KriPoZ-RR, Beitrag 48/2020

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BVerfG, Beschl. v. 07.07.2020 – 1 BvR 479/20: Bezeichnung als „frecher Juden-Funktionär“ ist volksverhetzend

Leitsatz der Redaktion:

In Bezug auf Äußerungen über den Nationalsozialismus gelten die normalen Anforderungen an einschränkende Gesetze i.S.d. Art. 5 Abs. 2 GG. Die in der Wunsiedel-Entscheidung eingeführte Ausnahme vom Allgemeinheitserfordernis betrifft nur die formelle Ebene eines Straftatbestands, der eine bestimmte Meinung unter Strafe stellt. Eine konkrete Meinungsäußerung adressiert die Ausnahme nicht.

Sachverhalt:

Der Beschwerdeführer ist vom AG Bielefeld und bestätigend vom LG Bielefeld und OLG Hamm wegen Volksverhetzung gem. § 130 Abs. 1 StGB verurteilt worden.

Er hatte als Vorsitzender der Partei DIE RECHTE im Gebiet O. einen Artikel im Internet veröffentlicht, in dem er den Vorsitzenden einer jüdischen Gemeinde als „freche[n] Juden-Funktionär“ bezeichnet hatte, weil dieser sich gegen einen Verleger ausgesprochen hatte, der in seinem Verlag auch rechtsradikales Gedankengut veröffentlicht haben soll.

In dem Artikel wird der Verleger positiv adressiert und zu einem Boykott der jüdischen Gemeinde aufgerufen.

Entscheidung des BVerfG:

Das BVerfG nahm die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung an.

Eingriffe in die Meinungsfreiheit benötigten nach Art. 5 Abs. 2 GG ein allgemeines Gesetz. Dieses Gesetz dürfe sich grundsätzlich nicht gegen eine bestimmte Meinung richten und müsse materiell verhältnismäßig sein. Eine Ausnahme gelte für Straftatbestände, die sich (wie § 130 Abs. 4 StGB) gegen die Verherrlichung des Nationalsozialismus als Einzelmeinung richteten.

Diese Ausnahme könne allerdings nicht auf eine konkrete Meinungsäußerung angewendet werden, so das BVerfG. Das Grundgesetz kenne kein allgemeines antinationalsozialistisches Grundprinzip, weshalb eine konkrete Meinungsäußerung in Bezug auf den Nationalsozialismus an den allgemeinen Anforderungen für Eingriffe in die Meinungsfreiheit gemessen werden müsse.

Relevant sei die konkrete Wirkung der Äußerung im jeweiligen Kontext.

Da die Fachgerichte die Meinungsäußerung nicht aufgrund der allgemeinen politischen Ausrichtung des Täters oder seiner Parteimitgliedschaft, sondern unabhängig davon bewertet hätten, sei die konkrete Anwendung des § 130 Abs. 1 StGB nicht zu beanstanden.

Das Verwenden des Terminus „Jude“ könne vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte durchaus eine herabwürdigende Aussage darstellen. Hier sollte die Bezeichnung gerade zum Hass gegen die jüdische Bevölkerung aufstacheln, was aus der Verwendung des propagandistischen Terminus „frecher Jude“ geschlossen werden könne. Zudem ergebe sich dies auch im Zusammenhang mit dem Boykottaufruf und dem positiven Hervorheben, des rechtspopulistischen Verlagsprogramms.

Genau vor solchen Aufstachelungen solle § 130 Abs. 1 StGB schützen.

 

Anmerkung der Redaktion:

Zur subjektiven Seite der Volksverhetzung und zur konkurrenzrechtlichen Bewertung hatte zuletzt der BGH entschieden: KriPoZ-RR, Beitrag 47/2019

 

 

KriPoZ-RR, Beitrag 47/2019

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Beschl. v. 06.08.2019 – 3 StR 190/19: Zum subjektiven Tatbestand der Volksverhetzung

Leitsätze der Redaktion:

  1. Die Verwirklichung des § 130 Abs. 3 StGB setzt zumindest bedingten Vorsatz auch in Bezug auf die Wahrheit der geleugneten Tatsache voraus.
  2. Die Tatbestandsvarianten des § 130 Abs. 1 Nr. 1 und 2 StGB und die des § 130 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a und c StGB schützen jeweils dasselbe Rechtsgut, was dazu führt, dass bei gleichzeitiger Verwirklichung mehrerer Varianten eines Absatzes nur eine Tat gegeben ist.

Sachverhalt:

Das LG München II hat den Angeklagten A wegen Volksverhetzung in elf Fällen, davon in acht Fällen in Tateinheit mit zwei weiteren Fällen der Volksverhetzung, davon in drei Fällen in Tateinheit mit Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen und in einem Fall in Tateinheit mit einem weiteren Fall der Volksverhetzung sowie wegen eines weiteren Falls des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen verurteilt.

Die Angeklagte B hat es wegen Volksverhetzung in vier Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit einem weiteren Fall der Volksverhetzung verurteilt.

Nach den tatgerichtlichen Feststellungen hatte A zehn Videos produziert und im Internet veröffentlicht, in denen er den Holocaust geleugnet hatte und gegen Juden und Flüchtlinge hetzte. B hatte ihm teilweise bei der Produktion geholfen und auch selbst in Videos als Darstellerin mitgewirkt und den Holocaust geleugnet.

Entscheidung des BGH:

Der BGH verwarf die Revision überwiegend und änderte lediglich den Schuldspruch aufgrund einer abweichenden konkurrenzrechtlichen Bewertung.

Die Ansicht des LG, dass die Angeklagten zumindest billigend in Kauf genommen hatten, den Völkermord an der jüdischen Bevölkerung zur Zeit des Nationalsozialismus zu leugnen, sei rechtsfehlerfrei belegt, so der BGH.

Der subjektive Tatbestand des § 130 Abs. 3 StGB setze zumindest bedingten Vorsatz voraus. Dabei leugne den Holocaust, wer diese historische Tatsache in Abrede stelle, obwohl er entweder wisse oder zumindest billigend in Kauf nehme, dass der Holocaust entgegen seiner Behauptung tatsächlich stattgefunden habe.

Die Unwahrheit der eignen Behauptung sei dabei gerade keine objektive Bedingung der Strafbarkeit, sondern ein Tatbestandsmerkmal, das vom Vorsatz umfasst sein müsse.

Gerade nicht ausreichend sei, dass der Täter bewusst eine allgemein akzeptierte Ansicht bestreite, da sich der Vorsatz dann nur auf den Widerspruch der eigenen Aussage zur allgemein akzeptierten Ansicht erstrecken müsse. Dies würde dazu führen, dass auch durch Dummheit, Unwissenheit oder Ungläubigkeit motivierte Aussagen strafbar wären, was nicht mit dem Schuldgrundsatz übereinstimmte, so der Senat.

Nach diesen Maßstäben habe das LG zu Recht argumentiert, dass die beiden Angeklagten nicht irrig an die Nichtexistenz des NS-Genozids geglaubt, sondern die Beweise für den Völkermord bewusst ignoriert hätten. Damit hätten sie die Unrichtigkeit ihrer eignen Beweise auch mangels kritischer Auseinandersetzung mit ihnen zumindest billigend in Kauf genommen.

Des Weiteren stellte der BGH klar, dass seine ständige Rechtsprechung zur Mittäterschaft unverändert fortbestehe. Für die Annahme einer solchen, sei neben einem gemeinsamen Tatplan ein eigener Tatbeitrag des Mittäters erforderlich, der weder in einer Mitwirkung am Kerngeschehen noch in der Anwesenheit am Tatort bestehen müsse. Es genüge, dass der objektive wesentliche Tatbeitrag in einer Vorbereitungs- oder Unterstützungshandlung liege, die der Mittäter subjektiv als Teil der Tätigkeit aller begreife. Maßgebliche Kriterien dafür seien der Grad des eigenen Interesses am Taterfolg, der Umfang der Tatbeteiligung, die Tatherrschaft und der Wille zur Tatherrschaft.

Insoweit sie eine in der Literatur vertretene Ansicht, aus der Rechtsprechung des Senat ergebe sich zur Annahme einer Mittäterschaft im Lichte der Tatherrschaft die Voraussetzung, dass der Täter durch seinen Beitrag die Tatausführung beeinflussen können müsse, nicht richtig. Dies folge daraus, dass es sich bei der Tatherrschaft lediglich um ein Kriterium zur Annahme einer mittäterschaftlichen Begehungsweise handele. Sei dieses nur schwach ausgeprägt oder nicht vorhanden, könne eine Mittäterschaft im Wege einer Gesamtwürdigung aller Kriterien dennoch begründet werden.

Nach diesen Maßstäben sei die Annahme einer Mittäterschaft durch das LG rechtsfehlerfrei, da die Angeklagte B zwar nicht unmittelbar an der Veröffentlichung mancher Videos beteiligt gewesen war, ihr Beitrag im Vorfeld (Idee zum Video, Schreiben des Drehbuchs und Mitwirkung als Darstellerin) jedoch wesentlich gewesen war.

Zur konkurrenzrechtlichen Bewertung führte der Senat aus, dass die Tatbestandsvarianten des § 130 Abs. 1 Nr. 1 und 2 StGB und die des § 130 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a und c StGB jeweils dasselbe Rechtsgut schützten. Da somit lediglich gleichwertige Tatmodalitäten bestraft würden, handele es sich bei gleichzeitiger Verwirklichung mehrerer Varianten innerhalb eines Absatzes nur um eine Tat. Dadurch sei der Schuldspruch teilweise abzuändern gewesen. Die Tateinheit zwischen den Taten nach § 130 Abs. 1 StGB und § 130 Abs. 3 StGB sei allerdings möglich.

 

Anmerkung der Redaktion:

Zur Abgrenzung der Tathandlungen des Verharmlosens und des Leugnens hat das OLG Celle im August 2019 ein Urteil gefällt. Sie finden es hier.

Auch der EGMR hat sich bereits mit § 130 Abs. 3 StGB befasst. Das Urteil finden Sie hier.

Weitere Urteile des BGH und des BVerfG finden Sie hier und hier.

 

 

Der unmögliche Zustand des § 130 StGB

von Prof. Dr. Wolfgang Mitsch 

Beitrag als PDF Version 

Abstract
Mit dem Erscheinungsbild des Volksverhetzungstatbestandes kann man nicht zufrieden sein. Die Beschreibung der Strafbarkeitsvoraussetzungen ist unbestimmt und leistet politisch einseitiger tendenziöser Rechtsanwendung auf Basis ideologischer Festlegungen Vorschub. Von nüchterner strafrechtsdogmatischer Analyse bleibt die Vorschrift weitgehend unbehelligt. Da es ohnehin an der Zeit ist, überflüssigen Strafrechtsballast abzuwerfen, sollte die (partielle) Demontage des § 130 StGB kein Tabu sein.

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