KriPoZ-RR, Beitrag 23/2021

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Beschl. v. 02.02.2021 – 4 StR 364/19: Zu Sexualdelikten im Zusammenhang mit ärztlichen Untersuchungen

Amtliche Leitsätze:

  1. Auch Patienten, die einen Arzt zu Vorsorgeuntersuchungen aufsuchen, können diesem im Sinne von § 174c Abs. 1 StGB anvertraut sein.

  2. Zum Vorliegen einer sexuellen Handlung bei gynäkologischen Untersuchungen, die heimlich zu sexuellen Zwecken aufgezeichnet werden.

Sachverhalt:

Das LG Dortmund hat den Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs unter Ausnutzung eines Beratungs-, Behandlungs- oder Betreuungsverhältnisses verurteilt.

Nach den tatgerichtlichen Feststellungen hatte der als Gynäkologe tätige Angeklagte bei mehreren Vorsorgeuntersuchungen mit versteckten Kameras heimlich Bilder und Videos des Vaginalbereichs verschiedener Patientinnen gemacht. Zwar hatte der Angeklagte dies aus sexueller Motivation getan, die Vorsorgeuntersuchungen seien jedoch lege artis und aus medizinischen Gründen durchgeführt worden.

Entscheidung des BGH:

Der BGH bestätigte die Verurteilung.

Auch bei Vorsorgeuntersuchungen sei ein Behandlungsverhältnis i.S.d. § 174c Abs. 1 StGB gegeben. Es sei nicht erforderlich, dass tatsächlich eine behandlungsbedürftige Krankheit oder eine Behinderung vorliege. Schon der subjektive Wille des Patienten, sich beraten oder behandeln zu lassen genüge. Auch eine gewisse (beabsichtigte) Intensität oder Dauer des Beratungs- oder Behandlungsverhältnisses müsse nicht erreicht werden.

Nach dem Wortlaut der Norm vertraue sich auch derjenige einem Arzt „wegen“ einer Krankheit an, der das Vorliegen einer solchen nur allgemein besorge, weil er beispielsweise Risikofaktoren aufweise und daher vorbeugend ärztlichen Rat suche. Gleiches gelte auch für Vorsorgeuntersuchungen, die allgemein zur Krankheitsprävention empfohlen würden.

Denn nach dem Gesetzeszweck solle gerade der Missbrauch der durch das Beratungs-, Behandlungs- oder Betreuungsverhältnis geschaffenen Vertrauensstellung und des damit einhergehenden Abhängigkeitsverhältnisses bestraft werden. Dieses Vertrauensverhältnis bestehe auch bei Vorsorgeuntersuchungen in gleichem Maße.

Die vom Angeklagten durchgeführten Tastuntersuchungen seien auch sexuelle Handlungen gewesen. Zwar sei es umstritten und in der höchstrichterlichen Rechtsprechung noch nicht geklärt, ob medizinisch indizierte und lege artis durchgeführte ärztliche Handlungen, als neutrale Handlungen straffrei bleiben, selbst wenn sie sexuell motiviert sind. Diese Frage könne aber in dem zu entscheidenden Fall offen bleiben, da die Tastuntersuchungen des Angeklagten nicht regelgerecht ausgeführt worden seien, denn durch das Ausstatten des Zimmers mit Kameras und der extra gewählten Behandlungsstuhlposition sei der Untersuchungscharakter der Situation durch den Sexualbezug überlagert und somit keine neutrale Handlung mehr vorgenommen worden.

 

Anmerkung der Redaktion:

2020 hatte der BGH entschieden, dass bei fehlender Approbation eine Regelgerechtheit des ärztlichen Eingriffs ausscheide, selbst wenn er medizinisch indiziert und lege artis vorgenommen worden war, und damit eine Neutralität der Handlung nicht mehr angenommen werden könne. Die Entscheidung finden Sie im KriPoZ-RR, Beitrag 33/2020.

 

 

 

KriPoZ-RR, Beitrag 33/2020

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Beschl. v. 07.04.2020 – 3 StR 44/20: Kunstgerechte und medizinisch indizierte Behandlung kann sexuelle Handlung i.S.d. § 184h Nr. 1 StGB sein

Amtliche Leitsätze:

1. Eine ärztliche Behandlung, die der Täter ohne Approbation vornimmt, kann nach den von der Rechtsprechung entwickelten allgemeinen Maßstäben eine sexuelle Handlung im Sinne des § 184h Nr. 1 StGB sein, auch wenn die Behandlung medizinisch indiziert war und für sich genommen lege artis vorgenommen wurde.

2. Eine Person unter sechzehn Jahren kann dem Täter im Rahmen eines Schülerpraktikums anvertraut im Sinne des § 174 Abs. 1 Nr. 1 StGB sein.

3. Ein Behandlungsverhältnis gemäß § 174c Abs. 1 StGB setzt keine Approbation des Täters voraus.

Sachverhalt:

Das LG Oldenburg hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch unter Ausnutzung eines Behandlungsverhältnisses und wegen sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch unter Ausnutzung eines Behandlungsverhältnisses verurteilt.

Nach den tatgerichtlichen Feststellungen war der Angeklagte als niedergelassener Arzt tätig gewesen, obwohl er seine Approbation bereits verloren hatte.

In diesem Zusammenhang hatte er bei einem Opfer eine osteopathische Behandlung durchgeführt, bei der er gegen den Willen der Patientin mehrmals seinen Finger in ihre Vagina eingeführt hatte.

Einem weiteren 14jährigen Opfer, das ein Schülerpraktikum bei dem Angeklagten absolvierte, hatte er eine osteopathische Behandlung gegen Regelschmerzen angeboten und dabei seine Hand auf den Schamhügel der Patientin gelegt, um sich sexuell zu erregen.

Entscheidung des BGH:

Der BGH bestätigte das Urteil des LG und sah sich nur bezüglich der zweiten Tat zu weiteren Ausführungen genötigt.

Das Ruhenlassen der Hand auf dem Schamhügel der Patientin stelle eine sexuelle Handlung i.S.d. §§ 174 Abs. 1, 184h Nr. 1 StGB dar. Bei ambivalenten Handlungen, die nicht schon objektiv durch ihr äußeres Erscheinungsbild sexualbezogen seien, komme es auf die Bewertung eines objektiven Beobachters an, der alle Einzelfallumstände kenne, so der BGH.

Dabei müssten auch die Ziele und Absichten des Täters in die Bewertung eingestellt werden.

Den Streit, ob eine indizierte und lege artis durchgeführte medizinische Behandlung überhaupt als sexuelle Handlung gewertet werden und den Tatbestand erfüllen könnte, musste der BGH in diesem Fall nicht entscheiden, da jedenfalls aufgrund der fehlenden Approbation des Angeklagten eine regelgerechte Durchführung der Behandlung ausscheide, so der Senat.

Danach sei die Berührung des Schamhügels als ambivalente Handlung in diesem Fall tatbestandsmäßig gewesen, da der Angeklagte die Behandlung von sich aus vorschlug, ohne die Patientin ausreichend aufzuklären. Außerdem habe der Angeklagte gehandelt, um sich sexuell zu erregen und im Nachgang der Behandlung angesprochen, dass der die Schülerin „daten“ würde, wenn er in ihrem Alter wäre. Dies zeige den deutlichen Sexualbezug auf.

Schließlich sei die Patientin dem Angeklagten als seine Schülerpraktikantin auch anvertraut i.S.d. § 174 Abs. 1 Nr. 1 StGB gewesen. Auf eine Unterscheidung anhand der Berufsbezogenheit des Praktikums komme es nicht an, da das ganztätige Praktikum immerhin drei Wochen dauern sollte und der Angeklagte Aufgaben des Lehrers faktisch wahrnehmen sollte.

Abschließend stellte der BGH klar, dass ein Behandlungsverhältnis i.S.d. § 174c Abs. 1 StGB weder nach dem Gesetzeswortlaut noch nach seiner Historie eine wirksame Approbation des Arztes voraussetze.

 

Anmerkung der Redaktion:

Zu Scheinuntersuchungen und nicht indizierten Behandlungen hatte der BGH bereits entschieden, dass diese unter den Tatbestand fallen: BGH, Urt. v. 10.03.2016 – 3 StR 437/15 und BGH, Urt. v. 14.03.2012 – 2 StR 561/11.

 

 

 

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