KriPoZ-RR, Beitrag 88/2020

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

EuGH, Urt. v. 08.12.2020 – C-584/19: Deutsche Staatsanwaltschaften dürfen trotz Weisungsgebundenheit Europäische Ermittlungsanordnungen erlassen

Amtlicher Leitsatz:

Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Buchst. c der Richtlinie 2014/41/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 3. April 2014 über die Europäische Ermittlungsanordnung in Strafsachen sind dahin auszulegen, dass unter die Begriffe „Justizbehörde“ und „Anordnungsbehörde“ im Sinne dieser Bestimmungen der Staatsanwalt eines Mitgliedstaats oder ganz allgemein die Staatsanwaltschaft eines Mitgliedstaats fällt, unabhängig davon, ob zwischen diesem Staatsanwalt oder dieser Staatsanwaltschaft und der Exekutive dieses Mitgliedstaats möglicherweise ein rechtliches Unterordnungsverhältnis besteht und dieser Staatsanwalt oder diese Staatsanwaltschaft der Gefahr ausgesetzt ist, im Rahmen des Erlasses einer Europäischen Ermittlungsanordnung unmittelbar oder mittelbar Anordnungen oder Einzelweisungen seitens der Exekutive unterworfen zu werden.

Sachverhalt:

Das Landesgericht für Strafsachen in Wien hat dem EuGH die Frage vorgelegt, ob die StA Hamburg trotz ihrer Weisungsgebundenheit als Justizbehörde im Sinne des Art. 1 Abs. 1 und als Anordnungsbehörde im Sinne des Art. 2 c) der Richtlinie 2014/41 anzusehen sei.

Die StA Hamburg führt ein Ermittlungsverfahren wegen des Vorwurfs des Betrugs gegen den Beschuldigten A. Dieser soll Überweisungsaufträge gefälscht und somit Zahlungen auf sein Konto bei einer Österreichischen Bank erlangt haben. Im Rahmen einer Europäischen Ermittlungsanordnung hatte die StA Hamburg daher bei der StA Wien Unterlagen zu dem Konto angefordert. Diese hatte eine nach Österreichischem Recht erforderliche richterliche Genehmigung für die Ermittlungsmaßnahme beantragt. Das mit der Sache befasste vorlegende Gericht hat erläutert, dass die Europäische Ermittlungsanordnung eine gerichtliche Entscheidung sei, die jedoch nach dem Text der Richtlinie auch von einem Staatsanwalt erlassen oder validiert werden könne. Allerdings hält es die Rechtsprechung des EuGH in Bezug auf den Europäischen Haftbefehl für anwendbar, die eine Unabhängigkeit der StA von Einzelweisungen fordert, um im Lichte des Grundsatzes des gegenseitigen Vertrauens Europäische Haftbefehle ausstellen zu können.

Das Gewicht der Grundrechtseingriffe der verschiedenen Maßnahmen sei vergleichbar. Da die Richtlinie Staatsanwälte allerdings explizit als Anordnungsbehörde einstufe, könne dies auch zu einem anderen Auslegungsergebnis führen.

Entscheidung des EuGH:

Der EuGH stellte zunächst klar, dass die Europäische Ermittlungsanordnung ein Instrument zur Vereinfachung und effektiveren Ausgestaltung grenzüberschreitender Ermittlungsmaßnahmen darstelle und als Bestandteil der justiziellen Zusammenarbeit im Sinne des Art. 82 Abs. 1 AEUV auf dem Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens und der gegenseitigen Anerkennung beruhe.

Die Ermittlungsanordnung müsse daher von einer Anordnungsbehörde im Sinne von Art. 2 c) der Richtlinie erlassen werden oder, wenn eine solche Anordnung von einer anderen Anordnungsbehörde als einer der in Ziff. i. genannten erlassen werde, von einer Justizbehörde validiert werden.

Zunächst spreche der klare Wortlaut der Norm, der Staatsanwälte explizit als Anordnungsbehörde nenne und als einzige sachliche Voraussetzung deren Zuständigkeit vorsehe, für eine Irrelevanz einer etwaigen Weisungsgebundenheit.

Aus Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 2 Buchst. c Ziff. i und ii der Richtlinie 2014/41 gehe auch hervor, dass durch den Erlass oder die Validierung einer Europäischen Ermittlungsanordnung durch einen Staatsanwalt diese Entscheidung als gerichtliche Entscheidung einzustufen sei.

Daneben sei der Erlass bzw. die Validierung einer Europäischen Ermittlungsanordnung nicht mit der Ausstellung eines Europäischen Haftbefehls vergleichbar, da das Verfahren anderen Garantien unterliege. Die Richtlinie zum Erlass der Europäischen Ermittlungsanordnung enthalte spezifische Anforderungen, die die erlassende Behörde wahren müsse und somit auch Staatsanwälte verpflichte, die nationalen Verfahrensgarantien einzuhalten.

Schließlich beruhe die Ermittlungsanordnung zwar, wie auch der Europäische Haftbefehl, auf dem Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung. Allerdings sähen die Bestimmungen der Richtlinie durchaus vor, dass die Vollstreckungsbehörde auf die Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes sowie die Verfahrens- und Grundrechte der Beschuldigten achte.

Auch sei die Zielsetzung der Richtlinie eine andere. Während der Europäische Haftbefehl auf die Überstellung einer Person zur Durchführung des Strafverfahrens oder der Strafvollstreckung gerichtet sei, solle die Europäische Ermittlungsanordnung lediglich Beweismittel liefern, die teilweise auch der Entlastung eines Beschuldigten dienen könnten.

Diese Unterschiede in Wortlaut, Systematik und Zweck rechtfertigten eine unterschiedliche Behandlung der Europäischen Ermittlungsanordnung im Vergleich zum Europäischen Haftbefehl.

 

Anmerkungen der Redaktion:

Im Mai 2019 hatte der EuGH entschieden, dass die deutschen Staatsanwaltschaften ob ihrer Weisungsgebundenheit keine Europäischen Haftbefehle ausstellen dürfen, ohne sie gerichtlich bestätigen zu lassen. Weitere Informationen dazu im KriPoZ-RR, Beitrag 61/2019.

Die Europäische Ermittlungsanordnung wurde 2017 vom Deutschen Gesetzgeber im Gesetz über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen eingeführt. Weitere Informationen erhalten Sie hier.

 

 

 

 

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