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KriPoZ-RR 27/2024

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

Amtlicher Leitsatz:

Sogenannte K.O.-Tropfen stellen weder für sich genommen noch bei Verabreichung in einem Getränk, in das sie vorher mit einer Pipette hinein getropft wurde, ein gefährliches Werkzeug im Sinne von § 177 Abs. 8 Nr. 1 StGB dar.

Sachverhalt:

Der Angeklagte und die Lebensgefährtin der Nebenklägerin kannten sich aus der Swinger-Szene, hatten jedoch spätestens seit 2018 oder 2019 keinen sexuellen Kontakt mehr. Die Nebenklägerin und ihre Lebensgefährtin wollten im August 2022 ein Konzert in der Nähe des Wohnortes des Angeklagten besuchen; sie übernachteten an dem Vorabend bei dem Angeklagten, ohne das jedoch der Austausch sexueller Handlungen geplant war.

Im Verlaufe des Abends entschloss sich der Angeklagte dazu, heimlich mittels einer Pipette einige Tropfen Gamma-Butyrolacton (GBL) – sog. K.O.-Tropfen – in die alkoholischen Getränke der Nebenklägerin und ihrer Lebensgefährtin zu geben. Der Plan des Angeklagten war es hierbei, die beiden Personen sexuell zu enthemmen und so dazu zu bringen, sexuelle Handlungen zu vollziehen. Er nahm es billigend in Kauf, dass die Frauen ggf. auch aufgrund der Wirkung des GBL in den Zustand der Bewusstlosigkeit gelangen könnten. Dem Angeklagten war bekannt, dass GBL auch erhebliche die Gesundheit schädigen können. Im Folgenden begannen die Frauen, wechselseitig sexuelle Handlungen aneinander zu vollziehen, bevor der Angeklagte sich beteiligte und anfing, die Nebenklägerin zu küssen und diese in besonders intimen Regionen (Brustbereich, Genitalbereich) zu berühren.

Nachdem die sexuellen Handlungen vollzogen wurden, war die Nebenklägerin zunächst nicht mehr auffindbar; sie wurde jedoch später schlafend und nicht ansprechbar im Garten des Wohnungsgrundes gefunden. Hierbei bestand die Gefahr des Erstickens durch Bewusstlosigkeit.

Das LG hat den Angeklagten wegen besonders schweren sexuellen Übergriffs in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und wegen gefährlicher Körperverletzung unter Einbeziehung einer Geldstrafe aus einer rechtskräftigen Vorverurteilung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und fünf Monaten verurteilt.

Entscheidung des BGH:

Die von dem Angeklagten erhobene Revision, die auf die Verletzung materiellen Rechts gerichtet war, hat teilweise Erfolg. Die Verfahrensrüge wurde bereits als unzulässig abgewiesen.

Während der BGH anerkannte, dass die Strafkammer zu Recht von einer Verwirklichung des § 177 Abs. 1 u. 2 Nr. 1 StGB durch das relevante Tatverhalten ausging, so bemängelte der Senat die Wertung, dass bei der Verabreichung von GBL mittels einer Pipette der Qualifikationstatbestand des § 177 Abs. 8 Nr. 1 Alt. 2 StGB (Verwenden eines gefährlichen Werkzeuges) in Betracht komme.

GBL-Tropfen seien kein gefährliches Werkzeug; eine gegenteilige Auslegung überschreite die Grenzen des Wortlautes der Norm. Hierfür spreche der natürliche Sprachgebrauch des Begriffes „Werkzeug“. Als Werkzeug seien allein Gegenstände anerkannt. Flüssigkeiten, wie im hiesigen Fall die GBL-Tropfen, seien jedoch ein Gas und stellen deswegen gerade keinen Gegenstand dar.

Diese Wertung werde auch durch eine systematische Auslegung gestützt. Insbesondere in Bezug auf die Auslegung des Begriffes des gefährlichen Werkzeuges in anderen Vorschriften, wie z.B. § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB, wurde bereits vom BGH entschieden, dass sedierende oder narkotisierende Stoffe gerade keine gefährlichen Werkzeuge darstellen würden. Für den 5. Strafsenat sei nicht ersichtlich, wieso im Rahmen des § 177 Abs. 8 Nr. 1 Alt. 2 StGB eine andere Auslegung des Begriffes „gefährliches Werkzeug“ vorgenommen werden sollte.

Der BGH führt zudem aus, dass sich eine andere Bewertung auch nicht ergebe, soweit auf die Verabreichung der GBL-Tropfen mittels einer Pipette abgestellt werde. Hierzu müsste die Pipette ein gefährliches Werkzeug darstellen. Ein Gegenstand ist „danach gefährlich, wenn er nach Art seiner konkreten Anwendung im Einzelfall geeignet ist, unmittelbar eine erhebliche Verletzung herbeizuführen“. Die Pipette sei jedoch selbst allein als Dosierungshilfe gedacht und sei demnach kein Instrument, das unmittelbar gesundheitsschädigend genutzt werden kann. Eine potenzielle Gefährlichkeit sei einer Pipette nicht originär inhärent. Diese Schlussfolgerung stehe nicht im Widerspruch zu der bisherigen Rechtsprechungslinie zur Einordnung von ätzender Säure als gefährliches Werkzeug iSd § 224 I Nr. 1 StGB. Ätzende Säure sei gerade unmittelbar von außen dazu geeignet, eine erhebliche Verletzung der körperlichen Integrität herbeizuführen – dies sei jedoch mittels K.O.-Tropfen unmöglich.

Dieses Ergebnis wird auch durch die Systematik des § 224 Abs. 1 StGB gestützt, wonach § 224 Abs. 1 Nr. 1 StGB die Beibringung von gefährlichen bzw. gesundheitsschädlichen Stoffen und allein § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB die Verwendung gefährlicher Werkzeuge regelt. Hierbei stellt der 5. Strafsenat klar, dass die beiden Begehungsvarianten in keinem Spezialitätsverhältnis stehen. Demnach sei ein gesundheitsschädlicher Stoff nicht stets als gefährliches Werkzeug einzustufen. Insbesondere die Gesetzgebungsgeschichte des § 224 StGB und die Abschaffung des § 229 StGB a.F. durch das 6. StrRG sprächen dafür, dass die Variante des § 224 Abs. 1 Nr. 1 StGB nicht als Auffangtatbestand gedacht war. Diese Folgerungen bzw. Wertungen sind pars pro toto auf § 177 Abs. 8 Nr. 1 StGB anwendbar.

Jedoch sieht der Senat sich nicht imstande, den Schuldspruch zu ändern. Denn, während § 177 Abs. 8 Nr. 1 StGB im hiesigen Fall nicht einschlägig sei, sprächen die tatgerichtlichen Feststellungen dafür, dass hier der Tatbestand des § 177 Abs. 8 Nr. 2b StGB verwirklicht sein könnte. Das LG ging zwar nur von einer rein abstrakten Lebensgefahr aus, jedoch sei es nicht ausgeschlossen, dass das Verhalten eine konkrete Lebensgefahr begründe. Dem Austausch des Qualifikationsmerkmals stehe das Verböserungsverbot nicht entgegen.

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