KriPoZ-RR, Beitrag 03/2021

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Beschl. v. 11.11.2020 – 5 StR 256/20: Zum Merkmal „Mensch“ i.S.d. §§ 211 ff. StGB bei Kaiserschnitten

Amtlicher Leitsatz:

Bei einer operativen Entbindung (Kaiserschnitt, sectio caesarea) beginnt die Geburt und damit der Anwendungsbereich der §§ 211 ff. StGB regelmäßig mit der Eröffnung des Uterus zum Zweck der dauerhaften Trennung des Kindes vom Mutterleib; dies gilt auch bei einer Mehrlingsgeburt.

Sachverhalt:

Das LG Berlin hat die Angeklagten jeweils wegen Totschlags verurteilt.

Nach den tatgerichtlichen Feststellungen sind die Angeklagten fachlich versierte Geburtsmediziner. Die Angeklagte R als Leitende Oberärztin einer Klinik für Geburtsmedizin, der Angeklagte V als deren Chefarzt.

Im Jahr 2009 war es zu einer Zwillingsschwangerschaft der Zeugin S gekommen. Es hatte sich herausgestellt, dass einer der Zwillinge eine schwere Hirnschädigung entwickelt hatte wohingegen der andere Zwilling in seiner Entwicklung nicht beeinträchtigt gewesen war. Die Entwicklungsstörung des Fetus war derart ausgeprägt, dass sie einen Schwangerschaftsabbruch auch bis zur Geburt gem. § 218a Abs. 2 StGB gerechtfertigt hatte.

Am 11. Juni 2010 hatte sich die Zeugin für einen selektiven Fetozid entschieden. Bei diesem nur in zwei Spezialkliniken in Deutschland durchführbaren medizinischen Eingriff wird die Nabelschnur des einen Zwillings verschlossen, was zum Tod dieses Fetus führt. Danach werden im Optimalfall ein gesundes Kind und der tote Fetus geboren.

Die Zeugin hatte sich allerdings im Spezialklinikum nicht gut betreut gefühlt und deshalb vom selektiven Fetozid abgesehen.

Nach einer Untersuchung durch die Angeklagte R, hatte sich die Zeugin von dieser gut betreut gefühlt und einem Schwangerschaftsabbruch doch zugestimmt. Die beiden Angeklagten hatten daraufhin die Möglichkeiten erörtert und sich, als es zu Wehen kam, entschieden, einen Kaiserschnitt durchzuführen, bei dem zunächst der gesunde Zwilling geboren werden sollte und anschließend der andere Fetus mittels Kaliumchloridinjektion noch im eröffneten Uterus getötet werden sollte.

Den beiden Angeklagten war dabei bewusst, dass diese Verfahrensweise in Fachkreisen nicht vorgesehen ist und juristisch als Tötung eines Menschen gewertet wird. Dennoch hatten sie den Plan umgesetzt und den gesunden Zwilling per Kaiserschnitt geboren, danach den geschädigten, aber dennoch lebensfähigen Fetus, per Injektion getötet und schließlich auch diesen aus der Gebärmutter entnommen.

Entscheidung des BGH:

Der BGH bestätigte die Entscheidung des LG, da der getötete Zwilling im Zeitpunkt der Injektion bereist ein Mensch im Sinne der §§ 211 ff. StGB gewesen sei.

Maßgeblich für die Abgrenzung zwischen Leibesfrucht und Mensch im Sinne des StGB sei seit jeher der Beginn der Geburt, da gerade im während des gefährlichen Geburtsvorgangs ein besonderer Schutz auch vor fahrlässigen Handlungen gegeben sein müsse.

Eine normale Geburt beginne mit dem Einsetzen der Eröffnungswehe. Bei einem Kaiserschnitt sei der maßgebliche Zeitpunkt die Eröffnung des Uterus zum Zweck der Beendigung der Schwangerschaft durch Entnahme des Kindes aus dem Mutterleib. Dies begründet der Senat damit, dass in diesem Zeitpunkt ein Abbruch der Geburt praktisch nicht mehr in Betracht komme und der Fetus damit erstmalig direkt vom Geburtsvorgang betroffen sei.

Dabei bleibe außer Betracht, ob es sich um ein oder mehrere Kinder handele. Zwar gebe es Fälle einer zeitversetzten Geburt zweier Feten, bei denen dann der Geburtszeitpunkt unterschiedlich zu bestimmen sei. Im vorliegenden Fall habe es sich jedoch um eine einzige Öffnung des Uterus mit dem letztlichen Ziel der Entnahme beider Feten aus dem Mutterleib gehandelt.

Da es sich bei den beiden Angeklagten um erfahrene Geburtsmediziner gehandelt habe, sei es auch rechtsfehlerfrei gewesen, dass das LG den Vorsatz beider Angeklagten angenommen hat.

Ebenfalls rechtsfehlerfrei habe das LG eine direkte oder analoge Anwendung des § 218a Abs. 2 StGB abgelehnt, da dieser vom Gesetzgeber plangemäß nur für Schwangerschaftsabbrüche jedoch nicht für Tötungen nach den §§ 211 ff. StGB greifen solle.

 

Anmerkung der Redaktion:

Die Frage, wann bei einem Kaiserschnitt der Beginn der Geburt im strafrechtlichen Sinne zu sehen ist, war bisher höchstrichterlich nicht entschieden.

 

 

 

KriPoZ-RR, Beitrag 12/2020

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Beschl. v. 26.11.2019 – 3 StR 485/19: Zum Verhältnis der §§ 211, 212 zu § 218 StGB

Leitsatz der Redaktion:

Die Strafbarkeit eines (zumindest) versuchten Tötungsdeliktes zum Nachteil der Mutter deckt nicht vollumfänglich den Unrechtsgehalt eines versuchten oder vollendeten Schwangerschaftsabbruch gegen ihren Willen ab.

Sachverhalt:

Das LG Duisburg hat den Angeklagten wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit versuchtem Schwangerschaftsabbruch und mit gefährlicher Körperverletzung verurteilt.

Nach den tatgerichtlichen Feststellungen war das Opfer in einer sexuellen Beziehung mit dem Angeklagten gewesen, aus der eine vom Angeklagten ungewollte Schwangerschaft resultiert hatte. Dies hatte ihn dazu veranlasst die Nebenklägerin und ihr ungeborenes Kind töten zu wollen. Zu diesem Zweck hatte er sie an einen unbewohnten Ort am Rhein gelockt und mit mehreren Mittätern mit Messern auf sie eingestochen. Die Frau und das Kind hatten den Angriff überlebt.

Entscheidung des BGH:

Der BGH bestätigte die Entscheidung des LG und nutzte die Gelegenheit das Verhältnis der §§ 211, 212 StGB zu § 218 StGB zu präzisieren.

Die §§ 211 f. StGB und § 218 StGB stünden in Idealkonkurrenz (§ 52 StGB) zueinander, da bei den verschiedenen Tötungsdelikten unterschiedliche höchstpersönliche Rechtsgüter betroffen seien.

Ebenfalls begegne die strafschärfende Berücksichtigung der Verwirklichung beider Regelbeispiele des § 218 Abs. 2 Satz 2 StGB keinen rechtlichen Bedenken.

Die Tötung des ungeborenen Kindes gegen den Willen der Schwangeren gehe in ihrem Unrechtsgehalt über das Tötungsdelikt an der Mutter hinaus, so der BGH.

Damit weicht der Senat von seiner bisherigen Rechtsprechung ab, die in einer Verurteilung wegen eines Tötungsdelikts an der Mutter den – den Schwangerschaftsabbruch übersteigenden – Unrechtsgehalt als vollständig erfasst ansah.

Die Strafbarkeit eines (zumindest) versuchten Tötungsdeliktes zum Nachteil der Mutter decke nicht vollumfänglich den Unrechtsgehalt eines versuchten oder vollendeten Schwangerschaftsabbruchs gegen ihren Willen ab, da der Telos des § 218 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 StGB schwerpunktmäßig in der gesteigerten Verwerflichkeit der Tat liege.

Diese Argumentation greife auch bei § 218 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 StGB. Derjenige, der nicht nur leichtfertig sondern vorsätzlich die Todesgefahr oder Gesundheitsgefahr der Schwangeren herbeiführe, verwirkliche die Strafschärfung erst recht.

Offengelassen hat der BGH die Frage, ob die Regelbeispiele auch bei einer vollendeten vorsätzlichen Tötung der Schwangeren zur Anwendung kommen können oder subsidiär zurücktreten. Insoweit bestehe die Gefahr, dass der Tötungserfolg ansonsten dem Angeklagten doppelt zur Last gelegt werde.

Anmerkung der Redaktion:

Die überholte Senatsrechtsprechung finden Sie hier.

 

 

 

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