Die Entscheidung im Original finden Sie hier.
Redaktioneller Leitsatz:
Tätige Reue i.S.d. § 239a Abs. 4 S. 1 StGB setzt gerade keine Freiwilligkeit des Verhaltens voraus. Dies ergibt sich einerseits aus dem Wortlaut der Vorschrift sowie aus einer systematischen Betrachtung der Regelungen zur tätigen Reue in den Vorschriften der § 306e StGB sowie § 320 StGB, die beide eine Freiwilligkeit erfordern.
Sachverhalt:
Der Angeklagte und der Mitangeklagte hielten den Zeugen R. über mehrere Stunden in einem Keller gefangen. In dieser Zeit rief der Mitangeklagte die Mutter und Großmutter des Opfers an und forderte diese dazu auf, 5.000 Euro zu zahlen. Ansonsten würden die beiden Angeklagten dem R. etwas antun. Die Mutter und Großmutter weigerten sich jedoch, Geld zu zahlen, woraufhin die Angeklagten erkannten, das sie mit ihren Forderungen gescheitert waren. Sie ließen R. jedoch erst auf Drängen von zwei unbekannten Männern frei. Der Mitangeklagte ließ sich vor der Freilassung von dem Zeugen R. die ratenweise Zahlung von 5.000 Euro zusagen.
Das LG hat den Angeklagten wegen schweren Wohnungseinbruchsdiebstahls mit Waffen sowie wegen erpresserischen Menschenraubs in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten verurteilt und eine Einziehungsanordnung getroffen.
Entscheidung des BGH:
Die Revision des Angeklagten hat teilweise Erfolg. Das LG hat das Vorliegen tätiger Reue gemäß § 239a Abs. 4 S. 1 StGB rechtsfehlerhaft verneint, weil der Angeklagte nicht „freiwillig“ von der Tat zurückgetreten sei.
Tätige Reue i.S.d. § 239a Abs. 4 S. 1 StGB liege jedoch bereits vor, wenn der Täter das Opfer unter vollständigem Verzicht auf die erstrebte Leistung in seinen Lebensbereich zurückgelangen lässt. Die Vorschrift setze keine Freiwilligkeit voraus. Dies ergebe sich bereits aus ihrem Wortlaut sowie aus dem Gegenschluss zu anderen Regelungen (z.B. § 306e sowie § 320 StGB), bei denen tätige Reue ein freiwilliges Täterhandeln voraussetzt. Insoweit komme es nicht auf die Motive des Täters an.
Zudem seien auch die Voraussetzungen des § 239a Abs. 4 S. 1 StGB gegeben. Der Angeklagte habe vollständig und endgültig auf die Geldforderung verzichtet. Eine tätige Reue scheide auch deswegen nicht aus, weil der Mitangeklagte das Opfer nur gegen das Versprechen einer Ratenzahlung der 5.000 Euro in die Freiheit entließ.