Abstract
Es ist keine zehn Jahre her, dass durch das 52. StÄG 2017 die Widerstandsdelikte durch Modifizierungen und eine Neustrukturierung eine wesentliche Änderung erfahren haben. Insbesondere hat dies zu einer Ausweitung der Strafbarkeit und Strafschärfung geführt. Schon dies war seinerzeit stark kritisiert worden. Im Gesetzentwurf der früheren Bundesregierung waren weitere Anhebungen der Strafrahmen und eine Ausweitung der Strafbarkeit geplant. Daneben sollten flankierend die Strafzumessungsvorschrift des § 46 Abs. 2 S. 2 StGB ergänzt und weitere Vorschriften modifiziert werden. Auch wenn der Regierungsentwurf aufgrund der Diskontinuität erst einmal vom Tisch ist, so steht doch zu befürchten, dass er auch in der neuen Legislaturperiode wieder eingebracht wird. Dies vor allem deswegen, weil der politische Wille offensichtlich in Richtung weiterer Verschärfung geht, denn auch die Fraktion der CDU/CSU sowie das Land Baden-Württemberg hatten entsprechende Gesetzentwürfe vorgelegt. Insofern lohnt auch weiterhin ein kritischer Blick auf die Vorschläge, verbunden mit der Hoffnung, dass eine Verschärfung der Widerstandsdelikte unterbleibt und eher darüber nachgedacht werden sollte, eine moderate Reform in die andere Richtung vorzunehmen.
Less than ten years ago the 52nd Criminal Code Amendment Act of 2017 (StÄG) significantly modified and restructured the offenses of resisting arrest. In particular, these changes led to an expansion of criminal liability and to the possibility of heavier penalties. These steps were already heavily criticized at the time. The previous federal government’s draft bill planned to further increase the possible penalties and extend criminal liability. Furthermore, it was envisioned that the general sentencing provision in Section 46 Para. 2 Sent. 2 StGB was to be supplemented and other provisions to be modified. Even if the government draft has been shelved for the time being due to governmental discontinuity, it is to be feared that it will be reintroduced in the new legislative period. This is mainly due to the current political will that is obviously moving in the direction of further expansive changes, as the CDU/CSU parliamentary group and the state of Baden-Wuerttemberg had also submitted corresponding draft bills. In this respect, it is still worth taking a critical look at the proposals, combined with the hope that there will be no tightening of the offenses of resisting arrest and that consideration should be given to a moderate reform in the other direction.
I. Gesetzgebungsgeschichte
Die Gesetzgebungsgeschichte zum Regierungsentwurf zur Stärkung des Schutzes von Vollstreckungsbeamten und Rettungskräften sowie dem Gemeinwohl dienenden Tätigkeiten ist kurz. Erst am 5.7.2024 stellte das BMJ einen Referentenentwurf zur Stärkung des Schutzes von Vollstreckungsbeamten und Rettungskräften sowie sonstigen dem Gemeinwohl dienenden Tätigkeiten vor.[1] Insbesondere sah dieser neben einer Ergänzung des § 46 Abs. 2 S. 2 StGB vor, ein weiteres Regelbeispiel einzufügen sowie das Gesetz über den unmittelbaren Zwang bei Ausübung öffentlicher Gewalt durch Vollzugsbeamte des Bundes zu ergänzen. Die Stellungnahme des Bundesrats am 27.9.2024 sah dann zahlreiche weitere Ausweitungen des Entwurfs der damaligen Bundesregierung vor.[2] Bereits am 19.9.2024 brachte das Land Baden-Württemberg einen weiteren Gesetzesantrag in den Bundesrat ein.[3] Nach einer Empfehlung des federführenden Rechtsausschusses im November 2024 sollte der Antrag jedoch nicht in den Bundestag eingebracht werden.[4]
Zuvor wurde jedoch bereits im September 2024 der Regierungsentwurf[5] zusammen mit einem Entwurf der Fraktion CDU/CSU[6] in erster Lesung im Bundestag beraten, wobei der Entwurf der damaligen Oppositionsfraktion inhaltlich deutlich weiter ging. So sah er bspw. bereits eine Strafrahmenerhöhung bei § 113 Abs. 1 StGB vor.
Die im Rechtsausschuss am 14.10.2024 stattgefundene öffentliche Anhörung der Sachverständigen zeigte ein unterschiedliches Bild, wobei die Mehrzahl der juristischen Sachverständigen Kritik an der geplanten Gesetzesnovellierung übten.[7]
II. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung
1. Ergänzung der Strafzumessungsvorschrift
Der Regierungsentwurf sah vor, dass bei den Strafzumessungsgründen § 46 Abs. 2 S. 2 StGB um den Passus „auch die Eignung der Tat, eine dem Gemeinwohl dienende Tätigkeit nicht nur unerheblich zu beeinträchtigen“ ergänzt wird. Schon in der Gesetzesbegründung wird darauf hingewiesen, dass die Ergänzung nur der Klarstellung und Bekräftigung der geltenden Rechtslage dient. Denn bereits nach geltender Rechtslage könnten die Auswirkungen der Tat als Strafzumessungsgesichtspunkt zu Lasten des Täters berücksichtigt werden, wie der Fall von Henriette Reker zeige.[8] Das OLG Düsseldorf hatte 2016 nach dem Attentat auf die Oberbürgermeisterin Kölns strafschärfend berücksichtigt, dass der Täter „über die Tötung … hinaus eine Einschüchterung politischer Entscheidungsträger erreichen wollte, um die Ausländerpolitik zu beeinflussen“.[9] Dieses in der Gesetzesbegründung aufgeführte Fallbeispiel zeigt, dass die Gerichte auch ohne explizite Ergänzung des § 46 Abs. 2 S. 2 StGB durchaus in der Lage sind, diese Gründe im Rahmen der Strafzumessung zu berücksichtigen. Es geht dem Gesetzgeber hier um ein „klares Zeichen“ gegen die Entwicklungen in Bezug auf gemeinwohlschädliche und demokratiefeindliche Straftaten und eine Sensibilisierung der Gerichte und Ermittlungsbehörden.[10] Warum es dieser Sensibilisierung trotz entsprechender Berücksichtigung dieses Gesichtspunkts in der Rechtsprechung bedarf, bleibt unklar.
Hinzu kommt, dass die inflationäre Ergänzung des § 46 StGB seitens des Gesetzgebers in den letzten Jahren ohnehin Kritik erfahren hat. So sind durch das Gesetz vom 12.6.2015 Beweggründe durch die Formulierung „insbesondere auch rassistische, fremdenfeindliche oder sonstige menschenverachtende“ konkretisiert worden. Durch das Gesetz vom 30.3.2021 wurden mit Wirkung vom 1.7.2023 die Beweggründe um „antisemitische“ ergänzt und mit Wirkung ab dem 1.10.2023 kamen „gegen die sexuelle Orientierung“ gerichtete Motive hinzu. Die Aufzählung einer Auswahl von Motiven als „besonders“ menschenverachtend widerspricht „evident der Systematik“ des § 46 Abs. 2 StGB[11] und stellt einen „dogmatischen und strukturellen Bruch im Rahmen des § 46 StGB“ dar.[12] Denn sämtliche Ausprägungen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit wird man in einem abschließenden Katalog nicht festhalten können. Durch eine Auswahl droht nicht nur die Zurücksetzung und Diskriminierung nicht erwähnter Gruppen,[13] sondern auch die Gefahr, durch die zunehmende Nennung immer weitergehender Einzelfälle den beispielhaften Charakter aufzuheben. Dann aber kann es zu einer Fokussierung der Gerichte auf die benannten Motive führen und nicht aufgeführte Beweggründe könnten unberücksichtigt bleiben. Daher plädiert auch der Deutsche Richterbund dafür, dass die Strafzumessungsvorschrift „ihren beispielhaften Charakter durch die zunehmende Nennung immer weitergehender Einzelfälle nicht verliert“.[14]
Kritisiert werden muss darüber hinaus, dass hier vorschnell Ergänzungen des § 46 Abs. 2 StGB Eingang in den Gesetzentwurf erhalten haben, obwohl zum Zeitpunkt des Regierungsentwurfs noch eine vom Bundesministerium der Justiz in Auftrag gegebene Studie zur Evaluierung der in der Vorschrift benannten Strafzumessungsumstände zur Überprüfung und Erleichterung ihrer Anwendung in der Praxis lief (15.11.2022 – 15.11.2024).[15] Insofern hätten zunächst die Ergebnisse dieser Studie abgewartet werden müssen.[16] Es bleibt zu hoffen, dass vor neuerlichen Überlegungen der Ergänzung des § 46 Abs. 2 S. 2 StGB in der 21. Legislaturperiode, die Ergebnisse der Studie im Sinne einer evidenzbasierten Kriminalpolitik auch Beachtung finden.
Neben diesen grundsätzlichen Bedenken an einer Erweiterung der Motive und Beweggründe im Rahmen der Strafzumessung, weist die BRAK auf den begrenzten Anwendungsbereich der Vorschrift hin. Denn § 46 Abs. 3 StGB lege fest, dass eine Berücksichtigung von Umständen, die schon Merkmale eines Tatbestands sind, bei der Strafzumessung unzulässig ist. Da den §§ 113 ff. StGB ein Gemeinwohlbezug der geschützten Tätigkeit immanent sei, dürfte dieser jedenfalls bei diesen Tatbeständen im Rahmen der Strafzumessung keine Berücksichtigung mehr finden.[17] So sah es auch der BGH als rechtlich bedenklich an, den Angriff gegen einen „Repräsentanten des Staates“ strafschärfend zu berücksichtigen.[18]
Schließlich kann auch mit Blick auf das Bestimmtheitsgebot aus Art. 103 Abs. 2 GG Kritik an der Ergänzung des § 46 Abs. 2 StGB geübt werden. So ist das Merkmal des Gemeinwohls nicht gesetzlich normiert und die Grenzen zwischen darunter erfassten und nicht erfassten Tätigkeiten dürften fließend sein. Daneben ist auch der Begriff der „Eignung“ unbestimmt.[19] Durch die „Eignung der Tat, eine dem Gemeinwohl dienende Tätigkeit nicht nur unerheblich zu beeinträchtigen“,[20] wird eine potenzielle Gefährlichkeit überbetont. Da die Strafzumessung für sämtliche Delikte gilt, werden auch Erfolgsdelikte in gewisser Weise potenzielle Gefährdungsdelikte, wobei die Gefährdung bei den allermeisten betroffenen Tatbeständen ein außertatbestandliches Rechtsgut betrifft.[21]
Insgesamt ist daher von einer entsprechenden Ergänzung dringend abzuraten. Auch andere Ergänzungen des § 46 Abs. 2 StGB sollten zukünftig unterbleiben, um die Strafzumessungsgründe nicht zu sehr festzulegen.
2. Einfügung des Regelbeispiels der Begehung der Tat mittels eines hinterlistigen Angriffs in § 113 Abs. 2 StGB
Der Regierungsentwurf sah darüber hinaus vor, ein weiteres Regelbeispiel zu benennen und in den Katalog des § 113 Abs. 2 StGB aufzunehmen. Bezogen wird sich in der Gesetzesbegründung darauf, dass in jüngerer Vergangenheit hinterlistige Überfälle auf den nach den §§ 113 ff. StGB geschützten Personenkreis als besonders gefährliche Form von Angriffen in das Bewusstsein der Öffentlichkeit gerückt sind. Auch hier wird aber gesehen, dass solche Angriffe auch nach geltendem Recht insbesondere den Straftatbestand des tätlichen Angriffs erfüllen können und hier sogar ein besonders schwerer Fall in Betracht kommen kann. Daneben könnten Straftatbestände des (besonders schweren) Landfriedensbruchs nach §§ 125, 125a StGB sowie Körperverletzungs- oder Tötungsdelikte in Betracht kommen.[22] Man fragt sich also auch hier, warum bei einem so facettenreichen Instrumentarium strafrechtlicher Tatbestände eine Normierung des hinterlistigen Angriffs als Regelbeispiel des § 113 Abs. 2 StGB überhaupt notwendig ist.
Belehrt wird man hierüber auf der nächsten Seite der Gesetzesbegründung, denn es gehe darum, den strafrechtlichen Schutz von Einsatzkräften noch angemessener zu gewährleisten und den spezifischen Unrechtsgehalt solcher Taten noch deutlicher zum Ausdruck zu bringen.[23] Da aber eine Strafbarkeitslücke nicht besteht,[24] handelt es sich hier um reine Symbolpolitik.
Daneben ist die Verortung des hinterlistigen „Angriffs“ in § 113 Abs. 2 StGB äußerst fragwürdig.[25] Denn wird ein Angriff verlangt, so reicht eine klassische Widerstandshandlung nach § 113 Abs. 1 StGB gerade nicht aus, so dass diese neue Variante nur dann einschlägig sein wird, wenn § 114 StGB verwirklicht ist. Warum sie dann als besonders schwerer Fall im Rahmen des § 113 StGB ausgestaltet ist, erschließt sich nicht und die Vorschrift ist falsch verortet.[26] Letztlich droht im Fall des neuen Regelbeispiels auch die – den Schutz von Einsatzkräften geradezu konterkarierende – Festsetzung einer deutlich geringeren Strafdrohung als bei dem i.d.R. ebenfalls verwirklichten § 224 Abs. 1 Nr. 3 StGB. Denn während die Höchststrafe nach § 224 Abs. 1 StGB bei 10 Jahren liegt, kann nach den Regelbeispielen des § 113 Abs. 2 StGB nur bis zu 5 Jahren Freiheitstrafe verhängt werden.
3. Stärkung des strafrechtlichen Schutzes von Amts- und Mandatsträgern auf europäischer und kommunaler Ebene
Eine im Referentenentwurf noch nicht enthaltene Änderung betraf eine Erweiterung des Anwendungsbereichs der §§ 105, 106 StGB. Diese wenig bekannten Tatbestände stellen die Nötigung von Verfassungsorganen des Bundes oder Landes oder die Nötigung des Bundespräsidenten sowie von Mitgliedern eines Verfassungsorgans des Bundes oder Landes unter Strafe. Diese sollten nun durch eine entsprechende Erweiterung des Anwendungsbereichs auf europäische und kommunale Ebene übertragen werden.[27] Dadurch sollte künftig auch das Europäische Parlament, die Europäische Kommission, der EuGH sowie die Volksvertretungen der kommunalen Gebietskörperschaften und deren Mitglieder vor Nötigung geschützt werden,[28] um deren Bedeutung für das verfassungsgemäße Funktionieren des staatlichen Lebens Rechnung zu tragen.[29] Auch wenn die praktische Bedeutung äußerst gering ist, so ist es doch nur konsequent, die Straftatbestände zur Nötigung von Verfassungsorganen auf Europäische Amts- und Mandatsträger sowie solche auf kommunaler Ebene auszuweiten. Der Schutz der Funktionsfähigkeit und -freiheit[30] sollte auch diese umfassen.
Nach der Stellungnahme des Bundesrats sollten dann nicht nur die im Regierungsentwurf geplanten Ergänzungen der §§ 105, 106 StGB greifen, sondern auch ein neuer § 106a StGB in das Gesetz eingefügt werden. Hier ging es um eine Strafbarkeit der Beeinflussung von Amts- und Mandatsträgern.[31] Dieser neue Straftatbestand sei notwendig, da sich die für das Gemeinwohl engagierten Personen Übergriffen gerade auch in ihrem privaten Bereich ausgesetzt sehen, die bisher vom Strafrecht nicht erfasst seien.[32] Die vorgeschlagene Vorschrift beinhaltet eine Vielzahl unbestimmter Rechtsbegriffe, denn was ist unter „Lebensgestaltung“ und deren Beeinträchtigung, was unter „räumliche(r) Nähe“ zu verstehen? Zudem wird eine unbenannte Verhaltensweise in Nr. 6 erfasst, nach der unter Strafe gestellt wird, soweit jemand „eine andere zu Nummer 1 bis 5 vergleichbare und ebenso schwerwiegende Handlung vornimmt“, die in dieser Form mit dem Bestimmtheitsgrundsatz nicht vereinbar sein kann.[33]
Zu bedenken ist darüber hinaus, dass Beeinträchtigungen der Rechtsgüter Einzelner, wenn auch nicht bereichsspezifisch nur für Amts- und Mandatsträger, so aber doch in diversen Tatbeständen, wie bspw. §§ 130, 185 ff., 238, 240, 241 StGB unter Strafe gestellt sind.[34] Das ist ausreichend und ein immer ausdifferenzierterer – zusätzlicher – Schutz einzelner Berufsgruppen nicht angezeigt.
4. Aufnahme sog. Taser in das Gesetz über den unmittelbaren Zwang bei der Ausübung öffentlicher Gewalt durch Vollzugsbeamte des Bundes
Der Regierungsentwurf wollte daneben noch eine Ergänzung des § 2 Abs. 4 S. 1 UZwG platzieren. Bislang ist strittig, ob Distanz-Elektroimpulsgeräte (sog. Taser), als Schusswaffe erfasst sind und somit bei Anwendung unmittelbaren Zwangs bei der Ausübung öffentlicher Gewalt durch Vollzugsbeamte des Bundes eingesetzt werden können. Insoweit würde bei ausdrücklicher Aufnahme der Distanz-Elektroimpulsgeräte eine derzeit bestehende Rechtsunsicherheit ausgeräumt. Denn bislang fehlt eine ausdrückliche Aufführung dieser Geräte sowohl in § 2 Abs. 3 als auch Abs. 4 UZwG. Allerdings hat das BMI die Distanz-Elektroimpulsgeräte für die bundespolizeiliche Praxis kraft Verwaltungsvorschrift zugelassen.[35] Geklärt ist aber dadurch nicht die rechtliche Qualität des Tasers, d.h. ob dieser als Hilfsmittel oder Waffe einzuordnen ist. Wird dieser als Waffe i.S. des § 2 Abs. 4 UZwG eingeordnet, so wird darauf hingewiesen, dass aufgrund des generell bestehenden Gesetzesvorbehalt solche Neuentwicklungen wie der Taser nur nach ausdrücklicher gesetzlicher Genehmigung als Waffe im Geltungsbereich des UZwG eingesetzt werden dürfen, d.h. eine Rechtsgrundlage erforderlich ist.[36]
Positiv zu bewerten ist, dass der Taser nicht lediglich als Hilfsmittel eingeordnet werden soll, sondern als Waffe. Dies trägt der erhöhten Gefährlichkeit dieses Einsatzinstruments Rechnung. Denn insbesondere für Herzkranke oder anderweitig vorerkrankte Personen kann der Einsatz zu gesundheitlichen Schäden bis hin zum Tod führen.[37]
III. Sonstige Gesetzesanträge und Gesetzentwürfe
Neben dem Gesetzentwurf der damaligen Bundesregierung wurden zwei weitere Vorschläge eingebracht. Insofern ist es nicht unwahrscheinlich, dass auch in der neuen Legislaturperiode wieder ein Gesetzentwurf zum Schutz von Vollstreckungskräften und Hilfeleistenden zur Abstimmung kommt.
1. Inhalt des Gesetzesantrags des Landes Baden-Württemberg
Schon in der letzten Legislaturperiode nicht weiter beraten wurde der Gesetzesantrag des Landes Baden-Württemberg. Dieser sah vor, die Mindeststrafe in § 114 StGB von drei Monaten auf sechs Monate Freiheitsstrafe anzuheben, jedoch die Strafrahmenobergrenze von bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe unberührt zu lassen. Zudem sollte die Mindeststrafe in besonders schweren Fällen des Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte oder des tätlichen Angriffs auf Vollstreckungsbeamte von sechs Monaten Freiheitsstrafe auf ein Jahr Freiheitsstrafe angehoben werden. Die Strafrahmenobergrenze von bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe sollte wiederum unberührt bleiben.[38]
2. Inhalt des Gesetzentwurfs der Fraktion der CDU/CSU
Der Gesetzentwurf der Fraktion der CDU/CSU ging über den Gesetzesantrag des Landes Baden-Württemberg noch weit hinaus. So sollte schon nach § 113 Abs. 1 StGB eine Geldstrafe nicht mehr möglich sein, sondern eine Strafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren drohen. Bei den Regelbeispielen sollte die Höchststrafe sogar von fünf auf zehn Jahre festgesetzt und das Regelbeispiel, dass durch eine Gewalttätigkeit der Angegriffene in die Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung gebracht wird, in einen neuen Abs. 3 überführt werden. Nach diesem wäre auf Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr zu erkennen, wenn eben dieses Regelbeispiel – dann als Qualifikation – erfüllt ist oder der Täter oder ein anderer Beteiligter bei der Tat eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug verwendet oder die Tat mittels eines hinterlistigen Überfalls begeht.[39]
Der Gesetzentwurf der Fraktion CDU/CSU sah zudem eine Modifizierung in § 114 StGB vor, indem die Mindeststrafe von drei auf sechs Monate erhöht werden sollte. Daneben sollte „bei einer Dienstausübung“ gestrichen und durch „in Beziehung auf seinen Dienst“ ersetzt werden. Außerdem sollte § 115 StGB dahingehend ergänzt werden, dass sich ebenfalls nach § 114 StGB strafbar macht, wer Ärztinnen und Ärzte, Zahnärztinnen und Zahnärzte, Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten sowie sonstige Angehörige der Gesundheitsberufe bei Ausübung ihres Berufs angreift.[40]
Auch in § 145 StGB (Missbrauch von Notrufen und Beeinträchtigung von Unfallverhütungs- und Nothilfemitteln) sollte ein Abs. 3 eingefügt werden, nach dem ein höherer Strafrahmen droht, sofern die Tat bei Unglücksfällen oder gemeiner Gefahr oder Not begangen wird. Höher bestraft werden sollte auch die Behinderung von hilfeleistenden Personen gem. § 323c Abs. 2 StGB.[41]
3. Bewertung
Die beiden Vorschläge sollen der „besonderen Schutzwürdigkeit“[42] bzw. dem „besonderen Schutzbedarf“[43] dieser Personengruppe Rechnung tragen. Das Ziel, durch eine höhere Strafdrohung die Fallzahlen zu reduzieren, wurde schon durch die letzten Reformen verfehlt. Da im Rahmen der Widerstandsdelikte häufig alkoholisierte oder psychisch kranke Täter agieren, ist es sehr unwahrscheinlich, dass von einer Straferhöhung eine abschreckende Wirkung ausgeht.[44]
Hinzu kommt, dass es durch eine weitere Straferhöhung (noch) schwieriger wird, Fällen im Bagatellbereich angemessen Rechnung zu tragen. Dies gilt insbesondere auch für die geplante Anhebung der Mindestfreiheitsstrafe. Neben der Anhebung der Strafen schießt die von der Fraktion der CDU/CSU zusätzlich vorgeschlagene Qualifikation der Widerstandstaten unter Anhebung zu einem Verbrechenstatbestand deutlich über das Ziel hinaus. Die hervorgehobene Ermöglichung eines ausreichenden Spielraums für die Gerichte[45] wird dadurch nicht erreicht, da schon jetzt die Strafrahmen nicht annähernd ausgeschöpft werden. Eine angemessene Lösung für niederschwellige Deliktsverwirklichungen wird kaum mehr möglich sein.
Was die Aufnahme der Berufsgruppe der Ärztinnen und Ärzte, Zahnärztinnen und Zahnärzte, Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten sowie sonstige Angehörige der Gesundheitsberufe in den Schutzbereich betrifft, so beruft sich der Gesetzentwurf auf die zunehmende Gewalt in Praxen.[46] Auch hier ist die Frage, ob sich durch eine Ergänzung des § 115 StGB die Fallzahlen reduzieren lassen. Hinzu kommt, dass eine Ausdehnung auf immer mehr Berufszweige dem Ausnahmecharakter der Vorschrift zuwiderläuft. Wen kann man noch aufnehmen? Lehrer und Lehrerinnen werden bspw. auch vermehrt verbal und körperlich angegriffen. Es muss betont werden, dass Angehörige jeder Berufsgruppe schon durch die klassischen Körperverletzungs- und Beleidigungsdelikte sowie den Straftatbestand der Nötigung ausreichend geschützt sind. Eine weitere Ausdehnung des geschützten Personenkreises im Rahmen der Widerstandsdelikte ist daher überflüssig.
Abzulehnen ist auch die Aufgabe eines unmittelbaren Bezugs zur Diensthandlung durch Ersetzen des Passus „während der Dienstausübung“ durch „in Beziehung auf den Dienst“ im Rahmen des § 114 StGB. Es soll nach dem alten Gesetzentwurf der Fraktion CDU/CSU ausreichen, dass der tätliche Angriff in einem sachlich-innerer Zusammenhang zu dem Dienst als solchem steht. Hierdurch sollen ausdrücklich auch Angriffe im Privatbereich erfasst werden, sofern der Angriff durch den Dienst motiviert ist.[47] Die Anforderungen im Bereich des tätlichen Angriffs sind ohnehin schon heruntergeschraubt, weil kein Angriff im Zusammenhang mit einer Vollstreckungshandlung, sondern nur mit einer „schlichte(n) Ausübung des Dienstes“ gefordert ist.[48] Jetzt gar keinen Bezug zum Dienst zu fordern, sondern dies auf die private Lebensgestaltung des Opfers auszudehnen, ist abzulehnen, da die Widerstandsdelikte konzipiert worden sind, um gerade der besonderen Lage im Zusammenhang mit polizeilichen Handlungen Rechnung zu tragen.
Dagegen sind die Überlegungen im Zusammenhang mit dem Missbrauch von Notrufen und die Beeinträchtigung von Unfallverhütungs- und Nothilfemitteln gem. § 145 StGB nachzuvollziehen. Für die besonders gemeinschädlichen Fällen, in denen eine solche Tat nach § 145 Abs. 1 oder Abs. 2 StGB bei Unglücksfällen oder gemeiner Gefahr oder Not begangen wird und insofern ein unmittelbarer örtlicher und zeitlicher Zusammenhang mit einer tatsächlichen Gefährdungslage besteht, soll mit einer erhöhten Strafdrohung reagiert werden.[49] Ob eine solche Qualifikation tatsächlich den erwünschten generalpräventiven Effekt haben würde, bliebe natürlich abzuwarten. Jedenfalls würde einer solche Qualifikation eine gewisse Symbolwirkung zukommen. Dagegen käme der reinen Erhöhung der Höchststrafe auf bis zu drei Jahren im Rahmen des § 323 Abs. 2 StGB keine solche Symbolwirkung zu, geht es doch darum, die Behinderung einer hilfeleistenden Person generell unter Strafe zu stellen, was durch das 52. Strafrechtsänderungsgesetz mit Wirkung vom 30.5.2017 schon sichergestellt worden ist.
IV. Fazit
Es bleibt zu hoffen, dass die neue Bundesregierung darauf verzichtet, erneut ein Gesetzesvorhaben zu initiieren, dass ersichtlich nur von dem Wunsch getragen ist, Strafrahmen der Widerstandsdelikte zu erhöhen. Dadurch werden Vollstreckungsbeamte, Rettungskräfte und weitere gleichgestellte Personengruppen nicht – wie immer wieder behauptet – geschützt. Der Schutz von Vollstreckungsbeamten war bereits das Ziel der Reform aus dem Jahr 2017. Die PKS-Zahlen zeigen aber, dass die Straftaten nach §§ 113 ff. StGB danach weiter angestiegen sind. Ob dies an einem veränderten Anzeigeverhalten liegt oder daran, dass die Fallzahlen tatsächlich steigen, kann dabei dahinstehen, da jedenfalls kein Rückgang zu verzeichnen ist. Dann aber hatten schon die damaligen Strafschärfungen nicht den gewünschten Effekt.
Viel eher sollte man über die Einführung eines minder schweren Falls in § 114 StGB nachdenken, um niederschwellige Handlungen hier nicht mit einer Freiheitsstrafe ahnden zu müssen. Da der BGH es abgelehnt hat, den Tatbestand – wie von der Literatur gefordert[50] – durch eine Erheblichkeitsgrenze restriktiv auszulegen,[51] ist eine solche Korrektur dringend geboten.
Ein angemessener Schutz von Vollstreckungsbeamten und ihnen gleichgestellten Personen ist nicht durch Strafschärfungen zu erreichen, sondern es ist bei den tatsächlichen Gegebenheiten anzusetzen. So ist die Ausstattung der Polizei zu verbessern und das Fortbildungsangebot zu erhöhen.[52] Die Forschung zeigt, dass bspw. Deeskalationsschulungen helfen könnten, entsprechende Straftaten zu verhindern,[53] da gerade der Kommunikation im Vorfeld der Widerstandsdelikte entscheidende Bedeutung zukommt.
[1] Referentenentwurf des BMJ, abrufbar unter: https://kripoz.de/wp-content/uploads/2024/07/RefE_Schutz_Vollsteckungsbeamte_Rettungskraefte.pdf (zuletzt abgerufen am 16.2.2025).
[2] BR-Drs. 423/24. Insbesondere ging es um die Einfügung eines § 106a StGB.
[3] BR-Drs. 456/1/24.
[4] BR-Drs. 456/1/24.
[5] BT-Drs. 20/12950.
[6] BT-Drs. 20/13217.
[7] Die Stellungnahmen der Sachverständigen finden sich unter: https://kripoz.de/2024/09/05/staerkung-des-schutzes-von-vollstreckungsbeamten-und-rettungskraeften-sowie-sonstigen-dem-gemeinwohl-dienenden-taetigkeiten-2/ (zuletzt abgerufen am 16.2.2025).
[8] BT-Drs. 20/12950, S. 11.
[9] OLG Düsseldorf, Urt. v. 1.7.2016 – 6 StS 1/16, juris Rn. 233.
[10] BT-Drs. 20/12950, S. 11.
[11] So Fischer, StGB, 72. Aufl. (2025), § 46 Rn. 26c.
[12] BRAK, Stellungnahme Nr. 55 v. August 2024, S. 5; abrufbar unter: https://kripoz.de/wp-content/uploads/2024/09/BRAK.pdf (zuletzt abgerufen am 22.2.2025).
[13] Hierzu Engländer, NStZ 2021, 385 (386).
[14] DRB, Stellungnahme Nr. 15/24, S. 3; abrufbar unter: https://kripoz.de/wp-content/uploads/2024/09/DRB.pdf (zuletzt abgerufen am 16.2.2025).
[15] Beauftragt wurde das Kriminologische Institut Niedersachsen e.V. Zum Zeitpunkt der Fertigstellung dieses Aufsatzes lagen die Ergebnisse noch nicht vor: https://kfn.de/forschungsprojekte/evaluierung-der-in-paragraf-46-abs-2-stgb-gesetzlich-benannten-strafzumessungsumstaende/ (zuletzt abgerufen am 16.2.2025).
[16] So bereits DJG, Stellungnahme v. 1.8.2004, S. 3; abrufbar unter https://kripoz.de/wp-content/uploads/2024/09/DJG.pdf (zuletzt abgerufen am 16.2.2025).
[17] BRAK, Stellungnahme Nr. 55 v. August 2024, S. 6.
[18] BGH, NStZ 2014, 512 (513).
[19] BRAK, Stellungnahme Nr. 55 v. August 2024, S. 6; NRV, Stellungnahme v. 2.8.2024, S. 4; abrufbar unter: https://kripoz.de/wp-content/uploads/2024/09/NRV.pdf (zuletzt abgerufen am 22.2.2025).
[20] BT-Drs. 20/12950, S. 5.
[21] NRV, Stellungnahme v. 2.8.2024, S. 5 f.
[22] BT-Drs. 20/12950, S. 10.
[23] BT-Drs. 20/12950, S. 11.
[24] GdP, Stellungnahme vom 31.7.2024, S. 3; abrufbar unter: https://kripoz.de/wp-content/uploads/2024/09/GdP.pdf (zuletzt abgerufen am 22.2.2025).
[25] Hierzu auch BRAK, Stellungnahme Nr. 55, S. 6; NRV, Stellungnahme vom 2.8.2024, S. 14; GdP, Stellungnahme vom 31.7.2024, S. 3.
[26] So auch NRV, Stellungnahme vom 2.8.2024, S. 14.
[27] BT-Drs. 20/12950, S. 6.
[28] BT-Drs. 20/12950, S. 11.
[29] BT-Drs. 20/12950, S. 16.
[30] Fischer/Anstötz, § 105 Rn. 2.
[31] BR-Drs. 423/24.
[32] BR-Drs. 423/24, S. 7.
[33] BRAK, Stellungnahme Nr. 55, S. 7 f.
[34] BRAK, Stellungnahme Nr. 55, S. 7.
[35] Vgl. Wagner, NVwZ 2022, 1853 (1855).
[36] S. Lisken/Denninger/Graulich, Hdb. Des Polizeirechts, 7. Aufl. (2021), Kap. E, Rn. 976. Dagegen wird sich im Rahmen einer Unterarbeitsgruppe zum rheinland-pfälzischen Pilotprojekt für eine Einordnung als Hilfsmittel ausgesprochen, vgl. LT-Drs. 17/6054, S. 1 (27); ebenso eine Arbeitsgruppe des Bundesvorstands der Gewerkschaft der Polizei, Vorlage 17/185, S. 14 sowie Deger, NVwZ 2001, 1229 (1230).
[37] Klein, GSZ 2019, 228 (230 f.); Wagner, NVwZ 2022, 1853 (1856).
[38] BR-Drs. 456/24, S. 2.
[39] BT-Drs. 20/13217, S. 5.
[40] BT-Drs. 20/13217, S. 5.
[41] BT-Drs. 20/13217, S. 6.
[42] BR-Drs. 456/24, S. 1.
[43] BT-Drs. 20/13217, S. 7.
[44] Zur fehlenden Abschreckung auch Singelnstein, NStZ 22018, 510 (514); Schiemann, ZRP 2017, 1846 (1849).
[45] So BT-Drs. 20/13217, S. 10.
[46] BT-Drs. 20/13217, S. 7.
[47] BT-Drs. 20/13217, S. 11.
[48] Fischer/Anstötz, § 114 Rn. 4.
[49] BT-Drs. 20/13217, S. 12.
[50] Vgl. bspw. Magnus, GA 2017, 530 (535); Busch/Singelnstein, NStZ 2018, 510 (513).
[51] BGH, NJW 2020, 2347 (2348).
[52] Vgl. Schiemann, in: Festschr. f. Prittwitz z. 70. Geb., 2023, S. 739 (750); Caspari, NJ 2011, 318 (329).
[53] GeVoRe, Abschlussbericht, online abrufbar unter: https://schiemann.jura.uni-koeln.de/sites/strafrecht_schiemann/Projekte/GeVoRe_DFG_Abschlussbericht.pdf (zuletzt abgerufen am 16.3.2025).