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Stärkung des Schutzes von Vollstreckungsbeamten und Rettungskräften sowie sonstigen dem Gemeinwohl dienenden Tätigkeiten

Gesetzentwürfe: 

 

Am 5. Juli 2024 brachte das BMJ einen Referentenentwurf zur Stärkung des Schutzes von Vollstreckungsbeamten und Rettungskräften sowie sonstigen dem Gemeinwohl dienenden Tätigkeiten auf den Weg. Angriffe auf diesen Personenkreis seien von Verrohungstendenzen geprägt, die gravierende Auswirkungen haben können. Dabei seien nicht nur die individuellen Folgen für die Opfer in den Blick zu nehmen, denn solche Angriffe beeinträchtigen die Funktionsfähigkeit des Gemeinwesens gravierend und erschüttern den gesellschaftlichen Zusammenhalt, so der Entwurf. Es sei zu befürchten, dass im Gemeinwohl tätige Personen sich von solchen Tätigkeiten zurückziehen oder solche Ämter per se gemieden werden. Über die bereits im StGB enthaltenen Einzeltatbestände hinaus, soll der erhöhte Unrechtsgehalt bei Taten gegen Personen, die sich für das Gemeinwohl engagieren, in den allgemeinen Vorschriften zur Strafzumessung berücksichtigt werden. Gezielt sieht der Entwurf auch die Verbesserung des Schutzes von Vollstreckungsbeamten:innen und Personen, die Vollstreckungsbeamten:innen gleichstehen vor. Angriffe auf diesen Personenkreis seien nicht hinnehmbar und müssten konsequent strafrechtlich verfolgt werden. Zudem seien sie in das Bewusstsein der Öffentlichkeit gerückt, was unterstreiche, dass es ein klares rechtspolitisches Signal bedürfe, das die besondere Verwerflichkeit verdeutliche und so den Schutz von Vollstreckungsbeamten:innen und Rettungskräften weiter stärke. Der Entwurf sieht daher vor, § 46 Abs. 2 S. 2 StGB dahingehend zu ergänzen, dass hinsichtlich der verschuldeten Auswirkungen der Tat auch solche von Belang sein können, die geeignet sind, „eine dem Gemeinwohl dienende Tätigkeit nicht nur unerheblich“ zu beeinträchtigen. Zudem sollen die Regelbeispiele für besonders schwere Fälle in § 113 Abs. 2 S. 2 StGB ergänzt werden. „Ein besonders schwerer Fall soll regelmäßig auch dann vorliegen, wenn die Tat mittels eines hinterlistigen Überfalls begangen wird. Diese Begehungsweise ist als besonders gefährlich etwa für die angegriffenen Polizei- und Rettungskräfte und als besonders verwerflich zu bewerten.“ Daher soll künftig „unabhängig vom Vorliegen anderer Regelbeispiele regelmäßig der erhöhte Strafrahmen von 6 Monaten bis zu 5 Jahren Freiheitsstrafe Anwendung finden.“ So komme der spezifische Unrechtsgehalt deutlicher zum Ausdruck. 

Bundesjustizminister Dr. Marco Buschmann dazu: „Wer sich in den Dienst unserer Gesellschaft stellt, verdient unseren Schutz. Das gilt im Beruf, zum Beispiel als Rettungskraft oder Polizist, und auch im Ehrenamt, etwa beim Engagement in einer Partei oder Bürgerinitiative. Deshalb werden wir das Strafgesetzbuch anpassen, um Angriffe auf diese Personengruppen künftig noch effektiver sanktionieren zu können. So stärken wir den Schutz für die Menschen, die sich besonders für unsere Gesellschaft und ihre Mitmenschen einsetzen.“

Am 4. September 2024 veröffentlichte das BMJ einen Regierungsentwurf zur Stärkung des Schutzes von Vollstreckungsbeamten und Rettungskräften sowie sonstigen dem Gemeinwohl dienenden Tätigkeiten. Der Regierungsentwurf orientiert sich weitgehend an dem Inhalt des Referentenentwurfs, beinhaltet aber einzelne Modifikationen.

Der Regierungsentwurf hält an der geplanten Ergänzung des § 46 Abs. 2 S. 2 StGB fest. Danach sollen Gerichte bei der Strafzumessung auch die Auswirkungen der Tat auf eine dem Gemeinwohl dienende Tätigkeit berücksichtigen. Diese Aspekte können de lege lata jedoch bereits von Gerichten bei der Strafzumessung berücksichtigt werden, wodurch die Ergänzung allein zur Klarstellung und Bekräftigung der geltenden Rechtslage diene. Vielmehr soll die Ergänzung die Gerichte und Ermittlungsbehörden tiefergehend für die konkreten Tatauswirkungen sensibilisieren. Zudem soll auch an der geplanten Ergänzung des § 113 Abs. 2 StGB festgehalten werden, wonach zukünftig ein neues Regelbeispiel in § 113 Abs. 2 S. 2 StGB eingefügt wird. Dadurch soll eine Tatbegehung mittels hinterlistigen Überfalls, die regelmäßig einen besonders schweren Fall des Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte darstelle, mit einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren bestraft werden. Die Vorschrift ist trotz ihrer Verortung in § 113 Abs. 2 S. 2 StGB nicht nur auf Vollstreckungsbeamte anwendbar; vielmehr gelten gem. § 115 StGB die Vorschriften der §§ 113 f. für andere, den Vollstreckungsbeamten gleichgestellte Personengruppen entsprechend. Die Ergänzung soll unter anderem den Respekt und die Wertschätzung für die jeweiligen Personengruppen unterstreichen.

Eine im Referentenentwurf noch nicht enthaltene, jedoch im Regierungsentwurf postulierte Änderung ist die Erweiterung des Anwendungsbereiches der §§ 105 und 106 StGB auch die europäische und kommunale Ebene. Danach sollen auch europäische und kommunale Organe gesondert geschützt werden, um die Funktionsfähigkeit und -freiheit dieser Ebenen der Demokratie zu gewährleisten. Abschließend will der Regierungsentwurf nunmehr den Weg für den Einsatz von Tasern bei Ausübung öffentlicher Gewalt ebnen. Der Regierungsentwurf schlägt eine Ergänzung des § 2 Abs. 4 S. 1 UzwG vor, wonach Distanz-Elektroimpulsgeräte (DEIG) ausdrücklich in der genannten Rechtsvorschrift benannt werden sollen. Bisher wurde in der rechtswissenschaftlichen Forschung in Frage gestellt, inwiefern sich DEIG unter die bislang in § 2 Abs. 4 UZwG genannten Waffengruppen fassen lassen. Durch die Ergänzung soll eine rechtssichere Grundlage zur Nutzung von Tasern bereitgestellt werden.

Nunmehr hat der Bundesrat am 27. September 2024 zu den geplanten Änderungen durch den Regierungsentwurf Stellung bezogen (BR-Drs. 423/24[B]). Hierbei fordert der Bundesrat zahlreiche Ausweitungen des bisherigen Entwurfs. Dies gilt insbesondere für die erfassten Personengruppen sowie für die Ausgestaltung einzelner Straftatbestände. Auch Bezirksverordnetenvertreter in Berlin sollen hinreichend durch die Änderungen erfasst werden. Zudem soll der Straftatbestand der Nötigung des Bundespräsidenten oder von Mitgliedern von Verfassungsorganen erweitert werden. Künftig soll es auch strafbar sein, wenn Mitglieder von Verfassungsorganen dazu genötigt werden, teilweise oder ganz ihr Mandat aufzugeben. Der Bundesrat schlägt zudem einen neuen Straftatbestand vor, der das sog. politische Stalking erfassen soll. Dadurch solle eine Einflussnahme durch bedrohliche Übergriffe in das Privatleben von politischen Entscheidungsträgern verhindert werden. Die Bundesregierung soll sich nun mit der Stellungnahme des Bundesrates befassen. Der Gesetzentwurf wird von der Bundesregierung mit ihrer Antwort auf die Stellungnahme des Bundesrates dem Bundestag weitergeleitet.  

Am 27. September 2024 hat die Bundesregierung den Gesetzesentwurf dem Bundestag vorgelegt. Er wurde am 10. Oktober 2024 neben einem weiteren Entwurf der Faktion CDU/CSU in erster Lesung im Bundestag beraten. Der Entwurf der Oppositionsfraktion geht inhaltlich weiter als der vorgelegte Regierungsentwurf und sieht vor: 

  • den Strafrahmen von § 113 Abs. 1 StGB auf 3 Monate bis zu 5 Jahren Freiheitsstrafe und von § 113 Abs. 2 StGB auf bis zu 10 Jahren Freiheitsstrafe anzuheben 
  • in § 113 StGB einen neuen Abs. 3 einzufügen, der die Begehung „mittels eines hinterlistigen Überfalls bzw. bei Verwendung einer Waffe oder eines anderen gefährlichen Werkzeugs oder wenn der Täter den Angegriffenen in die Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung
    bringt“ mit einer Mindeststrafe von 1 Jahr Freiheitsstrafe bestraft
  • den Tatbestand des § 114 StGB auszuweiten, so dass der geschützte Personenkreis auch außerhalb des Dienstes erfasst wird und die Tat auch „in Beziehung auf den Dienst“ begangen werden kann 
  • die Mindeststrafe in § 114 StGB auf 6 Monate Freiheitsstrafe anzuheben
  • über eine Ergänzung in § 115 StGB den Schutzbereich des § 114 auf Ärzte, Zahnärzte, Psychotherapeuten sowie sonstige Angehörige der Gesundheitsberufe zu erweitern
  • in § 145 Abs. 3 StGB einen Qualifikationstatbestand für den Fall zu ergänzen, dass „der Täter sich bei der Tat bewusst ist, dass im örtlichen und zeitlichen Zusammenhang mit der Tat eine real bestehende Gefährdungslage gegeben ist“ und
  • den Strafrahmen des § 323c Abs. 2 StGB auf eine Freiheitsstrafe bis zu 3 Jahren anzuheben. 

Am 14. Oktober 2024 fand im Rechtsausschuss eine öffentliche Anhörung statt. Die Sachverständigenliste bestand zur einer Hälfte aus Vertretern des geschützten Personenkreises und zur anderen Hälfte aus Jurist:innen. Letztere warnten eingehend vor einer Überregulierung. Prof. Dr. Anja Schiemann von der Universität zu Köln erklärte, dass eine Erhöhung des Strafrahmens für den Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte nicht zielführend sei. Dies habe bereits die vergangene Strafschärfung gezeigt, die zu keinem Rückgang der Fallzahlen geführt habe. Zudem sei eine Klarstellung, dass im Rahmen der Strafzumessung die „Eignung der Tat, eine dem Gemeinwohl dienende Tätigkeit nicht nur unerheblich zu beeinträchtigen“ zu berücksichtigen sei, nach aktueller Gesetzeslage nicht erforderlich. Auch Dr. Johannes Schrägle von der Neuen Richtervereinigung kritisierte die geplante Klarstellung. Die Formulierung „dem Gemeinwohl dienende Tätigkeit“ sei zu unbestimmt, so dass Rechtsunsicherheiten entstehen könnten. Rechtsanwältin Dr. Lara Wolf fand noch klarere Worte und erklärte, dass eine solche Berücksichtigung in der Strafzumessung gegen das Doppelbestrafungsverbot verstoße und „klar gesetzeswidrig“ sei. Dr. Rainer Spatscheck vom Deutschen Anwaltverein sprach sich für eine Erweiterung des Personenkreises auf europäische und kommunale Funktionsträger aus, sah aber keinen Grund für die Erweiterung der Tathandlungen, da bereits alle entsprechenden Handlungen mit „Strafe belegt“ seien. Wolf ergänzte, dass es sich bei Taten wie dem hinterlistigen Überfall um „Spontanreaktionen“ handle, denen eben kein planmäßiges Vorgehen zugrunde liege. Daher seien Strafschärfungen in diesem Zusammenhang ohne Wirkung. Richterin am BGH Dr. Angelika Allgayer überzeugte die Aufnahme des hinterlistigen Überfalls in den Straftatbestand. Dies sei gesetzessystematisch und zielgerichtet. Auch die Anhebung des Strafrahmens sei angemessen. Weitere Änderungen lehnte sie jedoch ebenfalls ab. Die Vertreter aus dem medizinischen Bereich berichteten von immer mehr gezielten Angriffen auf Rettungskräfte. René Burfeindt vom Deutschen Roten Kreuz betonte, dass es meist zu Verfahrenseinstellungen komme, da zunächst der Patient im Vordergrund stehe und es hinterher schwierig sei, den Beweis für den Angriff zu erbringen. Andreas Gassen von der Kassenärztlichen Bundesvereinigung erläuterte, dass auch die Gewalt in Arztpraxen immer weiter zunehme und ähnliche Ausmaße angenommen habe, wie die Angriffe auf Rettungskräfte. Auch er beklagte häufige Verfahrenseinstellungen. Der Präsident der Bundesärztekammer Dr. Klaus Reinhardt ergänzte, dass die Drohungen in den häufigsten Fällen von Männern ausgingen und sich besonders gegen Mitarbeiterinnen richteten. Dies erfordere den Einsatz von Sicherheitsdiensten, was zum einen Kosten verursache und zum anderen eigentlich Aufgabe des Staates sei. Dr. Christoph Weltecke vom Deutschen Feuerwehrverband berichtete von einer zunehmenden Respektlosigkeit und Aggression gegenüber Rettungskräften und mahnte, dass die bestehenden Regelungen besser angewendet werden müssten. Sven Tetzlaff von der Körber-Stiftung erläuterte, dass nach einer Umfrage der Stiftung 40 % der ehrenamtlichen Bürgermeister:innen angaben, bereits einmal einen Angriff gegen sich oder eine nahestehende Person erlebt zu haben. Daher begrüßte er besonders die Einbeziehung von Kommunalpolitikern.

Am 22. November 2022 beschäftigte sich der Bundesrat mit einem Gesetzesantrag des Landes Baden-Württemberg (BR-Drs. 456/24) zur Stärkung des Schutzes von Vollstreckungsbeamten und Rettungskräften. Aufgrund eines zahlenmäßig kontinuierlichen Anstiegs von Gewalttaten gegen Polizeibeamt:innen innerhalb der letzten 10 Jahre mit besorgniserregenden Höchstwerten, sei dringend Handlung geboten. In jedem zweiten Fall handele es sich um einen tätlichen Angriff, der wiederum für zwei Drittel aller verletzter Polizeibeamte:innen im Land verantwortlich sei. Das dem tätlichen Angriff innewohnende erhöhte Gefährdungspotential sollte auf Vorschlag Baden-Württemberg stärker sanktioniert werden. Der Gesetzentwurf sah daher vor, die Strafandrohung des tätlichen Angriffs auf Vollstreckungsbeamte gemäß § 114 Abs. 1 StGB auf eine Mindeststrafe von 6 Monaten Freiheitsstrafe anzuheben. Die Strafrahmenobergrenze von 5 Jahren Freiheitsstrafe sollte unangetastet bleiben. Zudem sollte die Mindeststrafe in besonders schweren Fällen (§ 113 Abs. 2 S. 1, ggf. i.V.m. § 114 Abs. 2 StGB) von 6 Monaten Freiheitsstrafe auf ein Jahr Freiheitsstrafe angehoben werden. Der Antrag erhielt jedoch nicht die erforderliche Mehrheit. 

 

 

 

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