KriPoZ-RR, Beitrag 47/2021

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Urt. v. 28.04.2021 – 2 StR 47/20: Zum „Anderen“ im Sinne des § 184b Abs. 2 StGB

Amtlicher Leitsatz:

„Anderer“ im Sinne des § 184b Abs. 2 StGB (in der Fassung des Gesetzes vom 27. Dezember 2003, BGBl. I S. 3007; jetzt: § 184b Abs. 1 Nr. 2 StGB) kann auch ein Beteiligter an dem in einer kinderpornographischen Schrift dargestellten sexuellen Missbrauch sein, dem vom Hersteller dieser Schrift der (erstmalige) Besitz daran verschafft wird.

Sachverhalt:

Das LG Wiesbaden hat den Angeklagten wegen Besitzverschaffens von jugendpornographischen Schriften, jeweils in Tateinheit mit Sichverschaffen von jugendpornographischen Schriften und Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs durch Bildaufnahmen, wegen Beihilfe zum schweren sexuellen Missbrauch von Kindern in kinderpornographischer Absicht in Tateinheit mit Besitzverschaffung und Sichverschaffen von kinderpornographischen Schriften und mit Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereiches durch Bildaufnahmen sowie wegen Besitzverschaffung von kinderpornographischen Schriften und wegen Besitzes von kinderpornographischen Schriften verurteilt.

Nach den tatgerichtlichen Feststellungen hatte der Angeklagte ein Kind, von dem er nicht gewusst hatte, dass es unter 14 Jahre alt gewesen war, dazu gebracht, sich vor einer Webcam zu entkleiden und zu masturbieren. Davon hatte der Angeklagte dann ohne Wissen des Geschädigten eine Videodatei gefertigt und einem weiteren Beteiligten zur Verfügung gestellt.

Bei einer weiteren Tat hatte der Angeklagte eine Videodatei von dem schweren sexuellen Missbrauch eines Kindes durch einen anderen Beteiligten angefertigt, indem er eine Skype-Übertragung von diesem aufgezeichnet hatte. Die Datei hatte er dem Beteiligten danach absprachegemäß zur Verfügung gestellt.

Entscheidung des BGH:

Der BGH änderte den Schuldspruch ab und verurteilte den Angeklagten im hier interessierenden zweiten Tatkomplex wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes in kinderpornographischer Absicht in Tateinheit mit Beihilfe zum schweren sexuellen Missbrauch, Besitzverschaffen und Sichverschaffen von kinderpornographischen Schriften.

Der Qualifikationstatbestand des § 176a Abs. 3 aF StGB entfalle nicht deswegen, weil der anderweitig verfolgte Beteiligte Täter des sexuellen Missbrauchs war und gemäß des Tatplans nur dieser die vom Angeklagten erstellte Videodatei erhalten sollte. „Anderer“ im Sinne des § 184b Abs. 2 aF StGB könne nämlich auch ein Beteiligter am sexuellen Missbrauch sein, der selbst abgebildet werde. Einer Strafbarkeit nach § 176a Abs. 3 aF StGB stünde gerade nicht entgegen, dass der Täter in der Absicht gehandelt habe, die von dem sexuellen Missbrauch gefertigte Aufzeichnung nur einer weiteren am Missbrauch selbst beteiligten Person zur Speicherung zur Verfügung zu stellen, so der BGH.

Dies ergebe sich aus dem Schutzzweck der Norm, der es sei, jeden möglichen Markt für Kinderpornographie auszutrocknen. Auch mit einer nur einmaligen Weitergabe der Schrift an einen anderen Tatbeteiligten erhöhe sich die Gefahr einer weiteren Weitergabe und eines In-Umlauf-kommens der Schrift. Auch werde die Persönlichkeitsrechtsverletzung auf Seiten des Opfers bereits durch die einmalige Weitergabe perpetuiert, was ebenfalls vom Gesetz verhindert werden wolle.

Anderes ergebe sich auch nicht aus dem Wortlaut oder der Gesetzessystematik.

 

Anmerkung der Redaktion:

§ 176a StGB ist in der jüngeren Vergangenheit mehrfach geändert worden:

Am 3. März 2020 durch das Siebenundfünfzigste Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuches wurde die Versuchsstrafbarkeit des Cybergrooming eingeführt.

Am 30. November 2020 wurde der Schriftenbegriff modernisiert und am 1. Juli 2021 wurde die Norm durch das Gesetz zur Bekämpfung sexualisierter Gewalt gegen Kinder umfangreich reformiert.

 

 

 

KriPoZ-RR, Beitrag 18/2019

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Urt. v. 09.05.2019 – 4 StR 578/18: Sicherungsverwahrung im Staufener Missbrauchsfall

Leitsatz der Redaktion:

Die tatrichterliche Prüfung des Vorliegens eines Hangs i.S.v. § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB ist strikt von der Gefahrenprognose zu trennen.

Sachverhalt:

Das LG Freiburg hat den Angeklagten u. a. wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern, Vergewaltigung, Zwangsprostitution und Herstellen kinderpornographischer Schriften verurteilt. Von einer Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung hat es abgesehen.

Der Angeklagte hatte nach den Feststellungen des Tatgerichts sein Opfer im Zeitraum von September 2016 bis August 2017 in 14 Fällen missbraucht, nachdem das Kind vom Lebensgefährten seiner Mutter im sog. Darknet gegen Entgelt zum sexuellen Missbrauch angeboten worden war.

Die Revision der Staatsanwaltschaft hat sich auf die Ablehnung der Anordnung der Sicherungsverwahrung beschränkt.

Entscheidung des BGH:

Der BGH hob die Entscheidung des LG, insoweit sie die Anordnung der Sicherungsverwahrung betraf, auf und verwies die Sache zur erneuten Entscheidung zurück an das LG Freiburg.

Als Begründung führte er an, dass das Tatgericht die Prüfung der Hangtäterschaft mit Elementen der Gefahrenprognose vermischt habe. Dadurch sei die umfassende Vergangenheitsbetrachtung der Persönlichkeit des Angeklagten und seiner Taten, die für die Annahme eines Hangs erforderlich sei, nicht mehr möglich gewesen.

Zwar habe das LG Risikofaktoren und prognostisch günstige Umstände im Rahmen der Prüfung des Vorliegens eines Hangs einander gegenübergestellt, allerdings seien die Hangtäterschaft und die Gefährlichkeit für die Allgemeinheit keine identischen Merkmale. Dies stelle schon die begriffliche Differenzierung in § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB klar.

Der Hang sei ein gefestigter innerer Zustand, der den Täter immer wieder neue Straftaten begehen lasse, wohingegen die Gefährlichkeitsprognose die Wahrscheinlichkeit einer weiteren Tatbegehung in der Zukunft trotz des Hangs beschreibe. Der Hang sei innerhalb der Gefährlichkeitsprognose nur ein Kriterium, was für die Gefährlichkeit des Angeklagten spreche.

Aufgrund dieser Trennung habe das Tatgericht zunächst das Vorliegen eines Hangs festzustellen und sodann in einem zweiten Schritt prognostische Erwägungen im Rahmen der Gefährlichkeitsprognose anzustellen. Da das LG Freiburg die Ablehnung eines Hangs mit prognostischen Erwägungen, wie z. B. der Therapiewilligkeit des Angeklagten, begründet habe, genüge das Urteil nicht dem Erfordernis der strikten Trennung zwischen den beiden Prüfungen.

Anmerkung der Redaktion:

Der Fall war als sog. Staufener Missbrauchsfall bundesweit bekannt geworden und hatte auch zu Ermittlungen gegen die zuständigen Jugendamtsmitarbeiter geführt. Eine Chronik der medialen Berichterstattung finden Sie hier.

 

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