KriPoZ-RR, Beitrag 55/2020

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Beschl. v. 23.04.2020 – 1 StR 15/20: Ausgleich für nicht mögliche Gesamtstrafenbildung mit EU-ausländischer Strafe

Amtlicher Leitsatz:

Der Ausgleich für die fehlende Möglichkeit einer Gesamtstrafenbildung mit einer (noch nicht vollständig vollstreckten) EU-ausländischen Strafe ist im Falle der Verhängung einer zeitigen Freiheitsstrafe bei der Strafzumessung konkret – durch eine Bezifferung des Nachteils – vorzunehmen.

Sachverhalt:

Das LG Augsburg hat den Angeklagten wegen besonders schwerer räuberischen Erpressung verurteilt.

Nach den tatgerichtlichen Feststellungen hatte der Angeklagte im Jahr 2001 durch Drohung mit einem Messer einen PKW-Schlüssel erbeutet und war mit dem zugehörigen PKW geflüchtet. Der Angeklagte ist italienischer Staatsbürger und mehrfach in seinem Heimatland vorbestraft, teilweise liegen die insgesamt zwölf Verurteilungen vor und teilweise nach der Tatzeit in diesem Fall.

Weitere Angaben zu einer möglichen Gesamtstrafenbildung oder einer Vollstreckung mancher Strafen sind unvollständig oder lückenhaft.

Entscheidung des BGH:

Der BGH hob das Urteil wegen eines Strafzumessungsfehlers auf und wies für die neue Hauptverhandlung auf folgende Erwägungen zum Nachteilsausgleich hin:

Mit einer der italienischen Vorverurteilung bestünde nach deutschem Recht prinzipiell die Möglichkeit einer Gesamtstrafenbildung, wäre die Verurteilung durch ein deutsches Gericht erfolgt. Da allerdings eine Gesamtstrafenbildung mit ausländischen Strafen, aufgrund des Eingriffs in die Rechtskraft der ausländischen Verurteilung, nicht erfolgen könne, müsse ein Nachteilsausgleich zugunsten des Beschuldigten erfolgen, so der BGH.

In seiner bisherigen Rechtsprechung genügte dem Senat dafür ein unbezifferter Härteausgleich in der Strafzumessung, da die Vorteile einer Gesamtstrafenbildung dem Täter durch von ihm nicht zu beieinflussende Umstände vorenthalten werde.

In diesem Rechtsgedanken sieht sich der BGH auch durch die Rechtsprechung des EuGH bestätigt, die ebenfalls fordere, dass in einem anderen Mitgliedstaat ergangene Verurteilungen bei der Strafzumessung in gleichem Maße zu berücksichtigen seien, wie nationale.

Um diesem Grundsatz der Rechtanwendung im Europäischen Raum ausreichend Rechnung zu tragen, sei der Härteausgleich im Rahmen der Strafzumessung konkret – durch eine Bezifferung des Nachteils – zu vollziehen.

Dies folge daraus, dass sich der EuGH in seiner Rechtsprechung auf Art. 3 Abs. 2 des Rahmenbeschlusses 2008/675 des Rates der Europäischen Union vom 24. Juli 2008 beziehe, der vom deutschen Gesetzgeber durch Gesetz vom 2. Oktober 2009 in nationales Recht überführt worden sei. Der Rahmenbeschluss fordere nach Auslegung des EuGH, dass die Berücksichtigung anderer Verurteilungen in anderen Mitgliedsstaaten möglichst weitreichend zu erfolgen habe.

Da nach deutschem Recht eine Gesamtstrafenbildung erfolgen würde, welche aus konkret bezifferten Einzelstrafen eine ebenfalls konkret bezifferte Gesamtstrafe bilden würde, müsse auch der Härteausgleich konkret beziffert werden. Dies komme der Regelung im deutschen Recht am nächsten.

Der Tatrichter könne seinem Ermessen folgend dann entweder den Umstand, dass eine Gesamtstrafenbildung mit der früheren Strafe unmöglich ist, unmittelbar bei der Festsetzung der neuen Strafe – unter Bezifferung des abzuziehenden Teils – berücksichtigen oder von einer mit der ausländischen Strafe gebildeten fiktiven Gesamtstrafe ausgehen und diese um die ausländische Strafe mindern.

Dabei müsse eine vollständige Anrechnung der ausländischen Strafe grundsätzlich nicht erfolgen, entscheidend sei der tatsächlich eintretende Nachteil. Dieser bestimme sich jedoch nicht nach der tatsächlichen Strafpraxis vor Ort im anderen Mitgliedsstaat, da die ausländische Strafe so zu berücksichtigen sei, wie sie von dem EU-Mitgliedsstaat verhängt werde.

 

Anmerkung der Redaktion:

Das Urteil des EuGH finden Sie hier.

Das Umsetzungsgesetz zum Rahmenbeschluss finden Sie hier.

 

 

 

 

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