2023, Verlag Duncker & Humblot, ISBN: 978-3-428-18946-5, S. 613, Euro 79,90.
Die am 23.5.2017 in Kraft getretene Reform der Widerstandsdelikte war und ist kriminalpolitisch heftig umstritten. Kaum eine rechtswissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Neukonstruktion und Strafverschärfung war positiv konnotiert. Allerdings kam Bolender in seiner Promotionsschrift zu dem Ergebnis, die Reform sei aus strafrechtsdogmatischer Sicht schlüssig und dieser demzufolge auch zuzustimmen.[1] Schon dem Untertitel nach darf der Leser vermuten, dass Sänger zu einem kritischeren Ergebnis kommt, fragt sie doch danach, welche dogmatischen Probleme die §§ 113, 114, 115 StGB seit der Novellierung aufwerfen und wie es trotz dieser Defizite zur Verabschiedung des Gesetzes kommen konnte. Es geht um die „Bewertung des Änderungsgesetzes auf seine Rationalität hin“ (S. 18).
Zunächst stellt die Autorin hierfür den Zustand vor und seit der Novellierung im Überblick dar. Interessant ist der historische Abriss, der die Rechtslage vor dem Bestehen eines eigenständigen Tatbestands und seit dem Bestehen eines solchen beschreibt. Ausführlich wird dann das Gesetzgebungsverfahren zum 52. Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuches geschildert, in einen gesellschaftlichen Kontext gestellt und die wesentlichen Kritikpunkte zusammengefasst. Resümierend wird festgestellt, dass sich ein drastischer Gewaltanstieg gegen Vollstreckungspersonen empirisch nicht nachweisen ließ, die Polizei aber mit neuen und zusätzlichen Aufgaben belastet wurde. Zudem deuteten Studien auf einen Anstieg der Kriminalitätsfurcht in der Bevölkerung hin (S. 69).
Einen Schwerpunkt der Arbeit bildet dann das Kapitel C, in dem dogmatische Probleme der aktuellen Gesetzeslage ausführlich behandelt werden. Hinsichtlich der Schutzgüter der §§ 113 ff. StGB kommt die Verfasserin zu dem Schluss, dass die Novellierung insgesamt den Individualschutz verstärkte und somit an die vorangegangene Gesetzesfassung von 2011 angeknüpft habe. Allerdings verfolge § 113 StGB nach wie vor einen doppelten Schutzzweck, bei dem der kollektive Zweck im Vordergrund stehe. Vage Rechtsgutsbegriffe wie die humanitäre Solidarität, die öffentliche Sicherheit, das überindividuelle Interesse an der Dienstausübung oder der Schutz des Staatsapparats legen die symbolische Natur der Novellierung nahe (S. 100).
Intensiv spürt Sänger der Auslegung des tätlichen Angriffs nach und macht anhand von Fallgruppen deutlich, dass eine restriktive Auslegung geboten und diese auch vom Wortlaut getragen sei. Darüber hinaus sei es sinnvoll, beim tätlichen Angriff Vorsatz bezüglich der Verletzungseignung zu fordern. Zudem sei zur Erleichterung der Abgrenzbarkeit zur Gewalt bei leichten Tathandlung eine gewisse Erheblichkeitsschwelle mit in den Straftatbestand hineinzulesen. Es wird folgende neue Definition vorgeschlagen: „Ein tätlicher Angriff ist eine mit feindseligem Willen unmittelbar auf den Körper zielende Handlung, die in der konkreten Situation körperverletzungsgeeignet ist“. Auf dieses Restriktionsmerkmal müsse sich auch der Vorsatz beziehen (S. 121).
Probleme bescheinigt die Autorin den novellierten Vorschriften auch im Bereich der Konkurrenzen (ausf. S. 144 f.). Zu dogmatischen Schwierigkeiten komme es im Rahmen des veränderten Regelbeispiels § 113 Abs. 2 S. 2 Nr. 1 StGB. Zum einen ergäben sich Wertungswidersprüche im Strafmaß und zum anderen führe die Streichung der Verwendungsabsicht zu Auslegungsproblemen, die schon im Rahmen des § 244 Abs. 1 Nr. 1 lit. a StGB bekannt seien. Zudem sei in der überwiegenden Anzahl der Fälle die Gefahr einer Rechtsgutsverletzung allein durch das Beisichführen ohne Verletzungsabsicht nicht erhöht, so dass die Erforderlichkeit der Änderung zu bezweifeln sei (S. 155). Auch für das Regelbeispiel der gemeinschaftlichen Tatbegehung sei das Regelungsbedürfnis gering. Zudem bestünden auch hier Wertungswidersprüche zu anderen Normen.
Schließlich äußert Sänger Bedenken am durch §§ 113 ff. StGB geschützten Personenkreis im Hinblick auf das allgemeine Gleichbehandlungsgebot. Letztlich handele es sich um eine Sondervorschrift zu Gunsten einer bestimmten Personengruppe (S. 174). Abschließend identifiziert die Verfasserin systematische Defizite (S. 174 ff.). So wurde ihrer Meinung nach bei der Novellierung die Möglichkeit verpasst, bestehende Defizite zu beseitigen. Stattdessen habe man durch die Schaffung des § 114 StGB neue Probleme hinzugefügt (S. 194).
Im folgenden Kapitel nimmt die Verfasserin zur Rationalität der Gesetzesänderung Stellung. Sie bewertet das 52. Strafrechtsänderungsgesetz zum großen Teil als symbolischen Gesetzgebungsakt. Der beabsichtigte bessere Rechtsgüterschutz – sowohl physisch als auch psychisch – gelänge durch die Gesetzesänderung nicht, so dass auch die Bestimmung des geschützten Rechtsguts bei den §§ 113 ff. StGB schwer falle. Die Vorschriften seien zum Teil nicht erforderlich, fügten sich nicht widerspruchsfrei in die Systematik des Strafgesetzbuches ein und wecken Bedenken hinsichtlich des Gleichbehandlungsgebots. Daher genügten die Änderungen einem juristischen Rationalitätsgebot größtenteils nicht. Diese Prinzipien müssten aber im Gesetzgebungsverfahren beachtet werden, auch wenn die Verfasserin gleichzeitig einräumt, dass das BVerfGentgegen dieser Vorgaben geschaffene Gesetze nicht für verfassungswidrig erklärt. Etwas zurück rudert Sänger dann mit der Aussage, dass der Gesetzgebungsakt die Adressaten zumindest erfolgreich angesprochen habe, insoweit geeignet war, gesellschaftsstabilisierende Wirkung zu besitzen und daher aus politischer Sicht als rationaler Schritt angesehen werden könne. Allerdings führe symbolische Gesetzgebung nur scheinbar, oberflächlich und kurzfristig zur Lösung von Problemen.
Leserfreundlich werden die Ergebnisse der Untersuchung dann in Kapitel E noch einmal in Thesen zusammengefasst, bevor sich Schlussfolgerungen anschließen. Sänger stellt keine Verbesserung der Rechtslage durch die Novellierung der Widerstandsdelikte fest. Die Defizite lägen darin begründet, dass es sich um ein Gesetz handele, das nicht hinreichend an den harten, klassischen Rationalitätsaspekten – wie dem besseren Rechtsgüterschutz, der Schließung von Strafbarkeitslücken oder der Lösung anderer juristischer Probleme – ausgerichtet war. Vorrangig diente es politischen Zwecken, die geprägt waren vom aktuellen Zeitgeschehen, Unzufriedenheit innerhalb der Polizei und lautstark geäußerten Gewerkschaftsforderungen.
Auf lange Sicht seien solche symbolischen Gesetze fraglich, da eine andauernde Wirkung nicht zu erwarten sei und die Ineffektivität zur Lösung der zu Grunde liegenden Probleme charakteristisch für symbolische Gesetzgebung sei. Die Diskussion um vermeintlich steigende Gewalt berge zudem die Gefahr der Diskursverschiebungen im spannungsbehafteten Polizei-Individuum-Verhältnis. Darüber hinaus werden durch die Erweiterung des Schutzbereichs die Deutungshoheit der Mitglieder der Polizei verstärkt und durch die zunehmende Betonung der Opferrolle sei nicht ausgeschlossen, dass polizeiliches Fehlverhalten in den Hintergrund trete. Dies könne gesamtgesellschaftlich betrachtet zu negativen Folgen führen. Sinnvoller wäre es gewesen, so die Verfasserin, eine geeignete und vorausschauende Personalpolitik zu betreiben und auch monetäre Entlastungen zu bieten.
Schließlich wäre es wünschenswert gewesen, im Gesetzgebungsverfahren geäußerte Vorschläge zu berücksichtigen, wie beispielsweise die Einführung eines minderschweren Falls, die Verortung des § 115 StGB im Regelungskomplex des § 323c StGB und die Abschaffung des § 114 StGB. Denn das bestehende gesetzliche Instrumentarium ermögliche eine angemessene Bestrafung.
Das Fazit fällt dementsprechend „ernüchternd aus“. Die Novellierung reihe sich ein in eine Serie „kriminalpolitischer Fehlentwicklungen“ (S. 255) und sei dem Trend einer zunehmend punitiveren Gesetzgebung geschuldet. Zu kritisieren sei zudem, dass reflexhaft auf ein Ereignis reagiert und wissenschaftliche Expertise ignoriert wurde.
Insgesamt bietet die Dissertation von Sänger nicht nur eine umfangreiche Bestandsaufnahme zur Diskussion rund um die Novellierung der Widerstandsdelikte, sie übt auch treffsicher Kritik hinsichtlich mehrerer Unstimmigkeiten der Vorschriften und entlarvt diese als symbolische Gesetzgebung. Symbolische Gesetzgebung ist an sich schon sehr fragwürdig, ist sie aber zudem schlecht gemacht, so schießt der Gesetzgeber deutlich über das Ziel hinaus. Es ist aber leider kriminalpolitisch nicht damit zu rechnen, dass die §§ 113 ff. StGB entschärft werden – ganz im Gegenteil finden sich eher Forderungen zu einem weiteren Aufrüsten der Widerstandsdelikte. Insofern lohnt sich die Lektüre der Dissertation gleich in zweierlei Hinsicht. Zum einen, um den Ist-Zustand der Widerstandsdelikte nach Schutzrichtung, Dogmatik und Systematik in Frage zu stellen und zum anderen, insoweit mahnend einer weiteren Reformierung und Verschlechterung vorzubeugen.
[1] Bolender, Das neue Widerstandsrecht, 2021, S. 360; vgl. auch die Rezension von Schiemann, KriPoZ 2023, 106.