KriPoZ-RR, Beitrag 77/2020

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Beschl. v. 01.09.2020 – 1 StR 58/19: Beginn der Verjährungsfrist des Vorenthaltens oder Veruntreuens von Arbeitsentgelt

Amtlicher Leitsatz:

Die Verjährung jeder Tat des Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt gemäß § 266a Abs. 1 StGB beginnt mit dem Verstreichen des Fälligkeitszeitpunktes für jeden Beitragsmonat nach § 23 Abs. 1 SGB IV.

Sachverhalt:

Das LG Kiel hat den Angeklagten wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt und wegen Steuerhinterziehung verurteilt.

Nach den tatgerichtlichen Feststellungen hatte der Angeklagte als Bauunternehmer Arbeiter beschäftigt ohne sie der zuständigen Einzugsstelle der Sozialversicherung anzumelden.

Daneben hatte er auch Beiträge zur berufsgenossenschaftlichen Unfallversicherung nicht abgeführt und gegenüber dem Finanzamt Lohnsteuer und Solidaritätszuschlag verkürzt.

In einigen Fällen der Urteilsgründe hatte der Fälligkeitszeitpunkt für die Zahlungen der Sozialversicherungsbeiträge zwischen dem 29. Januar 2007 und dem 29. Mai 2008 gelegen. Die unvollständige Meldung an die Berufsgenossenschaft war am 6. Februar 2008 erfolgt und die unrichtigen Steuererklärungen hatte der Angeklagte zwischen dem 5. April 2007 und dem 9. April 2008 gegenüber dem Finanzamt abgegeben. 

Die Strafverfolgungsverjährung war durch einen Durchsuchungsbeschluss des Amtsgerichts Kiel vom 25. Januar 2012 im Hinblick auf sämtliche Taten unterbrochen worden. Die Anklage war am 28. Oktober 2016 beim Landgericht eingegangen und das Hauptverfahren mit Beschluss vom 30. Mai 2018 eröffnet worden.

Entscheidung des BGH:

In allen oben aufgeführten Fällen stellte der BGH das Verfahren gem. § 206a Abs. 1 StPO ein, da Verfolgungsverjährung eingetreten sei.

In den Fällen der Steuerhinterziehung sei es der Zeitpunkt der Abgabe einer unrichtigen Steuererklärung, der gleichzeitig zur sofortigen Tatvoll- und -beendigung führe.

Daher seien die Taten zwischen dem 5. April 2007 und dem 9. April 2008 beendet gewesen und die Verjährungsfrist habe 5 Jahre betragen. Der Ablauf dieser Frist sei durch den Durchsuchungsbeschluss am 25. Januar 2012 und die Anklageerhebung am 28. Oktober 2016 unterbrochen worden. Die Zulassung der Anklage zur Hauptverhandlung war allerdings erst am 30. Mai 2018 erfolgt. Aus diesem Grund sei bei allen Taten bereits die absolute Verjährung eingetreten, § 78c Abs. 3 Satz 2 StGB. Damit sei ein Ruhen der Verjährung durch den Eröffnungsbeschluss gem. § 78b Abs. 4 StGB nicht mehr möglich gewesen. Gleiches gelte für das Urteil vom 29. August 2018 nach § 78b ABs. 3 StGB.

Auch in den übrigen Fällen des Vorenthaltens und Verkürzens von Arbeitsentgelt und Beiträgen zur berufsgenossenschaftlichen Unfallversicherung sei Verfolgungsverjährung eingetreten.

Unter Aufgabe seiner bisherigen Rechtsprechung ging der Senat davon aus, dass die Verjährungsfrist bei Taten nach § 266a Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 2 StGB schon mit dem Verstreichenlassen des Fälligkeitszeitpunktes nach § 23 Abs. 1 SGB IV für jeden Beitragsmonat zu laufen beginne.

Bei echten Unterlassungsdelikten wie den hier in Rede stehenden §§ 266a Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 2 StGB liege der für den Beginn der Verjährungsfrist maßgebliche Zeitpunkt der Tatbeendigung dann vor, wenn die Pflicht zum Handeln entfalle, also die Strafbarkeit des Täterverhaltens ende.

Dies beurteile sich nach der Auslegung des jeweiligen Tatbestandes. 

Mit dem Verstreichenlassen der Zahlungsfrist für die Beiträge zur Sozialversicherung seien Taten nach § 266a Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 2 StGB daher vollendet und nach seiner jetzigen Rechtsprechung auch beendet, so der BGH.

Auf das Entfallen der Beitragspflicht soll demnach in Zukunft nicht mehr abgestellt werden.

Dieses Ergebnis begründet der Senat damit, dass im Zeitpunkt der nicht pünktlichen Zahlung die Rechtsgutsverletzung bereits irreversibel eingetreten sei und durch weitere Passivität auch nicht vertieft werden könne.

Daher gebe es keine Strafbewehrung des weiteren Unterlassens nach Vollendung des Tatbestands, auch nicht mit der Begründung einer Erhöhung des Verspätungsschadens. Da somit in diesem Zeitpunkt auch die strafbewehrte Pflicht zur Beitragsentrichtung entfalle, sei die Tat gleichzeitig beendet.

Die sozialversicherungsrechtlich weiterhin bestehende Pflicht zur Beitragszahlung sei davon unabhängig und stehe somit einer früheren Tatbeendigung auch nicht entgegen.

Diese Auslegung ermögliche zudem einen weitestgehenden Gleichlauf der Verjährungsfristen der §§ 266a Abs. 2 StGB und 370 Abs. 1 AO.

Gegen die vorherige Rechtsprechung spreche nach Ansicht des BGH zudem, dass der Anspruch auf Zahlung der Sozialversicherungsbeiträge erst nach 30 Jahren verjähre, was dann zu einer möglichen Gesamtverjährungsfrist von über 35 Jahren führen könnte. Dies sei im Hinblick auf den Unrechtsgehalt des Delikts nicht angemessen.

Daneben führe die vorherige Rechtsprechung zu einer Benachteiligung von Einzelunternehmen, da § 266a StGB als Sonderdelikt nur vom Arbeitgeber erfüllt werden könne. Für dessen Kenntnis werde bei juristischen Personen als Arbeitgeber auf die vertretungsberechtigten Organe bzw. deren Mitglieder oder Gesellschafter abgestellt. Mit dem Ausscheiden dieser aus dem Unternehmen könne somit ein Beginn der Verjährungsfrist herbeigeführt werden, was dem Einzelunternehmer nicht möglich sei.

 

Anmerkung der Redaktion:

Der erste Strafsenat hatte bei den anderen Senaten angefragt, ob an etwaiger entgegenstehender Rechtsprechung festgehalten werde.

Diese hatten sich unter Aufgabe etwa entgegenstehender Rechtsprechung angeschlossen (Beschluss vom 15. Juli 2020 – 2 ARs 9/20; Beschluss vom 2. Juli 2020 – 4 ARs 1/20; Beschluss vom 6. Februar 2020 – 5 ARs 1/20). 

Den KriPoZ-RR Beitrag zum Anfragebeschluss finden Sie hier.

 

 

KriPoZ-RR, Beitrag 03/2020

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Beschl. v. 13.11.2019 – 1 StR 58/19: Anfragebeschluss zum Beginn der Verjährungsfrist bei § 266a Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 2 StGB

Beabsichtigter amtlicher Leitsatz:

Bei Taten gemäß § 266a Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 2 StGB beginnt die Verjährungsfrist mit dem Verstreichenlassen des Fälligkeitszeitpunktes zu laufen.

Sachverhalt:

Der Angeklagte ist vom LG Kiel wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt und wegen Steuerhinterziehung verurteilt worden.

Nach den tatgerichtlichen Feststellungen hatte der Angeklagte als Geschäftsführer einer Bau GmbH von 2007 bis 2012 Schwarzarbeiter beschäftigt und somit Beiträge zur Sozial- und Unfallversicherung nicht abgeführt sowie Lohnsteuern und Solidaritätszuschläge verkürzt.

Dabei hatten die Fälligkeitszeitpunkte für Sozialversicherungszahlungen in 17 Fällen zwischen dem 29. Januar 2007 und dem 29. Mai 2008 gelegen, in einem Fall hatte der Angeklagte am 6. Februar 2008 eine unvollständige Meldung an die Berufsgenossenschaft abgegeben und in fünf Fällen waren unrichtige Steuererklärungen von ihm zwischen dem 5. April 2007 und dem 9. April 2008 abgegeben worden.

Der Generalbundesanwalt hat daraufhin beantrag, das Verfahren bezüglich der Steuerhinterziehungstaten wegen Verjährung einzustellen.

Entscheidung des BGH:

Der erste Senat beabsichtigt von seiner bisherigen Rechtsprechung abzuweichen und ebenfalls die Verfahren bezüglich der 17 Fälle mit Fälligkeitszeitpunkten zwischen dem 29. Januar 2007 und dem 29. Mai 2008 sowie den Fall der unterlassenen Meldung an die Berufsgenossenschaft wegen Verjährung dieser Taten einzustellen.

In seiner bisherigen Rechtsprechung vertrat der BGH stets die Ansicht, dass die Verjährungsfrist erst mit dem Erlöschen der Beitragspflicht zu laufen beginne, was dazu führe, dass eine Verjährung dieser Taten noch nicht in Betracht komme.

Nun ist der Senat allerdings der Ansicht, die Verjährungsfrist bei Taten nach § 266a Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 2 StGB müsse bereits mit dem Verstreichenlassen des Fälligkeitszeitpunktes zu laufen beginnen.

Die frühere Rechtsprechung war damit begründet worden, dass § 266a Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 2 StGB echte Unterlassungsdelikte darstellten und damit der für die Verjährungsfrist maßgebliche Beendigungszeitpunkt dieser Taten erst im Wegfall der Handlungspflicht zu sehen sei. Damit liege der Beendigungszeitpunkt bei den verfahrensgegenständlichen Delikten erst im Erlöschen der Beitragspflicht.

Im Gegensatz dazu sei § 266a Abs. 2 Nr. 1 StGB ein Erfolgsdelikt, welches aktiv verwirklicht werden müsse und dessen Beendigungszeitpunkt daher schon im Fälligkeitszeitpunkt der Beiträge zu sehen sei.

An dieser Argumentation möchte der Senat nicht länger festhalten und begründet seine Ansicht zunächst damit, dass die Rechtsgutsverletzung auch in Fällen des § 266a Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 2 StGB schon bei Nichtzahlung im Fälligkeitszeitpunkt irreversibel eingetreten sei. Deswegen sei ein weiteres bzw. fortgeführtes Unterlassen nicht mehr strafbar. Dies führe dazu, dass die strafbewehrte Pflicht zur Abführung der Beiträge mit der Tatvollendung entfalle und somit Vollendungs- und Beendigungszeitpunkt zusammen lägen.

Unbeachtlich sei, dass die sozialversicherungsrechtliche Zahlungspflicht weiterhin bis zum Erlöschen der Beitragspflicht bestehe, da beispielweise auch bei § 370 AO der staatliche Steueranspruch nach dem Beendigungszeitpunkt fortbestehe.

Zudem ermögliche diese Sichtweise eine Gleichschaltung des Verjährungsbeginns bei § 266a Abs. 2 StGB und § 370 Abs. 1 AO, was aufgrund des häufigen Zusammentreffens beider Delikte sinnvoll sei.

Ebenfalls vorteilhaft sei, dass nun Taten nach § 266a Abs. 1 und Abs. 2 StGB nicht mehr unterschiedlich verjährten.

Auch die „ultima-ratio“-Funktion des Strafrechts wird vom BGH als Argument angeführt.

Gegen die Beibehaltung der früheren Rechtsprechung spreche schließlich auch die mögliche Gesamtverjährungszeit von 35 bzw. 36 Jahren, welche vor dem Hintergrund des Unrechtsgehalts der Tat unangemessen hoch erscheine.

Abschließend greift der BGH ein Argument aus der Literatur auf wonach die alte Rechtsprechung dazu führen könne, dass Einzelunternehmer gegenüber Vertretungsorganen sowie Teilnehmer gegenüber Tätern benachteiligt werden.

Da § 266a StGB ein Sonderdelikt darstelle, das nur von Arbeitgebern verwirklicht werden könne, sei die Tat immer mit dem Entfallen der Arbeitgeberstellung beendet. Dieses Entfallen der Arbeitgeberstellung könne allerdings bei Vertretungsorganen z.B. mit dem Ausscheiden aus einer Gesellschaft, im Gegensatz zu Einzelunternehmern, mutwillig herbeigeführt werden.

Ähnliches gelte für Teilnehmer, sodass es zu Situationen kommen könne, in denen es für Beteiligte günstiger sein könnte als Täter, statt als Teilnehmer eingestuft zu werden, so der BGH.

Aus diesen Gründen fragt der Senat bei den anderen Senaten des BGH an, ob an etwaiger entgegenstehender Rechtsprechung festgehalten werde.

 

Anmerkung der Redaktion:

Entgegenstehende Entscheidungen anderer Senate finden Sie hier:

BGH, Beschl. v. 27.09.1991 – 2 StR 315/91

BGH, Beschl. v. 17.12.2013 – 4 StR 374/13

BGH, Beschl. v. 28.10.2008 – 5 StR 166/08

 

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