeit in der Struktur der Notwehrmerkmale bereits an früherer Stelle zu erörtern sind und dort zum Ausschluss des Notwehrrechts führen können. Nicht vorsätzlich handelt ein Angreifer, wenn sein Verhalten fahrlässig oder nicht einmal das ist. Letzteres ist der Fall, wenn die drohende Rechtsgutsverletzung für den Angreifer unvermeidbar ist, weil sein gefährdendes Handeln keine Sorgfaltspflicht verletzt. Nach inzwischen h.M. ist ein solcher Angriff nicht rechtswidrig, weil das Handlungsunrecht fehlt.[54] Dass der Angegriffene die drohende Verletzung seines Rechtsgutes nicht zu dulden braucht, steht dem nicht entgegen. Ein Notwehrrecht ist hier also gemäß Abs. 1 S. 2 des Entwurfs nicht begründet worden. Folglich gilt die Einschränkung „nicht vorsätzlich“ nur für fahrlässige Angriffe. Hauptfall der Fahrlässigkeit ist in diesem Zusammenhang der Irrtum, den der Angreifer bei sorgfaltspflichtgemäßer Lagebeurteilung vermieden hätte. Da zu den faktisch tauglichen Methoden zur Abwehr eines derartigen Angriffs gewiss auch die Beseitigung des Irrtums durch Aufklärung gehört[55], ist an dieser Stelle auf eine weitere Priorität in der Notwehrprüfung hinzuweisen: Die Aufklärung eines Irrtums ist in der Regel kein tatbestandsmäßiges Verhalten und deshalb von vornherein nicht rechtfertigungsbedürftig. Es ist somit auch keine „Verteidigung“ im Sinne des § 32 StGB. Wehrt der Angegriffene oder ein Nothelfer den Angriff tatsächlich mittels einer Körperverletzung ab, entfällt die Notwehrrechtfertigung nicht erst wegen einer Einschränkung, sondern weil die Verteidigung nicht erforderlich war.[56] Wie ein unvorsätzlich Handelnder wird bekanntlich nach h.M. der sich in einem „Erlaubnistatbestandsirrtum“ befindende Täter behandelt.[57] Inwieweit gegenüber einem auf Grund eines Erlaubnistatbestandsirrtums Angreifenden das Notwehrrecht eingeschränkt oder gar ausgeschlossen ist, ist umstritten.[58] Bei Unvermeidbarkeit des Irrtums könnte bereits die Rechtswidrigkeit des Angriffs entfallen, ansonsten käme eine Einschränkung in Betracht. Ebenso wie der geltende § 32 StGB enthält auch der Entwurfstext keine Entscheidung zur rechtswidrigkeitsausschließenden Wirkung eines auf sorgfaltspflichtgemäßem „Faktencheck“ beruhenden Erlaubnistatbestandsirrtums. Lehnt man dies ab[59], kommt man nach Absatz 3 Satz 2 zur Erörterung der Notwehreinschränkung, wobei es letztlich gleich ist, ob lit. a oder lit. b die einschlägige Variante ist.
d) Pflicht zur besonderen Rücksichtnahme auf den Angreifer
Die wohl am meisten umstrittene Situation im Themenbereich der sozialethischen Notwehreinschränkungen ist der Angriff eines Ehegatten gegen den anderen Ehegatten.[60] Der Entwurf anerkennt grundsätzlich die Relevanz der spezifischen Umstände dieser Konstellation für eine Reduktion der Verteidigungsbefugnisse. Mit dem Kriterium einer Pflicht zu besonderer „Rücksichtnahme“ spielt der Text auf Inhaber von Beschützergarantenstellungen an[61], zu denen neben dem Ehegatten auch zahlreiche weitere Partner persönlicher Beziehungen gehören. Die Rücksichtnahmepflicht muss bereits vor und außerhalb der Angriffssituation existieren, da sonst die Regelung zirkulär wäre. Dass beispielsweise der von einem Kind Angegriffene zur Zurückhaltung bei der Verteidigung verpflichtet ist, folgt aus Absatz 3 Satz 2 lit. a und hat mit der Pflicht zur „besonderen Rücksichtnahme“ nichts zu tun. Die verbreitete Ablehnung einer auf enger persönlicher Beziehung beruhenden Notwehreinschränkung hat ihren Grund vor allem in dem Umstand, dass oftmals der Angreifende – z.B. der Ehemann – seinerseits der angegriffenen Person – z.B. der Ehefrau − gegenüber zu besonderer Rücksichtnahme verpflichtet ist. Da er diese Pflicht durch den Angriff grob verletzt, erweist sich sein Verhalten als in hohem Maße verwerflich und der Gedanke an eine Einschränkung des Notwehrrechts als geradezu abwegig.[62] Der Entwurf berücksichtigt diese Bedenken, indem er die Einschränkung unter den Vorbehalt stellt, dass der Angreifer nicht selbst zur besonderen Rücksichtnahme auf die Notwehr übende Person verpflichtet ist. Auffallend ist an dieser Stelle die variable Terminologie bezüglich der Person, um deren Notwehrrecht es geht. Der Gesetzestext nennt sie nicht „Angegriffener“ oder „Verteidiger“, sondern „Notwehr übende Person“. Dadurch wird die Konstellation der „Nothilfe“ in den Anwendungsbereich der Notwehreinschränkung einbezogen (näher dazu unten VI.).
e) Provozierte Angriffe
Im Einklang mit der Rechtsprechung[63] und der herrschenden Lehre[64] betrachtet auch der Entwurf die Angriffsprovokation als einen Notwehreinschränkungsgrund. Der Rechtsunsicherheit bezüglich der relevanten Qualität des provozierenden Verhaltens begegnet der Text klarstellend mit den Worten „rechtlich vorwerfbar“. Damit wird die Schwammigkeit der häufig zu lesenden „sozialethischen Wertwidrigkeit“[65]− bzw. „sozialethisch zu missbilligendes Vorverhalten“[66] − unschädlich gemacht und zudem jedes legale, jedoch moralisch umstrittene Verhalten, durch das sich Mitglieder einer aufgeregten Gesellschaft provoziert fühlen könnten, eindeutig als unerheblich ausgegrenzt. Die Provokation muss rechtswidrig sein, was natürlich bedeuten kann, dass sie selbst ein rechtswidriger Angriff – z.B. auf die Ehre (§ 185 StGB) − ist. In diesem Fall kann der provozierte Angriff eine gerechtfertigte Verteidigung sein, weshalb ein Notwehrrecht des Provokateurs schon mangels Rechtswidrigkeit des Angriffs entfällt.[67] Als notwehrrechtseinschränkender Aspekt kommt die Angriffsprovokation also nur bei intensivem oder extensivem Verteidigungsexzess des Provozierten, ansonsten bei Provokationen, die von vornherein kein notwehrfähiger Angriff sind[68], zum Tragen. Dass die Provokation dem Angegriffenen auch vorzuwerfen sein muss, also eine unverschuldete rechtswidrige Provokation das Notwehrrecht nicht einschränkt, entspricht dem mildernden Einfluss, den der Schuldgedanke gemäß lit. a zugunsten des schuldlosen Angreifers entfaltet. Es wäre nicht einzusehen, wenn Schuldlosigkeit beim Angriff dem Angreifer zugute käme, Schuldlosigkeit bei der Angriffsprovokation dem provozierenden Angegriffenen indessen nicht. Zumindest einige Fälle der „provozierten Provokation“[69] können hier ihre Erledigung finden.
Hinsichtlich der verschiedenen subjektiven Stufen der vorwerfbaren Provokation – Absichtsprovokation, vorsätzliche, fahrlässige Provokation – gibt der Entwurfstext dem Rechtsanwender keine Anweisungen. Allerdings wird die rigorose Verneinung eines Notwehrrechts im Falle absichtlicher Provokation[70] mit dem Gesetzestext nicht mehr vereinbar sein. Kann der Angegriffene dem Angriff nicht ausweichen und wären die von ihm zu duldenden Beeinträchtigungen nicht zumutbar, behält der Provokateur die Verteidigungsbefugnis. Dass dies für Fälle der Absichtsprovokation nicht gelten soll, ist dem Gesetzestext nicht zu entnehmen. Gewiss wird aber der Rechtsanwender die Absicht des Provokateurs als Grund für eine Verschärfung der Ausweichobliegenheit bzw. Beeinträchtigungsduldungspflicht verwenden dürfen. Am anderen Ende der Skala – leicht fahrlässige Provokation – ermöglicht die Klausel „in der Regel“ dem Rechtsanwender die Entscheidung, der Provokation die einschränkende Wirkung von vornherein abzusprechen.
Zusätzlich verengt wird der Bereich notwehrrechtseinschränkender Provokation durch das Erfordernis der Angriffsauslösung „in zurechenbarer Weise“. Damit greift der Entwurf das in der Rechtsprechung zuletzt mehrfach thematisierte Konzept des „Provokationszusammenhangs“ auf.[71] Der Angriff des Provozierten muss als Reaktion auf das provozierende Verhalten des Angegriffenen adäquat und verständlich sein.[72] Die durch die Provokation hervorgerufene „verständliche Gemütserregung“ des Provozierten muss sich in dessen Angriff widerspiegeln. Das bedeutet vor allem, dass zwischen Provokation und Reaktion ein enger zeitlicher Zusammenhang bestehen muss. Erfolgt der Angriff erst zu einem Zeitpunkt, zu dem die durch die Provokation ausgelöste Erregung wieder abgeflaut sein sollte, verdient die Überreaktion des Angreifers kein Verständnis und der Angegriffene keine
Beschneidung seiner Abwehrbefugnis.[73] Eine gewisse Ähnlichkeit mit § 33 StGB und § 213 StGB ist erkennbar. Die „Verständlichkeits“- oder „Nachvollziehbarkeitsgrenze“ hat neben der zeitlichen auch eine intensitätsbezogene Komponente: Die Schwere des Angriffs muss sich ex post als ex ante erwartbare Reaktion auf die Provokation erweisen. In ihrer Heftigkeit mit der Provokationswirkung nicht erklärbare Überreaktionen des Angreifers lassen das Notwehrrecht des Provokateurs unberührt.
Explizit unberücksichtigt bleibt in dem Entwurf die Variante der „Nothilfeprovokation“, bei der die Provokation nicht von der später angegriffenen Person, sondern von einem Dritten − dem potentiellen Nothelfer – begangen wird (näher dazu unten VI.). Anhänger der freilich überwiegend abgelehnten Konstruktion der „actio illicita in causa“ haben in einem solchen Fall mit der Begründung der Strafbarkeit des provokanten Nothelfers keine Probleme.[74]
f) Kumulation von Einschränkungsgründen
Es kann sein, dass ein Einschränkungsgrund erfüllt ist, der in atypischer Weise nicht die erforderliche Stärke aufweist, um die Notwehrrechtseinschränkung zu begründen. Zu denken ist an Provokationen an der Untergrenze des rechtlich Vorwerfbaren, bewusst fahrlässige Angriffe, in fast vermeidbarem Verbotsirrtum handelnde Angreifer. Die Indizwirkung der in Satz 2 normierten Fälle kann also widerlegt sein, so dass die „Regel“ (Satz 3) außer Kraft gesetzt ist. Denn letztlich ist auf Grund einer Gesamtwürdigung zu entscheiden, ob „die Notwehr übende Person nicht zur Verteidigung der Rechtsordnung gegenüber dem Angreifer berufen ist“, Absatz 3 Satz 1. Daher ist zu überlegen, ob die Insuffizienz eines Einschränkungsgrundes dadurch kompensiert werden kann, dass der Fall noch einen weiteren – allein ebenfalls zu schwachen – Einschränkungsgrund erfüllt. Zu denken wäre beispielsweise an die Provokation eines schuldlos handelnden Angreifers oder an einen sowohl unvorsätzlich als auch schuldlos Angreifenden. In Bezug auf den geltenden § 32 StGB ist diese Konstellation von Sowada ausführlich analysiert worden.[75] Der Text des Entwurfs steht der Konstruktion einer durch Kumulation mehrerer Einschränkungsgründe erfüllten Regel nicht entgegen.
g) Sonstige Einschränkungsgründe
Über die „klassischen“ Fallgruppen hinaus werden in der Literatur zahlreiche weitere Einzelaspekte thematisiert, die geeignet sind, das Verteidigungsrecht des Angegriffenen oder eines Nothelfers einzuschränken.[76] Vor dem Hintergrund des vorgelegten Gesetzesentwurfs bereitet die Behandlung dieser Fälle keine Probleme. Zum Teil erfolgt die Verarbeitung bereits auf der Stufe der notwehrbegründenden Tatsachen gemäß Absatz 1 und Absatz 2, beispielsweise bei „tödliche Notwehr bei nicht lebensbedrohlichen Angriffen“ oder „Art. 2 II a EMRK-Einschränkungen für tödliche Sachwehr“.[77] Soweit das nicht der Fall ist, gestattet das Einfallstor „insbesondere“ die Einbeziehung in den Anwendungsbereich des Absatzes 3. Unberührt bleibt daneben die Möglichkeit der Diskussion darüber, ob der Fall überhaupt eine Einschränkung des Notwehrrechts gebietet, so z.B. bei der „Rettungsfolter“.
h) Rechtsfolgen
Die Rechtsfolgenseite des Absatzes 3 entspricht der Regelungstechnik der „Regelbeispiele“, wie sie von den benannten „besonders schweren Fällen“ (z.B. § 243 Abs. 1 StGB) bekannt ist.[78] Auf der einen Seite ermöglicht die Aktivierung des Wortes „insbesondere“ die Anerkennung „unbenannter“ Einschränkungsfälle. Auf der anderen Seite kann eine Gesamtwürdigung des Falles zu dem Ergebnis führen, dass abweichend von der „Regel“ die Tat vorbehaltlos durch Notwehr gerechtfertigt ist. Letzteres korrespondiert der großen Bandbreite von Schweregraden innerhalb der vier benannten Einschränkungsfälle. Insbesondere in der umstrittenen Fallgruppe c sind Situationen vorstellbar, in denen dem Wortlaut nach zwar eine Einschränkung indiziert ist, gleichwohl der angegriffenen Person unabhängig von Ausweichmöglichkeit und Zumutbarkeit leichterer Beeinträchtigungen das „scharfe“ Verteidigungsrecht gewährt werden muss. Ansonsten lässt sich die Regelung als „Drei-Stufen-Modell“ charakterisieren: Die erste Stufe ist die Möglichkeit, sich dem Angriff zu „entziehen“. Hier wird also die grundsätzlich nicht bestehende Pflicht zur Nutzung von Flucht- und Ausweichmöglichkeiten in das Notwehrrecht eingeführt. Bei der Bestimmung der Notwehrvoraussetzung „erforderlich“ ändert sich dadurch freilich nichts. Dort sind Ausweichmöglichkeiten unbeachtlich. Anderenfalls gelangte man im Prüfungsverlauf überhaupt nicht auf die Stufe der „Notwehreinschränkungen“. Was unter der „Entziehungsmöglichkeit“ zu verstehen ist, lässt sich abstrakt schwer definieren, hängt von den situativen Gegebenheiten des konkreten Falles ab. Klar ist, dass der Angegriffene sich auf unsichere Ausweichoptionen nicht einlassen muss. Erwägt er zum Beispiel davonzulaufen, muss er die Schnelligkeit und Ausdauer des Angreifers einkalkulieren und gegebenenfalls in Rechnung stellen, dass dieser ihn binnen kurzer Zeit eingeholt haben wird. Ein wichtiges Begrenzungskriterium sind die Mühen und Risiken, die mit einer Ausweichaktion verbunden sind. Schon auf dieser Stufe ist also eine „Zumutbarkeitsgrenze“ zu beachten. Ein auf dem Bürgersteig neben einer stark befahrenen Straße angegriffener Passant muss nicht seitwärts auf die Fahrbahn treten, um dem bevorstehenden Faustschlag ins Gesicht zu entgehen. Nur wenn es sich bei den Nebenwirkungen der Flucht um eine „zumutbare Beeinträchtigung“ handelt – die auf der zweiten Stufe ohnehin notwehrbeschränkend zur Geltung käme – ist die Wahrnehmung einer solchen Ausweichmöglichkeit geboten. Ob eine mit Weglaufen oder Ausweichen verbundene „Blamage“ – früher sprach man von „schimpflicher Flucht“[79] − relevant ist und dem Angegriffenen das unbeschränkte Verteidigungsrecht erhält, hängt von den konkreten Umständen ab. Ein pädagogisch und disziplinarisch schädlicher Autoritätsverlust von Lehrkräften in Schulen, die zwar einem schulrechtlichen Züchtigungsverbot unterliegen, aber wie jeder andere ein Notwehrrecht haben, kann Grund sein, die angegriffene Lehrperson nicht auf ihre Ausweichmöglichkeit zu verweisen. Insbesondere eine männliche Lehrkraft, die gegenüber einem pöbelnden „Halbstarken“ einknickt, ermutigt die Sympathisanten des Aggressors und verunsichert die friedfertigen Mitschüler, die Grund zu der Befürchtung haben, dass ihr Lehrer sie nicht verteidigen werde, wenn sie selbst Zielscheibe der Aggressionen gewaltbereiter Klassenkameraden werden.
Gibt es für den Angegriffenen keine Chance sich dem Angriff zu entziehen, betritt die Notwehrprüfung die zweite Stufe. Sofern die Hinnahme des Angriffs lediglich „zumutbare Beeinträchtigungen“ befürchten lässt, entfällt das Recht zur aktiven Gegenwehr. „Zumutbar“ bedeutet in erster Linie „geringfügig“. Lebhaft vorstellen kann man sich dies zum Beispiel bei Angriffen von Kleinkindern, denen zwar nicht ausgewichen werden kann, die aber über so geringe physische Intensität verfügen, dass die zu erwartenden Verletzungsfolgen banal sind. Gravierendere Verletzungen können ebenfalls noch in die Kategorie der Zumutbarkeit fallen, wenn mit einer raschen Beseitigung des Schadens zu rechnen ist. Das wird vor allem bei Angriffen gegen Sachen der Fall sein. Kann sich der Angegriffene dem Angriff nicht entziehen und sind die zu erwartenden Beeinträchtigungen seiner Rechtsgüter unzumutbar, behält er sein unbeschränktes Notwehrrecht. Die von ihrem Ehemann brutal geprügelte Ehefrau darf also zur Selbstverteidigung einen tödlichen Stich mit dem Küchenmesser ausführen, sofern mildere Abwehrmittel nicht zur Verfügung stehen.
VI. Die Nothilfe
Die größten Kontroversen bestanden bei der Regelung der Nothilfe, die auch in der Literatur breit diskutiert wird.[80] Während teilweise eine vollständige Gleichbehandlung von Notwehr und Nothilfe gefordert wurde, sprach sich im Ergebnis die Mehrheit grundsätzlich für eine Einschränkung des Nothilferechts in Fällen der sogenannten „aufgedrängten Nothilfe“ aus. Überlegt wurde zunächst, das Nothilferecht grundsätzlich zur Disposition des Angegriffenen zu stellen und hiervon nur bei Angriffen auf das nicht disponible Rechtsgut Leben eine Ausnahme vorzusehen[81].
Der BGH (jedenfalls in einer frühen Entscheidung) und gewichtige Stimmen im Schrifttum nehmen an, dass der Nothelfer nicht mehr Rechte geltend machen dürfe, als der Angegriffene selbst ausüben will.[82] Diese Position stellt die individualistische Komponente des Notwehrrechts in den Vordergrund und geht davon aus, dass für das Recht keine Veranlassung bestehe, dem Angegriffenen einen nicht erwünschten Schutz aufzudrängen. Ganz ohne Einschränkungen kommt die Idee eines vom Willen des Angegriffenen abhängigen Nothilferechts allerdings nicht aus. So soll ein Veto des Angegriffenen dem Nothilferecht etwa dann nicht entgegenstehen, wenn ihm die Einsichtsfähigkeit fehlt oder er Willensmängeln unterliegt.[83]
Gegen die Idee eines generellen Verbots der Nothilfe ohne Zustimmung des Angegriffenen spricht allerdings, dass es nicht überzeugend zwischen den verschiedenen Unrechtsebenen differenziert. Der Ausschluss eines Nothilferechts durch den Angegriffenen hat zur Folge, dass das Handeln des Verteidigers als Unrecht gegenüber dem Angreifer erklärt wird. Diese Konsequenz ist in den meisten denkbaren Konstellationen einer vom Angegriffenen abgelehnten Nothilfe nicht überzeugend. Man stelle sich etwa den Fall vor, dass ein Paar beobachtet, wie Diebe das Auto der Frau aufbrechen. Der Mann möchte den Diebstahl verhindern, doch aus Sorge um seine Gesundheit „verbietet“ die Frau ihrem Mann jedes Einschreiten. Der Mann schätzt seine Chancen anders ein, konfrontiert und vertreibt die Täter mittels einfacher Körperverletzungen. Sein Handeln kann nicht deshalb zu strafbarem Unrecht gegenüber den Angreifern werden, weil seine Frau aus Fürsorge für ihren Mann eine Verteidigung ihrer Rechtsgüter abgelehnt hat.[84] Auch in anderen Konstellationen der Ablehnung von Nothilfe ist die Folge einer Strafbarkeit der Verteidigungshandlung nicht sinnvoll.
In besonderer Weise nachvollziehbar ist etwa der Verzicht des Angegriffenen auf Nothilfe, wenn er darin ein erhöhtes Risiko für sich oder andere sieht; etwa, weil er eine Eskalation der Gewalt oder Racheakte befürchtet. Doch auch in diesem Fall kann die Folge einer gleichwohl vorgenommenen Verteidigungshandlung nicht sein, dass der Nothelfer wegen einer Straftat zu Lasten des Angreifers verurteilt wird. Vorzuwerfen ist ihm nicht eine rechtswidrige Verletzung der Rechtsgüter des Angreifers, sondern nur, dass er den Willen des Angegriffenen nicht respektiert hat.[85] Das ist aber als solches nicht strafbar.
Der Regelungsvorschlag geht daher davon aus, dass die Nothilfe grundsätzlich unabhängig vom Willen des Angegriffenen zur Rechtfertigung führt. Dies soll immer dann gelten, wenn dieser sein Rechtsgut nicht preisgeben möchte, sondern aus anderen Gründen eine Verteidigung ablehnt. Eine Grenze wird dort gezogen, wo der Angegriffene wirksam auf den Schutz seines Rechtsgutes verzichtet hat. Damit werden Fälle erfasst, in denen der Betroffene aus autonomen Erwägungen – und nicht unter dem Eindruck von Zwang oder Gewalt – entscheidet, dass er kein Interesse an der Aufrechterhaltung seiner Rechtsposition hat. In einer solchen – in der Praxis gewiss seltenen – Situation entfällt das Schutzbedürfnis für das betroffene Rechtsgut. Ein dualistisches Notwehrverständnis, das die Aspekte des Individualschutzes und der Rechtsbewährung nicht als jeweils selbstständig, sondern gemeinsam als das Notwehrrecht tragend anerkennt, kann ein Nothilferecht in einem solchen Fall nicht mehr anerkennen.
Für den Nothelfer stellt sich zudem die Frage, ob und in welchem Umfang die Einschränkungen des Notwehrrechts auf ihn anwendbar sind. Die Erforderlichkeit der Verteidigungshandlung richtet sich stets nach den Möglichkeiten, die der tatsächlich Notwehr übenden Person zur Verfügung stehen.[86] Wenn etwa der Angreifer zwar dem Angegriffenen, nicht aber dem Notwehrhelfer körperlich überlegen ist, so darf der Notwehrhelfer nicht etwa die Waffe einsetzen, deren sich der Angegriffene bedienen dürfte.
Auch für die Situation der Notwehreinschränkung aufgrund einer gegenüber dem Angreifer bestehenden Garantenpflicht (Abs. 3 lit. c) kommt es (allein) auf die Person dessen an, der tatsächlich Notwehr übt, da sich die Einschränkung des Notwehrrechts hier aus der persönlichen Beziehung zwischen dem Angreifer und dem Notwehr Übenden ergibt.[87] Greift also beispielsweise die 16jährige T einen Nachbarn N an und könnte sie ihr Vater V nur durch den Einsatz einer lebensgefährlichen Waffe von der Fortsetzung des Angriffs abhalten, so darf er diese Waffe aufgrund seiner Garantenpflicht gegenüber T nicht einsetzen (obwohl N selbst sich mit der Waffe verteidigen dürfte). Greift hingegen T ihren Vater V an, so darf der hinzukommende Nachbar N die T nötigenfalls auch mit einer Schusswaffe an der Fortsetzung des Angriffs hindern, da er durch keine Garantenpflicht gegenüber T beschränkt ist.
Für die Frage der Notwehreinschränkung aufgrund von Provokation (Abs. 3 lit. d) kommt es allein auf provozierende Handlungen des Angegriffenen an.[88] Liegen solche Handlungen vor, so ist auch der Notwehrhelfer in seinen Verteidigungsmöglichkeiten nach Abs. 3 Satz 2 eingeschränkt, da sich die Einschränkung nicht aus dem persönlichen Verhältnis der Beteiligten, sondern aus der den Angriff auslösenden Situation ergibt. Aus demselben Grund bleiben provozierende Handlungen des Notwehrhelfers für die Beurteilung außer Betracht, wenn sie nicht dem Angegriffenen zugerechnet werden können. Dies lässt sich damit begründen, dass der selbst an dem Angriff „unschuldige“ Angegriffene nicht dadurch benachteiligt werden sollte, dass der selbständig eingreifende Notwehrhelfer sich im Vorfeld eine Provokation hat zuschulden kommen lassen.
VII. Das subjektive Rechtfertigungselement
Der Entwurf enthält in § 34a StGB-E eine gemeinsame Regelung zum subjektiven Rechtfertigungselement für die Notwehr und den Notstand. Zwischen Rechtsprechung und Literatur besteht bislang Uneinigkeit über die Anforderungen an die innere Tatseite.[89] Gegen die Annahme einer von der Rechtsprechung geforderten gesonderten Verteidigungsabsicht, die über die Kenntnis der Notwehrlage hinausgeht, spricht maßgeblich, dass die Bewertung der Rechtswidrigkeit nicht von individuellen Motiven abhängig gemacht werden soll. Auch wer aus dominanten, anderen Gründen handelt, verteidigt sein Rechtsgut und die Rechtsordnung.[90]
Satz 2 setzt die im Schrifttum vertretene Versuchslösung um:[91] Fehlt das subjektive Rechtfertigungselement, so ist der Handelnde nicht wegen einer vollendeten, sondern wegen einer versuchten Tat zu bestrafen. Da objektiv eine Rechtfertigungslage besteht, entfällt der Erfolgsunwert der Handlung; das verbleibende Handlungsunrecht desjenigen, der in Unkenntnis von der rechtfertigenden Lage die Rechtsgüter des Angreifers verletzt, wird dogmatisch überzeugend durch das Versuchsunrecht abgebildet.
VIII. Die Überschreitung der Notwehr, § 33 StGB
Kernpunkt der Diskussion über die Regelung des entschuldigenden Notwehrexzesses war die Einbeziehung der zeitlichen Grenzüberschreitung („extensiver Notwehrexzess“). Da der Text des geltenden § 33 StGB uneindeutig ist, leistet der vorgelegte Entwurf mit Absatz 1 Satz 2 die erforderliche legislative Klarstellung. Inhaltlich enthält sie die denkbar weiteste Variante, indem sogar der „vorzeitige“ extensive Notwehrexzess Berücksichtigung findet. Letzteres bedeutet einen Schritt über das aktuelle Meinungsbild in der diesbezüglich zurückhaltenden Strafrechtsliteratur hinaus.[92] Im Vergleich mit dem unstrittigen Fall des „intensiven“ Notwehrexzesses[93] ergibt sich nämlich bei beiden Versionen der Überschreitung zeitlicher Grenzen das Vorliegen der die Privilegierung tragenden Gründe: Asthenische Affekte können schon durch die Ankündigung eines unmittelbar bevorstehenden Angriffs ausgelöst werden und nach dessen Beendigung noch weiter andauern. Für beides ist der Angreifer verantwortlich.[94] Zeitlich limitiert wird die Berücksichtigungsfähigkeit sowohl des vorzeitigen als auch des nachzeitigen Notwehrexzesses durch das Erfordernis eines Zusammenhangs mit dem „asthenischen Affekt“. Da dieser seine exzessauslösende Wirkung typischerweise in der kurzen Phase unmittelbar vor oder nach dem Angriff entfaltet, ist die Aufnahme des Erfordernisses eines „engen zeitlichen Zusammenhangs“ nicht zwingend notwendig, aber sinnvoll.[95] Dass bei der „präventiven“ Gegenwehr vor Beginn des Angriffs streng genommen noch keine „Verteidigung“ vorliegt, wird sprachlich dadurch berücksichtigt, dass in Satz 2 das Täterverhalten lediglich mit dem Wort „handelt“ bezeichnet und dieses zu dem „Angriff“ in Beziehung gesetzt wird. Satz 1 in Absatz 1 ist etwas wortreicher als die geltende Vorschrift. Auch dies hat einen klarstellenden Effekt, weil eine „Verteidigung gegen einen rechtswidrigen Angriff“ nur die den Angreifer verletzende Tat sein kann. Die Verletzung nichtangreifender Dritter, die durchaus auch Überschreitung einer Grenze der Notwehr genannt werden kann[96], wird damit eindeutig aus dem Anwendungsbereich der Norm herausgehalten.[97]
Eine Lücke des geltenden Rechts schließt der Entwurf mit seinem Absatz 2, der den „Putativnotwehrexzess“ normiert. Das Fehlen einer Kodifizierung hat bekanntlich eine Vielzahl von Lösungsvorschlägen inspiriert und eine entsprechende Rechtsunsicherheit erzeugt.[98] In seiner ersten Hälfte entspricht der Text dem § 35 Abs. 2 S. 1 StGB. Mit der einschränkenden Verantwortlichkeitsklausel wird eine zu weitgehende Entschuldigung des Täters zum Nachteil eines Nichtangreifers vermieden. Wer es für „witzig“ hält, jemand anderen „zum Schein“ anzugreifen oder wer diesen damit ärgern oder provozieren will, der muss es hinnehmen, dass das Strafrecht für die überzogene Reaktion des Täters Verständnis aufbringt und dem Verletzten den strafrechtlichen Schutz verweigert.[99] Wer dagegen für die unvermeidbare Fehlvorstellung des sich angegriffen Fühlenden keinen Anlass gegeben hat, muss als Unbeteiligter sein volles – also nicht ein gemäß § 32 Abs. 3 S. 1 lit. a des Entwurfs eingeschränktes − Notwehrrecht gegenüber dem Täter grundsätzlich behalten. Letzteres ist freilich nicht der Fall, wenn zugunsten des Irrenden § 35 Abs. 2 S. 1 StGB eingreift. Das ist jedoch akzeptabel, da die Anforderungen an den entschuldigenden Putativnotstand strenger sind: Die relevante Gefahrenlage ist wesentlich enger, die Gefahr darf nicht anders abwendbar sein und es darf dem Täter nicht zumutbar sein, die Gefahr hinzunehmen.
IX. Ausblick
Das Strafrecht wird in aller Regel nur dann geändert, wenn bestimmte Formen von Kriminalität die Öffentlichkeit beunruhigen und die Politik durch eine Verschärfung der strafrechtlichen Vorschriften Handlungsfähigkeit demonstrieren möchte. Eine grundlegende Neufassung des Allgemeinen Teils ist daher – nicht nur aufgrund der komplexen Materie – ein ambitioniertes Projekt; es bedarf eines politischen Willens, das Recht nicht nur unter medialem Druck anzupassen, sondern es tatsächlich besser machen zu wollen. Doch womöglich gibt es für eine Reform des Notwehrrechts nun auch einen politischen Anlass. In den vergangenen Wochen haben die Protestaktionen von Klimaaktivisten das Notwehrrecht in den Fokus der öffentlichen Aufmerksamkeit gerückt. Dabei hat sich gezeigt, dass erhebliche Unsicherheit über Voraussetzungen und Grenzen von § 32 StGB besteht.[100] Dass Voraussetzungen und Grenzen des Notwehrrecht den Normadressaten überwiegend unbekannt sind, ist allerdings kein neuer Befund. Bereits in der Vergangenheit haben medial verbreitete Urteile etwa im Fall des Rentners, der einen flüchtenden Dieb erschoss,[101] zu Irritationen in der Öffentlichkeit geführt. Der Gesetzgeber ist gehalten, hier für Klarheit zu sorgen.
Der hier vorgelegte Entwurf soll einen Vorschlag dafür unterbreiten, wie dem Notwehrrecht klare gesetzliche Konturen verliehen werden können. Ob in Anbetracht der aktuellen Herausforderungen darüber hinaus gesonderte Regelungen für die Notwehr gegenüber Versammlungsteilnehmern formuliert werden sollten, wäre Anlass für weitere Diskussionen.
[1] So auch Erb, in: MüKo-StGB, Bd. 1, 4. Aufl. (2020), § 32 Rn. 207.
[2] S. zu den beiden Elementen etwa Roxin/Greco, Strafrecht Allgemeiner Teil I, 5. Aufl. (2020), § 15 Rn. 1 ff.; Perron/Eisele, in: Schönke/Schröder, StGB, 30. Aufl. (2019), § 32 Rn. 1; Kaspar, RW 2013, 40 ff.
[3] S. zu diesem Gedanken Roxin/Greco (Fn. 2), § 15 Rn. 3h m.w.N.; Kühl, Strafrecht Allgemeiner Teil, 8. Aufl. (2017), § 7 Rn. 19.
[4] Neumann, in: NK-StGB, 5. Aufl. (2017), § 34 Rn. 13.
[5] S. zur eigenständigen Bedeutung des Gegenwärtigkeitskriteriums auch Hoyer, in: SK-StGB, 9. Aufl. (2016), § 32 Rn. 43.
[6] Das OLG Naumburg lehnte die Rechtfertigung von Tierschützern, die in einen Stall eingedrungen waren, nach § 32 StGB lediglich unter Berufung auf die fehlende Gegenwärtigkeit des Angriffs ab, OLG Naumburg, Urt. v. 22.2.2018 – 2 Rv 157/17, NJW 2018, 2064 (2066). Abgelehnt wurde das Vorliegen eines notwehrfähigen Rechtsguts in einem ähnlich gelagerten Fall allerdings vom LG Heilbronn, Urt. v. 23.5.2017 – 7 Ns 41 Js 15494-16 jug., BeckRS 2017, 132799.
[7] Mitsch, studere 2018, 40 (44). Für eine grundsätzliche Einbeziehung von Rechtsgütern der Allgemeinheit Maurach/Zipf, Strafrecht Allgemeiner Teil I, 8. Aufl. (1992), § 26 Rn. 12.
[8] Erb, in: MüKo-StGB, § 32 Rn. 100; Roxin/Greco (Fn. 2), § 15 Rn. 39.
[9] Zu denken ist etwa daran, dass Menschen eine bestehende Maskenpflicht durch körperliche Angriffe auf andere durchsetzen könnten.
[10] Da in § 33 StGB die Worte „Verteidigung“ und „erforderlich“ nicht verwendet werden, herrscht Unsicherheit über den Anwendungsbereich dieser Norm (intensiver und extensiver Notwehrexzess).
[11] Frisch, Strafrecht, 2022, § 4 Rn. 126; anders die Systematisierung der Notwehrmerkmale z.B. bei Rönnau/Hohn, in: LK-StGB, Bd. 3, 13. Aufl. (2019), § 32 Rn. 155 bis 224 (Notwehrhandlung), Rn. 262 bis 283 (Das subjektive Rechtfertigungselement bei der Notwehr).
[12] Frisch (Fn. 11), § 4 Rn. 138.
[13] Mitsch, Strafrecht in der Examensklausur, 2022, § 10 Rn. 25; Jansen, ZIS 2019, 2 (7).
[14] Brüning, ZJS 2013, 511 (517).
[15] Für eine Entschuldigung aber beim „Defensivnotstandsexzess“ Zieschang, in: LK-StGB, Bd. 3, 13, Aufl. (2019), § 34 Rn. 170.
[16] Frisch (Fn. 11), § 4 Rn. 56, 129.
[17] Frisch (Fn. 11), § 4 Rn. 58, 136.
[18] Frisch (Fn. 11), § 4 Rn. 127
[19] Rosenau, in: SSW-StGB, 5. Aufl. (2021), § 32 Rn. 21.
[20] Roxin/Greco (Fn. 2), § 15 Rn. 42; Rönnau/Hohn, in: LK-StGB, § 32 Rn. 167.
[21] Mitsch, in: Baumann/Weber/Mitsch/Eisele, Strafrecht Allgemeiner Teil, 13. Aufl. (2021), § 15 Rn. 30.
[22] Duttge, in: Dölling/Duttge/Rössner, StGB, 5. Aufl. (2022), § 32 Rn. 17 (m.w.N.); Mitsch, KriPoZ 2022, 238 (244).
[23] Beispiel: statt tatbestandsmäßiger körperlicher Misshandlung (§ 223 StGB) bloße nicht-tatbestandsmäßige physische Belästigung oder Behinderung (z.B. leichtes Rempeln, Schubsen) unterhalb der für den Tatbestand maßgeblichen Erheblichkeitsschwelle.
[24] Rönnau/Hohn, in: LK-StGB, § 32 Rn. 175.
[25] Frisch (Fn. 11), § 4 Rn. 129; Roxin/Greco (Fn. 2), § 15 Rn. 49.
[26] Frisch (Fn. 11), § 4 Rn. 186; Perron/Eisele, in: Schönke/Schröder, StGB, § 32 Rn. 56.
[27] Erb, NStZ 2011, 186 ff.
[28] S. etwa die Beispielfälle aus der Praxis bei Roxin/Greco (Fn. 2), § 15 Rn. 44.
[29] Erb, in: MüKo-StGB, § 32 Rn. 121; Kindhäuser, in: NK-StGB, § 32 Rn. 83.
[30] Hoyer, in: SK-StGB, § 32 Rn. 51.
[31] S. zu dieser Konstellation Erb, in: MüKo-StGB, § 32 Rn. 123.
[32] So auch für das geltende Recht Roxin/Greco (Fn. 2), § 15 Rn. 42.
[33] Engländer, in: Matt/Renzikowski, StGB, 2. Aufl. (2020), § 32 Rn. 42; Erb, in: MüKo-StGB, § 32 Rn. 204; Rönnau/Hohn, in: LK-StGB, § 32 Rn. 228.
[34] S. dazu Rönnau/Hohn, in: LK-StGB, § 32 Rn. 235 ff.; Kindhäuser, in: NK-StGB, § 32 Rn. 104.
[35] Wessels/Beulke/Satzger, AT, 52. Aufl. (2022), Rn. 523; Kühl (Fn. 3), § 7 Rn. 173.
[36] Erb, in: MüKo-StGB, § 32 Rn. 250 f.; Roxin/Greco (Fn. 2, § 14 Rn. 55 f.
[37] S. zum Erlaubnisirrtum im geltenden Recht Wessels/Beulke/Satzger (Fn. 35), Rn. 1332; Roxin/Greco (Fn. 2), § 14 Rn. 80.
[38] S. für das geltende Recht Wessels/Beulke/Satzger (Fn. 35), Rn. 1347; Roxin/Greco (Fn. 2), § 14 Rn. 104.
[39] S. für das geltende Recht Wessels/Beulke/Satzger (Fn. 35), Rn. 1348.
[40] BGH, NStZ 2021, 33; Perron/Eisele, in: Schönke/Schröder, StGB, § 32 Rn. 44.
[41] Perron/Eisele, in: Schönke/Schröder, StGB, § 32 Rn. 47; Kühl (Fn. 3), § 7 Rn. 161.
[42] Perron/Eisele, in: Schönke/Schröder, StGB, § 32 Rn. 48 ff.
[43] Kühl (Fn. 3), § 7 Rn. 265; dazu auch Kaspar, GA 2007, 36.
[44] Engländer, in: Matt/Renzikowski, StGB, § 32 Rn. 42; Erb, in: MüKo-StGB, § 32 Rn. 204; Rönnau/Hohn, LK-StGB, § 32 Rn. 228.
[45] Perron/Eisele, in: Schönke/Schröder, StGB, § 32 Rn. 47.
[46] S. etwa BGH, Beschl. v. 17.6.2020 – 4 StR 658/19, NStZ 2021, 93 ff. m. Anm. Mitsch; BGH, Beschl. v. 26.6.2018 – 1 StR 208/18, BeckRS 2018, 19966.
[47] Engländer, in: Matt/Renzikowski, StGB, § 32 Rn. 44; Perron/Eisele, in: Schönke/Schröder, StGB, § 32 Rn. 50.
[48] So die Rechtsfolge auch nach geltendem Recht, vgl. Perron/Eisele, in: Schönke/Schröder, § 32 Rn. 50: Notwehr ist „unzulässig“.
[49] Perron/Eisele, in: Schönke/Schröder, § 32 Rn. 52.
[50] Der Wortlaut des geltenden § 32 StGB lässt hingegen die entgegengesetzte Wertung zu, vgl. Erb, in: MüKo-StGB, § 32 Rn. 213.
[51] Zu unvorsätzlichen Angriffen u. V. 2. c).
[52] Der Tatbestandsirrtum (§ 16 Abs. 1 S. 1 StGB) wird von Fallgruppe b) „nicht vorsätzlich“ erfasst.
[53] In der Literatur wird der Inhalt der Untergruppe „Irrtümer“ meistens durch Hinzufügung des Wortes „unverschuldet“ verringert, vgl. Erb, in: MüKo-StGB, § 32 Rn. 209; Perron/Eisele, in: Schönke/Schröder, StGB, § 32 Rn. 52.
[54] Erb, in: MüKo-StGB, § 32 Rn. 41; Roxin/Greco (Fn. 2), § 15 Rn. 14; Perron/Eisele, in: Schönke/Schröder, StGB, § 32 Rn. 21.
[55] Erb, in: MüKo-StGB, § 32 Rn. 210.
[56] So auch für das geltende Recht Erb, in: MüKo-StGB, § 32 Rn. 210.
[57] Joecks/Kulhanek, in: MüKo-StGB, § 16 Rn. 127; Rengier, AT, 12. Aufl. (2020), § 30 Rn. 19.
[58] S. dazu etwa Rönnau/Hohn, in: LK-StGB, § 32 Rn. 97 m.w.N.
[59] So Erb, in: MüKo-StGB, § 32 Rn. 43.
[60] Kaspar, AT, 4. Aufl. (2023), § 5 Rn. 217 ff.; Roxin/Greco (Fn. 2), § 15 Rn. 99; Rönnau/Hohn, in: LK-StGB, § 32 Rn. 238 ff.; Kühl (Fn. 3), § 7 Rn. 200.
[61] Erb, in: MüKo-StGB, § 32 Rn. 219.
[62] Kaspar (Fn. 60), § 5 Rn. 220; Frisch (Fn. 11), § 4 Rn. 199.
[63] BGH, Beschl. v. 3.3.2021 − 4 StR 318/20, NStZ 2021, 607.
[64] Frisch (Fn. 11), § 4 Rn. 184; Erb, in: MüKo-StGB, § 32 Rn. 224; Perron/Eisele, in: Schönke/Schröder, StGB, § 32 Rn. 54.
[65] Kühl (Fn. 3), § 7 Rn. 219.
[66] BGH, Beschl. v. 3.3.2021 − 4 StR 318/20, NStZ 2021, 607.
[67] Perron/Eisele, in: Schönke/Schröder, StGB, § 32 Rn. 54; Kühl (Fn. 3), § 7 Rn. 211.
[68] Unrichtig wäre die Annahme, die Provokationsproblematik entstehe ausschließlich dann, wenn die Provokation keinen Angriff im Sinne des § 32 Abs. 2 StGB darstellt, vgl. Kühl (Fn. 3), § 7 Rn. 212, der selbst als Anwendungsbeispiel den nicht mehr gegenwärtigen Angriff nennt.
[69] Mitsch (Fn. 13), § 10 Rn. 29.
[70] Wessels/Beulke/Satzger (Fn. 35), Rn. 533; dagegen Duttge, in: Dölling/Duttge/Rössner, StGB, § 32 Rn. 31 und Erb, in: MüKo-StGB, § 32 Rn. 227.
[71] BGH, Beschl. v. 17.6.2020 − 4 StR 658/19, NStZ 2021, 93 ff. m. Anm. Mitsch; BGH, Beschl. v. 26.6.2018 – 1 StR 208/18, BeckRS 2018, 19966; BGH, Urt. v. 2.7.2015 – 4 StR 509/14, NStZ-RR 2015, 303 (304).
[72] Perron/Eisele, in: Schönke/Schröder, StGB, § 32 Rn. 59; Kühl (Fn. 3), § 7 Rn. 226.
[73] Erb, in: MüKo-StGB, § 32 Rn. 237; Roxin/Greco (Fn. 2), § 15 Rn. 73a.
[74] Mitsch, JuS 2022, 18 (22 f.); Perron/Eisele, in: Schönke/Schröder, StGB, § 32 Rn. 61a.
[75] Sowada, in; FS Herzberg, 2008, S. 457 ff.
[76] Kühl (Fn. 3), § 7 Rn. 265.
[77] Kühl (Fn. 3), § 7 Rn. 265.
[78] S. zur Regelungstechnik der Regelbeispiele Schäfer/Sander/van Gemmeren, Praxis der Strafzumessung, 6. Aufl. (2017), Rn. 1142 ff.
[79] S. etwa OLG Stuttgart, Urt. v. 18. 11. 1949 – Ss 139/49, NJW 1950, 119.
[80] S. etwa Perron/Eisele, in: Schönke/Schröder, StGB, § 32 Rn. 25/26; Rönnau/Hohn, in: LK-StGB, § 32 Rn. 204 ff.; Engländer, Grund und Grenzen der Nothilfe, 2008, S. 1 ff.; Kasiske, Jura 2004, 832.
[81] Für die Einschränkung bei nicht disponiblen Rechtsgütern etwa Rosenau, in: SSW-StGB, § 32 Rn. 10; Erb, in: MüKo-StGB, § 32 Rn. 183 f.; Roxin/Greco (Fn. 2), § 15 Rn. 120;Perron/Eisele, in: Schönke/Schröder, StGB, § 32 Rn. 25/26; Kaspar, JuS 2014, 769. Für die grundsätzliche Zulässigkeit der aufgedrängten Nothilfe unter Betonung des Aspekts der Rechtsbewährung durch den Nothelfer dagegen Schmidhäuser, Studienbuch AT, 1982, Kapitel 6 Rn. 80; Lange, JZ 1976, 546 (547); Schmidhäuser, Strafrecht, Allgemeiner Teil, Lehrbuch, 2. Aufl. (1975), S. 356 f.; Schroeder, in: FS Maurach, 1972, S. 127 (141).
[82] BGH, Urt. v. 2. 10. 1953 – 3 StR 151/53, NJW 1954, 438; Roxin/Greco (Fn. 2), § 15 Rn. 116; Perron/Eisele, in: Schönke/Schröder, StGB, § 32 Rn. 25/26; Hoyer, in: SK-StGB, § 32 Rn. 122 f.
[83] Zu entsprechenden Ansätzen siehe Erb, in: MüKo-StGB, § 32 Rn. 184; Engländer, Grund und Grenzen der Nothilfe, 2008, S. 141 ff.; Seeberg, Aufgedrängte Nothilfe, Notwehr und Notwehrexzess, 2005, S. 150.
[84] So im Ergebnis auch Engländer, Grund und Grenzen der Nothilfe, 2008, S. 148; Seeberg, Aufgedrängte Nothilfe, Notwehr und Notwehrexzess, 2005, S. 130; Heller, Die aufgedrängte Nothilfe, 2004, S. 260 f.; Seuring, Die aufgedrängte Nothilfe, 2004, S. 223 f.; Seier, NJW 1987, 2476 (2482).
[85] Ähnlich auch Sternberg-Lieben/Sternberg-Lieben, JuS 1999, 444 (445); für eine Zulässigkeit der aufgedrängten Nothilfe in dieser Konstellation auch Jakobs, Strafrecht, AT, 2. Aufl. (1991), 12/60.
[86] So auch für das geltende Recht Rengier (Fn. 57), § 18 Rn. 111.
[87] So auch für das geltende Recht Kasiske, Jura 2004, 832 (837); a.A. aber Erb, in: MüKo-StGB, § 32 Rn. 222.
[88] Insoweit auch Duttge, in: Dölling/Duttge/Rössner, StGB, § 32 Rn. 35; Erb, in: MüKo-StGB, § 32 Rn. 238.
[89] Für das Erfordernis einer Verteidigungsabsicht etwa BGH, Beschl. v. 16.6.2021 – 1 StR 126/21, BeckRS 2021, 29594; BGH, Urt. v. 25.4. 2013 – 4 StR 551/12, NJW 2013, 2133 (2135). Dagegen genügt nach der h.M. in der Literatur ein Handeln in Kenntnis der Umstände, die das Verhalten des Angegriffenen objektiv als erforderliche Verteidigung gegen einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff erscheinen lassen, Erb, in: MüKo-StGB, § 32 Rn. 241; Perron/Eisele, in: Schönke/Schröder, StGB, § 32 Rn. 63; Rönnau/Hohn, in: LK-StGB, § 32 Rn. 266.
[90] Kaspar (Fn. 60), § 5 Rn. 226; Frister, AT, 9. Aufl. (2020), Kap. 14 Rn. 24; Roxin/Greco (Fn. 2), § 15 Rn. 129 f.; Kühl, Jura 1993, 233 (234).
[91] Wessels/Beulke/Satzger (Fn. 35), Rn. 415; Perron/Eisele, in: Schönke/Schröder, StGB, § 32 Rn. 63; Rönnau/Hohn, in: LK-StGB, § 32 Rn. 268.
[92] Gegen die Anwendung des § 33 StGB z.B. Wessels/Beulke/Satzger (Fn. 35), Rn. 701; Rengier (Fn. 57), § 27 Rn. 18; Krey/Esser, AT, 6. Aufl. (2016), Rn. 765; Jescheck/Weigend, AT, 5. Aufl. (1996), § 45 II 4; Maurach/Zipf (Rn. 7), § 34 Rn. 27; a.A. Erb, in: MüKo-StGB, § 33 Rn. 14; Roxin/Greco (Fn. 2), § 22 Rn. 88; Zieschang, in: LK-StGB, § 33 Rn. 14 (analoge Anwendung des § 33 StGB).
[93] Erb, in: MüKo-StGB, § 33 Rn. 10; Kühl (Fn. 3), § 12 Rn. 135.
[94] Unrichtig ist die Behauptung von Kühl (Fn. 3), § 12 Rn. 141, dass es beim „vorzeitigen“ Exzess „nie zu einer Notwehrlage gekommen ist“. Sofern der „Präventivschlag“ den noch nicht Angreifenden nicht handlungsunfähig gemacht hat, wird dieser sehr wohl seine Angriffsabsicht realisieren und die Notwehrlage erzeugen. Der Täter hat nur „zu früh“ angriffsabwehrend gehandelt.
[95] Roxin/Greco (Fn. 2), § 22 Rn. 90.
[96] Zieschang, in: LK-StGB, § 33 Rn. 15: „räumlich-extensiver Notwehrexzess“.
[97] Frisch (Fn. 11), § 5 Rn. 183.
[98] Roxin/Greco (Fn. 2), § 22 Rn. 94; Zieschang, in: LK-StGB, § 33 Rn. 18; Kühl (Fn. 3), § 12 Rn. 155; Krey/Esser (Rn. 92), Rn. 769; Maurach/Zipf (Rn. 7), § 38 Rn. 19.
[99] Erb, in: MüKo-StGB, § 33 Rn. 18.
[100] Siehe hierzu Hoven/Rostalski/Weigend, Angriff oder Verteidigung, ZEIT, v. 15.12.2022, S. 13.
[101] BGH, Urt. v. 27.10.2015 – 3 StR 199/15, NStZ 2016, 333.