KriPoZ-RR, Beitrag 25/2020

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Beschl. v. 05.02.2020 – 3 StR 565/19: Vorwegvollzug bei Freiheitsstrafe über drei Jahren

Amtlicher Leitsatz:

Ordnet das Tatgericht die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt an und verhängt eine zeitige Freiheitsstrafe von über drei Jahren, so richtet sich die Anordnung des Vorwegvollzugs eines Teils der Strafe stets nach § 67 Abs. 2 Sätze 2 und 3 StGB; für die Anwendung des § 67 Abs. 2 Satz 1 StGB ist daneben kein Raum.

Sachverhalt:

Das LG Koblenz hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt sowie die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt und den Vorwegvollzug von einem Jahr und fünf Monaten angeordnet.

Nach den tatgerichtlichen Feststellungen habe sich der Angeklagte ernstlich bereit gezeigt, in der Haft eine Ausbildung zu beginnen und dann eine Therapie gemäß § 35 BtMG zu absolvieren. Diese Möglichkeit hatte das LG als erreichbar eingeschätzt und nach § 67 Abs. 2 Satz 1 StGB einen Vorwegvollzug angeordnet, um als Vorstufe der Behandlung die Erreichung des Maßregelzwecks zu erleichtern. Durch die Möglichkeit, eine Ausbildung zu beginnen, hatte das LG dem Beschuldigten vor Auge führen wollen, wie sehr der Drogenkonsum sein Leben beeinträchtig habe, was zu einer Förderung der Therapiebereitschaft hatte führen sollen.

Entscheidung des BGH:

Der BGH entschied, dass die Anordnung des Vorwegvollzugs rechtsfehlerhaft gewesen sei, da das LG § 67 Abs. 2 Satz 1 StGB angewendet hatte. Zu dem Verhältnis von § 67 Abs. 2 Satz 1 StGB zu Satz 2 und 3 derselben Vorschrift führte der BGH aus:

Bei einer Freiheitsstrafe von über drei Jahren müsse sich die Anordnung des Vorwegvollzugs stets nach § 67 Abs. 2 Sätze 2 und 3 StGB richten, da zum einen der Wille des historischen Gesetzgebers dafür spreche. Dieser habe den hier zu entscheidenden Fall bewusst aus § 67 Abs. 2 StGB a.F. herausgenommen und abschließend in den Sätzen 2 und 3 geregelt. Dabei sei der Vorwegvollzug zwingend auf den Halbstrafenzeitpunkt auszurichten, da somit die Aussicht auf eine Aussetzung der Strafe zur Bewährung eine zusätzliche Therapiemotivation darstellen sollte.

Zudem habe der Rechtsausschuss im Gesetzgebungsverfahren darauf hingewiesen, dass es durch den Vorwegvollzug und die Unterbringung in der Maßregel, keine Verlängerung des Freiheitsentzuges geben dürfe.

Auch der Wortlaut und die Systematik sprächen für eine ausschließliche Anwendbarkeit der Sätze 2 und 3, da sowohl in Satz 1 als auch in Satz 2 von einem „Teil der Strafe“ gesprochen werde. Könnten nun beide Regelungen angewendet werden, führe dies dazu, dass es zwei verschiedene „Teile der Strafe“ geben würde. Einen mit fester Dauer (Satz 3) und einen, bei dem die Dauer im Ermessen des Gerichts stehe (Satz 1). Dass der Gesetzgeber für diesen Fall keine Regelung zur Auflösung dieses Zustands getroffen habe, zeige, dass eine ausschließliche Anwendung der Sätze 2 und 3 vorgesehen sei, so der BGH.

 

Anmerkung der Redaktion:

§ 67 Abs. 2 StGB war durch das Gesetz zur Sicherung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus und in einer Entziehungsanstalt vom 16. Juli 2007 in seine drei Sätze unterteilt worden, wobei die ursprüngliche Regelung in Satz 1 übernommen worden war.

 

 

KriPoZ-RR, Beitrag 55/2019

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Beschl. v. 18.09.2019 – 3 StR 337/19: Kein Schlechterstellungsverbot gemäß § 358 Abs. 2 Satz 1 StPO, wenn Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus aufgehoben wird (§ 358 Abs. 2 Satz 2 StPO)

Leitsatz der Redaktion:

Gemäß § 358 Abs. 2 Satz 2 StPO kann die Aufhebung einer Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus dazu führen, dass trotz des Verschlechterungsverbots (§ 358 Abs. 2 Satz 1 StPO) ein Freispruch entfällt.

Sachverhalt:

Das LG Lüneburg hat den Angeklagten vom Vorwurf des versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung freigesprochen und seine Unterbringung in einer psychiatrischen Klinik angeordnet.

Nach den tatgerichtlichen Feststellungen war der Beschuldigte in Libyen überfallen und schwer traumatisiert worden, was schon vor seiner Flucht nach Deutschland zu einer unbehandelten posttraumatischen Belastungsstörung geführt hatte.

Am Tattag war es zwischen Freunden des Angeklagten und einer fremden Person zu einer Auseinandersetzung gekommen, die zu einer abrupten Reaktivierung der Todesängste im Sinne einer Retraumatisierung beim Beschuldigten geführt hatte. Er hatte daraufhin im Affekt einen Stein auf das Gesicht des am Boden liegenden Opfers geworfen, was zu einem Schädelhirntrauma und Gesichtsschädelfrakturen geführt hatte.

Das LG nahm eine gemäß § 20 StGB schuldlose Tat an und ordnete die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB an.

Entscheidung des BGH:

Der BGH gab der vom Angeklagten auf seine Unterbringung beschränkten Revision statt, was jedoch auch zur Aufhebung des Freispruchs führt.

Die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus halte sachlich-rechtlicher Nachprüfung nicht stand, da das LG keinen länger dauernden Zustand der geistigen Krankheit ausreichend festgestellt habe.

Zwar sei ein anhaltender Zustand der Schuldunfähigkeit nicht erforderlich, jedoch seien die Voraussetzungen des § 63 StGB nicht schon bei einem vorübergehenden Defekt erfüllt.

Bei einer nicht krankhaften psychischen Auffälligkeit, die die Schwelle zur schweren anderen seelischen Abartigkeit nicht überschreite, sondern nur in besonderen Stresssituationen zu Tage trete, sei eine Unterbringung nicht möglich.

Die dadurch bedingte Aufhebung der Maßregelanordnung führe auch zur Aufhebung des Freispruchs, da das Schlechterstellungsverbot aus § 358 Abs. 2 Satz 1 StPO keine Wirkung entfalte.

Durch das Gesetz zur Sicherung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus und in einer Entziehungsanstalt vom 16. Juli 2007 habe der Gesetzgeber in § 358 Abs. 2 Satz 2 StPO die Möglichkeit schaffen wollen, einen Angeklagten anstelle einer Unterbringung schuldig zu sprechen. Ziel der Regelung sei es, eine alleinige Revision des Angeklagten gegen die Unterbringung zu verhindern, denn eine solche berge die Gefahr, dass die Tat letztlich unbestraft bleibe. Wenn sich nämlich in einem neuen Verfahren die Schuldfähigkeit des Angeklagten herausstelle, damit eine Anordnung nach § 63 StGB nicht mehr möglich sei aber der Freispruch noch Bestand habe, wäre eine Sanktionierung ausgeschlossen.

Dies führe im Ergebnis dazu, dass die Beschränkung der Revision auf die Anordnung der Unterbringung nicht zulässig sei und auch der Freispruch aufzuheben sei, so der BGH.

 

Anmerkung der Redaktion:

Das Gesetz zur Sicherung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus und in einer Entziehungsanstalt finden Sie hier.

 

 

 

KriPoZ-RR, Beitrag 18/2019

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Urt. v. 09.05.2019 – 4 StR 578/18: Sicherungsverwahrung im Staufener Missbrauchsfall

Leitsatz der Redaktion:

Die tatrichterliche Prüfung des Vorliegens eines Hangs i.S.v. § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB ist strikt von der Gefahrenprognose zu trennen.

Sachverhalt:

Das LG Freiburg hat den Angeklagten u. a. wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern, Vergewaltigung, Zwangsprostitution und Herstellen kinderpornographischer Schriften verurteilt. Von einer Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung hat es abgesehen.

Der Angeklagte hatte nach den Feststellungen des Tatgerichts sein Opfer im Zeitraum von September 2016 bis August 2017 in 14 Fällen missbraucht, nachdem das Kind vom Lebensgefährten seiner Mutter im sog. Darknet gegen Entgelt zum sexuellen Missbrauch angeboten worden war.

Die Revision der Staatsanwaltschaft hat sich auf die Ablehnung der Anordnung der Sicherungsverwahrung beschränkt.

Entscheidung des BGH:

Der BGH hob die Entscheidung des LG, insoweit sie die Anordnung der Sicherungsverwahrung betraf, auf und verwies die Sache zur erneuten Entscheidung zurück an das LG Freiburg.

Als Begründung führte er an, dass das Tatgericht die Prüfung der Hangtäterschaft mit Elementen der Gefahrenprognose vermischt habe. Dadurch sei die umfassende Vergangenheitsbetrachtung der Persönlichkeit des Angeklagten und seiner Taten, die für die Annahme eines Hangs erforderlich sei, nicht mehr möglich gewesen.

Zwar habe das LG Risikofaktoren und prognostisch günstige Umstände im Rahmen der Prüfung des Vorliegens eines Hangs einander gegenübergestellt, allerdings seien die Hangtäterschaft und die Gefährlichkeit für die Allgemeinheit keine identischen Merkmale. Dies stelle schon die begriffliche Differenzierung in § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB klar.

Der Hang sei ein gefestigter innerer Zustand, der den Täter immer wieder neue Straftaten begehen lasse, wohingegen die Gefährlichkeitsprognose die Wahrscheinlichkeit einer weiteren Tatbegehung in der Zukunft trotz des Hangs beschreibe. Der Hang sei innerhalb der Gefährlichkeitsprognose nur ein Kriterium, was für die Gefährlichkeit des Angeklagten spreche.

Aufgrund dieser Trennung habe das Tatgericht zunächst das Vorliegen eines Hangs festzustellen und sodann in einem zweiten Schritt prognostische Erwägungen im Rahmen der Gefährlichkeitsprognose anzustellen. Da das LG Freiburg die Ablehnung eines Hangs mit prognostischen Erwägungen, wie z. B. der Therapiewilligkeit des Angeklagten, begründet habe, genüge das Urteil nicht dem Erfordernis der strikten Trennung zwischen den beiden Prüfungen.

Anmerkung der Redaktion:

Der Fall war als sog. Staufener Missbrauchsfall bundesweit bekannt geworden und hatte auch zu Ermittlungen gegen die zuständigen Jugendamtsmitarbeiter geführt. Eine Chronik der medialen Berichterstattung finden Sie hier.

 

KriPoZ-RR, Beitrag 16/2019

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BVerfG, Urt. v. 05.07.2019 – 2 BvR 382/17: Begründete Zweifel an Aktualität eines psychiatrischen Gutachtens lösen Pflicht zur ergänzenden Sachverhaltsaufklärung aus

Leitsatz der Redaktion:

Wird die Aussetzung einer Maßregel zur Bewährung widerrufen, obwohl begründete Zweifel an der Aktualität des forensisch-psychiatrischen Gutachtens bestehen, verletzt dies den Beschwerdeführer in seinem Recht auf bestmögliche Sachverhaltsaufklärung aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. Art. 104 Abs. 1 GG.

Sachverhalt:

Der Beschwerdeführer war vom LG Bonn im Juni 2004 wegen verschiedener Vermögensdelikte zu einer Haftstrafe unter Anordnung der anschließenden Sicherungsverwahrung verurteilt worden.

Nachdem er die Strafe verbüßt hatte, hat das LG Köln nach Einholung eines forensisch-psychiatrischen Gutachtens im Juli 2014 die Vollstreckung der Sicherungsverwahrung angeordnet. Diese Anordnung war vom OLG Köln nach Einholung eines Ergänzungsgutachtens im November 2014 aufgehoben und die Vollstreckung der Sicherungsverwahrung zur Bewährung ausgesetzt worden. Im November 2016 hat das LG Bonn (im Januar 2017 bestätigt vom OLG Köln) ohne erneute Begutachtung des Beschwerdeführers die Aussetzung der Sicherungsverwahrung zur Bewährung widerrufen, weil dieser gegen Weisungen der Führungsaufsicht verstoßen habe, was den Schluss zulasse, dass eine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung für den Zweck der Maßregel nunmehr erforderlich sei. Dabei haben sich sowohl LG als auch OLG auf die Prognosegutachten aus dem Jahr 2014 gestützt, obwohl der Beschwerdeführer von 2014 bis 2016 trotz seines Drogen- und Alkoholkonsums keine weiteren Straftaten begangen hat.

Entscheidung des BVerfG:

Das BVerfG hob den Beschluss des LG Bonn aus 2016 und den des OLG Köln aus 2017 auf, da sie den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. Art. 104 Abs. 1 GG verletzten.

Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG und Art. 104 GG stellten sicher, dass die Freiheit der Personen einen hohen Rang unter den Grundrechten einnehme und auf dem Gebiet des Straf- und Strafverfahrensrechts vor allem zum Schutz der Allgemeinheit eingeschränkt werden dürfe. Dabei hätten die gesetzlichen Eingriffstatbestände durch die genaue Festlegung von Grenzen der zulässigen Freiheitsbeschränkung auch eine freiheitssichernde Funktion, welcher auch verfahrensrechtliche Bedeutung zukomme.

So sei es eine unverzichtbare Voraussetzung eines rechtsstaatlichen Verfahrens, dass freiheitsentziehende Maßnahmen auf zureichender und in tatsächlicher Hinsicht genügender Grundlage entsprechender richterlicher Sachverhaltsaufklärung beruhten.

Dieses Gebot bestmöglicher Sachverhaltsaufklärung erschöpfe sich bei forensisch-psychiatrischen Prognosebegutachtungen nicht lediglich in der Beauftragung eines erfahrenen Sachverständigen, sondern es erfordere, dass nach dem, von den Umständen des jeweiligen Einzelfalls beeinflussten, pflichtgemäßen Ermessen des Richters weitere, an die aktuelle Entwicklung des Begutachteten angepasste, Gutachten einzuholen seien. Diese Pflicht bestehe, soweit im Rahmen einer gründlichen Prüfung hinreichende Anhaltspunkte dafür vorlägen, dass eine Beweisfrage offen oder unzulänglich beantwortet sei und die Befragung eines Sachverständigen Klärung erwarten lasse.

Nach diesen Grundsätzen hätte es nach der zweijährigen strafrechtlichen Unauffälligkeit des Beschwerdeführers trotz Alkohol- und Drogenkonsums und einer möglichen Nachreifung seiner Persönlichkeitsstruktur eines erneuten Prognosegutachtens bedurft, um den vom LG angenommen und im Gutachten aus dem Jahr 2014 bescheinigten Zusammenhang zwischen Suchtmittelkonsum und Anlassdelinquenz überprüfen zu lassen, so das BVerfG.

Anmerkung der Redaktion:

Schon in einem Urteil vom 14. Januar 2005 (2 BvR 983/04) legte das BVerfG Maßstäbe zur Prognosebegutachtung fest und stellte klar, dass die Fortdauer einer Unterbringung im Maßregelvollzug nur angeordnet werden dürfe, wenn sie dem Gebot bestmöglicher Sachaufklärung gerecht werde. Mit Urteil vom 7. Juni 2017 (1 StR 628/16) forderte auch der BGH eine dem aktuellen Behandlungszustand entsprechende Gefährlichkeitsprognose.

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