Gesetzentwurf zur modernen und praxistauglichen Ausgestaltung des Strafverfahrens, zur Modernisierung der Zeugnisverweigerungsrechte in gerichtlichen Verfahren und zur Überarbeitung von Vermögensabschöpfung und Unterbringung im Jugendstrafrecht

Gesetzentwürfe: 

Am 17. Dezember 2024 hat die Fraktion der FDP einen Gesetzentwurf zur modernen und praxistauglichen Ausgestaltung des Strafverfahrens, zur Modernisierung der Zeugnisverweigerungsrechte in gerichtlichen Verfahren und zur Überarbeitung von Vermögensabschöpfung und Unterbringung im Jugendstrafrecht in den Bundestag eingebracht. Um die Bürger:innen selbst und ihr Vertrauen in die Funktionstüchtigkeit der staatlichen Institutionen zu schützen, seien die Mittel des Strafrechts unerlässlich. Dazu gehöre aber auch, Strafverfahren in angemessener Dauer durchzuführen und dabei Beschuldigtenrechte zu wahren. Um das Strafverfahren an moderne Entwicklungen anzupassen, sollen bestimmte Aspekte praxistauglicher gestaltet werden. Ein zeitgemäßes Strafverfahren erfordere die Stärkung einer effektiven Verteidigung, eine transparente Verfahrensführung sowie eine zielgerichtete Kommunikation zwischen den Verfahrensbeteiligten und den Einsatz moderner Technik. Hinsichtlich moderner Entwicklungen seien insbesondere die Zeugnisverweigerungsrechte von Angehörigen nicht mehr zeitgemäß. Sie bilden die modernen Formen der Familie und des Zusammenlebens nicht mehr ausreichend ab. So habe das Verlöbnis an Bedeutung verloren und Kinder würden in vielfältigeren Familienkonstellationen und Lebensmodellen aufwachsen, die ein ebenso starkes Vertrauensverhältnis begründen, wie zwischen Ehegatten oder Verwandten. Dementsprechend könne dieses Vertrauensverhältnis auch zu einer vergleichbaren Konfliktlage führen. Ebenfalls seien Anpassungen im Jugendstrafrecht erforderlich. Im Rahmen von Reformen der StPO und der Vermögensabschöpfung seien flankierend Änderungen im Jugendstrafrecht vorgenommen worden, die letztlich dazu geführt hätten, dass die erforderliche Ausrichtung aller Rechtsfolgen am spezialpräventiven Ziel des Jugendstrafrechts in Einzelfällen erschwert worden sei. Weiteren Reformbedarf sieht der Entwurf im Rahmen des Jugendstrafrechts bei der Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus und dem Vorbehalt der Sicherungsverwahrung sowie bei der vollstreckungsrechtlichen Entscheidung über die Fortdauer dieser Maßregeln. Hinsichtlich der gerichtlichen Zuständigkeit bestehe hier eine sachlich nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung von Jugendlichen und Heranwachsenden gegenüber Erwachsenen. Eine Entscheidung über die Unterbringung nach § 63 StGB wird im allgemeinen Strafrecht von drei Berufsrichtern gefällt, während sie im Jugendstrafrecht vom Jugendschöffengericht gefällt werden kann, das nur mit einem Berufsrichter besetzt ist. Gleiches gilt für den Vorbehalt der Sicherungsverwahrung.

Der Entwurf sieht daher in den einzelnen Bereichen vor:

Recht der Verteidigung

  • konzentriertere Durchführung von Strafverfahren
  • Wegfall des Antragserfordernisses bei der notwendigen Verteidigung und Bestellung eines Pflichtverteidigers in allen Fällen der notwendigen Verteidigung ab der ersten Vernehmung oder Gegenüberstellung von Amts wegen
  • Möglichkeit der gerichtlichen Überprüfung von Verweigerungen zur Akteneinsicht durch die Staatsanwaltschaft
  • Recht zur Anwesenheit bei Tatortrekonstruktionen
  • Gewährleistung der Vertraulichkeit von Gesprächen inhaftierter Beschuldigter mit einem potentiellen Verteidiger bereits bei Gesprächen über die Begründung eines Mandatsverhältnisses

Beweiserhebung und Beweisaufnahme

  • Möglichkeit der Bezugnahme auf Abbildungen und Videomaterial, das sich auf elektronischen Speichermedien befindet
  • Möglichkeit der audiovisuellen Aufzeichnung der Vernehmung von Zeug:innen im Ermittlungsverfahren
  • Überarbeitung der Vorschriften über eine Trennung von beschuldigter Person und Zeug:innen während der Vernehmung im Ermittlungs- und Hauptverfahren
  • Ausweitung der Regelungen des sogenannten Selbstleseverfahrens auf Augenscheinsobjekte, die zugleich Urkunden sind
  • Möglichkeit der Zulassung englischsprachiger Urkunden ohne Übersetzung als Beweismittel, wenn alle Verfahrensbeteiligten über die erforderlichen Sprachkenntnisse verfügen
  • Beweisverwertungsverbot für belastende Angaben aus einem Verwaltungsverfahren

Förderung der Kommunikation zwischen den Verfahrensbeteiligten

  • Möglichkeit der Unterbrechung der Hauptverhandlung von bis zu zwei Monaten
  • Erweiterung der Möglichkeit einer Eröffnungserklärung der Verteidigung
  • Einführung einer Hinweispflicht des Gerichts im Rahmen der Beweisaufnahme bei unterschiedlicher Beurteilung von Beweis- oder Rechtslage

Anpassungen im Bereich des Rechtsmittelrechts

  • Ergänzung zum Rechtsmittelverzicht bei der strafprozessualen Verständigung
  • Stärkere Berücksichtigung des Einzelnen bei Revisionsverfahren von Mitverurteilten

Änderung des Zeugnisverweigerungsrechts der Angehörigen des Beschuldigten

  • Zeugnisverweigerungsrecht für Verlobte entfällt
  • neue Zeugnisverweigerungsrechte für Partner:innen einer eheähnlichen Lebensgemeinschaft, die in einem gemeinsamen Haushalt leben, oder Partner:innen, deren Eheschließungstermin bereits amtlich festgesetzt wurde
  • Zeugnisverweigerungsrecht für Personen, die durch eine soziale Eltern-Kind Beziehung oder soziale Geschwisterbeziehung verbunden sind

Änderung des JGG

  • Möglichkeit des (teilweise) Absehens von der obligatorischen Anordnung der Wertersatzeinziehung i.R.d. § 73c StGB i.V.m. § 2 Abs. 2 JGG
  • sachliche Zuständigkeit der Jugendkammer bei einer zu erwartenden Unterbringung nach § 63 StGB
  • Anpassung von § 33b JGG, so dass sichergestellt ist, dass die künftig ausnahmslos zuständige Jugendkammer in einschlägigen Fällen stets mit drei Berufsrichtern besetzt ist
  • Zuständigkeit der Jugendkammer für Entscheidungen über die Fortdauer der Vollstreckung der Maßregel

 

 

 

Modernisierung des Strafrechts

Gesetzentwürfe: 

Am 19. Dezember 2024 hat die Fraktion der FDP einen Gesetzentwurf zur Modernisierung des Strafrechts in den Bundestag eingebracht. Das Strafrecht sei für den elementaren Rechtsgüterschutz der Gemeinschaft unerlässlich. Ein regelmäßiges Übermaß an Repression gebe jedoch Motive für weitere Rechtsgütergefährdungen, denn schließlich stehe das Strafrecht „im Spannungsfeld zu wichtigen Gemeinschaftsgütern wie Freiheit, Verhältnismäßigkeit und Menschenwürde“. Zudem sei es eine Frage des sozialen, technologischen und wirtschaftlichen Wandels, welche konkreten Rechtsgüter des strafrechtlichen Schutzes überhaupt bedürften. Der Gesetzgeber schöpfe und verschärfe regelmäßig Straftatbestände. Dabei sei es aber nach dem Ultima-Ratio-Grundsatz auch erforderlich, das Strafrecht daraufhin zu prüfen, ob Straftatbestände ganz oder teilweise überholt seien, weil sie ihren Zweck nicht oder nicht mehr angemessen erfüllen. Nicht zuletzt könne aus einem praktischen Nutzen heraus so auch die Justiz entlastet werden. Der Entwurf sieht daher folgende Änderungen vor:

  • Der Tatbestand des § 142 StGB soll in zwei Tatbestände gefasst werden: Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort nach einem Unfall mit Personenschaden (§ 142 StGB-E) und Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort nach einem Unfall ohne Personenschaden (§ 143 StGB-E). Bei letzterem wird eine alternative Meldemöglichkeit eingeführt, so dass bei entsprechender Wahrnehmung kein strafbarer Verstoß vorliegt.
  • Die Beförderungserschleichung (§ 265a Abs. 1 Var. 3 StGB) wird gestrichen. Sie wird in einen Ordnungswidrigkeitentatbestand überführt, der das Fahren ohne Fahrschein mit einer Geldbuße bedroht (§ 118a OWiG-E).
  • Die Straftatbestände § 134 StGB (Verletzung amtlicher Bekanntmachungen), § 184f StGB (Ausübung der verbotenen Prostitution), § 290 StGB (Unbefugter Gebrauch von Pfandsachen), § 316a StGB (Räuberischer Angriff auf Kraftfahrer), § 323b StGB (Gefährdung einer Entziehungskur) und § 352 StGB (Gebührenüberhebung) werden aufgehoben.
  • Im Rahmen der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung (§ 217 StGB) sowie der Entziehung Minderjähriger (§ 235 StGB) soll die Rechtsprechung des BVerfG und des EuGH umgesetzt werden.
  • § 266b StGB soll den neuen technischen Gegebenheiten angepasst und der Scheckkartenmissbrauch gestrichen werden.
  • Innerhalb der Tötungsdelikte soll eine sprachliche Bereinigung erfolgen (in § 211 StGB soll der Begriff „Mörder“, in § 212 StGB sollen die Begriffe „ohne Mörder zu sein“ und „als Totschläger“ gestrichen werden). Im JGG sollen die Begriffe „Schädliche Neigungen“ sowie „Zuchtmittel“, die historisch belastet seien, durch angemessene Formulierungen ersetzt werden („Entwicklungsmängel im Sinne des § 17 Ab. 2 Nr. 1“ und „unrechtsverdeutlichenden Maßnahmen“).
  • Die Rechtsmittelbeschränkung in § 55 Abs. 1 JGG soll aufgehoben werden.

 

 

 

 

Änderung des Gewaltschutzgesetzes

Gesetzentwürfe: 

 

Am 2. Dezember 2024 hat das BMJ einen Referentenentwurf zur Änderung des Gewaltschutzgesetzes auf den Weg gebracht, um den zivilrechtlichen Gewaltschutz zu verbessern. Dafür soll zum einen die elektronische Aufenthaltsüberwachung verankert werden, zum anderen ist geplant, eine Rechtsgrundlage für die Verpflichtung zur Teilnahme an sozialen Trainingskursen zu schaffen. Das Beispiel Spaniens zeige, dass von einer weiteren Risikoverringerung auszugehen sei. Dort seien seit Anwendung der elektronischen Aufenthaltsüberwachung im Jahr 2009 keine Opfer mehr getötet worden. Ordnet das Familiengericht in Deutschland eine Maßnahme nach § 1 Abs. 1 oder Abs. 2 GewSchG an, ist dieser Verstoß bereits strafbewehrt („im Jahr 2023 wurden insgesamt 7.070 Tatverdächtige von Straftaten nach § 4 GewSchG registriert, davon 91,7 % männlichen (6483) und 8,3 % weiblichen Geschlechts (587), siehe Bundeslagebild Häusliche Gewalt 2023, S. 34“). Trotzdem geht das BMJ davon aus, „dass das Risiko eines Verstoßes durch eine zusätzliche Anordnung der elektronischen Aufenthaltsüberwachung signifikant abnehmen wird. (…) Durch die Einführung der elektronischen Aufenthaltsüberwachung im Gewaltschutzgesetz wird die Gewaltschutzanordnung auch in Deutschland effektiver überwacht werden. Zudem muss der Täter damit rechnen, dass die Polizei nach dem Verstoß gegen die Gewaltschutzanordnung – sei es ein statisches Verbot oder Abstandsgebot – und ausgelöstem Alarm ihn unmittelbar aufsuchen wird. Damit entfaltet die Anordnung der elektronischen Aufenthaltsüberwachung eine abschreckende Wirkung.“ Des Weiteren biete die elektronische Fußfessel auch zeitlich gesehen einen verbesserten Opferschutz. So müsse das Opfer die Polizei nicht mehr selbst informieren, wenn sich der Täter bereits in seiner Nähe aufhalte. Dies könne in diesem Fall bereits frühzeitig erkannt und Schutzmaßnahmen ergriffen werden.

Bayern, Brandenburg, Hamburg, Hessen, Nordrhein-Westfalen, das Saarland und Sachsen haben bereits eine Rechtsgrundlage für einen landespolizeilichen Schutz vor häuslicher Gewalt geschaffen und die elektronische Aufenthaltsüberwachung dort implementiert. Eine bundeseinheitliche Regelung soll diese nun ergänzen. Dies habe vor allem den entscheidenden Vorteil, dass der Schutz durch die elektronische Aufenthaltsüberwachung nicht an den Landesgrenzen der Länder ende. Ebenso bestehe in gravierenden Fällen die Notwendigkeit einer unmittelbaren Krisenintervention durch die Polizei. Letztlich hänge es derzeit häufig auch nur vom Zufall ab, ob zuerst ein Gewaltschutzantrag oder eine polizeiliche Standardmaßnahme ergriffen werde, die letztlich die Anordnung einer elektronischen Aufenthaltsüberwachung nach sich ziehen könne. Es sei nicht sachgerecht, dass in einem anders gelagerten Fall, wenn das Opfer beispielsweise vorübergehend (ohne polizeiliche Standradmaßnahme) aus der Wohnung fliehe und einen Gewaltschutzantrag stelle, das Familiengericht keine Anordnungskompetenz zur Aufenthaltsüberwachung habe. Des Weiteren soll mit den Änderungen dem Aspekt Rechnung getragen werden, dass eine polizeiliche Krisenintervention – bspw. bei Rückkehrverboten – auf 10 Tage begrenzt ist, während eine Gewaltschutzanordnung auf eine längere Regelungsdauer abziele. Letztlich komme man mit der Gesetzesänderung auch den Vorgaben der „Istanbul-Konvention“ (Art. 52. Und Art. 53) nach, wonach Verstöße gegen Näherungs- und Kontaktverbote Gegenstand wirksamer, verhältnismäßiger und abschreckender strafrechtlicher oder sonstiger rechtlicher Sanktionen sein müssen. Zwar sei die elektronische Aufenthaltsüberwachung keine Sanktion, diene aber der Effektivität der Gewaltschutzmaßnahme.

Mit der Verpflichtung zur Teilnahme an sozialen Trainingskursen werde eine aus Fachkreisen stammende Forderung aufgegriffen (Kotlenga, ZKJ 2023, 396, 399; Deutsches Institut für Menschenrechte, Berichterstattungsstelle geschlechtsspezifische Gewalt, Häusliche Gewalt im Umgangs- und Sorgerecht, 2023, Analyse, S. 41 f.; Stellungnahme der Geschäftsstelle des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge e.V. zu den Eckpunkten des Bundesministeriums der Justiz für eine Reform des Kindschaftsrechts vom 16. Januar 2024, S. 16). Im Hinblick auf Gewaltprävention sei die Täterarbeit ein wichtiges Instrument, um eine Verhaltensänderung zu bewirken.

 

 

 

Verbesserung des Schutzes vor sexueller Belästigung

Gesetzentwürfe: 

 

Am 24. Oktober 2024 hat das Land Niedersachsen einen Gesetzesantrag zur Verbesserung des Schutzes vor sexueller Belästigung in den Bundesrat eingebracht. Sexuelle Belästigung in Form des als so häufig bezeichneten „Catcalling“ sei nach zahlreichen Studien und Umfragen ein weiterverbreitetes Phänomen, das hauptsächlich Menschen aus dem LGBTQIA+-Personenkreis betreffe. Untersuchungen hätten gezeigt, dass diese Form der Belästigung erhebliche Auswirkungen auf die Lebensgestaltung und die psychische Gesundheit der Betroffenen habe. Der Begriff „Catcalling“ könne unangemessen verniedlichend empfunden werden und es sei zudem herabwürdigend, Betroffene mit Katzen gleichzusetzen. Insofern sei der Begriff zu vermeiden und die erfassten Verhaltensweisen sachlich als nichtkörperliche Belästigung zu bezeichnen. Auch eine solche Form der Belästigung könne in erheblichem Maße das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung verletzen, sei sie auch nach derzeitiger Rechtslage nicht strafbar. Die hohe Anzahl an Fällen mache es unmöglich, sie als Ordnungswidrigkeit zu ahnden, zumal die nicht körperliche Belästigung aktuell weder von § 118 OWiG, noch von § 119 OWiG erfasst werde. Eine Strafbarkeit wegen Beleidigung komme nach der Rechtsprechung des BGH im Einzelfall nur durch das Hinzutreten besonderer Umstände unter Würdigung des Gesamttatgeschehens in Betracht (vgl. BGH, Beschl. v. 16.2.2012 – 3 StR 13/12, NStZ-RR 2012, 206). Gleichwohl seien „Äußerungen wie diejenigen, über die der BGH zu entscheiden hatte, in höchstem Maße sozialschädlich und für das geordnete Zusammenleben der Bevölkerung unerträglich“, so der Entwurf. Daher seien derartige verbale oder vergleichbare nonverbale nichtkörperliche Belästigungen unter Strafe zu stellen. Als Vergleich zieht das Land Niedersachsen die Straftatbestände in den Niederlanden (Art. 429ter Wetboek van Strafrecht), Portugal (Art. 170 Codigo Penal), Belgien (Loi tendant à lutter contre le sexisme dans l’espace public et modifiant la loi du 10 mai 2007 tendant à lutter contre la discrimination entre les femmes et les hommes afin de pénaliser l’acte de discrimination) und in Frankreich (Art. 621-1 Code Penal – jedenfalls Verhängung einer Geldbuße) heran. Die aufgezeigte Strafbarkeitslücke sei auch in Deutschland zu schließen. Der Tatbestand soll dabei so eng gefasst werden, dass er nur tatsächlich strafwürdige Fälle erfasst. Das Erreichen der Erheblichkeitsschwelle sei jedoch nur im jeweiligen Einzelfall zu beurteilen. „Je nach Fallkonstellation dürfte jedoch ein einfaches sexuell motiviertes Anstarren oder ein isoliertes sexuell konnotiertes Erzeugen von Kuss- oder Pfeifgeräuschen regelmäßig nicht vom Tatbestand umfasst sein.“

Dem bisherigen § 184i Abs. 1 StGB soll daher ein neuer Absatz 1 vorangestellt werden:

„Wer eine andere Person in sexuell bestimmter Weise verbal oder nonverbal erheblich belästigt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft, wenn nicht die Tat in anderen Vorschriften dieses Abschnitts mit schwererer Strafe bedroht ist.“ 

Am 22. November 2024 hat sich der Bundesrat in seiner Plenarsitzung erstmals mit dem Gesetzesantrag Niedersachsens beschäftigen und ihn im Anschluss an die Sitzung zur weiteren Beratung an den federführenden Rechtsausschuss überwiesen. Zum Thema Catcalling siehe auch: Eisele, KriPoZ 2023, 230 ff.; Schmidt, KriPoZ 2023, 235 ff.; Greven/Goede/Brodtmann, KriPoZ 2022, 371 ff.; Hoven/Rubitzsch/Wiedmer, KriPoZ 2022, 175 ff.; Gemmel/Immig, KriPoZ 2022, 83 ff.

 

 

Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs

Gesetzentwürfe: 

 

Eine fraktionsübergreifende Gruppe Abgeordneter hat am 14. November 2024 einen Gesetzentwurf zur Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs auf den Weg gebracht. Auf dem Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG) beruhe eine staatliche Pflicht, das ungeborene Leben ab dem Zeitpunkt der Nidation zu schützen. Dieses Grundrecht sei aber in einen verhältnismäßigen Ausgleich mit dem Grundrecht der Schwangeren zu bringen, auf deren Seite insbesondere das allgemeine Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) betroffen ist. „Dieses Grundrecht gewährleistet umfassend die Selbstbestimmung über die persönliche Lebensgestaltung und umfasst damit auch ‚die Selbstverantwortung der Frau […], sich gegen eine Elternschaft und die daraus folgenden Pflichten zu entscheiden‘ (BVerfGE 39, 1, 43).“ Darüber hinaus werde auch das Leben, die körperliche Unversehrtheit und die Gesundheit Schwangerer (Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG) sowie die Intimsphäre tangiert. Zur Rechtfertigung von Eingriffen in diese Grundrechte bedürfe es gewichtiger Gründe. Nach derzeitiger Rechtslage gebe es jedoch Widersprüche, bspw. indem eine Beratungslösung als gesetzliches Verfahren vorgeschrieben sei, das aber nicht zwangsläufig zur Rechtmäßigkeit des Abbruchs führe. Des Weiteren erschwere die 12-Wochen-Frist den Zugang zum Schwangerschaftsabbruch für diejenigen, die sich er kurz vor Ablauf der Frist für einen Abbruch entscheiden oder aufgrund der prekären Versorgungslage keinen rechtzeitigen Abbruch mehr vornehmen lassen können. Schließlich sei auch noch die finanzielle Seite zu betrachten. Da der Schwangerschaftsabbruch nicht regelhaft in Sozialgesetzgebung und Gesundheitssystem verankert sei, gebe es Zugangsbarrieren in Form von fehlender Kostenübernahmen seitens der Krankenversicherungen und unzureichenden Versorgungsangeboten. Aufgrund dieser ganzen Auswirkungen sei die Selbstbestimmung sowie die persönliche Integrität und die körperliche Autonomie Schwangerer eingeschränkt, was zu körperlichen und seelischen Schäden führen könne. Der fraktionsübergreifende Entwurf sieht daher vor, „Regelungen über den Schwangerschaftsabbruch widerspruchsfrei so in die Gesamtrechtsordnung zu integrieren, dass die grundrechtlichen Positionen in einen verhältnismäßigen Ausgleich gebracht werden. Das erfordert die Akzeptanz eigenverantwortlicher Entscheidungen Schwangerer über die Schwangerschaft jedenfalls in den ersten Wochen der Schwangerschaft.“ Als Orientierungsgrundlage dient hauptsächlich der Bericht der Kommission zur reproduktiven Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin

Der Entwurf sieht u.a. vor: 

  • Möglichkeit des rechtmäßigen Abbruchs bis zur 12. SSW, der Abbruch nach der 12. SSW bleibt rechtswidrig, kann aber bei medizinischer Indikation rechtmäßig sein
  • Umsetzung der staatlichen Schutzpflicht durch Unterstützung, Beratung und Zugang zu sozialen Dienstleistungen
  • Schutz mittels strafrechtlicher und ordnungswidrigkeitsrechtlicher Regelungen im Sachregelungszusammenhang innerhalb des Schwangerschaftskonfliktgesetzes
  • Prävention ungewollter Schwangerschaften durch Aufklärung und Verfügbarkeit von Verhütungsmitteln als Teil der Gesundheitsleistungen für Menschen aller Altersgruppen
  • § 218a Abs. 3 StGB wird im Schwangerschaftskonfliktgesetz neu geregelt 
  • § 218 StGB regelt den Schwangerschaftsabbruch gegen oder ohne den Willen der Schwangeren
  • Nichteinhaltung der Voraussetzungen des rechtmäßigen Schwangerschaftsabbruchs strafbewehrt in § 14 SchKG-neu
  • §§ 218b, 218c, 219b StGB werden in das Schwangerschaftskonfliktgesetz übertragen und – soweit erforderlich – zu Bußgeldtatbeständen

Am 5. Dezember 2024 wurde der Entwurf zusammen mit einem Antrag verschiedener Abgeordneter zur Verbesserung der Versorgungslage von ungewollte Schwangeren (BT-Drs. 20/13776) nach erster Lesung zur weiteren Beratung an die Ausschüsse überwiesen. 

 

 

Modernisierung des Computerstrafrechts

Gesetzentwürfe: 

 

Am 4. November 2024 hat das BMJ einen Referentenentwurf zur Modernisierung des Computerstrafrechts auf den Weg gebracht. Infolge fortschreitender Digitalisierung, müsse der Gesetzgeber darauf achten, das Computerstrafrecht entsprechend zu modernisieren, um den angestrebten Rechtsgüterschutz aufrechtzuerhalten und zu verbessern. Die IT-Sicherheit sei „die Achillesferse der Informationsgesellschaft“, so der Entwurf. Daher habe es größte Bedeutung, Sicherheitslücken zu schließen, um Cyberangriffe abzuwehren. Problematisch sei aber insofern, dass die IT-Sicherheitsforschung beim Aufspüren von Sicherheitslücken regelmäßig den Zugriff auf fremde Informationssysteme und Daten notwendig mache, die sich bereits im praktischen Einsatz befinden würden. Dies berge Strafbarkeitsrisiken, da solche Zugriffshandlungen Straftatbestände erfüllen könnten, die dem Schutz des formellen Datengeheimnisses oder der Unversehrtheit von Daten und IT-Systemen dienten (§§ 202a ff., 303a f. StGB). Des Weiteren bilde das aktuelle Strafrecht die Gefährlichkeit und das hohe Schadenspotential von Computerdelikten nicht mehr ab. Der Entwurf sieht daher vor, eine klare Abgrenzung zwischen nicht zu missbilligendem Handeln der IT-Sicherheitsforschung und strafwürdigem Verhalten zu treffen. So soll bei der Beeinträchtigung kritischer Infrastruktur ein entsprechend höherer Strafrahmen angesetzt und im Rahmen der §§ 202a und 202b StGB Regelbeispiele für besonders schwere Fälle eingefügt werden. 

§ 202a werden die folgenden Absätze 3 und 4 angefügt:

(3) „ Die Handlung ist nicht unbefugt im Sinne des Absatzes 1, wenn

1. sie in der Absicht erfolgt, eine Schwachstelle oder ein anderes Sicherheitsrisiko eines informationstechnischen Systems (Sicherheitslücke) festzustellen und die für das informationstechnische System Verantwortlichen, den betreibenden Dienstleister des jeweiligen Systems, den Hersteller der betroffenen IT-Anwendung oder das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik über die festgestellte Sicherheitslücke zu unterrichten und

2. sie zur Feststellung der Sicherheitslücke erforderlich ist.

(4) In besonders schweren Fällen des Absatzes 1 ist die Strafe Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn der Täter

1. einen Vermögensverlust großen Ausmaßes herbeiführt,

2. aus Gewinnsucht oder gewerbsmäßig handelt oder als Mitglied einer Bande, die sich zur fortgesetzten Begehung von solchen Taten verbunden hat oder

3. durch die Tat die Verfügbarkeit, Funktionsfähigkeit, Integrität, Authentizität oder Vertraulichkeit einer kritischen Infrastruktur*) oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder eines ihrer Länder beeinträchtigt.“

 

Bundesjustizminister Dr. Marco Buschmann erklärt dazu:
„Wer IT-Sicherheitslücken schließen möchte, hat Anerkennung verdient – nicht Post vom Staatsanwalt. Denn Sicherheitslücken in IT-Systemen können in unserer vernetzten Welt dramatische Folgen haben. Cyberkriminelle und fremde Mächte können IT-Sicherheitslücken als Einfallstore nutzen. Krankenhäuser, Verkehrsunternehmen oder Kraftwerke können so lahmgelegt werden; persönliche Daten können ausspioniert, Unternehmen können ruiniert werden. Es ist deshalb im gesamtgesellschaftlichen Interesse, dass IT-Sicherheitslücken aufgedeckt und geschlossen werden. Mit dem Gesetzentwurf werden wir Strafbarkeitsrisiken für Personen ausschließen, die sich dieser wichtigen Aufgabe annehmen. Gleichzeitig werden wir die Strafen für besonders gefährliche Fälle des Ausspähens und Abfangens von Daten anheben.“

 

 

 

 

 

 

 

Bedrohungen von Zeuginnen und Zeugen und Gerichtspersonen

Gesetzentwürfe: 

 

Das Land Berlin hat am 13. September 2024 einen Gesetzesantrag zur Änderung des StGB und der StPO – Bedrohung von Zeuginnen und Zeugen und Gerichtspersonen auf den Weg gebracht. Der Gesetzentwurf beabsichtigt, insbesondere die Organisierte Kriminalität in dem Phänomenbereich intensiver zu bekämpfen. Aus der medialen Berichterstattung seien vermehrt Bedrohungshandlungen gegenüber Zeug:innen und Gerichtspersonen bekannt geworden. Sie seien durch Angeklagte eingeschüchtert oder von Angehörigen von Großfamilien aufgesucht und bedroht worden. Auch Richter:innen und Staatsanwält:innen seien mit dem Tod bedroht worden, so dass für die besagten Personen sogar ein polizeilicher Personenschutz erforderlich wurde. Um die Hemmschwelle für die Begehung von Straftaten in diesem Kontext zu reduzieren, soll dem Tatbestand der Nötigung in § 240 Abs. 4 Nr. 3 StGB ein weiteres Regelbeispiel hinzuzufügen. Flankierend sollen die Taten dem Katalog der §§ 100a Abs. 2 und 100g Abs. 2 StPO hinzugefügt werden. 

„§ 240 Abs. 4 wird wie folgt geändert:

1. Am Ende von Nummer 2 das Wort „oder“ ergänzt und das Komma gestrichen.
2. Nach Nummer 2 wird folgende Nummer 3 eingefügt:

3. einen Verfahrensbeteiligten oder eine Beweisperson in einem Strafverfahren nötigt, seine oder ihre Rechte und Pflichten nicht oder in einem bestimmten Sinne auszuüben.“

 

 

Änderung des Europol-Gesetzes

Gesetzesentwürfe:

Die Bundesregierung hat am 30. September 2024 einen Gesetzentwurf zur Änderung des Europol-Gesetzes vorgelegt. Es soll durch die Änderungen an neue europarechtliche Vorgaben, insbesondere der Europol-Verordnung (EU) 2022/991, die am 28. Juni 2022 in Kraft getreten ist, angepasst werden. Diese sieht neue Regelungen zur Zusammenarbeit von Europol mit privaten Parteien, der Verarbeitung von personenbezogenen Daten durch Europol und die Rolle von Europol in der Forschung vor. 

Zwar muss die Verordnung (EU) 2022/991 nicht umgesetzt werden, jedoch sind die innerstaatlichen Regelungen zur Zuständigkeit beteiligter Behörden von Bund und Länder bei der Zusammenarbeit mit Europol teilweise von dem bisherigen Europol-Gesetz vom 16. Dezember 1997 (BGBI. 1997 II S. 2150) abhängig. Es müsse demnach überprüft werden, inwiefern das Europol-Gesetz dahingehend Vorschriften beinhaltet, die anzupassen sind, weil einzelne Bestimmungen durch das Inkrafttreten der Verordnung (EU) 2022/991 einer Modifizierung bedürfen. Insoweit ist wesentlicher Inhalt des Entwurfs „die Anpassung des Europol-Gesetzes an die geänderte Europol-Verordnung“.

Strafbarkeit des Sexkaufs

Gesetzentwürfe:

Die CDU/CSU-Fraktion hat am 20. Februar 2024 einen Gesetzesantrag zur Einführung einer Strafbarkeit des Sexkaufs (BT-Drs. 20/10384) in den Bundestag eingebracht. Die Vorlage wurde am 23. Februar 2024 erstmals beraten und anschließend an den Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend überwiesen. Der Antrag erachtet das Prostitutionsgesetz von 2002 als gescheitert und bemängelt, dass die (versuchte) Legalisierung das Schutzniveau der betroffenen Personen nicht verbessert hat; vielmehr habe sich die tatsächliche Situation in der Prostitution erheblich verschlechtert. Der Antrag kritisiert, dass ein Großteil der betroffenen Personen unfreiwillig in die Armut abrutschen und täglich sexueller Ausbeutung, Gewalt und Missbrauch ausgeliefert sind. Auch das Prostituiertenschutzgesetz von 2017 habe an dieser Lage nichts geändert. 

Der Antrag zielt insoweit darauf ab, eine allgemeine Freierstrafbarkeit einzuführen. Der Kauf sexueller Dienstleistungen soll zukünftig pönalisiert werden und als Vergehen einzustufen sein. Allerdings sollen Prostituierte selbst nicht aufgrund der Ausübung der Tätigkeit kriminalisiert werden; vielmehr sollen allein die Kunden der Dienstleistung strafrechtlich erfasst werden. Zudem soll auch der Betrieb von Prostitutionsstätten (Bordelle, Laufhäuser, etc.) verboten werden. Die Unionsfraktion fordert insoweit die Durchsetzung eines „Nordischen Modells“. 

Am 23. September 2024 haben sich zahlreiche Sachverständige im Rahmen einer öffentlichen Anhörung im Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend des Deutschen Bundestages zu den geplanten Änderungen geäußert. Eine Liste der Sachverständigen und deren Stellungnahmen finden Sie hier.

Johanna Weber, politische Sprecherin des Berufsverbands erotische und sexuelle Dienstleistungen, sehe den Mehrwert eines Sexkaufsverbots als gering an; vielmehr würde ein Verbot die Sexarbeitenden in eine noch unsichere Lage zwingen – und teilweise auch vollständig in die Illegalität. Es gebe vielmehr keine wissenschaftlichen Nachweise, dass die meisten Sexarbeitenden zur Tätigkeit gezwungen werden. Ähnlich äußert sich Erika Krause-Schöne (GdP), wonach ein Sexkaufverbot die Prostitution zunehmend in das Dunkelfeld verlagere – und die Verfolgung von schwersten Straftaten (z.B. Zwangsprostitution) deutlich erschwere. Stefanie Kohlmorgen, Vorständin beim Bündnis der Fachberatungsstellen für Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter (bufas), kritisiert die (unüberlegte) Vermischung von Sexarbeit mit Zwangsprostitution und Menschenhandel. Ein Sexkaufverbot verstärke viel eher das Stigma gegen Sexarbeitende und verstoße gegen deren Berufsfreiheit. Auch Andrea Hitze vom bundesweiten Koordinierungskreis Menschenhandel (KOK) lehne ein Sexkaufverbot ab. Durch das nordische Modell wird die Sexarbeit erneut in eine rechtliche Grauzone gedrängt; insbesondere werden Sexarbeitende mit einem Verbot in ihrer Selbstbestimmung untergraben. Hitze fordere vielmehr Respekt und Anerkennung für die Autonomie der Beschäftigten. Auch Margarete Gräfin von Galen, Fachanwältin für Strafrecht, betont den verfassungsrechtlichen Schutz der Sexarbeit durch die Berufsfreiheit. Letztlich sah Alexandra Sußmann, Bürgermeisterin der Landeshauptstadt Stuttgart und Vorsitzende des Gesundheitsausschusses des Deutschen Städtetages, die aktuelle Gesetzgebung zur Prostitution nicht als gescheitert an. Vielmehr müsse die laufende Evaluation des Prostituiertenschutzgesetzes abgewartet – und dann ggf. nachjustiert werden.

Huschke Mau, Gründerin des Netzwerks Ella, konstatiert, dass Deutschland als das Bordell Europas gelte. Insgesamt sei eine Trennung zwischen erzwungener und freier Prostitution oftmals unmöglich – das nordische Modell sei daher als guter Ansatz zu bewerten. In eine ähnliche Richtung geht die Stellungnahme von Claire Quitte, Präsidentin der Nid-Bewegung (Mouvement du Nid) in Frankreich, die den Vergleich zur französischen Lage bemüht. In Frankreich gelte seit 2016 ein Sexkaufverbot, wodurch klar signalisiert werde, dass eine sexuelle Handlung nicht käuflich erworben werden könne. Ähnlich äußert sich Gerhard Schönborn, Vorsitzender des Vereins Neustart – Christliche Lebenshilfe. Schönborn kritisiert die aktuellen Regelungen und befürchtet mit diesen eine Verschlimmerung der (derzeitigen) menschenverachtenden Zustände. Zwar könne das nordische Modell die Prostitution nicht vollständig beseitigen, allerdings überwiegen die Vorteile einer neuen Gesetzgebung. Alexander Dierselhuis, Polizeipräsident in Duisburg, sprach sich auch für ein Sexkaufverbot aus und sah dies als wichtiges Element zur Bekämpfung der Rotlichtkriminalität an. Durch die Verkleinerung des Marktes könnten sich die Strafverfolgungsbehörden auf die schweren Fälle der Rotlichtkriminalität konzentrieren.

Gesetzentwurf zur Verbesserung der Terrorismusbekämpfung

Gesetzentwürfe:

Am 10.9.2024 haben die Koalitionsfraktionen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP einen Gesetzentwurf „zur Verbesserung der Terrorismusbekämpfung“ in den Bundestag eingebracht (BT-Drs. 12806). Der Entwurf wurde anlässlich des Anschlages in Solingen vom 23. August 2024 eingebracht und soll das von der Koalition beschlossene Sicherheitspaket gesetzgeberisch umsetzen. Das Paket betrifft insbesondere drei Gebiete: das Waffenrecht, die Extremismus- und Terrorismusbekämpfung sowie das Aufenthaltsrecht.

Hierbei sollen insbesondere die Befugnisse der Sicherheits- und Strafverfolgungsbehörden  – angepasst an die Herausforderungen in einer digitalisierten Welt –  erheblich ausgeweitet  werden: Hierzu gehören unter anderem der biometrische Internetabgleich, die automatisierte Datenanalyse sowie Anfragen des BKA bei Banken. Zudem soll die Festsetzung von Waffenverbotszonen erleichtert werden. 

Die Befugnis zum biometrischen Abgleich von öffentlich zugänglichen Daten aus dem Internet sei erforderlich, damit die Strafverfolgungs- sowie Sicherheitsbehörden biometrische Daten von Gesichtern und Stimmen mittels automatisierter Daten mit Internetdaten (z.B. Auftritten auf sozialen Medien) abgleichen können. Dadurch sollen mutmaßliche Terroristen und Tatverdächtige identifiziert und lokalisiert werden können.

Zugleich soll es dem Bundeskriminalamt und der Bundespolizei ermöglicht werden, automatisierte Datananalysen durchzuführen. Hierdurch könne gewährleistet werden, dass diese Behörden große Datenmengen effektiv auswerten und ggf. Verbindungen/Beziehungen zwischen Informationen herstellen können. Zum Zwecke der Rechtssicherheit bedarf es hierzu einer entsprechenden Rechtsgrundlage.

Die Bundespolizei soll zukünftig auch dazu befugt sein, anlassbezogen im Bereich von Waffenverbotszonen oder im Geltungsbereich von bundespolizeilichen Allgemeinverfügungen stichprobenartige Befragungen, Identitätskontrollen sowie Durchsuchungen von Personen durchzuführen, die diese Bereiche betreten möchten oder sich darin befinden.

Am 23. September 2024 haben sich zahlreiche Sachverständige im Rahmen einer öffentlichen Anhörung im Ausschuss für Inneres und Heimat zu den zahlreichen Gesetzesentwürfen des „Sicherheitspakets“ – hierzu zählt auch der Entwurf „zur Verbesserung der Terrorismusbekämpfung“ – geäußert. Eine Liste der Sachverständigen und deren Stellungnahmen finden Sie hier. Die Sachverständigen erachteten die Vorschläge überwiegend kritisch.

Finn-Christopher Brüning (Deutscher Städte- und Gemeindebund) bemängelte, dass die vorgeschlagenen Änderungen die Sicherheitslage in Deutschland nicht verbessern könnten; vielmehr müssten die Sicherheitsbehörden personell besser aufgestellt und relevante Zuständigkeits- und Kompetenzerweiterungen vorgenommen werden. Eine ähnliche Stoßrichtung wiesen die Stellungnahmen von Jörg-Henning Gerdemann (Rechnungshof der Freien und Hansestadt Hamburg) und Niels Heinrich (Fachliche Leitstelle Nationales Waffenregister [NWR], Hamburg) auf. Gerdemann konstatierte, dass neue Waffenverbotszonen bzw. Verbotsgebiete schon aufgrund des Umfangs dazu führten, dass effektive polizeiliche Kontrollen nicht möglich seien. Heinrich sah in den geplanten Änderungen des Waffenrechts eine erhebliche und weitgehend folgenlose (Mehr-)Bürokratisierung; selbst die vorgeschlagenen waffenrechtlichen Maßnahmen hätten Taten wie Mannheim und Solingen nicht verhindern können. Neben der Kritik an der Effektivität der gesetzlichen Änderungen wurde auch vor einer unangemessenen Beeinträchtigung von (datenbezogenen) Grundrechten gewarnt. Prof. Dr. Dennis-Kenji Kipker von der Universität Bremen sprach von einem „sicherheitsbehördlichen Daten-Supergau“ und sah mit der geplanten Vorfelderfassung von persönlichen Daten den Weg zum „gläsernen Bürger“ geebnet. Sarah Lincoln (Gesellschaft für Freiheitsrechte) konstatierte, dass die Verschärfungen an zahlreichen Stellen die Rechtsprechung des BVerfG sowie höherrangiges Recht nicht hinreichend beachteten und eine Abwägung von Grundrechten vermissen ließen; sie plädierte für weniger populistische Maßnahmen und mehr Bildung, Prävention und psychosoziale Unterstützung. Auch Dr. Stephan Schindler von der Universität Kassel wies auf die erheblichen Grundrechtseingriffe hin, die mit den vorgeschlagenen Ermächtigungen zum nachträglichen Datenabgleich einhergehen. Vielmehr seien Regelungen notwendig, die das verfassungsrechtliche Verhältnismäßigkeitprinzip wahrten (z.B. Überprüfung der Ergebnisse durch qualifizierte Personen). Prof. Dr.-Ing. Christoph Sorge (Universität des Saarlandes) sowie Prof. Dr. Louisa Specht-Riemenschneider (Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit) bemängelten ebenfalls, dass die Vorschläge bezüglich einer Regelung zur Verarbeitung biometrischer Daten nicht konkret genug seien. Specht-Riemenschneider erachtete die Tatbestandsmerkmale geplanten Eingriffsermächtigungen zur Gesichtserkennung als zu unscharf; blieben diese Mängel bestehen, drohen Eingriffe in die (Grund-)Rechte unbeteiligter Personen.  Sorge bezweifelte die Vereinbarkeit des Vorhabens mit höherrangigem europäischem Recht. Hingegen sahen manche Sachverständigen durchaus positive Ansätze in den Gesetzesvorschläge. Die Einführung einer Regelung zum biometrischen Internetabgleich wurde von Martina Link (BKA) befürwortet; dadurch werde es deutlich einfacher, Attentäter und Gefährder, die noch nicht polizeilich registriert sind, zu identifizieren. Gerade für die zeitgemäße Polizeiarbeit sei eine Rechtsgrundlage für eine automatisierte Datenanalyse wichtig. Auch für Dr. Klaus Ritgen (Deutscher Landkreistag) gingen die Gesetzesvorschläge in die richtige Richtung; dieser betonte, dass die Gesetzesentwürfe der Begrenzung der hohen irregulären Migration angemessen dienen. Auch Andre Schuster des Deutschen Städtetages unterstützte grundsätzlich die sicherheitsbezogenen Maßnahmen; allerdings merkte Schuster auch an, dass trotzdem ein rechtsstaatliches und faires Verfahren im Umgang mit Asylsuchenden und Schutzberechtigten gewährleistet werden müsse. Abschließend äußerten sich einzelne Sachverständige zu dem Potenzial einer stärkeren Einbindung der Bundespolizei im Rahmen der Kontrolle illegaler Migration. Heiko Teggatz (DPolG, Bundespolizeigewerkschaft) bemängelte die fehlende Zuständigkeit der Bundespolizei für die Durchsetzung aufenthaltsbeendender Maßnahmen und sah hierzu Verbesserungsbedarf. Dr. Philipp Wittmann, Richter am VGH Baden-Württemberg, stellte klar, dass eine intensivere Beteiligung der Bundespolizei bei Abschiebeprozessen zwar zweckmäßig sein könnte, aber die verfassungsrechtlichen Kompetenzzuweisungen berücksichtigt werden müssten. 

Am 18. Oktober 2024 wurde der Entwurf erstmalig im Bundesrat zur Abstimmung gestellt und erreichte nicht die erforderlich Mindeststimmenzahl von 35 Mitgliedern. Die Bundesregierung und der Bundestag haben nun die Möglichkeit, den Vermittlungsausschuss anzurufen. 

 

 

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