KriPoZ-RR, Beitrag 55/2019

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Beschl. v. 18.09.2019 – 3 StR 337/19: Kein Schlechterstellungsverbot gemäß § 358 Abs. 2 Satz 1 StPO, wenn Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus aufgehoben wird (§ 358 Abs. 2 Satz 2 StPO)

Leitsatz der Redaktion:

Gemäß § 358 Abs. 2 Satz 2 StPO kann die Aufhebung einer Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus dazu führen, dass trotz des Verschlechterungsverbots (§ 358 Abs. 2 Satz 1 StPO) ein Freispruch entfällt.

Sachverhalt:

Das LG Lüneburg hat den Angeklagten vom Vorwurf des versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung freigesprochen und seine Unterbringung in einer psychiatrischen Klinik angeordnet.

Nach den tatgerichtlichen Feststellungen war der Beschuldigte in Libyen überfallen und schwer traumatisiert worden, was schon vor seiner Flucht nach Deutschland zu einer unbehandelten posttraumatischen Belastungsstörung geführt hatte.

Am Tattag war es zwischen Freunden des Angeklagten und einer fremden Person zu einer Auseinandersetzung gekommen, die zu einer abrupten Reaktivierung der Todesängste im Sinne einer Retraumatisierung beim Beschuldigten geführt hatte. Er hatte daraufhin im Affekt einen Stein auf das Gesicht des am Boden liegenden Opfers geworfen, was zu einem Schädelhirntrauma und Gesichtsschädelfrakturen geführt hatte.

Das LG nahm eine gemäß § 20 StGB schuldlose Tat an und ordnete die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB an.

Entscheidung des BGH:

Der BGH gab der vom Angeklagten auf seine Unterbringung beschränkten Revision statt, was jedoch auch zur Aufhebung des Freispruchs führt.

Die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus halte sachlich-rechtlicher Nachprüfung nicht stand, da das LG keinen länger dauernden Zustand der geistigen Krankheit ausreichend festgestellt habe.

Zwar sei ein anhaltender Zustand der Schuldunfähigkeit nicht erforderlich, jedoch seien die Voraussetzungen des § 63 StGB nicht schon bei einem vorübergehenden Defekt erfüllt.

Bei einer nicht krankhaften psychischen Auffälligkeit, die die Schwelle zur schweren anderen seelischen Abartigkeit nicht überschreite, sondern nur in besonderen Stresssituationen zu Tage trete, sei eine Unterbringung nicht möglich.

Die dadurch bedingte Aufhebung der Maßregelanordnung führe auch zur Aufhebung des Freispruchs, da das Schlechterstellungsverbot aus § 358 Abs. 2 Satz 1 StPO keine Wirkung entfalte.

Durch das Gesetz zur Sicherung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus und in einer Entziehungsanstalt vom 16. Juli 2007 habe der Gesetzgeber in § 358 Abs. 2 Satz 2 StPO die Möglichkeit schaffen wollen, einen Angeklagten anstelle einer Unterbringung schuldig zu sprechen. Ziel der Regelung sei es, eine alleinige Revision des Angeklagten gegen die Unterbringung zu verhindern, denn eine solche berge die Gefahr, dass die Tat letztlich unbestraft bleibe. Wenn sich nämlich in einem neuen Verfahren die Schuldfähigkeit des Angeklagten herausstelle, damit eine Anordnung nach § 63 StGB nicht mehr möglich sei aber der Freispruch noch Bestand habe, wäre eine Sanktionierung ausgeschlossen.

Dies führe im Ergebnis dazu, dass die Beschränkung der Revision auf die Anordnung der Unterbringung nicht zulässig sei und auch der Freispruch aufzuheben sei, so der BGH.

 

Anmerkung der Redaktion:

Das Gesetz zur Sicherung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus und in einer Entziehungsanstalt finden Sie hier.

 

 

 

KriPoZ-RR, Beitrag 36/2019

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Urt. v. 05.06.2019 – 2 StR 42/19: Zur Anwendung des § 63 StGB bei Anlasstaten innerhalb einer psychiatrischen Einrichtung

Leitsatz der Redaktion:

  1. Dem ansonsten gewichtigen Indiz, dass der Beschuldigte über einen längeren Zeitraum keine mit der Anlasstat vergleichbaren Delikte begangen hat, kann keine Bedeutung zukommen, soweit dem Beschuldigten dies aufgrund einer Sicherungsmaßnahme ohnehin unmöglich war.
  2. Um zu beurteilen, ob eine Tat in einer psychiatrischen Einrichtung als rechtlich unerheblich anzusehen ist, ist auf ihre Ursache abzustellen.

Sachverhalt:

Das LG Limburg hat die von der StA beantragte Unterbringung des Beschuldigten in einer psychiatrischen Einrichtung abgelehnt. Dagegen hat die StA Revision eingelegt.

Nach den tatgerichtlichen Feststellungen hatte der an einer paranoiden Schizophrenie, einer Störung der Impulskontrolle und einer gemischt dissoziativen Störung leidende Angeklagte während seiner Unterbringung in einer jugendpsychiatrischen Einrichtung u.a. Bedrohungen, versuchte und vollendete Körperverletzungen und eine versuchte gefährliche Körperverletzung zum Nachteil des Klinikpersonals begangen.

Dennoch hat das LG die Voraussetzungen des § 63 StGB verneint, da die geforderte Gefahrenprognose nicht gestellt werden könne.

Entscheidung des BGH:

Der BGH hob das Urteil auf und verwies die Sache zur erneuten Entscheidung zurück an das LG.

Dadurch, dass das Tatgericht darauf abgestellt habe, dass die Gefahr für erhebliche Straftaten nur außerhalb einer Unterbringung bestünde und die innerhalb der Einrichtung zu befürchtenden Körperverletzungsdelikte nicht den erforderlichen Schweregrad erreichten, habe es einen unzutreffenden Maßstab angelegt, so der BGH.

Denn § 63 StGB erfasse auch Delikte der mittleren Kriminalität, zu denen die zu erwartenden Körperverletzungsdelikte sehr wohl zählten. Dies sei auch durch den Umstand bedingt, dass der Beschuldigte die Verletzungsfolgen seiner Aggressionstaten nicht zu steuern vermöge und es somit allein vom Zufall abhänge, wie schwer die von ihm verursachten Verletzungen seien.

Auch die Erwägung des LG, dass der Beschuldigte seit der letzten Anlasstat einen größeren Zeitraum verstreichen lassen habe ohne weitere Delikte zu begehen, begegne durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Da der Angeklagte nach der letzten Tat in der Einrichtung über einen längeren Zeitraum fixiert worden war und immer wieder nur kurz und unter Aufsicht ohne Sicherungsmaßnahme untergebracht gewesen war, sei keine Indizwirkung aus dem längeren Zeitraum der Unauffälligkeit abzuleiten, so der Senat.

Abschließend stellte der BGH klar, dass Taten gegen Pflegepersonal innerhalb einer psychiatrischen Einrichtung im Rahmen der Gefährlichkeitsprognose zwar nicht mit Taten außerhalb gleichzusetzen seien. Dies bedeute allerdings nicht, dass Aggressions- oder Gewaltdelikte generell nicht in die Prognose einfließen könnten nur weil sie in einer psychiatrischen Klinik begangen worden seien. Zur Beurteilung der Frage, ob eine solche Tat als rechtlich unerheblich anzusehen sei, müsse auf die Ursachen der Tat abgestellt werden. Maßgebliches Unterscheidungskriterium sei hierbei, ob die Tat in der durch die Unterbringung ausgelöste Ausnahmesituation begründet liege oder beispielsweise in einer Provokation, die auch außerhalb einer Klinik im Alltag auftreten könne.

Anmerkung der Redaktion:

Zuletzt hatte der BGH entschieden, dass sich die Gefährlichkeitsprognose auf den Angeklagten im Zeitpunkt der Hauptverhandlung beziehen müsse (BGH, Beschl. v. 13.08.2019 – 4 StR 342/19). Weitere Entscheidungen zur Gefährlichkeitsprognose im Rahmen des § 63 StGB finden Sie hier:

BGH, Beschl. v. 06.08.2019 – 4 StR 255/19

BGH, Beschl. v. 31.07.2019 – 5 StR 321/19

BGH, Beschl. v. 11.07.2019 – 3 StR 254/19

BGH, Beschl. v. 20.06.2019 – 5 StR 208/19

In einer aktuellen Entscheidung weist der 5. Strafsenat darauf hin, dass er der bisherigen Rechtsprechung des BGH nicht uneingeschränkt folgen wird. Auch er hält allerdings am Umterscheidungskriterium fest, wonach es auf die Umstände der Tat ankomme (durch die Unterbringung bedingt oder jederzeit auch im normalen Alltag möglich).

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