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Zur gesetzlichen Gewährleistung der Patientenautonomie in Taiwan

von Assistant Prof. Dr. Chun-Jung Chen

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Abstract
Die Patientenautonomie ist auch in Asien ein bedeutsamer Wert. Mit demPatientenautonomiegesetz (PatAG) hat Taiwan als erste Rechtsordnung ein dezidiert der Rechtsstellung des Patienten gewidmetes Sondergesetz verabschiedet. Zur Gewährleistung der Patientenautonomie setzt das Gesetz einen Schwerpunkt im Erfordernis der informierten Einwilligung, deren Subjekt nicht der Arzt, sondern der Patient ist. Des Weiteren wird der Prozess zum Recht auf Auswahl, Annahme und Ablehnung der ärztlichen Behandlung durch den Patienten ausdrücklich geregelt. Die Ablehnung einer vital indizierten ärztlichen Behandlung findet sich jedoch nur unter gesetzlich festgelegten Voraussetzungen akzeptiert; erst dann darf die medizinische Einrichtung oder der Arzt nach Maßgabe einer Patientenverfügung handeln.

I. Einleitung

Am 18. Dezember 2015 verabschiedete das taiwanische Parlament das Patientenautonomiegesetz (PatAG), das aber jetzt nach Ablauf von drei Jahren in Kraft getreten ist. Das PatAG ist die erste selbstständige bzw. spezielle gesetzliche Regelung in Asien zur Gewährleistung der Patientenautonomie. Die Ausgestaltung des PatAG wird allgemein als ein Markstein bei der Reform der taiwanesischen Rechtsordnung in Bezug auf die Rechte des Patienten angesehen, obwohl im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens durchaus auch Zweifel und Kritik zu den Inhalten bzw. hinsichtlich der rechtstatsächlichen Durchführung dieses Gesetzes – vor allem von Ärzten – zu artikuliert wurden. In diesem Beitrag sollen zunächst die konkreten Regelungen des PatAG vorgestellt und die zentralen mittels einer näheren Übersicht verständlich gemacht werden, ehe sich eine kritische Würdigung zu einigen Regelungen anschließen wird.

II. Das Patientenautonomiegesetz in seiner normtextlichen Gestalt

Damit sich der interessierte Leser selbst einen unmittelbaren Eindruck von den neuen gesetzlichen Regelungen verschaffen kann, seien diese in ihrer konkreten normtextlichen Fassung zunächst ausdrücklich vorgestellt:

§ 1
Die Zwecke des PatAG sind, den Respekt gegenüber der Patientenautonomie sicherzustellen, das Recht auf einen friedlichen Tod zu gewährleisten und ein harmonisches Verhältnis zwischen Arzt und Patient zu fördern.

§ 2
Im Sinne dieses Gesetzes ist die zuständige Behörde: das Ministerium für Gesundheit und Soziales („Ministry of Health and Welfare“) auf der zentralen Ebene, die Regierung auf der Ebene derregierungsunmittelbaren Städte und die Regierung auf der Ebene der Landkreise (Städte).

§ 3
Im Sinne dieses Gesetzes ist

  1. lebenserhaltende Behandlung: Herz-Lungen-Wiederbelebung, mechanische extrakorporale Membranoxygenierung, Gabe von Blutprodukten, spezielle Behandlungen für bestimmte Krankheiten oder Verwendung des Antibiotikums zur Behandlung von gravierenden Infektionskrankheiten sowie andere erforderliche medizinische Behandlungen, die das Leben des Patienten verlängern könnten.
  2. Zuführung von künstlicher Ernährung und Flüssigkeit: Nährlösungen und Flüssigkeiten werden durch Katheter oder andere Eingriffe zugeführt.
  3. Patientenverfügung (Advance Decision, AD): eine vorherige schriftliche Willenserklärung, in der darüber entschieden wird, ob eine Person unter bestimmten klinischen Bedingungendie lebenserhaltende Behandlung, Zuführung von künstlicher Ernährung und Flüssigkeit oder sonstige einschlägige Wünsche von medizinischer Versorgung oder einen friedlichen Tod annehmen oder ablehnen will.
  4. Entscheider: eine Person, welche die Patientenverfügung in Schriftform errichtet.
  5. medizinischer Bevollmächtigter (Durable Power of Attorney, DPA): eine Person, welche die schriftliche Beauftragung des Entscheiders annimmt, in seiner Vertretung seine Wünsche auszudrücken, wenn der Entscheider bewusstlos ist oder seine Wünsche nicht deutlich äußern kann.
  6. gesundheitliche Vorausplanung (Advance Care Planning, ACP): ein dialogischer Prozess zwischen dem Patienten, dem medizinischen Dienstleistungserbringer, den Angehörigen oder anderen Betroffenen, über die Art des Angebots geeigneter Versorgungsmaßnahmen und über die Wünsche des Patienten, ob er die lebenserhaltende Behandlung bzw. Zuführung von künstlicher Ernährung und Flüssigkeit annehmen oder ablehnen wird, wenn er sich in bestimmten klinischen Zuständen befindet, bewusstlos ist oder seine Entscheidung nicht deutlich äußern kann.
  7. Palliativversorgung: Anbieten einer palliativen bzw. unterstützenden medizinischen Versorgung, um körperliche, spirituelle und seelische Schmerzen zu lindern oder den Patienten hiervon zu befreien.

§ 4
(1) Der Patient hat das Recht auf Wissen über seine Krankheit, die therapeutischen Optionen und deren potentiellen Auswirkungen sowie über die zu prognostizierenden Risiken. Der Patient hat das Recht, den vom Arzt angebotenen medizinischen Optionen auszuwählen und hierüber zu entscheiden.

(2) Die Person, welche gesetzlicher Vertreter, Ehepartner, Angehörige oder medizinische Bevollmächtigte des Patienten ist, oder die in einem besonders engen Verhältnis zum Patienten steht (nachstehend Betroffene genannt), darf die Umsetzung der vom Patienten getroffenen Entscheidungen über die ihm von der medizinischen Einrichtung oder vom Arzt angebotenen therapeutischen Optionen nicht verhindern.

§ 5
(1) Die medizinische Einrichtung oder der Arzt hat den Patienten zu einem nach eigenem Urteil passenden Zeitpunkt und auf geeignete Weise über dessen Krankheiten, die medizinischen Behandlungsrichtlinien bzw. Maßnahmen, Medikamente, Prognosen und die potentiell unerwünschten Reaktionen usw. aufzuklären. Sie können auch den Betroffenen aufklären, wenn die Patienten sich nicht deutlich hiergegen entscheiden.

(2) Die medizinische Einrichtung oder der Arzt hat den Betroffenen auf geeignete Weise aufzuklären, wenn der Patient geschäftsunfähig oder beschränkt geschäftsfähig ist, vom Gericht als hilfsbedürftig erklärt wird oder nicht in der Lage ist, die Willenserklärung abzugeben bzw. anzunehmen.

§ 6
Die medizinische Einrichtung darf eine Operation oder eingreifende Untersuchung oder eine Heilbehandlung im Sinne der Regelungen der zuständigen Zentralbehörde erst nach erfolgter Einwilligung des Patienten oder des Betroffenen und nach Unterzeichnung der Einverständniserklärung durchführen. Dies gilt nicht, wenn die Situation dringend ist.

§ 7
Für den Notfallpatienten hat die medizinische Einrichtung oder der Arzt angemessene Notfallbehandlungen oder erforderliche Maßnahmen ohne Verzögerung durchzuführen, es sei denn, dass eine Situation im Sinne von § 14 Abs. 1 und 2 vorliegt bzw. diese den relevanten Regelungen der „Hospice Palliative Care Act“ entspricht.

§ 8
(1) Ein voll Geschäftsfähiger kann eine Patientenverfügung errichten und diese jederzeit schriftlich widerrufen oder verändern.

(2) Die Patientenverfügung enthält den Willen des Patienten über die vollständige oder teilweise Annahme oder Ablehnung lebenserhaltender Behandlungen bzw. Zuführung von künstlicher Ernährung und Flüssigkeit beim Vorliegen der spezifischen klinischen Zustände gemäß § 14.

(3) Inhalt, Umfang und Form der Patientenverfügung sind von der zuständigen Zen­tralbehörde festzulegen.

§ 9
(1) Zur Errichtung einer Patientenverfügung sind vom Entscheider folgende Erfordernisse zu beachten:

  1. Die gesundheitliche Vorausplanung wird mit der medizinischen Einrichtung besprochen, und die Patientenverfügung wird durch die medizinische Einrichtung abgestempelt und bestätigt.
  2. Die Patientenverfügung wird durch den Notar beglaubigt oder durch mehr als zwei voll geschäftsfähige Personen vor Ort bezeugt.
  3. Die Patientenverfügung ist in dem Zertifikat der nationalen Gesundheitsversicherung (elektronische Gesundheitskarte) eingetragen.

(2) An der in Abs. 1 Nr. 1 benannten gesundheitlichen Vorausplanung müssen der Entscheider, mindestens einer seiner Angehörigen zweiter Ordnung und der medizinische Bevollmächtigte teilnehmen. Mit Einwilligung des Entscheiders können auch andere Angehörige daran teilnehmen. Sofern die Angehörigen zweiter Ordnung gestorben oder verschwunden sind oder ihrer Teilnahme andere besondere Umstände entgegenstehen, kann auf ihre Teilnahme verzichtet werden.

(3) Die in Abs. 1 Nr. 1 benannte medizinische Einrichtung darf die abgestempelte Bestätigung nicht erteilen, sofern zureichende tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen, dass der Entscheider seelischen Störungen ausgesetzt ist oder er unfreiwillig handelt.

(4) Medizinische Bevollmächtigte des Entscheiders, Mitglieder der ärztlichen Hauptbetreuungsgruppe sowie die in § 10 Abs. 2 bezeichnete Person dürfen nicht als Zeuge im Sinne von Abs. 1 Nr. 2 tätig werden.

(5) Die erforderliche Qualifikation der Mitglieder der Planungsgruppe und das Verfahren zu deren Qualifizierung sowie andere die medizinische Einrichtung betreffende Erfordernisse, die eine gesundheitliche Vorausplanung anbietet, sind von der zuständigen Zentralbehörde festzulegen.

§ 10
(1) Wer vom Entscheider mit seinem schriftlichen Einverständnis als medizinischer Bevollmächtigter benannt ist, muss mindesten 20 Jahre alt und geschäftsfähig sein.

(2) Neben den Erben des Entscheiders dürfen folgende Personen nicht als medizinische Bevollmächtigte bestimmt werden:

  1. Vermächtnisnehmer des Entscheiders.
  2. Benannte Empfänger des Körpers bzw. eines Organs des Entscheiders.
  3. Begünstigter auf den Todesfall des Entscheiders.

(3) Ist der Entscheider bewusstlos oder nicht in der Lage, seine Willenserklärung deutlich zu äußern, vertritt der medizinische Bevollmächtigte ihn mit folgenden Befugnissen:

  1. Teilnahme an der Aufklärung gemäß § 5.
  2. Unterzeichnung der Einverständniserklärung gemäß § 6.
  3. Äußerung des Willens gemäß der Patientenverfügung in Vertretung des Patienten.

(4) Sind mehr als zwei medizinische Bevollmächtigte bestimmt, darf jeder von ihnen den Entscheider einzeln vertreten.

(5) Bei Angelegenheiten innerhalb ihres Aufgabenbereiches muss der medizinische Bevollmächtigte seinen Identitätsausweis der medizinischen Einrichtung oder dem Arzt vorlegen.

§ 11
(1) Der medizinische Bevollmächtigte darf seine Beauftragung jederzeit schriftlich kündigen.

(2) Bei Vorliegen einer der folgenden Umstände in der Person des medizinischen Bevollmächtigten wird dieser automatisch abberufen:

  1. Seine Geistestätigkeit ist nach ärztlicher oder psychiatrischer Begutachtung wegen Krankheit oder Unfall beeinträchtigt.
  2. Er wird als hilfsbedürftig erklärt oder einer Vormundschaft unterstellt.

§ 12
(1) Die zuständige Zentralbehörde hat die Patientenverfügung in dem Zertifikat der nationalen Gesundheitsversicherung (elektronische Gesundheitskarte) einzutragen.

(2) Vor der Eintragung der Patientenverfügung in dem Zertifikat der nationalen Gesundheitsversicherung (elektronische Gesundheitskarte) hat die medizinische Einrichtung die gescannte Kopie in der Datenbank der zuständigen Zentralbehörde abzuspeichern.

(3) Sofern die in dem Zertifikat der nationalen Gesundheitsversicherung (elektronische Gesundheitskarte) eingetragene Patientenverfügung dem per Schriftform deutlich geäußerten Willen des Entscheiders bei der ärztlichen Behandlung nicht entspricht, muss die Patientenverfügung geändert werden.

(4) Die geänderte Patientenverfügung ist von der zuständigen Zentralbehörde zu veröffentlichen.

§ 13
Bei Vorliegen einer der folgenden Umstände in der Person des Entscheiders ist eine Änderung bei der zuständigen Zentralbehörde zu beantragen:

  1. Widerruf oder Änderung der Patientenverfügung.
  2. Berufung, Abberufung oder Wechsel des medizinischen Bevollmächtigten.

§ 14
(1) Wenn einer der folgenden klinischen Bedingungen festgestellt wird und eine Patientenverfügung vorliegt, darf die medizinische Einrichtung bzw. der Arzt gemäß der Patientenverfügung die lebenserhaltende Behandlung oder die Zuführung von künstlicher Ernährung und Flüssigkeit teilweise oder vollständig beenden, entfernen oder nicht durchführen:

  1. Patienten im Endstadium einer Krankheit.
  2. Patienten in einem irreversiblen Koma.
  3. Patienten im permanent vegetativen Zustand.
  4. Patienten in einer extrem schwerwiegenden Demenz.
  5. Patienten entweder mit einer Krankheit gemäß Bekanntmachung der zuständigen Zentralbehörde oder mit unerträglichen Schmerzen, ohne Hoffnung auf Heilung oder angemessene Lösung nach dem aktuellen medizinischen Standard.

(2) Jede der vorstehenden Bedingungen ist von zwei Ärzten mit der relevanten fachlichen Qualifizierung sowie von dem Hospiz- undPalliativversorgungs-Team mindestens für zwei Besprechungstermine zu bestätigen.

(3) Wenn die medizinische Einrichtung oder der Arzt nach ihrer fachlichen Einschätzung dem Willen der Patientenverfügung nicht folgen kann, kann die Patientenverfügung nicht umgesetzt werden.

(4) Die medizinische Einrichtung oder der Arzt hat den Patienten oder den Betroffenen über die vorgenannte Situation zu informieren.

(5) Wenn die medizinische Einrichtung bzw. der Arzt die lebenserhaltende Behandlung oder die Zuführung von künstlicher Ernährung und Flüssigkeit teilweise bzw. vollständig beendet, entfernt oder nicht durchgeführt, ist sie oder er strafrechtlich oder verwaltungsrechtlich nicht verantwortlich; für die verursachten Schäden ist sie oder er nicht schadenersatzpflichtig, es sei denn, es wurde vorsätzlich oder grob fahrlässig die Patientenverfügung missachtet.

§ 15
Bevor die medizinische Einrichtung oder der Arzt die Patientenverfügung des Patienten gemäß § 14 Abs. 1 Nr. 5 umsetzt, sind Inhalte und Umfang der Patientenverfügung vom willensfähigen Entscheider zu bestätigen.

§ 16
Wenn die medizinische Einrichtung bzw. der Arzt die lebenserhaltende Behandlung oder die Zuführung von künstlicher Ernährung und Flüssigkeit teilweise bzw. vollständig beendet, entfernt oder nicht durchführt, sind dem Patienten eine Hospiz- undPalliativversorgung sowie andere angemessene Behandlungen anzubieten. Wenn die medizinische Einrichtung eine solche Behandlung mangels Personals, Ausstattung oder Fähigkeit nicht anbieten kann, hat sie eine Patientenüberweisung vorzuschlagen und Unterstützung anzubieten.

§ 17
Die Verfahrensweise nach §§ 12 Abs. 3, 14 und 15 ist durch die medizinische Einrichtung oder den Arzt ausführlich in die medizinische Dokumentation einzutragen; die Einverständniserklärung, die schriftliche Willenserklärung des Patienten sowie die Patientenverfügung sind gemeinsam mit der medizinischen Dokumentation zu speichern.

§ 18
Die Durchführungsverordnung dieses Gesetzes ist von der zuständigen Zentralbehörde festzulegen.

§ 19
Dieses Gesetz tritt in drei Jahre nach seiner Veröffentlichung in Kraft.

III. Erläuternder Überblick zu den Regelungen

Den Inhalt dieses Gesetzes kann man aus zwei Blickwinkeln betrachten: einerseits vor dem allgemeinen Hintergrund der Gesetzgebung und insbesondere im Lichte des dem PatAG immanenten Normzwecks,andererseits mit Blick auf die konkreten Verfahrensweisen, wie also das Recht auf Patientenautonomie im Einzelnen gewährleistet werden soll.

1. Hintergrund der Gesetzgebung und Normzweck des PatAG

a) Rechtspolitischer Hintergrund

Vor Verabschiedung des Patientenautonomiegesetzes (PatAG) trat im Jahr 2000 der „Hospice Palliative Care Act (HPCA)“[1] in Kraft. Normsubjekt des HPCA ist ausschließlich der Patient im Endstadium einer tödlichen Krankheit. Mit dem HPCA sind die Rechte des Patienten, insbesondere auch in Bezug auf die ärztliche Beachtung seines Willens gewährleistet, d.h. der Patient darf schon hiernach, sofern er sich im Endstadium einer tödlichen Erkrankung befindet, zwischen seiner Palliativversorgung und lebenserhaltenden Maßnahmen (Life-sustaining treatment, LST) entscheiden.

Obwohl das HPAC eine gesetzliche Regelung zur Gewährleistung des Rechts auf Patientenautonomie darstellt, wird es immer noch kritisiert. Der hauptsächliche Mangel des HPAC ist seineng begrenzter Anwendungsbereich, weiler einerseits nur für den Patienten im Endstadium einer tödlichen Krankheit gilt und andererseits die Qualifizierung zu solchem Patienten einer strengen Beurteilung unterliegt. Ein Beispiel für den erstgenannten Grund: Wenn ein schwerwiegend erkrankter Patient, der sich nicht im Endstadium, aber im permanent vegetativen Zustand oder in einem irreversiblen Koma befindet, nicht vorher seinen Willen deutlich geäußert hat, kann sein Recht auf Patientenautonomie wegen der Anwendungsbeschränkung dieses Gesetzes nicht realisiert werden. Um diese Lücken des HPACzu füllen und zugleich einige Fehler in anderen Gesetzen (z.B. im „Medical Care Act“[2])zu korrigieren, kommt der aktuellen Gesetzgebung (PatAG) große Bedeutung zu.

b) Normzweck

Nach Auskunft der Parlamentsdrucksache haben die derzeitigen Vorschriften über die Rechte des Patienten drei große Fehler, welche die neue Gesetzgebung beseitigen müsse: Das PatAG ist daher zur Wahrung der Menschenwürde und zur Respektierung des Rechts auf freie Entfaltung der Persönlichkeit des Patienten erforderlich:[3]

(1) Die rechtliche Stellung von Patient und Betroffener waren in Bezug auf die ärztliche Aufklärung und das Äußern von Patientenwünschen bisher gleichrangig. Dies ist aber zur Absicherung des Einwilligungsrechts des Patienten offensichtlich nicht sachgerecht.

(2) Es gibt im bisherigen Medizinrecht auch kein lückenloses System zum Schutz des Rechts auf Patientenautonomie, insbesondere bei Konstellationen, in denen der Patient bewusstlos oder nicht in der Lage ist, seine Willenserklärung deutlich äußern zu können.

(3) Das Recht auf Ablehnung ärztlicher Behandlungen ist bislang nicht deutlich genug geregelt, und dies führt in der Praxis dazu, dass der Patient erzwungenermaßen ungewollt Schmerzen und Qualen erleiden muss. Folge dessen ist aber, dass die Menschenwürde des Patienten verletzt wird.

Aus der vorstehenden offiziellen Erklärung kann man ersehen: Die Normzwecke des PatAG liegen einerseits in der Wahrung des Rechts auf Patientenautonomie für den Patienten selbst, andererseits in der Verbesserung des Prozesses zur informierten Auswahl von ärztlichen Behandlungen wie auch deren Annahme oder Ablehnung durch den Patienten.[4] Und diese Zwecke sind in § 1 PatAG geregelt: Danach soll das neue Gesetz insbesondere den nötigen „Respekt gegenüber der Patientenautonomie sicherstellen“ und „das Recht auf einen friedlichen Tod (…) gewährleisten“.

2. Die Durchführung des Rechts auf Patientenautonomie

a) Informierte Einwilligung

Sowohl nach dem „Medical Care Act“ als auch dem „Physicians Act“ sind die medizinische Einrichtung und der Arzt vor bzw. bei der medizinischen Behandlung zur Aufklärung des Patienten verpflichtet. Jedoch ist Adressat dieser Aufklärung in beiden Gesetzen nicht allein oder jedenfalls primär der Patient, sondern sind es auch (mindestens) der/die Ehepartner(in) und Angehörige des Patienten.[5] Dies bedeutet, dass die medizinische Einrichtung oder der Arzt die Aufklärung gegenüber irgendeiner dieser Personen vornehmen kann und damit bereits seiner Aufklärungspflicht genügt. Demzufolge ist der Patient bei der ärztlichen Aufklärung nicht die vorrangige Bezugsperson. Nach§ 4 PatAG hat dagegen allein der Patient das Recht auf Wissen, Auswahl und Entscheidung über ärztliche Behandlungen; das neue Gesetz geht sogar noch einen Schritt weiter, wenn es erklärt, dass der Betroffene die Entscheidung des Patienten nicht dadurch konterkarieren darf, dass er die Umsetzung der vom Patienten getroffenen Entscheidungen über die ihm von der medizinischen Einrichtung oder vom Arztes offerierten Therapieoptionenverhindert (Abs. 2). Hierbei ist zu beachten, dass die medizinische Einrichtung oder der Arzt dem Betroffenen des Patienten die in § 5 PatAG benannten Informationen nur geben darf, wenn und solange der Patient nicht deutlich hiergegen votiert. Daraus kann man ersehen, dass der Patient bei der ärztlichen Aufklärung grundsätzlich die Priorität besitzt. Allerdings geht das Gesetz durchaus noch von einer Regelvermutung aus, wonach der Patient mit der Aufklärung seines Bevollmächtigten bzw. seiner Angehörigen mutmaßlich einverstanden sein wird; sonst hätte anstelle eines „deutlichen“ Widerspruchs eine explizite Zustimmung verlangt werden müssen.

b) Einführung von ACP, AD und DPA

Zur Gewährleistung der Patientenautonomie werden vom PatAG drei Systeme eingeführt, nämlich die gesundheitliche Vorausplanung (Advance Care Planning, ACP), die Patientenverfügung (Advance Decision, AD) und der medizinische Bevollmächtigte (Durable Power of Attorney, DPA). Nach §§ 9, 14 PatAG sind die Voraussetzungen bzw. der Prozess zur Geltendmachung des patientenseitigen Selbstbestimmungsrechts einschließlich seines Rechts auf Ablehnung der ärztlichen Behandlung mit u.U. tödlicher Folge wie folgt festgeschrieben: (1) via gesundheitlicher Vorausplanung (ACP); (2) per Errichtung einer Patientenverfügung (AD) und Eintrag in die elektronische Gesundheitskarte; (3) das Vorkommeneiner der in § 14 Abs. 1 PatAG bestimmten klinischen Bedingungen.[6]

Die gesundheitliche Vorausplanung in Sinne vom PatAG bedeutet, dass „ein dialogischer Prozess zwischen dem Patienten, den medizinischen Dienstleistungserbringern, Angehörigen oder anderen Betroffenen“ stattfinden muss mit dem Ziel, den weiteren Behandlungsplan unter Berücksichtigung des ärztlich Sinnhaften und vom Patienten Gewünschten oder aber Abgelehnten festzulegen und fortlaufend anzupassen (§ 3 Nr. 6 PatAG). Dabei müssen die möglichen Versorgungsangebote erörtert und insbesondere auch die konkreten Wünsche des Patienten ermittelt werden, ob die lebenserhaltende Behandlung bzw. Zuführung von künstlicher Ernährung und Flüssigkeit annehmen oder ablehnen wird, wenn er sich in jeweils bestimmtem klinischen Zuständen befindet, bewusstlos ist oder seine Entscheidung nicht deutlich äußern kann.

Die Geltendmachung seines Selbstbestimmungsrechts setzt für den Patienten das Erfassen der Sachlage auf Grundlage hinreichender Informationen voraus, sonst könnte der Patient wegen unzulänglicher Überlegungen leicht eine irrtümliche Entscheidung treffen. Aufgrund dessen wird verlangt, dass der Patient vor allem an einem dialogischen Prozess teilnehmen muss, in dem er, seine Angehörigen und sein medizinischer Bevollmächtigter sich mit dem Behandlungsteam vollumfänglich austauschen können.[7] Die Teilnahme an einer solchen gesundheitlichen Vorausplanung ist aber nicht nur für den Patienten bindend; auch die Angehörigen und der medizinische Bevollmächtigte sind hierzu verpflichtet, weil einerseits der Angehörige in der taiwanischen Gesellschaft heutzutage eine immer größere Rolle spielt und andererseits der medizinische Bevollmächtigte in Vertretung des Entscheiders (Patienten) dessen Wünsche zum Ausdruck bringen muss, wenn der Entscheider bewusstlos ist oder seine Wünsche nicht deutlich äußern kann; eine zweckentsprechende Erfüllung dieser Aufgabe erfordert aber eine möglichst zuverlässige Kenntnis von den Wünschen und Ideen des Entscheiders wie auch des gesetzlichen Prozesses der Entscheidungsfindung.[8] Es ist freilich nur der medizinischen Einrichtung erlaubt, die gesundheitliche Vorausplanung anzubieten.

Von einer Patientenverfügung ist im Sinne des PatAG immer dann die Rede, wenn „eine vorherige schriftliche Willenserklärung“ des Entscheiders vorliegt, in der dieser darüber befunden hat, ob er unter bestimmten klinischen Bedingungen die lebenserhaltende Behandlung, Zuführung von künstlicher Ernährung und Flüssigkeit oder eine sonstige einschlägige medizinische Versorgung oder einen friedlichen Tod annehmen oder ablehnen will (§ 3 Nr. 3 PatAG). Im Übrigen bedarf es nach § 9 Abs. 1 PatAG für eine wirksamePatientenverfügung: (1) Es muss eine durchgeführte gesundheitliche Vorausplanung mit dem Stempel der medizinischen Einrichtung bestätigt sein, (2) die Patientenverfügung ist beglaubigt oder bezeugt und (3) sie ist auch in der elektronischen Gesundheitskarte eingetragen. Liegen diese drei Bedingungen vor, so handelt es sich um eine rechtsgültige Patientenverfügung. Die persönliche Qualifikation zur Errichtung einer Patientenverfügung ist nach § 8 Abs. 1 PatAG auf das Vorhandensein uneingeschränkter Geschäftsfähigkeit beschränkt: Denn weil sich die Patientenverfügung auf die vitale Selbstbestimmung bezieht, muss für deren Errichtung eine reife Einsichtsfähigkeit gefordert werden.[9]

Der Normzweck des § 14 PatAG liegt im Wesentlichen in der Nachbesserung der Fehler anderer Gesetze. § 60 Abs. 1 Medical Care Act und § 21 Physicians Act verpflichten die medizinische Einrichtung und den Arzt ausnahmslos zur Behandlung des Patienten.[10] Danach ist dem Arzt somit eine – auch strafbewehrte – Garantenpflicht auferlegt, so dass er sich einer Strafverfolgung wegen Totschlags durch Unterlassen gegenübersehen könnte, wenn er den Patienten nicht mit ganzer Kraft oder nicht von Anfang bis zum natürlichen Ende behandelt bzw. rettet und der Patient deswegen verstirbt. Obwohl bereits die Regelungen des HPCA die ausnahmslose rechtliche Pflicht des Arztes zur lebenserhaltenden/-verlängernden Behandlung des Patienten durchbrechen, ist dieses Gesetz aber in seinem Anwendungsbereich auf den Patienten im Endstadium einer Krankheit beschränkt. Dies bedeutet, dass der Arzt allesonstigen Patienten noch immer ausnahmslos behandeln bzw. retten muss, und dass diesen Patienten infolgedessen kein Recht auf Ablehnung der ärztlichen Behandlung garantiert ist. Nach § 14 Abs. 1 PatAG darf die medizinische Einrichtung oder der Arzt nun allerdings gemäß den Vorgaben einer Patientenverfügung die lebenserhaltende Behandlung oder die Zuführung von künstlicher Ernährung und Flüssigkeit teilweise oder vollständig beenden, entfernen oder deren Vornahme von vornherein unterlassen, sofern bei dem Patienten einer der darin näher bestimmten klinischen Bedingungen (z.B. „irreversibles Koma“, „permanent vegetativer Zustand“, „extrem schwerwiegende Demenz“) festgestellt werden kann.

Zu dem Recht auf Ablehnung einer ärztlichen Behandlung ist allgemein anzumerken, dass der Patient dieses Recht im PatAG in zwei Konstellationen nutzen kann: Zum einen findet es sich in § 14 Abs. 1 PatAG in Bezug auf dort näher benannte klinische Zustände des Patienten gewährleistet, denen gemeinsam ist, dass sie die ärztliche Behandlung bei Bestehen einer Lebensgefährdung oder sonst hochgradigen Einschränkung der Lebensperspektive betreffen; ein solches Ablehnungsrecht ist aber auch in § 6 PatAG verbürgt, der sich auf die ärztliche Behandlung jenseits einer Lebensgefährdung des Patienten bezieht.[11] Denn hierin ist generell – Notfallsituationen ausgenommen – das Einwilligungserfordernis für jedweden Heileingriff gesetzlich verankert, unabhängig davon, ob diese der Patient selbst abgeben kann oder für ihn gesetzliche oder bevollmächtigte Vertreter, Ehepartner oder Angehörige (§ 4 Abs. 2 PatAG) entscheiden. Wenn ein Heileingriff zwingend die Einwilligung aus der Sphäre des höchstpersönlich Betroffenen voraussetzt, bedeutet das denknotwendig zugleich, dass ein ärztliches Therapieangebot jederzeit abgelehnt werden kann.

IV. Kritische Würdigung

Diese Zielrichtung des Gesetzes lässt sich aus der Perspektive der Patientenautonomie dem Grunde nach begrüßen. Allerdings wecken die konkreten Inhalte des Gesetzes bei näherer Betrachtung doch auch einige Zweifel.

1. Der beschränkte Anwendungsbereich

Einerder ursprünglichenNormzwecke des PatAG bestand im Ausfüllen jener Lücken, die der sehr begrenzte Anwendungsbereich des HPAC hinterlassen hat.Jedoch zeigt sich der persönliche Schutzbereich des PatAG als noch immer deutlich limitiert. So kann nach § 8 Abs. 1PatAG nur der voll Geschäftsfähige eine Patientenverfügung errichten; infolgedessen ist der nur beschränkt geschäftsfähige Minderjährige– selbst wenn er nach dem taiwanischen BGB testierfähigist und er daher als hinreichend kompetent erachtet wird, den Sinn des Todes zu verstehen[12]–von § 14 PatAG ausgeschlossen. Ihm ist also das Recht nicht zuerkannt, die ärztliche Behandlung abzulehnen.[13]

Außerdem muss der unbeschränkt Geschäftsfähige i.S.v. § 8 Abs. 1PatAG ein Patient sein, weil die Errichtung der Patientenverfügung eine gesundheitliche Vorausplanung voraussetzt, die sich gem. § 3 Nr. 6 PatAG ausschließlich auf Patienten bezieht. Nur für solche dürfte eine konkrete Behandlungsplanung auch Sinn machen. Dies bedeutet aber, dass eine Patientenverfügung von Personen, die noch nicht Patient sind, auch nicht errichtet werden kann. Darin liegt eine erhebliche Einschränkung der Möglichkeit zur frühzeitigen Vorsorge und Verlautbarung des eigenen Willens in Bezug auf mögliche ärztliche Behandlungsangebote.

Wenn einer der in § 14 Abs. 1 benannten klinischen Fallkonstellationenbei dem Patienten festgestellt wird, aber im Voraus keine Patientenverfügungerrichtet worden ist, kommt das PatAG ebenfalls nicht zur Anwendung und kann der Patient daher nicht sein Recht auf Patientenautonomie geltend machen. Dem Patienten stehen dann allein seine Rechte aus dem HPACnoch offen; dazu muss er sich aber bereits im Endstadium einer tödlich verlaufenden Erkrankung befinden. Sonstige klinische Krankheitszustände sind hiernach nicht relevant, auf die sich der Patient somit im Anwendungsbereich des HPAC nicht berufen kann.[14]

2. Unklare gesetzessystematische Positionierung

Dies leitet aber sogleich zu der Frage über, wie das Verhältnis zwischen dem PatAG und dem HPAC im Rahmen der Rechtsanwendung überhaupt zu verstehen ist. Diese Verhältnisbestimmung ist dem ersten Anschein zuwider keineswegs von Klarheit bestimmt, wenn man sich die in Betracht kommenden denkbaren Konstellationen näher vergegenwärtigt.

Handelt es sich um einen Patienten im Endstadium einer tödlichen Erkrankung und begehrt dieser die Nichtdurchführung einer Herz-Lungen-Wiederbelebung oder einer sonstigenlebenserhaltenden Maßnahme (Life-sustaining treatment, LST), so ist ihm die Möglichkeit der Ablehnung nach den Regelungen des HPCA eröffnet, sofern er seinenWillen noch deutlich äußern kann. Ist er bereits bewusstlos oder aus sonstigen Gründen nicht in der Lage, seinen Willen zu bekunden, hat er aber bereits zuvor seine Wünsche in einer Patientenverfügung festgehalten, so kann er nach dem neuen PatAG mit Respekt und Achtung seines Patientenwillens rechnen. Fraglich ist aber, wie ihm die Regelungen des PatAG bzw. des HPCA dienen, wenn er keine Patientenverfügung errichtet hat.[15] Denn dann kommen die unterschiedlichen Anwendungsvoraussetzungen und Divergenzen insbesondere zum Verfahren ihrer Feststellung im Verhältnis von PatAG und HPCA zum Tragen: Nach § 7 Abs. 1 Nr. 1 HPCA ist die Qualifizierung des Patienten als ein solcher, der sich im Endstadium einer Erkrankung befindet, nur von zwei Ärzten zu bestätigen; dagegen verlangt § 14 Abs. 2 PatAG hierfür die Bestätigung „von zwei Ärzten mit der relevanten fachlichen Qualifizierung (…) sowie von dem Hospiz- undPalliativversorgung-Team mindestens für zwei Besprechungstermine“.Es ist offensichtlich, dass das PatAG bei dem Prozess der Rechtsanwendung strengere Anforderungen stellt als das HPCA. Ausgehend davon wird zur Auflösung dieser Normenkollision behauptet, dass das PatAG im Vergleich zu dem HPCA ein spezielles Sondergesetz sei (lex specialis derogat lex generalis).[16]

Wenn man allerdings das Problem unter dem Blickwinkel der generellen Anwendungsbereiche beider Gesetze betrachtet, liegt es weit näher anzunehmen, dass der Gegenstand des HPCA sich auf den Patienten im Endstadium einer Erkrankung beschränkt, der Sachbereich des PatAG im Gegensatz dazu aber unbeschränkt ist. Infolgedessen wäre daher gerade umgekehrt das HPCA im Vergleich zum PatAG ein Sondergesetz[17] mit der – freilich wenig plausiblen – Folge, dass die im (neueren) PatAG enthaltenen höheren Anforderungen zur Qualifizierung des Patienten dann insoweit nicht zur Anwendung kommen, wie der (ältere) HPCA abweichende Regelungen getroffen hat.

Mit Blick auf die vorstehenden Argumentationen kann man ohne Übertreibung sagen, dass der Gesetzgeber bei Verabschiedung des PatAG die Anwendung dieser Regelungen im systematischen Verhältnis zu anderen Gesetzen („Einheit der Rechtsordnung“) nicht vollständig durchdacht hat. Dies könnte seine Befolgung in der Rechtswirklichkeit beeinträchtigen und damit seinen Normzweck beschädigen, wenn derartige Zweifel auf die behandelnden Ärzte und/oder Patienten durchschlagen.

3. Unbestimmte Rechtsbegriffe

In § 14 Abs. 1 Nr. 5 PatAG wird das Ablehnungsrecht des Patienten u.a. auch für eine klinische Situation eröffnet, in welcher der Patient „unerträglichen Schmerzen“ erleidet oder ohne „Hoffnung auf Heilung“ ist. Beide Varianten gründen sich auf ausnehmend unbestimmte Rechtsbegriffe, deren Auslegung und Anwendung erhebliche Schwierigkeiten bereiten dürfte. Eine besondere Herausforderung bildet dabei der Umstand, dass der Bewertungsmaßstab hierfür – wann sind Schmerzen nicht mehr aushaltbar? wann liegt eine „infauste“ Lage vor? – innerhalb der Gesellschaft aufgrund divergierender Werthaltungen kein einheitlicher ist. Und es ist sehr zweifelhaft, ob in dieser Hinsicht überhaupt ein gesamtgesellschaftlicher Konsens überhaupt erwartet werden kann. Bis dahin bleibt dieser Regelungsteil unanwendbar, sofern man die benannten Anwendungsvoraussetzungen der Nr. 5 nicht vom Willen und damit rein subjektiven Belieben des Patienten abhängig machen wollte.

4. Der medizinische Bevollmächtigte

Nach §§ 3 Nr. 5, 10 Abs. 3 Nr. 3 PatAG ist die wichtigste Aufgabe bzw. Befugnis des medizinischen Bevollmächtigten die „Äußerung des [Patienten-]Willens gemäß der Patientenverfügung in Vertretung des Patienten“. Daraus lässt sich klar entnehmen, dass der medizinische Bevollmächtigte keine Befugnis hat, eine eigene Willenserklärung nach eigenen Richtigkeitsvorstellungen abzugeben. Der medizinische Bevollmächtigte erscheint danach nur mehr als Überbringer (Bote) des Patientenwillens, nicht jedoch als sein Stellvertreter des Patienten im juristischen Sinne. Die rechtliche Positionierung des medizinischen Bevollmächtigten ist daher unklar.

5. Aktualisierung der Wünsche des Patienten

In der aktuellen Literatur wird noch eine weitere gravierende Unklarheit des PatAG genannt: Wenn ein Patient seine Überlegungen bzw. Wünsche ändern will, nachdem seine Patientenverfügung bereits errichtet ist, weil sich beispielsweise die medizinische Technik im Laufe der Jahre verbessert hat, dann ist fraglich, ob und auf welche Weise der Patient seinen veränderten Willen mit rechtlicher Gültigkeit bekunden kann. Zwar sieht § 13 PatAG einen Widerruf oder eine Änderung der Patientenverfügung durchaus vor; die Gültigkeit einer solchermaßen neuen Willensbekundung setzt danach jedoch voraus, dass dies bei der zuständigen Zentralbehörde neu beantragt werden muss. In der Zwischenzeit bleibt die ältere Fassung der Patientenverfügung gem. § 9 Abs. 1 Nr. 3 PatAG in jener veralteten Fassung eingetragen und auf der elektronischen Gesundheitskarte gespeichert. Wenn der Patient nunmehr während des erforderlichen Änderungsprozesses z.B. durch einen Unfall bewusstlos geworden ist oder aus anderen Gründen seine Wünsche nicht mehr deutlich äußern kann, bleibt sein mittlerweile aktualisierter Wille unberücksichtigt. Der Prozess der Aktualisierung und ggf. Modifizierung der Patientenwünsche zur Gewährleistung der Patientenautonomie ist ersichtlich mangelhaft.[18]

V. Fazit

Die Patientenautonomie beinhaltet die freie Entfaltung der Persönlichkeit für jeden Patienten auf der Grundlage seiner unverlierbaren und unverfügbaren Menschenwürde. Hierzu gehört insbesondere auch das Recht zur Mitbestimmung über lebenserhaltende oder -beendende Maßnahmen (Einwilligungserfordernis). Von dieser Warte aus ist der Zielrichtung des neuen PatAG, das sich erstmals unmittelbar an den Patienten richtet und ihm ausdrücklich Rechte zuerkennt, zuzustimmen. Die Besonderheit des PatAG liegt darin, dass es zur Gewährleistung der Patientenautonomie für willensunfähige Patienten ein System mit drei Kompensationen einführt: ACP(Advance Care Planning), AD (Advance Decision) und DPA(Durable Power of Attorney). Mit diesem System können nicht nur die Wünsche des Patienten realisiert, sondern kann auch das Verhältnis zwischen Arzt und Patienten verbessert werden.

 

 

[1]     http://law.moj.gov.tw/Eng/LawClass/LawAll.aspx?PCode=L0020066(zuletzt abgerufen am 2.1.2019).
[2]     http://law.moj.gov.tw/Eng/LawClass/LawAll.aspx?PCode=L0020021 (zuletzt abgerufen am 2.1.2019).
[3]     Agenda Related Documents of Legislative Yuan, 2015/5/20, Nr. 1155/17769, S. 109.
[4]     Chien-Yu Liao, Die Entwicklungen des Patientenautonomiegesetzes für das derzeitige System (I), Angle Health Law Review 2017/1, Nr. 3, S. 145; vgl. Li-Ching Chang, Patient Autonomy Act ‒ Choice of Good Death, Tunghai University Law Review 2016/12, Nr. 50, S. 9 ff.
[5]     Z.B. § 63 Abs. 1 Medical Care Act: „Medical care institutions shall explain the reasons for surgical operation, success rate, possible side-effects and risks to the patient or his/her legal agent, spouse, kin, or interested party, and must obtain his/her consent and signature on letter of consent for surgery and anesthesia before commencing with surgical procedure. However, in case of emergency, the provisions above shall not apply.“ – § 12-1 Physicians Act: „When diagnosing and treating patients, a physician shall inform the patient or the patients family of the status of the disease, treatment principles, treatment, medication, prognosis and possible unfavorable reactions.“
[6]     Hsiao-Chih Sun, Einführung zum Patientenautonomiegesetz, Hospital, 2016/2, Nr. 49/1, S. 2.
[7]     Chen-Chi Wu/Fu-Chang Tsai, Anmerkungen zu den Auswirkungen des Patientenautonomiegesetzes, Hospital, 2016/2, Nr. 49/1, S. 7.
[8]     Hsiao-Chih Sun (Fn. 6), S. 3.
[9]     Hsiao-Chih Sun (Fn. 6), S. 3.
[10]   § 60 Abs. 1 Medical Care Act: „Medical care institutions shall not solicit patients through improper manners proclaimed and prohibited by the central competent authority.“ ; § 21 Physicians Act: „A physician may not without reason delay treatment according to his professional abilities of a critically ill patient, nor may he without reason delay the adoption of necessary measures.“
[11]   Der Inhalt des § 6 PatAG ist ähnlich wie der Inhalt der §§ 63, 64 Medical Care Act. Der Normzweck des § 6 PatAG liegt in der Koordinierung der in §§ 63, 64 Medical Care Act getroffenen Regelungen. Außerdem ist das Normsubjekt vom Medical Care Act nicht der Patient, sondern der Arzt; im Gegensatz dazu ist die modifizierte Darstellung desPatAG zur Respektierung der Patientenautonomie der Patient als das Normsubjekt.Siehe dazu Agenda Related Documents of Legislative Yuan, 2015/5/20, Nr. 1155/17769, S. 113.
[12]   § 1186 Civil Code: (1) A person without disposing capacity may not make a will. (2) A person limited in disposing capacity may make a will without first obtaining the approval of his statutory agent. But a person who has not completed his sixteen years of age may not make a will.“
[13]   Yat-Che Cheng/Chao-Jung Shih, An Euthanasia – A Brief Comment on the Patient’s Self-determination Right Act, Taiwan, 2016, The Military Law Journal, 2016/8, Nr. 62/4, S. 32.
[14]   Yat-Che Cheng/Chao-Jung Shih (Fn. 13), S. 21.
[15]   Vgl. Yat-Che Cheng/Chao-Jung Shih (Fn. 13), S. 23.
[16]   Vgl. Chen-Chi Wu/Fu-Chang Tsai (Fn. 7), S. 8 ff.
[17]   Vgl. Yat-Che Cheng/Chao-Jung Shih (Fn. 13), S. 23.
[18]   Yat-Che Cheng/Chao-Jung Shih (Fn. 13), S. 32.

 

 

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