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Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs

Gesetzentwürfe: 

 

Eine fraktionsübergreifende Gruppe Abgeordneter hat am 14. November 2024 einen Gesetzentwurf zur Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs auf den Weg gebracht. Auf dem Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG) beruhe eine staatliche Pflicht, das ungeborene Leben ab dem Zeitpunkt der Nidation zu schützen. Dieses Grundrecht sei aber in einen verhältnismäßigen Ausgleich mit dem Grundrecht der Schwangeren zu bringen, auf deren Seite insbesondere das allgemeine Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) betroffen ist. „Dieses Grundrecht gewährleistet umfassend die Selbstbestimmung über die persönliche Lebensgestaltung und umfasst damit auch ‚die Selbstverantwortung der Frau […], sich gegen eine Elternschaft und die daraus folgenden Pflichten zu entscheiden‘ (BVerfGE 39, 1, 43).“ Darüber hinaus werde auch das Leben, die körperliche Unversehrtheit und die Gesundheit Schwangerer (Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG) sowie die Intimsphäre tangiert. Zur Rechtfertigung von Eingriffen in diese Grundrechte bedürfe es gewichtiger Gründe. Nach derzeitiger Rechtslage gebe es jedoch Widersprüche, bspw. indem eine Beratungslösung als gesetzliches Verfahren vorgeschrieben sei, das aber nicht zwangsläufig zur Rechtmäßigkeit des Abbruchs führe. Des Weiteren erschwere die 12-Wochen-Frist den Zugang zum Schwangerschaftsabbruch für diejenigen, die sich er kurz vor Ablauf der Frist für einen Abbruch entscheiden oder aufgrund der prekären Versorgungslage keinen rechtzeitigen Abbruch mehr vornehmen lassen können. Schließlich sei auch noch die finanzielle Seite zu betrachten. Da der Schwangerschaftsabbruch nicht regelhaft in Sozialgesetzgebung und Gesundheitssystem verankert sei, gebe es Zugangsbarrieren in Form von fehlender Kostenübernahmen seitens der Krankenversicherungen und unzureichenden Versorgungsangeboten. Aufgrund dieser ganzen Auswirkungen sei die Selbstbestimmung sowie die persönliche Integrität und die körperliche Autonomie Schwangerer eingeschränkt, was zu körperlichen und seelischen Schäden führen könne. Der fraktionsübergreifende Entwurf sieht daher vor, „Regelungen über den Schwangerschaftsabbruch widerspruchsfrei so in die Gesamtrechtsordnung zu integrieren, dass die grundrechtlichen Positionen in einen verhältnismäßigen Ausgleich gebracht werden. Das erfordert die Akzeptanz eigenverantwortlicher Entscheidungen Schwangerer über die Schwangerschaft jedenfalls in den ersten Wochen der Schwangerschaft.“ Als Orientierungsgrundlage dient hauptsächlich der Bericht der Kommission zur reproduktiven Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin

Der Entwurf sieht u.a. vor: 

  • Möglichkeit des rechtmäßigen Abbruchs bis zur 12. SSW, der Abbruch nach der 12. SSW bleibt rechtswidrig, kann aber bei medizinischer Indikation rechtmäßig sein
  • Umsetzung der staatlichen Schutzpflicht durch Unterstützung, Beratung und Zugang zu sozialen Dienstleistungen
  • Schutz mittels strafrechtlicher und ordnungswidrigkeitsrechtlicher Regelungen im Sachregelungszusammenhang innerhalb des Schwangerschaftskonfliktgesetzes
  • Prävention ungewollter Schwangerschaften durch Aufklärung und Verfügbarkeit von Verhütungsmitteln als Teil der Gesundheitsleistungen für Menschen aller Altersgruppen
  • § 218a Abs. 3 StGB wird im Schwangerschaftskonfliktgesetz neu geregelt 
  • § 218 StGB regelt den Schwangerschaftsabbruch gegen oder ohne den Willen der Schwangeren
  • Nichteinhaltung der Voraussetzungen des rechtmäßigen Schwangerschaftsabbruchs strafbewehrt in § 14 SchKG-neu
  • §§ 218b, 218c, 219b StGB werden in das Schwangerschaftskonfliktgesetz übertragen und – soweit erforderlich – zu Bußgeldtatbeständen

Am 5. Dezember 2024 wurde der Entwurf zusammen mit einem Antrag verschiedener Abgeordneter zur Verbesserung der Versorgungslage von ungewollte Schwangeren (BT-Drs. 20/13776) nach erster Lesung zur weiteren Beratung an die Ausschüsse überwiesen. Am 10. Februar 2025 fand im Rechtsausschuss eine öffentliche Anhörung statt. Eine Liste der Sachverständigen und deren Stellungnahmen finden Sie hier.

Die Expert:innen bewerteten den Gesetzentwurf ganz unterschiedlich. Während sich die Sachverständigen aus dem beratenden oder medizinischen Bereich überwiegend für die Neuregelung aussprachen, übten hauptsächlich die juristischen Expert:innen Kritik. Rena Torenz vom Forschungsverbundprojekt ELSA berichtete von den Ergebnissen der ELSA-Studie, die die vorgeschlagene Neuregelung stützen. Sie trage dazu bei, dass Stigmatisierungserfahrungen für Betroffene reduziert würden. Alicia Baier vom Verein Doctors for Choice Germany stimmte dem zu und betonte, dass der Gesetzentwurf bei Ärtz:innen in Deutschland einen breiten Rückhalt finde. Der Verzicht auf Zugangshürden verbessere die Situation dergestalt, dass „Abbrüche hierdurch nicht häufiger, sondern früher stattfinden“. Zudem könne der Gesetzentwurf dazu beitragen, „dass Schwangerschaftsabbrüche fortan als medizinische Leistung und nicht als Kriminalfall behandelt werden“. Beate von Miquel vom Deutschen Frauenrat betonte, dass mit dem Entwurf der Schwangerschaftsabbruch „verfassungskonform und im Einklang mit dem Grundgesetz und internationalen Menschenrechten entkriminalisiert werden“ könne. Die aktuelle Gesetzeslage schrecke Ärzt:innen ab, den Eingriff zu erlernen und zu praktizieren. Zudem stärke die Abschaffung der dreitägigen Wartefrist die Autonomie und Selbstbestimmung der Frauen und schaffe einen zuverlässigen Zugang zum Abbruch in den ersten zwölf Wochen. Die Jurist:innen unter den Sachverständigen sahen den Gesetzentwurf kritisch. Unter rechtspolitischer Betrachtung sei der Gesetzentwurf verfehlt, urteilte Prof. Dr. Michael Kubiciel von der Universität Augsburg. Eine Verbesserung der Situation für durchführende Ärzt:innen sah er nicht, da sie aktuell bereits unter dem Schutz der Rechtsordnung Abbrüche durchführen könnten. Vielmehr käme es mit der Neuregelung zu einem gesundheits- und frauenpolitischen Fehlanreiz, „da Schwangeren ein sanktionsfreier Weg zu gefährlichen Abbrüchen von Laien außerhalb des regulatorischen Rahmens eröffnet wird“. Auch Prof. Dr. Frauke Rostalski von der Universität zu Köln sprach sich gegen den Entwurf aus. Ein dort behaupteter breiter gesellschaftlicher Wandel sei nicht nachgewiesen und es habe sich weder empirisch noch normativ in Sachen Schwangerschaftsabbruch etwas verändert, was nicht das BVerfG bereits in seiner Entscheidung, wonach ein Schwangerschaftsabbruch grundsätzlich rechtswidrig sei, miteinbezogen habe. Die Frage nach der Verfassungsmäßigkeit der Neuregelung blieb unter den Expert:innen umstritten. Prof. Dr. Frauke Brosius-Gersdorf von der Universität Potsdam erklärte, dass die Entscheidung des BVerfG für eine grundsätzliche Rechtswidrigkeit von Abbrüchen den Gesetzgeber nicht daran hindere, bei einer Neuregelung eine eigene verfassungsrechtliche Bewertung vorzunehmen. Prof. Dr. Karsten Gaede von der Bucerius Law School attestierte dem BVerfG ein Begründungsdefizit. Aus seiner Sicht sei das Verbot des Schwangerschaftsabbruchs in der Frühphase nicht mehr zu legitimieren. Das Gericht unterstelle eine Pflicht zur Austragung und damit eine prinzipiell fremdnützige Erfüllung von Schutzzielen. Prof. Dr. Gregor Thüsing von der Universität Bonn hingegen bewertete die vorgeschlagene Neuregelung als „klar verfassungswidrig“. Mit ihr werde eine „Brandmauer des Lebensschutzes“ eingerissen, so Thüsing. Prof. Dr. Liane Wörner von der Universität Konstanz betrachtete in ihrer Stellungnahme die Ergebnisse und Empfehlungen der Kommission für reproduktive Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin, die mit dem Gesetzentwurf umgesetzt werden könnten. Der Hilfe des Strafrechts bedürfe es zum Schutz der Schwangeren nur vor nicht selbstbestimmten Abbrüchen oder zum Schutz vor der Nötigung zum Abbruch oder dessen Unterlassung. Aus dem beratenden und medizinischen Bereich sprach sich nur Kristijan Aufiero von der Schwangerschaftskonfliktberatung 1000plus-Profemina und Prof. Dr. Matthias David von der Charité gegen den Gesetzentwurf aus. Einen Hinweis auf eine schlechte Versorgungslage sah David nicht, insbesondere sah er keinen Beweis dafür in den Ergebnissen der ELSA-Studie. Diese würden eher „eine gute bis sehr gute Erreichbarkeit und Versorgung“ für Schwangerschaftsabbrüche darlegen. Entgegen der Meinung von Miquels bezeichnete er die Frist zwischen Beratung und Abbruch von zwei bis drei Tagen als „sehr wichtig“. Kristijan Aufiero betonte, dass es statt einer Legalisierung von Abbrüchen einer lebensbejahenden Beratung bedürfe. Dabei gehe es als Fundament einer freiheitlichen Demokratie um die uneingeschränkte Achtung menschlichen Lebens, „ganz egal in welchem Stadium seiner Existenz“.

Im Anschluss an die Anhörung entschied der Rechtsausschuss, keine finale Abstimmung im Parlament vor den Neuwahlen zu ermöglichen. Hierzu wäre eine Sondersitzung notwendig gewesen, für deren Durchführung es keine Mehrheit gab. 

 

 

 

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