Die Entscheidung im Original finden Sie hier.
BGH, Urteil v. 11.11.2021 – 4 StR 511/20: Zum Rennbegriff und der Zurechnung von durch unmittelbar von anderen Rennteilnehmern verursachten konkret eingetretenen Gefahren im Sinne des § 315d StGB
Amtliche Leitsätze:
- Ein Kraftfahrzeugrennen im Sinne des § 315d Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 StGB ist ein Wettbewerb zwischen wenigstens zwei Kraftfahrzeugführern, bei dem es zumindest auch darum geht, mit dem Kraftfahrzeug über eine nicht unerhebliche Wegstrecke eine höhere Geschwindigkeit als der andere oder die anderen teilnehmenden Kraftfahrzeugführer zu erreichen. Dabei macht es keinen Unterschied, ob die Teilnehmer zueinander in Bezug auf die Höchstgeschwindigkeit, die höchste Durchschnittsgeschwindigkeit oder die schnellste Beschleunigung in Konkurrenz treten.
- § 315d Abs. 2 StGB ist ein eigenhändiges Delikt. Ein Teilnehmer an einem nicht erlaubten Kraftfahrzeugrennen im Sinne des § 315d Abs. 1 Nr. 2 StGB erfüllt den Qualifikationstatbestand des § 315d Abs. 2 StGB in objektiver Hinsicht deshalb nur, wenn er durch sein eigenes Fahrverhalten während der Rennteilnahme eine konkrete Gefahr für eines der genannten Individualrechtsgüter verursacht und zwischen seinem Verursachungsbeitrag und dem Gefährdungserfolg ein innerer Zusammenhang besteht.
Nebentäterschaft kann vorliegen, wenn ein und derselbe Gefährdungserfolg von mehreren Rennteilnehmern herbeigeführt wird. Dies setzt voraus, dass sich die Rennteilnehmer in derselben kritischen Rennsituation befinden und zwischen den jeweiligen Mitverursachungsbeiträgen und dem konkreten Gefährdungserfolg ein örtlicher und zeitlicher Zusammenhang besteht.
Sachverhalt:
Das LG Arnsberg hat den Angeklagten H. wegen verbotenen Kraftfahrzeugrennens mit Todesfolge in Tateinheit mit vorsätzlicher Gefährdung des Straßenverkehrs und den Angeklagten P. wegen verbotenen Kraftfahrzeugrennens verurteilt.
Nach den tatgerichtlichen Feststellungen hatten sich beide Angeklagte zu einem spontanen Autorennen verabredet, um Beschleunigungsverhalten und Geschwindigkeiten zu vergleichen. Der Angeklagte H. versuchte den Angeklagten P. aus einer Kurve heraus zu überholen. Dabei kam es zu einer Kollision mit einem entgegenkommenden vollbesetzten Fahrzeug, woraufhin eine Person starb und die übrigen Insassen teilweise schwer verletzt wurden.
Entscheidung des BGH:
Der BGH änderte den Schuldspruch bezüglich des Angeklagten P. ab, indem er den Schuldspruch um den Vorwurf der fahrlässigen Tötung und der fahrlässigen Körperverletzung in vier Fällen ergänzte und den Strafausspruch aufhob.
Die Revisionen der Angeklagten sowie die weiter gehende Revision der Staatsanwaltschaft verwarf der BGH.
Das LG habe zutreffend angenommen, dass der Angeklagte P. an einem nicht erlaubten Kraftfahrzeugrennen im Sinne von § 315d Abs. 1 Nr. 2 StGB teilnahm. Hierbei komme es nicht auf die „Startmodalitäten“ an, sodass es keiner vorherigen ausdrücklichen Absprache bedarf. Vielmehr kann diese auch spontan und konkludent erfolgen. Der Wille des Gesetzgebers bestätige dieses.
Zur Erfüllung des Qualifikationstatbestandes des § 315d Abs. 2 StGB für einen Teilnehmer müsse eine konkrete Gefahr und ein innerer Zusammenhang zwischen Verursachungsbeitrag und Gefährdungserfolg vorliegen. Die sich allein aus dem Rennverhalten der anderen Teilnehmer ergebende konkrete Gefahr begründe jedoch keine mittäterschaftliche Zurechnung.
Eine Nebentäterschaft hingegen verlange, dass der Gefährdungserfolg von mehreren Rennteilnehmern herbeigeführt wird. Ein solcher setze Folgendes voraus:
- Dieselbe Rennsituation
- Verursachungsbeitrag
- Derselbe konkrete Gefährdungserfolg
- Örtlicher und zeitlicher Zusammenhang zwischen 2. und 3.
Dies führe dazu, dass jeder Rennteilnehmer für sich den objektiven Tatbestand des § 315d Abs. 2 StGB erfüllt habe, wie der BGH im vorliegenden Fall entschieden hat.
Anmerkung der Redaktion:
§ 315d StGB ist am 13.10.2017 durch das Sechsundfünfzigste Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuches in Kraft getreten.
Der neu eingefügte Straftatbestand wurde zur Erweiterung der Sanktionsmöglichkeiten gegen illegale Autorennen in das StGB eingefügt. Zuvor wurden die Rennen als Ordnungswidrigkeiten geahndet.